Sarah Kember:
Cyberfeminism and Artificial Life.
London/New York: Routledge 2003.
257 Seiten, ISBN 0–415–24026–3 (Hardcover) / 0–415–24027–1 (Paperback), € 71,82 (Hardcover) / € 21,98 (Paperback)
Abstract: ‚Künstliches Leben‘ zu schaffen, galt über Jahrhunderte hinweg als Phantasma, dem man vor allem mit den Mitteln der Literatur und der Kunst nachjagte. Ein Topos, der Kultur als Kontrolle, Beherrschung und Verbesserung der Natur definiert – und in dem sich menschliche Machtphantasien und misogyne Obsessionen auf markante Weise mischen: Wo die biologischen Funktionen von ‚sex‘ eigentlich überflüssig werden sollten, treten Geschlechterdichotomien und -hierarchien als Konstruktionen um so deutlicher hervor. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Allerdings haben mit den aktuellen Entwicklungen in den Bio- und Informationstechnologien die Phantasmen zunehmend an Realität gewonnen. Ob nun in den Computerlaboren der Unterhaltungsindustrie oder in denen der Genomforschung: Allenthalben scheint es um die Formel des Lebens zu gehen. Aber was bedeutet das eigentlich? Welche Rolle wird ‚Künstliches Leben‘ in unserem künftigen Leben spielen? Und welche Rolle spielen dabei die Phantasmen, die dieser Topos transportiert? Wie greifen diese ‚virtuellen Realitäten‘ in unsere Körper- und Identitätskonzepte, unsere Subjekt- und Geschlechtervorstellungen ein? Sarah Kembers Buch verspricht, erhellende Schneisen durch das Dickicht der definitionsmächtigen Diskurse, Konzepte und Konstruktionen zu schlagen und neue Wege für feministische Interventionen in die Auseinandersetzungen um ‚Artificial Life‘ aufzuzeigen.
Wenn in einem marktführenden Verlag für wissenschaftliche Literatur eine Publikation erscheint, die ‚Cyberfeminismus‘ im Titel führt, lassen sich daraus unterschiedliche Schlüsse ziehen und an diese wiederum ebenso unterschiedliche Erwartungen knüpfen. Zumal der Hype um Cyberfeminismus zweifelsohne seinen Zenit überschritten hat. Folgt nun also eine akademische Konsolidierung? Oder ist das Feld für vertiefende Forschung bereitet? Dass es um ein konkretes Thema, nämlich ‚Künstliches Leben‘ bzw. ‚Artificial Life‘ (kurz: AL) gehen soll, lässt eher auf letzteres hoffen. Andererseits bezeichnet AL nicht nur ein Gebiet, in dem sich Akteur/-innen aus den verschiedensten Feldern von der Genomforschung über die Unterhaltungsindustrie bis hin zu Science Fiction und Kunst tummeln, sondern gehört ebenso wie ‚Künstliche Intelligenz‘ oder ‚Virtual Reality‘ zum arg strapazierten Hohlweltvokabular der Cyberkultur.
Ähnlich ambivalente Eindrücke sind auch der Einbandgestaltung abzugewinnen: Aus poppig-pinkroten Farbnebeln treten Bilder von Barcodes, Zellen bei der Teilung und solchen, in deren Kern eine Kanüle eingeführt zu werden scheint, einem lachenden Baby, einer Mutter mit Kleinkind auf dem Arm hervor – eine Collage aus Klischees, bei der unklar bleibt, ob sie diese nun referieren, kritisieren, ironisieren oder lediglich bedienen soll.
Offen bleibt nicht zuletzt, wie das ‚und‘ in Cyberfeminism and Artificial Life verstanden werden will. Geht es darum, neue Ansätze für die Auseinandersetzung mit einem Feld zu entwickeln, das bereits seit einigen Jahren im Fokus feministischer Wissenschaftskritik steht? Oder soll lediglich ein Überblick über die entsprechenden Theoriebildungen gegeben werden? Steht ‚Cyberfeminismus‘ in diesem Zusammenhang überhaupt für einen ernstzunehmenden methodischen Zugang? Oder bot sich der charismatische Begriff möglicherweise deshalb an, da er im Vergleich zu ‚Feminismus‘ nach wie vor ein Surplus an radikalem Chic verspricht und auch insofern geeignet scheinen kann, eine Publikation unter unzähligen anderen, die derzeit zu den aktuellen Entwicklungen in den Informations- und Biotechnologien erscheinen, hervorzuheben und werbewirksam zu platzieren?
Ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis des Buches lässt diese Fragen unbeantwortet – und kann insofern die anfängliche Skepsis weiter nähren, als weder eine einführende Begriffsklärung versprochen noch überhaupt anzeigt wird, in welchem Zusammenhang ‚Cyberfeminismus‘ hier zur Diskussion gestellt werden soll. In den Kapitelüberschriften jedenfalls ist von ‚Cyberfeminismus‘ keine Rede mehr, sondern stattdessen von ‚Künstlichkeit‘, ‚Künstlichem Leben‘, ‚Kybernetischen Kreaturen‘, ‚Vernetzten Identitäten‘ – und schließlich von einem ‚Feminismus‘ in ‚ALife Environments‘. Sollen also erst einmal Grundlagen geschaffen werden für eine fundierte feministische Debatte – oder wird diese am Ende nur aufgepfropft? Ist ‚Feminismus‘ in ‚ALife Environments‘ hier ein Synonym für ‚Cyberfeminismus‘ – oder letzterer tatsächlich nur ein Etikett, das aus publikationspolitischen Gründen in den Titel gerutscht ist?
So viele Ankerpunkte die anfängliche Skepsis findet, so schnell zerstreut sie sich, sobald man mit der Lektüre des Buches beginnt. Zunächst jedenfalls. Gleich eingangs des Vorworts werden klare Ziele formuliert, die Grenzen des Gebiets umrissen, das bearbeitet werden soll, und die Schritte auf diesem Weg skizziert. Vorab wird nicht nur definiert, was Kember unter „Artificial Life“ versteht und in welcher Hinsicht sie AL interessiert: nämlich sowohl als Wissenschaftsdisziplin als auch als kultureller Diskurs, sondern es wird auch proklamiert, dass es die Schnittstellen zwischen beiden sind, welche auf den folgenden knapp 250 Seiten näher untersucht werden sollen. Und dass genau hier ein cyberfeministisches Engagement anzusetzen habe. ‚Cyberfeminismus‘: also eine Praxis der Theorie, die sich von selbst versteht? Nun: Fragestellung und Ansatz sind spannend genug – Nachhaken wird da erst mal nebensächlich. Zumal es neugierig machen muss, wie Kember eines der klassischen Probleme feministischer Wissenschaftskritik bewältigt: zum Komplizen jener Diskurse zu werden, die man eigentlich kritisieren will – von denen sich auszuschließen aber einer Selbstentmündigung gleichkommen würde. Traditionell als Polaritäten verstandene Begriffe wie „Künstlichkeit“ und „Leben“ eröffnen ein denkbar weites Feld, dessen Bearbeitung die Gefahr impliziert, eben jenen Dichotomien verhaftet zu bleiben, deren Dekonstruktion eigentlich auf der Agenda stünde. Hierfür ist es einerseits hilfreich, die Untersuchung nicht unter den Vorzeichen einer allgemeinen Metaphorologie der Bio- und Technowissenschaften anzugehen, sondern bewusst auf die Kerngebiete und Kernparadigmen von ALife zu fokussieren. Andererseits geht es Kember gerade um den Nachweis von Unschärfen, die sich der doppelten Verortung von AL in Bio- und Technowissenschaften verdanken, um die Transfers und Projektionen, die zwischen diesen Bereichen stattfinden.
Die Reduktion auf exemplarische Diskurse und Anwendungen soll also nicht etwa einer Essentialisierung von „Leben“ und „Künstlichkeit“ zuarbeiten, die im übrigen gerade für diejenigen Ideologien charakteristisch ist, die Rhetoriken und Technologien der Hybridisierung bemühen, sondern Übersicht schaffen, also auf dem Wege einer informierten, kritischen Sichtung Zugänge zu einem komplexen Gegenstandsgebiet eröffnen und Werkzeuge für seine Bearbeitung bereitstellen.
Wenn in diesem Zuge zentrale Paradigmen von AL systematisch abgearbeitet werden, dann profitiert man von Kembers kenntnisreichem Geleit gleich mehrfach, insofern man sowohl in die in AL involvierten Wissenschaftsbereiche, ihre epistemologischen Voraussetzungen und ihre ideologischen Enden eingeführt wird als auch in die unterschiedlichen Modelle und Ansätze feministischer Kritik. Hier bietet die Lektüre solide Grundlagen, die es ermöglichen, eigene Zugänge zu suchen und weiterführende Fragestellungen zu entwickeln – was dem Anliegen der Autorin entspricht, die (Cyber-)Feministinnen dazu aufruft, ein aktives Interesse an AL zu zeigen und sich selbst in Theorie und Praxis zu engagieren.
Die Konzentration auf den Kanon ist in diesem Sinne eine absolute Qualität des Buches, insofern man in der Tat einen Werkzeugkasten für eine (cyber-)feministische Auseinandersetzung mit AL vorfindet. Aber sie hat auch ihren Preis. So etwa in kultur- und wissenschaftshistorischer Perspektive, da sich Kember ganz auf die Koordinaten der jüngeren philosophischen und wissenschaftsgeschichtlichen Formationen (Posthumanismus und Neodarwinismus) konzentriert und darauf verzichtet, auch in den Kunst- und Wunderkammern der Geschichte des ‚wissenschaftlichen Bildes‘ oder gar in den Sedimenten einer Geschichte der Einbildungskraft auf Spurensuche zu gehen. Stattdessen muss wortwörtlich das Naheliegende genügen – Science Fiction für die angewandten Wissenschaften, Games wie Creatures oder Simlife an der Schnittstelle zwischen Unterhaltungsindustrie und ALife-Forschung. Besonders originelle oder überraschende Ein- und Ausblicke darf man hier leider nicht erwarten.
Und wenn eine von Kembers tragenden Thesen ist, dass ausgerechnet AL-Diskurse und -Paradigmen in die zunehmend dominierenden Biowissenschaften Widersprüche eintragen können (etwa, insofern sie „Leben“ einerseits kalkulierbar erscheinen lassen, andererseits mit „Autonomie“ und „Vernetzung“ assoziieren), lässt sich dem nur bedingt folgen. Gerade die Konzentration kritischer Diskurse und Interventionen auf AL dürfte nämlich nicht nur zu einer weiteren Aufwertung biologistischer Paradigmen beitragen, sondern in diesem Zuge allzu leicht auch den traditionellen Geschlechterdichotomien und -hierarchien zuarbeiten, die sich dem Spannungsfeld von „Künstlichkeit „ und „Leben“ unterlegt finden. Demgegenüber wäre geltend zu machen, dass es möglicherweise eine ganze Reihe von Menschheitsfragen gibt, die auch zukünftig weder von den Bio- noch von den Technowissenschaften beantwortet werden können.
Offen bleibt nicht zuletzt – trotz der expliziten Bezugnahme auf Leitfiguren wie Haraway und Hayles, ungeachtet der wiederholten Berufung auf „cyberfeminist engagement“ und der Forderungen, die Kember an „Cyberfeminismus“ stellt, – eins: was Kember selbst unter Cyberfeminismus versteht und ob sie sich selbst als Cyberfeministin versteht. Bei aller anfänglichen Skepsis scheint mir das aber nun weniger zu den Problemen des Buches zu gehören. In ihrer fundierten Auseinandersetzung mit AL als Diskursformation und als Disziplin leistet Kember in jedem Fall einen Beitrag zur feministischen Auseinandersetzung mit den Bio- und Technowissenschaften, auf dem sich aufbauen lässt. Dass es darüber hinaus noch mehr als genug zu tun gibt, versteht sich von selbst.
URN urn:nbn:de:0114-qn051030
Verena Kuni
Frankfurt am Main / Basel, Institut für Medienwissenschaften, Universität Basel
E-Mail: verena@kuni.org
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