Die Angst ist noch spürbar

Rezension von Sabine Happ

Ingrid Strobl:

Die Angst kam erst danach.

Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945.

Frankfurt a.M.: Fischer 1998.

479 Seiten, ISBN 3–596–13677–6, DM 28,00 / SFr 26,00 / ÖS 204,00

Abstract: Ingrid Strobl zeigt in ihrer Studie über jüdische Frauen im Widerstand zwischen 1939 und 1945 anhand von Beispielen aus fünf Ländern, die mit Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Ungarn und Polen sowohl Länder West- als auch Osteuropas umfassen, spezifische Formen des weiblichen Widerstands auf und vergleicht daran anschließend Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Herkunft, ihres Tuns und ihres späteren Lebens.

Die in Köln lebende Autorin und Dokumentarin Ingrid Strobl beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit der Problematik von Frauen im Widerstand. U.a. legte sie 1989 eine Monographie über Frauen im bewaffneten Widerstand vor, die ebenfalls als Fischer Taschenbuch erschienen ist („Sag nie, du gehst den letzten Weg.“Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Frankfurt a.M.: Fischer 1989).

Die nun vorgelegte Studie beruht auf umfangreichen Recherchen in den genannten Ländern, die neben schriftlichen Quellen meist persönlicher Art wie Briefen, Tagebüchern und Dokumenten circa 60 Interviews umfassen. Oral history hat sicherlich seine speziellen Probleme, denn Erinnerung täuscht, und in jedem Gespräch stellt der/die Sprechende sich auf die eine oder andere Weise dar, zeigt ein Bild von sich. In der Widerstandsforschung kann aber auf mündliche Überlieferung nicht verzichtet werden, denn die Aktionen des Widerstands konnten nur Erfolg haben, wenn sie absolut geheim blieben, so daß sich Aufzeichnungen von der Sache her schon verboten. Die geführten Interviews sind zudem sehr wichtig, denn auch nach dem Ende der Besatzungszeit redeten viele der Frauen nicht über ihre Tätigkeit und schrieben sie erst recht nicht auf. Obwohl der 2. Weltkrieg zum Zeitpunkt der Gespräche schon 50 Jahre her war, konnte Ingrid Strobl doch noch viele der Frauen auffinden, denn – und das ist ein Ergebnis ihrer Arbeit – viele von ihnen waren während des Krieges noch sehr jung, oftmals unter 20 Jahre alt.

Die Monographie von Ingrid Strobl gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten deckt sie den Anteil auf, den jüdische Frauen am Widerstand hatten. Hierzu zieht sie die Beispiele von Frauen aus den oben genannten Ländern heran. Dabei kommen nicht nur die konkreten Aktivitäten der Frauen, sondern auch der Hintergrund in den jeweiligen Ländern zur Sprache, unter anderem die Situation der Juden und die von ihnen gegründeten oder unter ihrer Beteiligung betriebenen Widerstandsgruppen. Damit wird der weibliche Widerstand in einen Gesamtzusammenhang gestellt, der für das Verständnis notwendig und hilfreich ist.

Im zweiten Teil nimmt Ingrid Strobl eine Zusammenstellung nach verschiedenen Gesichtspunkten vor. Dazu gehören die Herkunft der Frauen, ihre Familien, ihre Kindheit und Jugend, ihre z.T. höchst unterschiedliche Motivation, am Widerstand teilzunehmen. Sie beschreibt die häufig von Frauen gewählten Formen des Widerstands, die nach klassischer Terminologie als ‚passiver‘ Widerstand gewertet werden können, da sie meist nicht den bewaffneten Kampf meinten. Im Hinblick auf die Taten, z.B. den Transport von Waffen unter der Kleidung als Schwangere getarnt oder im Kinderwagen, die eine standrechtliche Exekution nach sich gezogen hätten, erscheint diese Terminologie jedoch als hinfällig und wird von Ingrid Strobl auch in Frage gestellt. Sie unterscheidet deshalb den bewaffneten, den humanitären und den politischen Widerstand, wobei Frauen sehr häufig im humanitären Widerstand, beispielsweise bei der Betreuung und Rettung von jüdischen Kindern, anzutreffen waren.

Nach der Beschreibung des „Alltags im Untergrund“ und der „Praxis“ des Widerstands beschäftigt sich ein weiteres Kapitel mit dem schwierigen Weg in die „Normalität“ nach dem Krieg, der einigen Frauen nur mühsam oder gar nicht gelang. Ein letztes Kapitel zeigt die Gemeinsamkeiten und die Divergenzen jüdischer Frauen im Widerstand auf. Dem eigentlichen Text folgt ein Anmerkungsteil, eine ausführliche, gut gegliederte Bibliographie sowie ein Abkürzungsverzeichnis und Glossar.

Ingrid Strobl ist mit ihrem Buch eine beeindruckende Arbeit gelungen, die eine Fülle von Beispielen zu einer gelungenen Synthese verbindet, ohne das Einzelne aus dem Auge zu verlieren. Im Vordergrund stehen zwei Merkmale des Widerstands in den von Deutschland im 2. Weltkrieg besetzten Gebieten, die sie betrachtet: das Jüdische und das Weibliche. Wie wichtig gerade eine Arbeit über weiblichen Widerstand ist, zeigt sich daran, daß er oft in der Geschichtsschreibung vernachlässigt wird, da er ja zum großen Teil nicht bewaffnet war. Aber nicht nur die Historiographie beachtet ihn nicht genug. Auch die Nachkriegszeit zeichnete eher Männer als Frauen als „Widerstandskämpfer“ aus. Selbst die Frauen, die im Widerstand agierten, sahen ihre eigenen Handlungen nicht unbedingt als Widerstand, sondern als etwas Selbstverständliches an, was einfach getan werden mußte.

Im Hinblick auf die wenigen Menschen, die sich Widerstand trauten, dürfen die eher lautlosen Widerständigen nicht vergessen werden. Dazu trägt Strobls Studie bei. „Die Angst kam erst danach“ ist als Titel der Studie insofern passend, als die Frauen während des Widerstandes nicht die Zeit hatten, über ihre Handlungen oder die Folgen ihrer Handlungen nachzudenken. Darin ist vielleicht auch eine Art Selbstschutz zu sehen. Tatsächlich waren sie aber ständig auf der Hut, unter ständigem Druck. Dies ist aus ihren gesamten Aussagen zu entnehmen, auch wenn sie Alltägliches, wenig Spektakuläres berichten.

Mich persönlich hat diese alltägliche Unsicherheit, dieses Fehlen eines sicheren Grundes umgetrieben, denn die Angst, die angeblich erst danach kam, ist auch heute noch spürbar.

URN urn:nbn:de:0114-qn012097

Sabine Happ

Bonn

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