Martin van Creveld:
Das bevorzugte Geschlecht.
München: Gerling Akademie Verlag 2003.
493 Seiten, ISBN 3–932425–52–9, € 29,60
Abstract: Martin van Creveld will in seinem neuen Buch zeigen, dass von einer Unterdrückung der Frau keine Rede sein könne und vielmehr die Frauen das eigentlich privilegierte Geschlecht seien. Basierend auf einem fragwürdigen „biopsychologischen“ Konzept versucht er, die bestehende Geschlechterordnung zu rechtfertigen, und beschreibt sie als ahistorische Wahrheit. Seine Darstellung ist durch methodische Mängel, einen zweifelhaften Umgang mit Quellen und rhetorische Überredungstechniken gekennzeichnet, was auch noch die letzten positiven Ansätze seines Buches, geschlechtsspezifische Benachteiligungen von Männern zu problematisieren, diskreditiert.
Martin van Creveld, nach Verlagswerbung „einer der führenden Militärhistoriker der Gegenwart“, ist den Frauen zugetan. Nachdem er in seinem letzten Buch Frauen und Krieg schon ihre Rolle im Militär ausführlich betrachtet hat, widmet er sich nun unter dem Titel Das bevorzugte Geschlecht ganz ihrer Unterdrückung. Genauer: er tritt an, aufs Gründlichste nachzuweisen, dass es sie nicht gibt, nie gegeben hat und auch nie geben wird, um so das von Feministinnen erzählte „Märchen von der Unterdrückung der Frau“ (S. 9) zu entlarven.
Stattdessen sind es für van Creveld die Männer, die zu bedauern sind und die zweifellos lebenslang das schwerere Joch zu tragen haben. Es beginnt schon im Mutterleib: während nämlich zur Entstehung männlicher Föten „ein außerordentliches Ereignis, das Auftauchen eines Y-Chromosoms von irgendwoher“ erforderlich sei, werde bei Ausbleiben dieses Ereignisses einfach der „Weg des geringsten Widerstandes zu einem weiblichen Organismus“ eingeschlagen (S. 62). Männer leiden, im Gegensatz zu Frauen, „unter einem Ödipus-Komplex“ (S. 63) und sind selbst für die Fortpflanzung nahezu überflüssig, weil sie nach der Zeugung nicht mehr gebraucht werden, wie dies sich ja auch als Extremfall bei der Gottesanbeterin und der Schwarzen Witwe beobachten ließe. Weil Männer schließlich auch weniger in die Fortpflanzung investieren, sei es ihr biologisches Interesse, möglichst viele Frauen zu begatten, und deshalb „stellt die Ehe an sich ein sehr viel größeres Opfer für sie als für die Frauen dar; dies gilt umso mehr dort, wo Monogamie die Regel ist.“ (S. 72)
Soweit in nuce die „biopsychologische Basis“, die van Creveld seinen Betrachtungen zugrunde legt, eine reichlich krude Mischung von angelesenem Halbwissen aus Psychoanalyse und diversen Zweigen der Biologie (es ist keineswegs einfach, ein weiblicher Fötus zu werden – und ob uns die Gottesanbeterin viel über das Sexualleben von Primaten zu sagen hat, darf bezweifelt werden). Spätestens nach diesen Ausführungen und einem Kapitel über bzw. gegen drei angebliche feministische „Mythen“ (dass etwa die Hexenverfolgung „einfach eine Angelegenheit frauenhassender Männer war, die sich die schrecklichsten Verbrechen ausdachten, um ein paar Frauen zu verbrennen und die übrigen auf ihren Platz in der Gesellschaft zu verweisen.“ S. 26f.), muss man sich zu fragen beginnen, ob man dieses Buch noch ernst nehmen will.
Denn zumindest implizit muss die „biopsychologische Basis“ immer für alles herhalten, was in den Bereichen der Rechtsprechung, der Arbeitswelt, des Gesundheitswesens und natürlich im Kriege, denen jeweils eigene Kapitel gewidmet sind, den Männern an Benachteiligungen abverlangt wird: „die körperliche Schwäche der Frauen und ihre daraus resultierende Abneigung, sich weit von ihrem Zuhause zu entfernen, haben stets die Art und Weise weiblicher Arbeit geprägt“ (S. 122f.), während die Männer auf die Jagd gehen, in den Krieg ziehen oder an Hochöfen schwitzen. Die Frauen finden das anscheinend ganz in Ordnung, denn sie fordern, „wie jeder Ehemann weiß, wenn schwere oder schmutzige Arbeiten wie das Verschieben eines Kühlschranks, das Rasenmähen oder das Aufräumen der Garage anliegen, jedesmal und zu Recht die Männer auf, diese zu erledigen.“ (S. 153)
Neben sämtlichen weiblich dominierten Berufen des Gesundheitssektors (Krankenschwester – ein Beruf ohne schwere körperliche Arbeit?) verschwindet noch einiges andere hinter van Crevelds Vorstellung von der schwächlichen Frau und dem männlichen Mann: Von Geschlechterrollen hat er keinen Begriff, dass verheiratete Frauen ohne die Zustimmung ihres Ehemannes oftmals keine Arbeit annehmen durften, weiß der Historiker nicht, und ein Arbeitsrecht, das Frauen den Zugang zu bestimmten Berufen verbietet, dient in van Crevelds Welt allenfalls ihrem Schutz.
Denn die eigentliche Nachricht, die van Creveld verbreiten möchte, ist ja, dass „wir Männer“ die Frauen so sehr lieben und ohne sie schlichtweg nicht sein können und wollen, so dass wir unser hartes Schicksal gerne auf uns nehmen und ihnen alle ihre „Privilegien“ von Herzen gönnen. Weshalb er auch getrost zu allen Feststellungen seines Buches sagen kann: „So war es immer, und so wird es hoffentlich auch immer sein.“ (S. 263; so oder so ähnlich auch an vielen anderen Stellen.)
Das ist so gemeint, wie es da steht: das war schon immer so, das wird immer so sein, und zwar überall. Van Creveld hält sich nicht mit historischen Details oder geographischen Lokalisierungen auf; Beispiele aus den USA, Westeuropa und Israel aus allen Epochen werden zum Beleg seiner Thesen und ohne langwierige Methodendiskussion lustig mit Geschichten aus der griechischen Mythologie und Statistiken aus „Stammesgesellschaften“ zusammengerührt, um daraus dann ahistorische Wahrheiten zu destillieren.
Ein trübes Gebräu: Van Creveld hat nicht einmal seine Quellen richtig im Griff. Zum Beispiel beschreibt er die Situation von Dozentinnen während des Nationalsozialismus an der Freien Universität Berlin, die aber erst 1948 gegründet wurde – in der von ihm angegebenen Quelle ist ausdrücklich und richtigerweise von der Friedrich-Wilhelms-Universität (der heutigen Humboldt Universität) die Rede. An anderer Stelle taucht eine Studie der UNDP (United Nations Development Programme) auf, die, nach van Creveld von der „allgemeinsten Definition“ von Arbeit ausgehend (als „jede Aufgabe, die einer anderen Person anvertraut wird“ – wie allgemein ist das?), zeige, „daß Männer fast zweimal soviel ihrer Gesamtzeit […] mit Arbeit verbringen als Frauen.“ (S. 153) Ein Blick in die Studie zeigt dann aber vor allem, dass Frauen mehr Arbeit ausüben, die nicht bezahlt wird, und dass sie im übrigen insgesamt eher mehr arbeiten als Männer.
An anderer Stelle dient eine sehr spezielle Aussage schon einmal zur Begründung sehr allgemeiner Behauptungen. In einem Aufsatz von Patricia Lucie, in dem sie sich recht ausgewogen mit der Diskriminierung von Männern durch amerikanische Gesetze im Bereich des Arbeits- und des Sorgerechts beschäftigt, fand Creveld einen einzigen Satz über die damals aktuelle kalifornische Rechtsprechung zu Vergewaltigung, die nur Männer, aber nicht Frauen als Täter in Frage kommen ließ. Dieser eine Satz fungiert als Beleg dafür, daß „die Gesellschaft“ Vergewaltigungen von Frauen „immer noch als sehr viel schwerwiegender als Vergewaltigungen von Männern“ ansieht (S. 245).
Schuld an diesem Phänomen seien übrigens neben den „vorherrschenden Stereotypen dazu, was eine Frau und was einen Mann ausmacht“ (ebd.) – die man bei van Creveld ausführlich besichtigen kann – insbesondere die völlig überzogenen Vorstellungen von Vergewaltigung. Schließlich gebe es Fälle, „in denen dieser Übergriff so gut wie keine Folgen hat. Das gilt besonders, wenn die Frau sexuell erfahren ist; besonders, wenn sie keinen Widerstand leistet, der Vergewaltiger also keine Gewalt anwenden muß“ und dergleichen mehr (S. 245).
Nachdem sich der Autor so der individuellen Folgen einer Vergewaltigung entledigt hat, kann er sich daran machen, ihre Zahl zu reduzieren: Viele Anzeigen wegen Vergewaltigung kommen seiner Auffassung nach unbegründet (etwa als Racheakt) zustande, weswegen „praktisch alle, die aufgrund dieses Verbrechens verhaftet werden, offenbar sehr überrascht sind, wenn sie von den Beschuldigungen gegen sie hören“ (S. 85). Zudem habe, so behauptet er, eine Umkehrung des Unschuldsprinzips stattgefunden, so als ob jede zur Anzeige gebrachte Vergewaltigung gleich automatisch eine Verurteilung nach sich ziehe.
Indem van Creveld zuletzt noch auf eine feministische Interpretation von Vergewaltigung als Akt der Gewalt zurückgreift, redet er auch noch den verbliebenen Rest in Grund und Boden: denn da „nach einigen Definitionen und für einige Altersgruppen date rape etwa 97 Prozent aller angeblichen Vergewaltigungen ausmacht“ und außerdem „bei date rapes selten Gewalt angewandt wird, sind, genau gesprochen, die meisten solcher Fälle also überhaupt keine Vergewaltigungen.“ (S. 245) Sie verschwinden einfach im Verdrehen von Begriffen.
Stattdessen sind die eigentlichen Opfer wiederum die Männer, denn „Vergewaltigung, wenn sie wirklich gegen den Willen der Frau stattfindet, verweist oft auf die Unfähigkeit des Vergewaltigers, Liebe zu finden, auf seine Unsicherheit, seine Unzufriedenheit, seine Machtlosigkeit.“ (S. 86) Der Arme.
Eigentlich gehe es doch um Sex, allerdings sei es „eine große Leistung der Feministinnen, daß sie eine Situation geschaffen haben, in der viele Menschen [was van Creveld wohl einschließt] heute glauben, daß es bei einer Vergewaltigung an sich um Gewalt statt um Sex geht; woraus man vielleicht ablesen kann, wie sehr manche dieser Damen letzteres hassen.“ (S. 257) Seltsam, dieser Hass – wo die Frauen doch den Sex genießen können: „Was immer sie auch fühlt, sie ist immer bereit und kann kommen und kommen, während er es nicht kann“ (S. 71) und deshalb auch noch unter Leistungsdruck steht. Wie gesagt, der Arme.
Man weiß nicht recht, was den Gerling Akademie Verlag geritten hat, dieses Buch zu veröffentlichen; es scheint jedoch den Nerv einer unheiligen Allianz zwischen Focus, diversen Männergruppen und Junger Freiheit zu treffen, von der das Buch mit Begeisterung aufgenommen wurde. Vielleicht fühlen sie sich alle von Frauen bedroht, wie anscheinend auch Martin van Creveld, der Gewalt gegen Frauen durch Sprachspiele wegredet, die Zahl der Funde von „Handbücher für Frauen“ und „für Männer“ bei amazon.com für ein irgendwie beweiskräftiges Argument hält und mit alldem gegen einen von ihm selbst aufgeblasenen Popanz von Feminismus antritt, wie es ihn so weltbeherrschend und männerhassend nie gegeben hat. Durchaus berechtigten Interessen, sich mit geschlechtsspezifischer Diskriminierung von Männern auseinanderzusetzen, tut er einen Bärendienst, indem er die Unterdrückung der Frau schlichtweg leugnet – und das ‚zarte Geschlecht‘ soll dafür auch noch dankbar sein.
Van Creveld sieht sich berufen, „uns“ Rasenmähenden aus biopsychologischer Disposition in eine bessere Zeit zu führen. Warum sonst sollte er seinem Text dieses Zitat aus Die Hörigkeit der Frau von John Stuart Mill (die Beteiligung von Harriet Taylor Mill und Helen Taylor an diesem Text wird bezeichnenderweise unterschlagen) voranstellen:
Die Aufgabe derer, welche eine beinahe allgemein verbreitete Ansicht angreifen, wird unter allen Umständen eine sehr schwere sein. Sie müssen ungewöhnlich befähigt und überdies noch sehr glücklich sein, wenn es ihnen gelingt, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.
Eine schwere, also eine männliche Aufgabe, die ungewöhnliche Befähigung erfordert und anscheinend viel Pathos: Aus Das bevorzugte Geschlecht lässt sich allenfalls lernen, dass das wehleidigere und sicher das arrogantere Geschlecht dann doch die Männer sind; das aber ist für FeministInnEn ja nichts Neues.
URN urn:nbn:de:0114-qn043172
Rochus Wolff, M.St. (Oxon)
FU Berlin, ZE Frauen- und Geschlechterforschung
E-Mail: rochus.wolff@web.de
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