Der Körper als Forschungsfeld

Rezension von Elke Brüns

Macha, Hildegard, Fahrenwald, Claudia (Hg.):

Körperbilder zwischen Natur und Kultur.

Interdisziplinäre Beiträge zur Genderforschung.

Opladen: Leske + Budrich 2003.

201 Seiten, ISBN 3–8100–3679–X, € 19,90

Abstract: Der Körper bildete im letzten Jahrzehnt ein disziplinenübergreifend analysiertes Forschungsfeld. Mit ihrem Sammelband Körperbilder zwischen Natur und Kultur schließen Hildegard Macha und Claudia Fahrenwald an die interdisziplinäre Gender-Forschung an. Es ist das Ziel des Bandes, den umstrittenen „Grenzverlauf“ des Körpers „zwischen Natur und Kultur“ (S. 7) in den Blick zu nehmen. Die Beiträge stammen aus der Pädagogik, der Soziologie, der Theologie, der Altphilologie sowie aus der Geschichts- resp. Sportwissenschaft. Der Band ist in drei Abteilungen untergliedert, die systematische, historische und lebensweltlich orientierte Zugänge zum Thema bieten.

Der Körper im Diskurs

Der einführende Beitrag der Herausgeberinnen „versteht sich als Versuch, die neuere interdisziplinäre Forschung zum Thema Körper und Geschlecht aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive zu strukturieren und gleichzeitig eigene Akzente für eine zukünftige Diskussion zu setzen“ (S. 15). Auf dem Hintergrund der Körperkonzepte, wie sie in der feministischen Forschung und den Gender Studies der letzten Jahrzehnte diskutiert wurden, betonen Macha und Fahrenwald im Anschluss an Helmut Plessner den Anteil der subjektiven Selektion gesellschaftlicher Gender-Konstruktionen: Geschlecht wird nicht nur passiv erfahren, sondern aktiv und selektiv angeeignet beziehungsweise in bestimmten Konstituenten auch abgelehnt. Elisabeth Tuiders Beitrag zum Körper als kulturellem Konstruktionsschauplatz schließt hier mit einer Engführung des dekonstruktivistischen Ansatzes Judith Butlers und des Habitus-Konzepts Pierre Bourdieus an. Gerade der Habitus, den Bourdieu als Inkarnation gesellschaftlicher Regeln und Normfelder begreift, bietet die Möglichkeit zur Veränderung von Gender-Konstruktionen: „Denn der Körper ist nicht nur verkörpertes Gedächtnis, sondern auch eine Form praktischer Aktivität“ (S. 57). Tuider plädiert abschließend für ein queeres Körperkonzept und damit für ein Verständnis von Geschlecht und Körper als „vorübergehendes Provisorium, in dem und mit dem mensch zugleich tatsächlich existiert“ (S. 62). Aus theologischer Perspektive setzt Elisabeth Naurath dem verdinglichten Körper-Diskurs – ausgehend von der christlichen Anthropologie – eine leib-seelische Dimension entgegen, denn das christliche Leiblichkeits-Konzept „betont das Leib-Sein im Gegensatz zum Körper-Haben“ (S. 78). Habe sich die Körperfeindlichkeit des Christentums aus der Übernahme des hellenistisch-platonischen Menschenbildes und seiner Höherschätzung des Geistigen gegenüber dem Körper entwickelt, so böte das in der Fleischwerdung Gottes angelegte Leib-Seele-Konzept die Möglichkeit, der „Körpermaschine Mensch“ (S. 78) ein erotisches Körperbild gegenüber zu stellen.

Die Leib-Körper-Dichotomie bildet auch in Birgit Schauflers Beitrag zu Körperbiographien den Ausgangspunkt, um ein Konzept der Körpererfahrung zu entwickeln, das auf die Veränderbarkeit von Körper- und damit Gender-Konstruktionen zielt. In der Biographieforschung fungiert der Körper als „biologischer Organismus, persönlicher Leib und kulturelles Symbol“, dem eine „eigene Biographie“ (S. 83) zugestanden wird. Ausgehend von den in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten Ansätzen zum Körperschema resp. zum Körperbild als innerpsychischer Körper-Selbstbilder, die, wenn auch unbewusst, ständig neu konstruiert werden müssen, schlägt Schaufler ein Durchlässigwerden der Körperwelten vor, denn die „Polarisierung der Geschlechter bedeutet für das Individuum im Hinblick auf seinen Körper eine Einschränkung in der Weise, als Mensch dasjenige Geschlecht leib-körperlich zu werden und zu haben, das ihre Physis zu sein vorgibt“ (S. 97).

Der Körper in der Geschichte

Auf diesem theoretischen Hintergrund entfalten Veit Rosenberger, Christine Werkstetter und Simone Hess historische Perspektiven auf den Körper, die vom römischen Mythos der Lucretia als symbolischer Leiche über den körperdefinierten Ehrbegriff im Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts bis zum Plädoyer eines stärker den Körper einbeziehenden Bildungsbegriffs in der Spätmoderne reichen. So deutet Veit Rosenberger den Mythos der Lucretia als Beispiel dafür, dass auch Frauen den body politic repräsentieren konnten. Als sich die von Sextus Tarquinius – dem Sohn des tyrannischen Königs Tarquinius Superbus – zum Beischlaf gezwungene Lucretia als Reaktion auf diese Vergewaltigung selbst umbringt, wird dies für die römischen Bürger zum Anlass, den Tyrannen zu vertreiben. Einmal mehr wird hier die von Elisabeth Bronfen analysierte Symbolfunktion der weiblichen Leiche deutlich.

Auch in Christine Werkstetters Beitrag zur geschlechtsspezifischen Ehre im Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts zeigt sich der Körper als Repräsentant symbolischer Normvorstellungen. Werkstetter widerspricht anhand einiger Fallbeispiele gängigen Forschungspositionen, denen zufolge Männern im Unterschied zu Frauen in der Frühen Neuzeit grundsätzlich sexuelle Freizügigkeit zugestanden wurde. So wurden Zunftmitglieder für Vergehen in „Puncto Sexti“ – also vorehelichem Sexualverkehr – mit drakonischen Strafen belegt, selbst wenn die Männer die betroffenen Frauen heirateten und damit ‚legitimierten‘. Der Ehrbegriff war bei beiden Geschlechtern an die körperliche Integrität gebunden; offenbar war aber die männliche Ehre schwerer wieder herzustellen als die weibliche.

Wie Schaufler setzt auch Simone Hess in der Biographieforschung an, die den Einfluss des Körpers auf die Identität untersucht, um den Konnex von Materie, Emotion und Sprache als zunehmende Entkörperlichung in der Postmoderne zu beschreiben. Auch hier gilt es, dem Körper – vermittelt über die Emotion als dem leiblichen Fühlen – eine verdrängte Dimension zurückzugewinnen und damit Gender-Konstruktionen als veränderbare zu denken: „Eigenleibliche Verbalisierung bedeutet: Natur als gefühlte bio-physische Materie wird in das Kulturprodukt ‚Sprache‘ umgewandelt mit dem Ziel, Leben(digkeit) aufrecht zu erhalten.“ (S. 148)

Der Körper in der Lebenswelt

Die Beiträge der letzten Abteilung sind geschrieben mit Blick auf lebensweltliche Erfahrungsdimensionen des Körpers. In ihrem Beitrag zu „Wohlbefinden und Gesundheit junger Frauen in verschiedenen Lebensmustern“ wertet Petra Strehmel vorliegende Daten des Bundesgesundheitsberichtes 2001 (hrsg. vom Statistischen Bundesamtes) und den vom BMFSFJ herausgegebenen Frauengesundheitsbericht hinsichtlich der Frage aus, wie sich die Doppelbelastung Familie und Beruf bzw. die Hausfrauentätigkeit auf das Befinden der Frauen auswirken. Dass berufstätige Frauen gegenüber nichterwerbstätigen weniger Beschwerden äußern, ist – so das erstaunliche Ergebnis – indes nicht in der Berufstätigkeit selbst begründet: „Nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das Niveau der Berufsausbildung ist ausschlaggebend für das Wohlbefinden der Frauen.“ (S. 163)

In dem nachfolgenden Beitrag von Carola Merk-Rudolph zur „Sportgeschichte aus Frauenperspektive“ stellt die Autorin eine anregende Unterrichtssequenz zum Thema Frauensport vor, die auf eine Stärkung des Körperbewusstseins von Mädchen in der Adoleszenz abzielt.

Speth-Schumacher schließlich beleuchtet den Herzinfarkt aus psychosozialer Perspektive. Diesem Beitrag liegt die skandalöse Tatsache zugrunde, dass Herzinfarkte bei Frauen – zwar seltener als bei Männern, doch in der Tendenz steigend – sowohl in der medizinischen Praxis als auch in der Forschung kaum wahrgenommen wurden. So werden Herzinfarkte von Frauen weniger häufig als solche erkannt und behandelt. Lange Zeit lagen keine Studien zum Thema Frauen und Herzinfarkt vor.

Der erforschte Körper

Der Gewinn des Sammelbandes liegt in der Zusammenführung der unterschiedlichen disziplinären Perspektiven zum Thema Körper. Im Gesamtbild zeigt sich einmal mehr, dass der Körper als kulturelles Symbol immer auch ein ‚gedeuteter‘ Körper ist. In diesem Sinne schreibt natürlich auch die Körperforschung an der Geschichte des Körpers mit. Dass der Akzent des Bandes auf der Veränderbarkeit der Körper- und damit Gender-Konstruktionen liegt und diese jenseits voluntaristischer Rhetoriken aus den vorgestellten Ansätzen gewinnt, macht seine Stärke aus. Der Band zeigt zudem die Notwendigkeit einer transdisziplinär orientierten Gender-Forschung, die, will sie dem Körper an der Grenzlinie von Kultur und Natur nachgehen, allerdings den Dialog mit naturwissenschaftlichen Ansätzen suchen muss.

URN urn:nbn:de:0114-qn051013

Dr. Elke Brüns

Berlin

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