Ellen Kuhlmann, Regine Kollek (Hg.):
Konfiguration des Menschen.
Biowissenschaften als Arena der Geschlechterpolitik.
Opladen: Leske + Budrich 2002.
192 Seiten, ISBN 3–8100–3444–4, € 25,00
Abstract: Die elf Aufsätze des von Ellen Kuhlmann und Regine Kollek herausgegebenen Sammelbandes Konfiguration des Menschen. Biowissenschaften als Arena der Geschlechterpolitik bieten eine große Bandbreite von Themenfeldern, theoretischen und disziplinären Zugängen zum Thema „Körper“ in den Biowissenschaften. Auch aus geschlechterkritischer Perspektive werden biomedizinisches Wissen und Praktiken im Hinblick auf die (Re-)Konzeptionalisierung von Körpern untersucht.
Welche Konsequenzen hat das biowissenschaftliche Modell eines ‚Körpers ohne Kontext‘? fragen Ellen Kuhlmann und Regine Kollek in der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband Konfiguration des Menschen. Biowissenschaften als Arena der Geschlechterpolitik. Dieser und anderen Fragen will sich der Band nicht nur ausgehend von den Effekten der Biowissenschaften, sondern auch und insbesondere von deren Konzeptionalisierung des Körpers selbst nähern. Die Titel der drei Kapitel spiegeln diesen Anspruch wider: „1. Körper ohne Kontext – Entwicklung in den Biowissenschaften“, „2. Verfügbare Körper – Biowissenschaftliche Kodierungen, soziale Beziehungen und subjektives Erleben“ und „3. Materialität, Differenz, Subjekt – feministische Konzepte“.
Alle Beiträge verbindet der gemeinsame Gegenstand „Körper“ in den Biowissenschaften, der verschränkt mit Geschlecht und anderen Strukturkategorien betrachtet wird. Aus sozial-, kultur- und naturwissenschaftlicher Perspektiven widmen sich die Autorinnen Feldern und Gegenständen der Biowissenschaft und versuchen, diese theoretisch zu fassen. Die Kürze der elf Texte (durchschnittlich gut 13 Seiten) trägt zur Pointiertheit und Lesefreundlichkeit bei und gibt so auch gegenstandsfremden Leserinnen und Lesern einen guten Einblick in die Debatten.
Vier über das Buch verteilte Beiträge erschließen überblicksartig unter verschiedenen Perspektiven die Themenfelder der Biowissenschaften: Die Frage nach der „Gegenwartsgeschichte des erlebten Körpers“ steht im Zentrum von Barbara Dudens Beitrag. Ausgehend von ihrer eigenen Forschungsgeschichte entwickelt sie anhand von sechs „gynäkologischen Selbstverständlichkeiten“ (z. B. Hormonbehandlung während der Wechseljahre, Schwangerschaftsvorsorge oder genetische Behandlung) Thesen zu theoretischen Konzeptionalisierungen des Körpers.
In einem Rückblick auf die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeichnet Kerstin Palm anhand des biologischen Lebensbegriffs die (krisenhafte) Rekonzeptionalisierung von Männlichkeit nach. Die Biologie reflektiert, so ihre These, mit der Umkodierung des Körpers und der Natur zu einem männlich kodierten Bereich die krisenhaften Umbrüche auch des Geschlechterverhältnisses im ausgehenden 19. Jahrhundert und restauriert so eine hegemoniale Männlichkeit.
Giselind Berg gibt zu Anfang des Sammelbandes einen Überblick über die Methoden, Anwendung und Verbreitung der Reproduktionstechnologien in der BRD und kommt zu dem Schluss, dass die Reproduktionsmedizin ein Feld „kontinuierlicher Grenzverschiebungen“ sei.
Körpersubstanzen – bis vor kurzem galten sie im Großen und Ganzen als ökonomisch wertlos – werden mit dem Fortschreiten der Biotechnologie zunehmend Gegenstand neuer Verfüg- und Verwertbarkeiten. Das Spannungsverhältnis von Körper und Eigentum als Grenzverhandlungen zwischen Personen, Sachen und Subjekten stellt Ingrid Schneider insbesondere aus zivilrechtlicher Perspektive dar.
Neben den popularisierten Techniken der Gynäkologie (Duden), der biowissenschaftlichen Konstruktion von Männlichkeit (Palm), den Reproduktionstechnologien (Berg) und rechtlichen Eigentumsverhältnissen (Schneider) wird der Körper in den Biowissenschaften auch in anderen Beiträgen anhand konkreter Themenkomplexe und Gegenstandsbereiche beleuchtet: Die Aufsätze beschäftigen sich mit Frauen als Nutzerinnen und Humanressource der Humangenetik (Kuhlmann), dem Modell der genetischen Entwicklung des Mathematikers und Molekularbiologens Antoine Danchin (Becker-Schmidt), dem Begriff des Lebendigen in der Molekularbiologie (Gransee) sowie dem Verhältnis von Genetik und Körperverständnis (Kollek).
Die Arbeiten von Judith Butler, Michel Foucault, v. a. aber die von Donna Haraway, sind wesentliche Referenzpunkte der Beiträge. Christine Hauskeller nutzt Foucault und Butler ergänzend, um Subjekt, Biomacht und nicht zuletzt die Widerständigkeit des Leibes fassen zu können. Marie-Luise Angerer nimmt den „Körper des Geschlechts“ und seine Fassade mit Butler und Elisabeth Grosz in den Blick.
Die Thesen von Haraway werden zumeist kritisch diskutiert, aber auch ergänzt und produktiv zur Formulierung von Fragen genutzt: Welche ‚unmarkierte Position‘ ist im Blick auf den Körper in der Humangenentik relevant? Welches Wissen dominiert und normiert (Kuhlmann)? Wie werden durch identitätslogisches Denken die Optiken von Realität durch Universalisierung und Entkörperlichung, d. h. Entpersonalisierung von Wissensproduktion verzerrt (Becker-Schmidt)? Inwiefern lässt sich die Auflösung der eindeutigen und einengenden Beschreibung der menschlichen Natur in theoretische Konzepte mit einarbeiten, ohne der „totalen Manipulierbarkeit der menschlichen Natur Tür und Tor“ zu öffnen (Kollek)?
Carmen Gransee macht in ihrer ausführlichen kritischen Diskussion der „artefaktischen Natur“ von Haraway die unklar bleibende Spannung zwischen sex und gender als zentrale Schwachstelle Haraways aus und schlägt vor, die technologisch vermittelte Konstruktion von Naturdingen mit Karin Knorr-Cetina zu fassen. Die Möglichkeit des Sprechens über Natur – und somit über Körper und Leib – in ihrer Vermitteltheit ist Gegenstand von Brigitte Weisshaupts Beitrag. Anhand von Nietzsches Metaphorik betrachtet sie den Leib als Erkenntnisquelle, seine Sprache und somit die Bedeutung von Metaphern.
„Konzepte und Strategien zu entwerfen, die nicht hierarchisieren und nicht ausgrenzen und so gegen die Abwertung von Frauen und ‚Anderen‘ arbeiten“, ist ein formuliertes allgemeines Ziel (S. 13) des Buches. Dies ist – auch aufgrund der Kürze der Artikel und der Form des Sammelbandes – bezüglich der Handlungsoptionen in geschlechterpolitischen Arenen nur teilweise gelungen. Dass es – für die Genderforschung – gilt, sowohl das biowissenschaftliche Modell eines ‚Körpers ohne Kontext‘ als auch feministische Dekonstruktivismen zu rekontextualisieren, d. h. Biowissenschaften und das Geschlechterverhältnis in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit zu fassen, haben die Beiträge indes deutlich gezeigt. Gerade der gelungene „transdisziplinäre Quergang zwischen feministischer Naturwissenschaftsforschung, sozial- und kulturwissenschaftlichen Theoriedebatten und Philosophie“ (Klappentext) in Form eines thematischen wie theoretischen Ineinandergreifens einzelner Beiträge bietet Anregungen zur Reflexion und zum Weiterdenken – auch in genderpolitische Richtung.
URN urn:nbn:de:0114-qn051041
Charlotte Ullrich
Koordinatorin der Marie-Jahoda-Gastprofessur für Internationale Frauenforschung, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft, Sektion Soziologie
E-Mail: charlotte.ullrich@rub.de
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