Ulrike Bergermann, Claudia Breger, Tanja Nusser (Hg.):
Techniken der Reproduktion.
Medien – Leben – Diskurse.
Königstein/Taunus: Ulrike Helmer 2002.
256 Seiten, ISBN 3–89741–095–8, € 24,80
Abstract: Unter dem Titel Techniken der Reproduktion liegt ein Sammelband vor, der die Beiträge einer Tagung an der Universität Paderborn vom Dezember 2001 enthält. In enger Verknüpfung verschiedener disziplinärer Perspektiven werden Schlaglichter auf eine Vielzahl von Themen geworfen, die sich mit dem Begriff „Reproduktion“ verbinden. Dabei wird deutlich, wie eng die Geschichte der Medien und die Entwicklung von Technologien der biologischen Fortpflanzung miteinander verzahnt sind.
Im Band sind 16 Beiträge versammelt, die sich aus verschiedenen disziplinären, aber auch interdisziplinären bzw. disziplinübergreifenden Perspektiven dem Begriff der Reproduktion nähern. Themenbereiche, die aufgrund institutioneller Aufteilung in verschiedenen Forschungszweigen konventionell getrennt behandelt werden, werden auf diese Weise zusammengeführt.
Im ersten Abschnitt „Disziplin- und Technikgeschichten“ zeigt sich bereits, wie weit sich das Thema auffächern lässt. In doppeldeutigem Rekurs auf den Begriff „Geschichten“ handeln die Beiträge nicht nur von Genetik und Kybernetik, sondern auch von Röntgenaufnahmen, Bildreproduktion und visualisierten Orgasmen. So spricht Claudia Reiche in ihrem Beitrag „Vom Ursprung des Lebens im Bild – Der weibliche Orgasmus, das Visible Human Project und die Versprechungen der Genomtechnik“ einen sich immer wieder erneuernden Wunsch nach dem einen schockierenden Bild an, das „das Subjekt trifft und durchschlägt“ (S. 17), es schließlich außer Kraft setze. Die Filmaufnahmen eines heterosexuellen Geschlechtsverkehrs mit einer in die Vagina eingelassenen Kamera und die Datenbank des Visible Human Project entlarvt sie in diesem Zusammenhang als vergeschlechtlichende Sichtbarmachung eines vermeintlichen Ursprungs des Lebens.
In dem Text Ulrike Bergermanns mit dem Titel „Informationsaustausch. Übersetzungsmodelle für Genetik und Kybernetik“ führt die Fragestellung nach der „cross-fertilization“ verschiedener Disziplinen zu einer Skizze des Sprachgebrauchs von Genetik und Kybernetik. Die Autorin kommt zu der Forderung, eine medienwissenschaftliche Komponente einzuführen, um die verwendeten Metaphern angemessen reflektieren zu können. Sie lässt jedoch offen, inwiefern der Medienbegriff hier tatsächlich zu einer kritischen Perspektive beitragen kann. Könnte er nicht auch die Verschränkung von Genetik und Kybernetik im Sinne ihrer Apologeten vorantreiben? Jutta Weber fragt in ihrem Beitrag nach der „Technoscience als Epoche“ und verweist darauf, dass die Kenntnisnahme der Verschiebungen hin zu den Technowissenschaften eine wichtige Voraussetzung für deren Entmythisierung und eine realistische Folgenabschätzung darstelle. Am Beispiel von Röntgenbildern zeigt Gabriele Werner schließlich, dass sich auf die Erzeuger technischer Bilder durchaus auch Autorschaftskonzepte anwenden lassen. Mit dem Bild als Dokument tritt die Person des Erstellers in den Hintergrund, bleibt jedoch als männlicher Wissenschaftler markiert. In der Diskussion verschiedener historischer Beispiele von Bildreproduktionen rückt Birgit Schneider die Muster ins Blickfeld, die qua Vervielfältigungsweise in die Bilder eingelassen sind. Sie stellt diese Muster in Zusammenhang mit ornamentalen Formen früher Textildrucke und verdeutlicht, dass mit der gesteigerten Vorlagentreue heutiger Bildreproduktion auch ein Verlust dieser Texturen einhergeht. Schneiders Nachtrag, in dem sie die Zweidimensionalität eines Reproduktionsbegriffs hervorhebt, der für Vervielfältigung und Fortpflanzung steht, mündet jedoch nicht in einer Erweiterung der Perspektive, sondern lediglich in der Feststellung, der Begriff sei in Bezug auf technische Vervielfältigung untauglich.
Ein engerer inhaltlicher Zusammenhang entpuppt sich bei der Lektüre der Beiträge des nächsten Abschnitts über „Biopolitiken“. Hervorzuheben ist hier besonders der Text Ingrid Schneiders, die in ihrer Darstellung von Prozessen „Gesellschaftspolitische[r] Regulierung von Fortpflanzungstechnologien und Embryonenforschung“ nachweist, dass die Unterscheidung zwischen „therapeutischem“ und „reproduktiven“ Klonen jeglicher Grundlage entbehrt und vorrangig zu dessen gesellschaftlicher Normalisierung beitragen soll. Dabei bezieht sie auch Stellung zu feministischen Kontroversen, indem sie anzweifelt, dass sich in den Verschiebungen, die den Technologien quasi innewohnen, neue Spielräume eröffnen könnten. Vielmehr finde, so Schneider, eine „Reifizierung alter Geschlechtskonstruktionen“ (S. 116) statt. Auch der kurze Beitrag Sarah Sextons „What’s in a name? The Language and Discourse of Human Embryo Cloning“ trägt die Konturen einer politischen Intervention, die sich inhaltlich mit Ingrid Schneiders Stellungnahme überschneidet. Sexton zielt vorrangig auf die sprachpolitische Komponente ab, die bei der Legitimierung und Erzeugung gesellschaftlicher Akzeptanz des Klonens eine Rolle spielt, und kommt zu dem Schluss: „Words matter.“ (S. 128) Anne Waldschmidt Stellungnahme zur „Pränataldiagnostik als ‚government by security‘“ (S. 131) arbeitet mit theoretischen Bezügen auf Michel Foucault und Jürgen Link. In der Verwendung von Begriffen wie „flexible Normalisierung“ und „Normalitäts-Risiko-Dispositiv“ gelingt es ihr, die normalistischen Landschaften in diesem Bereich auszuleuchten.
Wie der Titel des letzten Abschnitts des Bandes („Figuren und Phantasmen“) schon befürchten lässt, handelt es sich eher um eine lose Sammlung von thematisch interessanten Beiträgen zu literatur-, text- und medienwissenschaftlichen Aspekten, wie die Darstellung der Zwillingsthematik in literarischen Texten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Ulrike Vedder), zur Mumie im Film (Claudia Breger) oder zu Michel Houellebecqs Darstellung krisengeschüttelter Männlichkeit (Ines Kappert).
In der Gesamtheit machen die Beiträge in diesem Band nicht nur deutlich, dass sich inter- und transdisziplinäres Arbeiten in der Geschlechterforschung zu diesem Themenbereich empfiehlt: Es ist als Voraussetzung dafür, dass Zusammenhänge zwischen verschiedenen Technikbereichen erkannt werden, nicht mehr wegzudenken. Wohl wissend, dass derzeit vorrangig aufgrund von Kürzungen der Gelder in zunehmendem Maße Fächer zusammengelegt werden, darf nicht an der Befestigung der alten disziplinären Grenzen festgehalten werden. Zur Zeit ist es wichtig, an mehreren Fronten zu kämpfen: zum einen an der Reformulierung hochschulpolitischer Forderungen, die sich nicht nur auf Mittelzuweisungen, sondern auch auf inhaltliche Fragen beziehen; zum anderen gegen die Rekanonisierung der Fächer und gegen die defensive Aufrechterhaltung disziplinärer Grenzen.
URN urn:nbn:de:0114-qn051068
Regina Schleicher
Frankfurt am Main/Institut für Romanische Sprachen und Literaturen
E-Mail: r.schleicher@em.uni-frankfurt.de
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