Gewalt beenden, Opfer schützen, Täter belangen

Rezension von Gesine Fuchs

Alexandra Heinz:

Jenseits der Flucht.

Neue Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt im Vergleich.

Opladen: Leske + Budrich 2002.

125 Seiten, ISBN 3–8100–3550–5, € 11,80

Abstract: Heinz stellt in ihrem Buch Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt in Deutschland vor, die seit den 1990er Jahren entstehen. Anhand von Materialien der Projekte selbst und wissenschaftlicher Begleitforschungen werden die einzelnen Projekte sowie ihre Arbeitsschwerpunkte vorgestellt und deren Wirkungen diskutiert. Die Arbeit zeigt, wie wirkungsvoll diese Kooperationsbündnisse von Staat und Zivilgesellschaft für den Schutz vor Gewalt sind. Doch es wird auch deutlich, dass diese Errungenschaften noch nicht dauerhaft gesichert sind.

Perspektivenwechsel

Seit etwa zehn Jahren ist bei der feministischen Anti-Gewalt-Arbeit im deutschsprachigen Raum ein Perspektivenwechsel auszumachen, der die Gründung von so genannten Interventionsprojekten zur Folge hatte. Alexandra Heinz zeichnet in ihrem Buch die Diskussion nach, stellt fünf dieser Projekte in Deutschland exemplarisch vor (Kapitel II) und diskutiert die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte (Kapitel III), um daraus Schlussfolgerungen (Kapitel IV) für die weitere Praxis der Projekte abzuleiten.

Der autonomen Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre ist es gelungen, Gewalt gegen Frauen zu skandalisieren und ein zunehmendes Bewusstsein über Ausmaß, Hintergründe und Ursachen zu schaffen und so dieses Thema „politikfähig“ zu machen. Seitdem 1976 das erste Frauenhaus in Berlin öffnete, ist in Deutschland eines der dichtesten Netze für von Gewalt bedrohte Frauen und Kinder entstanden. Die Projekte sahen sich als praktisch gewordene Kritik an strukturell verankerter Gewalt und an der Gesellschaft, die diese Verhältnisse ausblendet. Aber Männergewalt hat durch diese parteiliche Arbeit für die Opfer nicht abgenommen: „Entgegen der ursprünglichen Intention tritt durch die Frauenhausarbeit weniger die massenhafte Gewalttätigkeit von Männern in den Vordergrund, als die individuelle Not der Frauen und Kinder. Die Männer, die diese Not verursacht haben, bleiben weitgehend unberücksichtigt. Ebenso die kulturellen Werte und geschlechtsspezifischen Ordnungen, die zur jeweiligen Misshandlungssituation beigetragen haben“. (S. 26)

1994 startete das erste Modell-Projekt, das explizit Männergewalt bekämpfen soll: das Berliner Interventionsprojekt gegen Gewalt gegen Frauen wurde wegen der Täterorientierung zuerst heftig kritisiert. Interventionsprojekte sind Kooperationsbündnisse. Sie basieren auf einem „Konzept institutionalisierter, einzelfallübergreifender Kooperationszusammenhänge, unter anderem von Polizei, Justiz und Hilfeeinrichtungen. Interventionsprojekte intervenieren nicht selbst. Schwerpunkt […] ist vielmehr die Verbesserung der (staatlichen) Intervention bei häuslicher Gewalt“. (S. 33 f.) Die Projekte bestehen meist aus einem Runden Tisch aller Akteur/-innen, einer Koordinationsstelle und fachspezifischen Arbeitsgruppen (z. B. Recht, Familie, Gesundheit). Schwerpunkte der Arbeit sind die Stärkung der Rechte der betroffenen Frauen durch Ausschöpfung der bestehenden rechtlichen Regelungen, Maßnahmen zur Beendigung der Gewalt und die Zuweisung von Verantwortung an die Täter, einschließlich zivilrechtlicher Anordnungen und strafrechtlicher Sanktionen. Ziel der Arbeit ist es, Handlungsabläufe zu verbessern und zu beschleunigen. Im Mittelpunkt steht pragmatische Hilfe gegen Gewalt und die Übernahme von staatlicher und persönlicher Verantwortung. Damit wird das Thema nicht mehr als „Frauenproblem“ behandelt, sondern als grundlegende Frage des Rechtsstaats, der Würde, Freiheit und körperliche Unversehrtheit garantieren soll.

Dilemmata und Erfolge

Das zweite Kapitel, in dem die einzelnen Projekte vorgestellt werden, bleibt vornehmlich deskriptiv. Die Projekte werden kaum miteinander verglichen. Im zentralen dritten Kapitel werden hingegen die Arbeitsschwerpunkte der einzelnen Projekte diskutiert. Dabei wird deutlich, welchen Unterschied die Existenz eines solchen Projekts in einem Bundesland macht: Detaillierte Handlungsleitfäden für Polizeieinsätze und klare Richtlinien bei der strafrechtlichen Verfolgung ermöglichen es erst, dass häusliche Gewalt von Polizisten und Staatsanwälten nicht mehr als „Familienstreitigkeit“, sondern als Angriff auf Würde und Integrität von Frauen wahrgenommen wird. So sind die Staatsanwaltschaften angewiesen, strafrechtliche Verfahren nicht mehr aus mangelndem öffentlichen Interesse einzustellen. Als ein wichtiges zivilrechtliches Instrument wird das Gewaltschutzgesetz des Bundes vorgestellt, das seit Anfang 2002 in Kraft ist, in Fällen häuslicher Gewalt eine erleichterte Wohnungszuweisung für die Opfer und eine Grundlage für Kontakt-, Näherungs- und Belästigungsverbote vorsieht: Nicht das Opfer, sondern der Täter muss weichen. Polizeirechtliche Maßnahmen wie Platzverweise oder Ingewahrsam-Nahmen sind je nach Bundesland unterschiedlich ausgestaltet und umstritten. Doch dort, wo Interventionsprojekte arbeiten, gibt es auch detaillierte Regelungen, die im Sinne des Opferschutzes eingesetzt werden.

Uneinig sind sich die Projekte beim Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) und den sozialen Trainingsprogrammen für Täter. Ein TOA wird z. Zt. nur in Hannover durchgeführt. Er ist ein freiwilliger tatbezogener Ausgleich zwischen Opfer und Beschuldigten unter Vermittlung einer Drittperson. In einem Gespräch wird eine materielle und ideelle Schadenswiedergutmachung des Täters ausgehandelt. Die meisten Projekte lehnen den TOA ab, da eine Voraussetzung für ein solches Mediationsverfahren nicht gegeben sei, nämlich Ressourcengleichheit. Er suggeriere zudem, dass zwei Seiten am Geschehen beteiligt seien. Auf diese Weise könnte das Problem häusliche Gewalt tendenziell wieder reprivatisiert werden. Soziale Trainingsprogramme sollen gewalttätige Männer zum Nachdenken über ihre Taten bringen und andere Konfliktlösungen suchen und üben lassen. Heinz stellt vier solcher Programme näher vor, betont aber, dass es kein Gesamtkonzept zur Täterarbeit gebe wie in den USA und dass eine wirksame Gewaltprävention mehrere parallel laufende Interventionen brauche. Die Kritik an den Programmen ist vor allem, dass hier nötige Mittel dem Opferschutz entzogen würden, während die Wirksamkeit der Programme wohl eher gering sei. Nur wenn die Programme aus Justizmitteln finanziert werden, so Heinz, lasse sich dieses Problem entschärfen.

Erste Anhaltspunkte

Heinz‘ Überblick zeigt, dass mehrere Faktoren zusammenwirken müssen, damit Interventionsprojekte ihre Ziele erreichen können. Politischer Wille, Vernetzung und Kooperation zwischen frauenpolitischer Basis, Justiz und Polizei sowie eine gesicherte, langfristige Finanzierung sind unabdingbar, damit rechtlich-institutionelle Veränderungen umgesetzt werden. Das Buch geht zwar über Einzeldarstellungen von Projekten hinaus, doch eine systematischere Fragestellung wäre vermutlich ergiebiger gewesen. Zwei Punkte sind aufschlussreich: Das Thema bleibt politisch umstritten, wie die gefährdeten Finanzierungen angesichts der Haushaltskrise besonders der Kommunen zeigen. Die Errungenschaften der Projekte sind keinesfalls gesichert. Zweitens ist auch die inhaltliche Auseinandersetzung nicht abgeschlossen, wie die Beispiele des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der sozialen Trainingsprogramme zeigen. Schade ist es, dass die Interventionsprojekte aus Österreich und der Schweiz nicht einbezogen wurden, obwohl die deutschsprachigen Projekte untereinander auch inhaltlich vernetzt sind und auf österreichische Rechtsregeln wiederholt eingegangen wird.

Nützliche Links:

Die „Mutter“ aller Interventionsprojekte ist das Domestic Abuse Intervention Project DAIP in Duluth/Minnesota: www.duluth-model.org

Das Gewaltschutzgesetz des Bundes: www.bmfsfj.de/Anlage16781/Gewaltschutzgesetz.pdf

Die WHO hat vor kurzem eine vergleichende Studie zu sozialen Trainingsprogrammen für gewalttätige Männer durchgeführt. Nähere Informationen unter www.who.int/gender/violence/en/

URN urn:nbn:de:0114-qn043051

Dr. phil. Gesine Fuchs

ist gleichstellungspolitisch für den Kanton Basel-Landschaft (www.gleichstellung.bl.ch) und die Universität Basel (www.zuv.unibas.ch/chancengleichheit/) tätig.

E-Mail: gesine.fuchs@unibas.ch

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