Kirsten Bruhns, Svendy Wittmann:
„Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“.
Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten Jugendgruppen.
Opladen: Leske + Budrich 2002.
292 Seiten, ISBN 3–8100–3272–7, € 20,00
Abstract: Dieses Werk präsentiert die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Mädchen und Gewalt: Eine Untersuchung zum jugendgruppentypischen Umgang mit Gewalt“ am Deutschen Jugendinstitut (DJI), das – im Wesentlichen – von den beiden Verfasserinnen in den Jahren 1998 bis 2001 durchgeführt wurde. Ziel des Projektes und des Bandes ist es, eine geschlechterdifferenzierte Gewaltprävention, an der es vielfach mangelt, wissenschaftlich zu fundieren. Dies ist den Autorinnen durch eine ebenso lebensnahe wie praxisbezogene soziologische Forschung gelungen.
Hinweise auf Schlagzeilen zur steigenden Gewaltbereitschaft Jugendlicher, vor allem bei Mädchen oder jungen Frauen bilden den Ausgangspunkt für einen ausführlichen Forschungsüberblick über den Bereich „Mädchen und Gewalt“. Dabei wird sowohl die Aussagekraft von amtlichen Statistiken, deren eigenständige Bearbeitung durch die Verfasserinnen allerdings ein wenig zu kurz kommt, als auch von Untersuchungen über selbstberichtete Delinquenz sorgfältig reflektiert. Eine Fülle von Forschungsarbeiten und Literaturstellen wird in unterschiedlicher Ausführlichkeit verarbeitet; dass bei Mädchen und jungen Frauen eine zunehmende Gewaltbereitschaft bzw. -delinquenz zu verzeichnen sei, wird darin nicht einheitlich bestätigt.
Grundsätzlich ergibt sich aus den vorhandenen Materialien u. a., dass Jugendgruppengewalt auch in der neueren Literatur als männliches Phänomen begriffen wird; weibliche Jugendliche erscheinen in jeglicher Hinsicht als „marginal“. Erklärungsansätze für ein offensiv gewalttätiges Verhalten von Mädchen werden im Rahmen der Rechtsextremismusforschung entwickelt. Wichtige Grundlegungen für die Verfasserinnen sind die – (auch) für mich essentiellen – Erkenntnisse, dass (männliche und weibliche) Gewalttätigkeit nicht monokausal erklärbar ist und dass es gilt, Frauenkriminalität in ihrer Eigenständigkeit zu untersuchen, nicht nur unter der Perspektive eines Geschlechtervergleiches. Eine für die Untersuchung wichtige Hypothese ist, dass eine Jugendgruppe – und das halte ich für wichtig: in einem begrenzten Akzeptanzrahmen – „als zentraler Ort der Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit“ (S. 40 f.) im Sinne von „Doing gender“ begriffen wird. Das zeigt sich auch im Zusammenhang mit dem Thema „Geschlechtskonzept und Gewalt“ (S. 161–186): Die besonders gewaltbereite Selbstdarstellung weiblicher Jugendlicher wird als Konstruktionsprozess einer „abweichenden Weiblichkeit“ angesehen.
Vorbereitung und Ablauf dieser vergleichenden Längsschnittstudie, in deren Mittelpunkt „das Verhalten und die Position gewaltbereiter Mädchen in Jugendgruppen sowie ihr Umgang mit Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit“ (S. 47) stehen, werden in Kapitel 2 dargestellt . Penibel wird die „Gruppenfindung“ in einer „ost-“ und einer „westdeutschen“ Stadt (beide im Norden des Bundesgebietes gelegen) – so die etwas eigenwillige Bezeichnung – geschildert. Diese wurde nicht anhand eines streng systematisierten Zufallsprinzips durchgeführt, weshalb eine breite Verallgemeinerung der Forschungsergebnisse nicht möglich sei – so betonen die Verfasserinnen mehrfach. Der Qualität der Untersuchung tut dies jedoch keinen Abbruch. Der inhaltliche Schwerpunkt der Erhebungen liegt zum einen wohl in den Gruppendiskussionen, für die ein Honorar bezahlt wurde (!), die dazu dienten, die Gruppen-Wirklichkeit zu erfahren; dazu gehörte – so die Meinung der Verfasserinnen – auch der Aufteilungsmechanismus für das ausbezahlte Geld. Zum anderen sind leitfadenorientierte Einzelinterviews von besonderer Bedeutung. Diese wurden in der ersten Erhebungsphase mit insgesamt 31 weiblichen und 7 männlichen, etwa ein Jahr später mit 30 weiblichen und wiederum 7 männlichen Jugendlichen aus insgesamt acht sowohl gemischt-geschlechtlichen als auch rein weiblichen Jugendgruppen, von denen die Hälfte gewaltauffällig ist, geführt.
Mit diesem Originalzitat wenden sich die Autorinnen dem Thema: „Gewaltbereite Jugendgruppen – (k)ein Ort für Mädchen“ (S. 71–108) zu. Erstaunlicher Weise stellt sich heraus, dass der Frauenanteil bei den beiden gemischt-geschlechtlichen gewaltbereiten Jugendgruppen bei ca. 50% bzw. 60% liegt und dass reine Mädchengruppen, die als gewaltbereit einzustufen sind, tatsächlich ausfindig gemacht werden konnten – die „Powergirls“ und die „Schlägermädchen“. Zu diesen Erkenntnisgewinnen zählt auch, dass männliche Jugendliche den weiblichen Gruppenmitgliedern nicht – wie in amerikanischen „Gangs“ – den „Weg in die Illegitimität“ ebnen; auch sind weder die Mädchen in den gemischt-geschlechtlichen Gruppen prinzipiell untergeordnet noch sind die weiblichen Gruppen „Anhängsel“ von männlichen Jugendbanden (S. 106; vgl. dazu auch „Wir lassen uns nie was gefallen“ – Stellung und Rolle der Mädchen in den Gruppen, S. 149–159). Nicht nur, dass dadurch mit vielen Mythen aufgeräumt wird, es ist bereits an dieser Stelle nachvollziehbar, welche wichtigen Schlussfolgerungen daraus für konkrete Gewaltpräventionsprojekte gezogen werden können.
Diese Aussage aus dem Mund eines „Powergirls“ leitet den Abschnitt über den „Umgang von Mädchen mit Gewalt in gewaltauffälligen Jugendgruppen“ (S. 109–147) ein. Als Einzelfaktum besonders interessant erschien der Rezensentin – vielleicht, weil es auch zu dem schon oben angesprochenen Mythos passt –, dass Alkohol für die Gewaltbereitschaft in den Mädchengruppen keine Rolle spielt (S. 125). Wohltuend differenziert gehen die Verfasserinnen mit der Tatsache um, dass die weiblichen Jugendlichen seltener angezeigt und weniger oft verurteilt werden als die männlichen: Sie geben zu bedenken, dass die Mädchen im Durchschnitt jünger sind als die männlichen Gruppenmitglieder und dass sie meist „nur“ Körperverletzungsdelikte ohne Waffen begehen, kaum jedoch (größere) Diebstähle oder Drogendelikte (insbesondere Dealen).
Die Ergebnisse der „Kontroll“-Untersuchung und der oben – noch in Frageform – gebildete Konnex zwischen Lebenssituation/-orientierung und Gewaltbereitschaft führen dazu, von einem „jugendphasenspezifischen Wandlungsprozess“ sprechen zu können; wiederum wohl ein wesentlicher Baustein auf dem Weg zu effizienterer Gewaltprävention.
Der Vergleichscharakter der Untersuchung wird unterstrichen durch die Darstellung und Analyse von zwei gemischt-geschlechtlichen und zwei rein weiblichen nicht gewaltauffälligen Jugendgruppen; lassen wir deren Namen sprechen: „Rebellen“ und „Spaßtruppe“, „Freundinnen“ und „Clubmädchen“ (S. 209–223).
Das Abschlusskapitel ist nicht bloß eine klassische „Zusammenfassung der Ergebnisse“ – auch wenn es sich für Schnell-Lesende qualitativ durchaus dazu eignete –, es schließt tatsächlich den Kreis, der mit der Darstellung des Forschungsstandes in der Einleitung begonnen wurde: Die Verfasserinnen verknüpfen die durch ihre Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse mit den bisherigen Befunden (S. 255–276).
Trotzdem sollte man sich mit der Lektüre dieses Abschnittes allein nicht begnügen: Man würde sich eines Teiles der Realität berauben, der durch die vielen eindrücklichen Originalzitate aus dem Mund von „Powergirls“, „Straßenkids“ & Co „frei Haus“ geliefert wird.
URN urn:nbn:de:0114-qn043011
Prof. Dr. Gabriele Schmölzer
Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie
E-Mail: gabriele.schmoelzer@uni-graz.at
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