Ulla Terlinden (Hg.):
City and Gender.
International Discourse on Gender, Urbanism and Architecture.
Opladen: Leske + Budrich 2003.
230 Seiten, ISBN 3–8100–3495–9, € 25,00
Abstract: Der Reader ist aus der Internationalen Frauenuniversität 2000 entstanden und versammelt Beiträge zum Entwurf einer lebenswerteren Stadt. Er stellt die Geschichte der Geschlechter-Diskussion und die Probleme dar, die das urbane Leben speziell bezüglich der sozialen Rollenverteilung der Geschlechter bereithält. Man gewinnt einen Überblick über die Entstehung und aktuelle Facetten der Relation des Dispositivs „Stadt“ zur Geschlechter-Prägung. Tatsächlich steht allerdings der „Discourse on Women, Urbanism and Architecture“ im Mittelpunkt. Neuere Positionen zum problematischen „Gender“-Begriff und zur Frage nach dem Subjekt der Macht werden zwar referiert, aber nicht weitreichender in die kritischen Beiträge eingearbeitet. Eher Antworten auf akute soziale Probleme suchend als theoretische Entwürfe fortführend, bieten sie informative Denkanstöße für die Entwicklung einer nachhaltig gerechteren Stadt.
In seinem frühen Drama Im Dickicht der Städte entwirft Bertolt Brecht den Kampf zweier Männer im Chicago der zwanziger Jahre. Es „sollte“, so Brecht zu dem Stück, „die pure Lust am Kampf gesichtet werden“. Ihm wurde es im Verlauf des Schreibens schwer, diesen „reinen“ Kampf, den Kampf ohne Sinn, zu dramatisieren. „Am Ende“, so schrieb er weiter zu dem Stück, „entpuppte sich tatsächlich der Kampf den Kämpfern als pures Schattenboxen; sie konnten auch als Feinde nicht zusammenkommen.“ Brechts Drama zeigt die moderne Stadt als Überlebenskampf, in ihrer Unübersichtlichkeit und der Verwobenheit aller Einwohner. Es ist auch das Bild einer – gewaltsam aufrechterhaltenen – Geschlechterordnung, die die Strukturen der Städte bis in ihre symbolischen Verästelungen hinein prägt. Die Kämpfenden sind Männer, ihre Frauen, Schwestern, Töchter sind Opfer, Spieleinsatz.
Der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau, entgegen derzeit publikumswirksam als „Männerdämmerung“ formulierten Behauptungen, ist längst noch nicht ausgefochten. Je mehr Probleme offengelegt werden, desto subtiler erscheinen die Mechanismen, männliche Dominanz aufrechtzuerhalten. Dieser grundlegende Befund wird von dem Reader, Ergebnis der Internationalen Frauenuniversität an der Universität Kassel im Jahre 2000, auf die Stadt angewendet: „the city provides more obstacles to women than men, making it possible to appreciate a gender inequity in the ‚right to the city‘“ (Fadda, S. 181). Die Räume der Stadt als Gestaltungsräume für gesellschaftliche Entwicklung begreifbar zu machen, ist Ziel des Bandes, dem sich die Beiträge aus vier Richtungen nähern: durch Beschreibung der Rolle des öffentlichen Raums für Frauen und deren Politisierung, durch Betrachtung der Symbole, die den urbanen Raum strukturieren, durch Einzelstudien zu sozialen Differenzen in der Stadtentwicklung und schließlich durch die Darstellung der Rolle geschlechtersensibler Stadtentwicklung für deren Nachhaltigkeit.
Stadtentwicklung ist durch die Rollen der Geschlechter und deren Machtsphären geprägt. Umgekehrt gestaltet der urbane Raum „in all forms of material, physical, symbolic and representational articulations and as relations of power“ (Baykan, S. 134) allererst auch die Geschlechterrollen, deren Hierarchisierung und deren Wahrnehmung. Oftmals, das zeigt Ursula Paravicinis Studie zur Rolle öffentlicher, frei zugänglicher Orte für die Entwicklung neuer, kritischer Bewegungen, sind daran Frauen, die (noch) unproblematisiert ihre Rollenmuster ausleben, nicht unbeteiligt (S. 60). Paravicinis Befund, dass in eigens für Begegnungen angelegten Parks in Berlin, Barcelona und Paris Frauen eher ruhige, übersichtliche Zonen aufsuchen, während Männer zentrale Plätze lautstark besetzen (S. 70), gibt zu denken. Ob die Forderung, zukünftige „Public Spaces“ genau diesem Muster anzupassen, also noch mehr Rand- und Ruhezonen für Frauen zu schaffen (S. 76), diese Räume zum Entstehungsort für Problembewusstsein und Veränderung machen kann, bleibt zu diskutieren.
Das Ausmaß, in dem Frauen öffentliche Räume der Stadt nutzen können, bestimmt auch die Möglichkeiten der Partizipation am politischen Prozess. Terlinden stellt in ihrer Einleitung die Frage, wie „gender democracy“, also eine Demokratie, die der ihr inhärenten Geschlechter-Ungleichheit ausgleichend Rechnung trägt, heute in den Städten etabliert werden kann (S. 9). Dazu muss zunächst klar werden, wer dieser Ungleichheit wie unterliegt: „Hence, one of the leading issues in feminist theory today is how to define woman in her difference, not only from man but also across different time-periods and geographies.“ (Baykan, S. 133). Wenn im Titel von „gender“ die Rede ist, ist weniger die Interdependenz und ineinander verschränkte Machtstruktur der Geschlechter gemeint, sondern die ungerechte geschlechtlich codierte Machtverteilung zuungunsten der Frauen. Damit bleibt der Band hinter theoretischen Positionen zurück, die bereits erreicht und von Marianne Rodenstein im Eingangs-Aufsatz auch anschaulich dargelegt worden sind (S. 25).
Vom Kampf ums Menschenrecht im neunzehnten über den Kampf ums Frauenrecht in der zweiten Hälfte des zwanzigsten bis zum Kampf ums Recht – im späten zwanzigsten und Anfang diesen Jahrhunderts: so ließe sich in aller Kürze die Entwicklung der feministischen Bewegung beschreiben. Der letzte Schritt, bestimmt durch wirkungsvolle theoretische Entwürfe des Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus, führte zu einer Infragestellung dessen, was mit „Frau“ bezeichnet und worum gekämpft wird, wenn man um die Gleichheit der Geschlechter streitet (S. 28). Er führte auch zu der brennenden Frage der Möglichkeit politischer Aktion, nach den Wegen eines anderen politischen Handelns, das die komplexe Frage nach der Subjektivität verhandelt und so aus der starren Opposition zweier Geschlechter, die sich in ihrer Kampfstellung gegenseitig halten, herauszukommen.
Dass sie sich dort gegenseitig halten, zeigt Terlindens informativer Aufsatz zu den Funktionen „öffentlicher Mann“ und „private Frau“ (S. 41). In aufschlussreicher Verknüpfung von philosophischen Überlegungen (in diesem Fall Hannah Arendts und Jürgens Habermas‘) und soziologischen Befunden – übrigens eine Qualität des Bandes – macht Terlinden deutlich, wie sich der Diskurs um die Geschlechterordnung in der Strukturierung, ja erst in der Herstellung eines strukturierten Stadt-Raums fortsetzt. Ihn kritisch zu lesen, wird zu einer ersten Aufgabe feministischer Forschung. Ist einmal deutlich geworden, dass sich der Diskurs um die Geschlechter nicht nur aus sozialer und materieller Ungleichverteilung der Güter oder Einflusssphären nährt, sondern sich in der Verfasstheit des Denkens, in den Repräsentationen des Mensch-Seins und dessen Kommunikationsmitteln manifestiert, drängt sich eine Analyse der Geschlechter-Symbole geradezu auf.
Symbole ordnen über einen Prozess der Wiedererkennung die Repräsentationen, durch die Wahrnehmung und damit auch Handeln erst möglich wird. Es sind nicht Zeichen, die zu dechiffrieren wären, sondern Bedeutungskomplexe, die erst durch den Prozess der Symbolisierung signifikativ wirken. Sie produzieren die Kontexte, durch die sie Bedeutung gewinnen – und sind damit keinesfalls auf eine Bedeutung festlegbar. Ganz zu schweigen, dass sie, wie man es landläufig von der Sprache annimmt, etwa einem kontrollierenden Bewusstsein als bloßes Kommunikationswerkzeug zur Verfügung stehen. Das Symbol gewinnt seine Wirkung im Wechselprozess mit dem Symbolisierten und dem Bewusstsein, das dieser Prozess vollzieht. Eine Eigenschaft, die es zu einem schwer greifbaren Element des gesellschaftlichen Diskurses macht. So sieht es allerdings nicht Kerstin Dörhöfer. Sie verwendet in ihrem Aufsatz „Symbols of Gender in Architecture and Urban Design“ Symbol nahezu synonym mit Zeichen, schreibt ihm eine Art metonymischer Verweisfunktion zu (S. 83). Und kann so einen Streifzug durch die Geschichte abendländischer Architektur unternehmen, an dessen Ende kein Straßenpoller ohne sexistische Bedeutung bleibt. Ob eine solchermaßen horrifizierende Symbolgeschichte sich und den angestrebten Zielen einen Gefallen tut, ist höchst fragwürdig.
Die Großstadt hat immer wieder die erst mit dem bürgerlichen Zeitalter in eine Nomenklatur des „natürlichen Menschen“ eingetragenen sozialen Rollenverteilungen brechen können. Sie ist als Ort und Topografie des modernen Menschen ambivalent. Als strukturierendes Element europäischen Denkens, als Verbund zwischen Schutzwällen und Handelswegen, als Topos einer Zivilisation, kann die Stadt geradezu als Wiege der Geschlechterproblematik gelten: als Ausgangsort für die strikte Hierarchisierung der Geschlechter ebenso wie als Ort der Problematisierung eben dieser Struktur. In dieser Doppeltheit, in dieser Verschränkung auch von Stadt-als-Matrix und Stadt-als-Topos, lässt sich die Geschlechter-Opposition beschreiben und vielleicht überwinden. Sie wird zum „Schattenboxen“, wenn man sie auf den Kampf zwischen Männern und Frauen reduziert. Obwohl der vorliegende Band in diese Richtung tendiert, geben die vorgestellten Einzelstudien eine gute Einstiegsmöglichkeit in die vielschichtige, problematische Beziehung von „city and gender“ und machen die dringende Notwendigkeit der Einbeziehung des Gender-Aspekts in die zukünftige Stadtplanung deutlich.
URN urn:nbn:de:0114-qn043169
Dr. Jens E. Sennewald
Literaturwissenschaftler und unabhängiger Publizist, arbeitet in Paris. Informationen zum Autor unter http://weiswald.de.
E-Mail: Emil@weiswald.de
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