Neuaufgelegt: Wege aus der Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Rezension von Sabine Stövesand

Margrit Brückner:

Wege aus der Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

Eine Einführung.

2., veränderte Auflage, Frankfurt a.M.: Fachhochschulverlag 2002.

207 Seiten, ISBN 3–931297–56–X, € 14,00

Abstract: Gewalt gegen Frauen und Mädchen stellt weltweit die häufigste Menschenrechtsverletzung dar. Margrit Brückners Buch bietet einen Überblick über die gesellschaftlichen Hintergründe, über Art und Ausmaß der Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie über konkrete Handlungsansätze. Neben der fundierten Auseinandersetzung mit grundlegenden Prinzipien feministischer Projektarbeit beinhaltet die Neuauflage Informationen zum aktuellen Gewaltschutzgesetz und zu innovativen Ansätzen im Bereich kommunalen Netzwerkarbeit.

Neue Akzente

Im vergangenen Herbst ist die 2. aktualisierte Auflage von Margrit Brückners Einführung in die Thematik „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ erschienen. Frau Brückner ist Professorin für Soziologie an der Fachhochschule Frankfurt am Main und arbeitet außerdem als Gruppenanalytikerin und Supervisorin. Mit dem Thema selbst beschäftigt sie sich kontinuierlich seit 25 Jahren, ihre Veröffentlichungen zur Arbeit von Frauen- und Mädchenprojekten und speziell zum Gewaltproblem gehören zur Grundlagenliteratur in diesem Bereich.

Die Entwicklung neuer Ansätze, Aktivitäten und Gesetze im Zusammenhang mit dem Aktionsplan der Bundesregierung zur „Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen“ (Dezember 1999) waren ein wichtiger Anstoß für die Neuauflage des Buches. In dessen Rahmen trat im vergangenen Jahr das Gewaltschutzgesetz in Kraft, das u. a. die Strafverfolgung von Tätern verbessert und es erleichtert, den Misshandler aus der Wohnung zu weisen. Die Ergänzung um diesen Punkt bildet, neben der Aktualisierung von Daten und Literaturangaben, eine wesentliche Veränderung gegenüber der Erstauflage.

Zahlen, Fakten, Definitionen

Das Buch bietet einen Überblick über die gesellschaftlichen Hintergründe, über Art und Ausmaß der Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie über konkrete Handlungsansätze. Dabei steht die Praxis, so wie sie speziell von der Frauenbewegung entwickelt wurde, im Vordergrund. Innerhalb dieser Praxisansätze konzentriert sich Brückner, aufgrund der Relevanz für das Geschlechterverhältnis generell und aufgrund der zahlreich existierenden Projekte, auf die Gewalt gegen Frauen in Beziehungen.

Wie Brückner mit Bezug auf UNICEF-Veröffentlichungen anführt, stellen Übergriffe gegen Frauen und Mädchen die weltweit häufigste Menschenrechtsverletzung dar (S. 174). Laut internationalen Untersuchungen wenden Männer in 10% bis 25 % der Beziehungen Gewalt gegen ihre Partnerin an (S. 22). Diese Gewalt kommt dabei in allen sozialen Schichten vor. Schätzungen gehen davon aus, dass jede siebte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung geworden ist (S.17). Sexueller Missbrauch wird fast ausschließlich von Männern ausgeübt, die Opfer sind überwiegend Mädchen (S. 29/32). Im Jahr 1992 wurden laut Kriminalstatistik 44.326 Straftaten in diesem Bereich angezeigt (S. 30), wobei die Dunkelziffer hoch ist. Der Großteil der Übergriffe findet im privaten Nahraum statt, d. h. der gefährlichste Ort für Frauen und Mädchen ist die eigene Wohnung. Zu den weiterhin beschriebenen Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt gehören die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, der internationale Frauenhandel, Gewalt in der Prostitution und in Institutionen, z. B. in Betreuungseinrichtungen für körperlich und/oder geistig Behinderte. Zu Unrecht unerwähnt bleibt der Bereich der Hochschulen und Universitäten.

Gewalt gegen Frauen definiert Brückner, angelehnt an Hagemann-White (1997), als Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Frau oder eines Mädchens unter Ausnutzung männlicher Vorherrschaft und patriarchaler Machtverhältnisse. Brückner verweist darauf, dass selbst die Bundesregierung (übrigens noch unter Kohl) das „seit Generationen und in allen Bereichen existierende asymmetrische Geschlechterverhältnis und die männliche Dominanz“ (BMFSFJ 1995, zit. nach Brückner, S. 176) als Ursache für die Gewalt gegen Frauen nennt.

Gesellschaftliche Ursachen und Handlungsansätze

Diese Dominanz sei noch immer durch kulturelle Geschlechtervorstellungen und gesellschaftliche Normen abgesichert. Die weibliche Erziehung zum Dasein für andere, zum Dulden und zum Zurückstellen eigener Interessen sowie ökonomische Abhängigkeiten sind relevant für den Umgang von Frauen mit der Misshandlung. Differenziert beschreibt Brückner die Widersprüche und Dilemmata in den Liebesvorstellungen und gelebten Beziehungen der Frauen. Die Männer sind nicht nur und immer brutal, sondern situativ auch verletzlich und hilflos. Brückner betont, dass die Verantwortung für die Gewalthandlung selbst ausschließlich beim Mann liegt, dass an der Herstellung der Beziehungsstrukturen jedoch beide, Mann und Frau, beteiligt sind. Fatal wirkt allerdings die Dynamik vieler Misshandlungsbeziehungen: Je häufiger der Mann Gewalt anwendet, umso mehr verliert die Frau Selbstachtung und Selbstvertrauen. Das Weggehen scheint immer aussichtsloser und gefährlicher zu werden. Doch je länger sie dableibt, desto sicherer fühlt sich der Mann und desto hemmungsloser wird die Misshandlung.

Ausführlich und fundiert wird die Arbeit der Frauenhäuser beschrieben. Anschließend geht Brückner auf die neueren und wichtiger werdenden Ansätze wie die Arbeit mit gewalttätigen Männern und auf kommunale, institutionenübergreifende Programme ein.

Überzeugend wird der Stellenwert von Sozialmanagement als Teil sozialer Arbeit im Mädchen- und Frauenbereich erläutert, ohne in apologetische Töne zu verfallen. Allerdings auch ohne weitergehende Problematisierung z. B. von Tendenzen der „Verbetriebswirtschaftlichung“ und der Instrumentalisierung für Mittelkürzungen oder behördliche Einflussnahme auf Konzepte. Gegen Ende bietet das Buch noch einen Blick auf internationale Aktivitäten.

Abschließend betont Brückner die gleichwertige Bedeutung der politischen und der sozialarbeiterischen Ebene im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Sie weist darauf hin, dass die Utopie, Eigenständigkeit in lebendigen, gewaltfreien Beziehungen leben zu können, sowohl für Frauen als auch für Männer noch einzulösen bleibt.

Fazit: Pflichtlektüre

Meines Erachtens gibt es in Brückners Buch einige Leerstellen. So fehlt der Bezug zu Debatten um (de)konstruktivistische feministische Ansätze. Die kurze Erwähnung von „doing gender“ an einer Stelle kommt recht überraschend. Auch von dem aktuell kursierenden Konzept des Gender Mainstreaming findet sich kein Spurenelement. Dass es Gewalt auch in lesbischen Beziehungen gibt oder dass es die überhaupt gibt, kann man aus dem Text nicht unbedingt schließen.

Auf graphische Darstellungen oder andere Visualisierungen wurde auch in der Neuauflage leider verzichtet. Im Anhang vermisse ich den Handlungsleitfaden des autonomen Frauenhauses. Auch wenn der schwesterlich-vertrauliche Ton nicht mehr ganz zeitgemäß war, beinhaltet der Text doch einige grundlegende und praktische Informationen.

Positiv finde ich jedoch das Fehlen des mittlerweile üblichen Begriffs der „häuslichen Gewalt“, der m. E. inhaltlich keinen Sinn macht und eher zur Verschleierung der Verhältnisse beiträgt.

Brückner konstatiert, dass die Erklärung der Ursachen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht monokausal sein kann. Ihre eigenen Erklärungsansätze bleiben jedoch eher verkürzt und allgemein. Die geschlechtsspezifische hierarchische Arbeitsteilung hätte zum Beispiel als Hintergrund für das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen doch deutlichere Erwähnung verdient.

Die Beschreibungen des Geschlechterverhältnisses scheint mir an manchen Stellen überholt zu sein, z.B. wo es um die männliche Schutzideologie geht oder um die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Frauen (S. 10). Die Wortwahl wirkt mitunter antiquiert (z. B. „unschicklich“ S. 14, „den Hof machen“ S. 78) ebenso wie die benutzen Redewendungen von „zänkischen Ehefrauen“ und „verführerischen Evas“ (S. 11). Gleiches gilt für die Beschreibung weiblicher Sozialisation - ich weiß nicht recht, auf welche Gesellschaft in welcher Zeitzone sie sich da bezieht. Die essentialisierende Sprache verstärkt z. T. die geschlechtlichen Rollenzuweisungen, die Brückner eigentlich kritisiert (u.a. „ihnen [den Männern, S.St.] jeweils zugeordnete Frauen“ S. 10, „spezifisch weibliches Verweben…“ S. 75). Manches finde ich geradezu ärgerlich. So z. B. wenn Frauen eine beschränkte Vorstellungskraft attestiert wird (S. 74) oder,mit etwas verschwörungstheoretischem touch, behauptet wird, dass für Frauen nicht vorgesehen ist, ihren Alltag in eigener Regie zu gestalten (S. 75).

Andererseits ist schwer vorstellbar, wie auf Grundlage aktueller dekonstruktivistischer Theorien Frauen jemals etwas anderes als sehr begrenzte Kleingruppenprojekte auf die Beine hätten stellen können, ganz zu schweigen von massenhaften politischen Interventionen.

Außerdem bestätigt immer noch ein Blick in die Nachrichten oder in die Statistik, dass sich an der Machtverteilung nicht viel verändert hat. Und die geäußerten Beziehungswünsche sowie die faktische Alltagspraxis beweist: Das Geschlechterklischee lebt!

Brückners differenzierte, kritische Ausführungen zu den Arbeitsprinzipien feministischer Projektarbeit (Betroffenheit, Parteilichkeit, Ganzheitlichkeit) und ihre Auseinandersetzung mit den Untiefen und Enttäuschungen der Arbeit in Frauenteams sollten Pflichtlektüre werden. Hätte es das Buch damals schon gegeben, wäre es einfacher gewesen zu verstehen und zumindest ansatzweise zu verändern, was mir, was uns im Team und im Alltag der Frauenhausarbeit so hartnäckig schwierig erschien. Insgesamt ein unverzichtbares Standardwerk für dieses Handlungsfeld Sozialer Arbeit.

URN urn:nbn:de:0114-qn043101

Sabine Stövesand

Frauenförderprofessur am Fachbereich Sozialpädagogik der HAW Hamburg

E-Mail: sabinestoevesand@web.de

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