Claudia Liebrand:
Gender-Topographien.
Kulturwissenschaftliche Lektüren von Hollywoodfilmen der Jahrhundertwende.
Köln: DuMont 2003.
234 Seiten, ISBN 3–8321–7831–7, € 24,90
Abstract: Auch im zeitgenössischen Hollywood-Film sind narrative Muster und visuelle Repräsentationen maßgeblich entlang der ‚gender‘-Achse organisiert. In sechs Lektüren untersucht Claudia Liebrand konzeptuelle Verschiebungen und Verwerfungen, die entstehen, wenn sich die Spannung der Geschlechterdifferenz unter dem Druck konfligierender Differenzkonstrukte entlädt.
Wer sich aufmacht, innerhalb von narrativen Modellen Raumsemantisierungen, ihre geschlechtlichen Kodierungen, Umschreibungen und Hybridisierungen freizulegen, bewegt sich in oft unwegsamem, manchmal trügerischem, immer aber interessantem Gelände. Untersuchungen des Zusammenspiels von geographischem Raum und kulturell konstruiertem Geschlecht haben sich wiederholt als lohnende wissenschaftliche Tätigkeit erwiesen. Nun legt Claudia Liebrand eine Studie vor, die sich der Kartographierung kultureller Repräsentationsfelder im Hollywoodfilm widmet, wobei die Gender-Topiken und -Ikonographien des amerikanischen ‚main stream‘-Kinos um den Milleniumswechsel im Zentrum stehen. Hauptinteresse ist, die den Filmen eingeschriebenen Ideologeme zu rekonstruieren und auf ihre Funktionsweise hin zu befragen. Neben ‚gender‘ spielen die anderen der ‚üblichen Verdächtigen‘ unter den Differenzkategorien – ‚race‘, ‚class‘ und ‚sexuality‘ – nicht nur auch eine Rolle, sondern es ist Liebrand besonders darum zu tun, wie die Filme die Kollision scheinbar unvereinbarer Zuschreibungen choreographieren.
Vom Liebesmelodram über den Musicalfilm und das Märchen, den (angeblichen) Historien-, den Kriegsfilm und den Thriller bis zum Krimi und schließlich zum Horrorstreifen erstrecken sich die Genres, die Liebrand als von Genderkonzepten entscheidend mitgeformt zeigt. Ihr Filmkorpus reicht von Anthony Minghellas The English Patient (1996) und The Talented Mr. Ripley (1999) über Andy Tennents Anna and the King (1999) und Ang Lees Crouching Tiger. Hidden Dragon (2000) bis zu Michael Bays Pearl Harbor (2001) und Alejandro Amenábars The Others (2001). Mit Hilfe von Exkursen und vergleichenden Kommentaren oder durch Seitenblicke auf ‚filmische Prätexte‘ und Traditionslinien werden diese Einzellektüren zusätzlich angereichert. Wichtig sind die Momente, in denen sich der Blickwinkel weitet oder für einen Augenblick ein filmgeschichtlich scheinbar ferner Punkt fokussiert wird. So gelingt es, die Irritationen in der Gendertektonik, die von den Filmen ins Bild gesetzten Verwerfungen und Sprünge zu historisieren oder auch Parallelentwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen – etwa Hybridisierungen der Geschlechtermodelle, die mit Hybridisierungen filmischer Genres einhergehen, – sichtbar zu machen.
Erschienen ist Gender-Topographien als insgesamt achter Band und dabei erste Monographie der bei DuMont verlegten Reihe ‚Mediologie‘, dem Publikationsorgan des Kölner Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation“. Es ist ein attraktives Buch. Nicht zuletzt tragen die vielen (über 150), wenn auch manchmal arg kleinteilig oder dunkel geratenen ‚film-stills‘ zu dieser Attraktivität bei. Wie Liebrand selbst bemerkt, können Fotos nie die eigentlich zu lesenden, nämlich die bunten und bewegten Bilder ersetzen. Allerdings hätte man sich gewünscht, dass die Substitute doch häufiger zu mehr als bloßer, und manchmal überflüssiger, Illustration dienten. Doch nur in wenigen Fällen werden Bilder mit tatsächlichem Erkenntnisgewinn in ikonographische Traditionen eingeordnet oder in ihrem Aufbau, ihrer Perspektivenführung, ihrer Blickökonomie analysiert.
Einige der Fragen, die Liebrands Studie zu Grunde liegen, sind nicht unbedingt brandneu: Wie sind geographische Räume geschlechtlich besetzt? Mit welchen Mitteln wird die Kategorie ‚Geschlecht‘ filmisch wiederum in die Kategorie ‚Raum‘ übersetzt? Welche Möglichkeiten, fixe Zuschreibungsmuster zu stören, stehen speziell dem Medium Film zur Verfügung? Wie verhandelt Hollywood den Auftritt des kulturell Anderen über Geschlechterkategorien? So gesehen wird hier keine Grundlagenforschung geleistet, sondern von einer bereits erarbeiteten Basis ausgegangen. Der Erkenntnisgewinn liegt, anders formuliert, nicht darin, dass, sondern darin, wie und mit welchen Konsequenzen Gender-Topographien im Kino umgesetzt werden.
Auch was die filmtheoretische Seite anbelangt, darf man von diesem Buch keine innovativen Impulse erwarten. Liebrands eigene theoretische Positionierung ergibt sich eher indirekt: „Die hier vorgenommenen Lektüren schließen an die ausdifferenzierten Forschungsergebnisse der feministischen Filmwissenschaft an.“ (S. 14) So setzt ein vierseitiger Abriss ein, der einige wichtige Fragestellungen und Ergebnisse aus diesem Bereich als „sound bites“ auftreten lässt. Das primäre Interesse dieses Buches, soviel ist am Ende der Einleitung klar, ist ein vorwiegend phänomenologisches. Und in der Tat liegen die Stärken dieser Studie darin, wie im Ansatz bekannte Fragen, als tatsächlich zentrale Problemstellungen der einzelnen Filme herausgeschält und dabei in der ganzen Komplexität ihrer individuellen Ausgestaltung entfaltet werden. Teil eines solchen Konzepts ist es, dass die vorgestellten Lektüren Gegenlektüren provozieren und die zahlreichen Thesen auch einmal zu Widerspruch auffordern.
In der Einleitung zu Gender-Topographien wird vorweggenommen, dass die einzelnen, in sich abgeschlossenen Lektüren nicht aufeinander aufbauen, sondern in der Hoffnung auf produktive Interaktion nebeneinander gestellt sind (S. 8). Gegen dieses Verfahren ist nichts einzuwenden, doch es kommt der Moment, in dem die neugierige Leserin gespannt und leider umsonst darauf hofft, dass einmal entsponnene Argumente im Lichte neuen Materials kurz wiederaufgegriffen und offenkundige Neuentwicklungen in ihrer Problematik markiert werden. Ein Beispiel: Der ‚weiblich‘ semantisierte Asiate taucht als Irritationsmoment für das ‚westliche‘ Geschlechtermodell leitmotivartig in Kapitel eins, drei und vier auf. Die Hauptthese des fünften Kapitels lautet nun wie folgt: „Pearl Harbor stellt die Behauptung auf, daß ‚wahre Liebe‘ nur unter Männern möglich ist – und verschiebt gleichzeitig die homosexuelle Bedrohung, die von dieser Behauptung ausgeht, auf die angreifenden Japaner.“ (S. 185) Im Rahmen dieser an sich interessanten These wird der Angriff, die „Schiffs-Penetration“ (S. 167) von Pearl Harbor als Inszenierung einer homosexuellen Vergewaltigung gelesen. Unweigerlich stellen sich in diesem Zusammenhang einige Fragen: Wie genau vollzieht sich diese überraschende und extreme Umkodierung – vom Asiaten als ‚weiblichem‘ Mann zum Asiaten als höchst aggressivem, homosexuellem Vergewaltiger – in der Semantisierungspraxis des Hollywoodfilms? Und welche Rolle spielt die Gender-Topographie dabei bzw. welche Auswirkungen auf sie lassen sich als Konsequenz verzeichnen? Gerade wenn es darum geht, Filme als ‚Zwischenräume‘ sichtbar zu machen, die Prozesse komplexer oder auch widersprüchlicher Zuschreibungen abbilden, wäre es schön, genau an diesen Punkten mehr zu erfahren.
URN urn:nbn:de:0114-qn043145
Dr. Sylvia Mieszkowski
Ludwig-Maximilians-Universität München, Department für Anglistik und Amerikanistik
E-Mail: smieszkowski@web.de
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