Ilse Hartmann-Tews, Petra Gieß-Stüber, Marie-Luise Klein, Christa Kleindienst-Cachay, Karen Petry:
Soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport.
Opladen: Leske + Budrich 2003.
260 Seiten, ISBN 3–8100–3912–8, € 24,90
Abstract: Sport gilt als ein gesellschaftlicher Bereich, in dem die Zweigeschlechtlichkeit und die damit verbundene Hierarchie der Geschlechter in besonders prägnanter Weise zum Ausdruck kommt. Auf dem Hintergrund konstruktivistischer Theorieansätze zeigt der Sammelband in sieben Beiträgen auf, wie Geschlecht im Sport insbesondere über Körperstereotype aktualisiert wird.
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um einen Sammelband verschiedener Aufsätze, die im Rahmen eines Verbundprojekts entstandene Studien präsentieren. Als gemeinsame theoretische Basis (vorgestellt in dem Beitrag von Ilse Hartmann-Tews „Soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport: Neue Perspektiven der Geschlechterforschung in der Sportwissenschaft“) dient dabei der Ansatz, dass Geschlecht und seine soziale Bedeutung über eine Vielzahl von Prozessen „konstruiert“ wird. Konstruktivistische Ansätze haben nach Meinung der beteiligten Autorinnen den Vorteil, dass sie grundsätzlich offen gegenüber dem „Phänomen der Relevanz und Irrelevanz von Geschlecht bzw. des doing und des undoing gender sind“ (S. 26). Der zweite Vorteil wird in der gleichzeitigen Berücksichtigung von Kultur und Struktur gesehen, oder anders ausgedrückt, in der individuellen und der strukturellen Konstruktion. Auf dieser Basis werden fünf Untersuchungen vorgestellt. Auf zwei davon möchte ich im folgenden näher eingehen, weil ich sie als sehr anregend empfunden habe. Die übrigen Aufsätze befassen sich mit Eltern-Kind-Turnen, mit Fitness-Studios und mit Führungsgremien in Sportverbänden.
In diesem Aufsatz von Ilse Hartmann-Tews und Bettina Rulofs geht es um die Frage, wie in Presse und Fernsehen der Spitzensport von Männern und Frauen dargestellt wird. Ausgangspunkt sind deutschsprachige Untersuchungen über die Sportpresse aus den achtziger Jahren, die repliziert werden, aber über deren Methodik hinausgegangen wird, indem nicht nur Printmedien, sondern auch Fernsehsendungen analysiert werden und indem Interviews mit den „Machern“ von Sportberichterstattung, nämlich Journalisten und (wenigen) Journalistinnen durchgeführt werden. Die Ergebnisse reproduzieren die Situation der achtziger Jahre, weisen aber auch darüber hinaus, indem die Interviews den Herstellungsprozess von Geschlechterkonstruktionen in den Redaktionen beleuchten. Was in den Analysen der Medienberichte deutlich wird, ist die zweitrangige Bedeutung weiblicher Athletinnen und ihres Sports und die Art der Bilddarstellung. „In vielen Aspekten unserer gesamten Studie hat sich eine Gleichbehandlung von Sportlern und Sportlerinnen gezeigt, nicht jedoch in zwei entscheidenden Aspekten der Berichterstattung. Zum einen im Umfang der Berichterstattung, der in Bezug auf die Information über Sportlerinnen eklatant geringer ausfällt als der Berichtsteil über Sportler, zum andern in der bildlichen Inszenierung des Sports, bei der die Darstellung des Körpers eine zentrale Rolle spielt“ (S. 67). Die Sportberichterstattung „entwirft eine semiotische Differenz, die daraus besteht, dass der männliche Körper ’quasi wie von selbst’ zum Sport passt, während der weibliche Körper insbesondere dann ’stimmig im Bild’ ist, wenn er sportlich und schön ist“ (S. 67 f.). Es wird dann daraus geschlossen, dass die gängige Geschlechterordnung über die Mediendarstellung und die darin eingebundenen Akteurinnen und Akteure aktualisiert und aufrechterhalten wird. Positiv hervorzuheben ist die gute Methodik der Studie und die Berücksichtigung auch von Aspekten des undoing gender. Es wird also nicht nur auf Unterschiede in der Darstellung der Geschlechter, sondern auch auf Gemeinsamkeiten eingegangen. Auch die Quantifizierung von Daten zusammen mit qualitativen Ergebnissen finde ich gelungen. Allerdings, und das betrifft alle im Buch versammelten Studien, handelt es sich stets um beschreibende Analysen. Es werden keine Kausalzusammenhänge aufgedeckt, es wird nicht experimentiert, nicht längsschnittlich untersucht (was z. B. die Entdeckung von Veränderungsprozessen erlauben würde). Damit zeigt sich in den Untersuchungen vorrangig das Ergebnis von Geschlechterkonstruktionen, wie es sich im Auge der Betrachtenden darstellt, nicht aber, was diese beeinflusst und welchen Einfluss sie auf das Handeln haben.
Der zweite hervorzuhebende Aufsatz stammt von Christa Kleindienst-Cachay und Annette Kunzendorf. Hier werden Athletinnen aus Sportarten interviewt, die erst in neuerer Zeit (Fußball) oder sogar erst in allerjüngster Zeit auch für Frauen im internationalen Wettkampfsystem offen sind und die in besonders prägnanter Weise männliche Kriterien von Härte und Kampf erfüllen (z. B. Boxen, Ringen, Eishockey). Frauen verstoßen in diesen Sportarten somit in doppelter Weise gegen die gängige Geschlechterordnung. Sie präsentieren und nutzen ihren Körper entgegen dem weiblichen Attraktivitätsideal, und sie stellen die männliche Hegemonie in Frage. In Interviews mit Athletinnen und mit Trainern/Trainerinnen sollen vier Fragestellungen aus Sicht der Betroffenen analysiert werden: Einstieg in die Sportart; erlebte Geschlechterkonstruktionen innerhalb und außerhalb des Sportmilieus; Identitätskonflikte als Frau in einer männlich dominierten Sportart; subjektive Verarbeitung der Konflikte; Identitätsgewinn. Dies alles geschieht unter der Annahme, dass gerade Sport ein Feld ist, in dem Geschlechterkonstruktionen durch eine Biologisierung untermauert werden. „Der Sport zeigt scheinbar ganz ‚natürlich‘, dass Männer wettbewerbsorientierter, aggressiver, körperlich leistungsfähiger sind als Frauen, und legt dabei den Schluss nahe, dass sie daher nur für bestimmte Sportarten (und damit auch nur für bestimmte gesellschaftliche Positionen) prädestiniert sind“ (S. 117 f.). Die hier vorgelegte Studie liefert für diese Sichtweise den Beweis – sichtbar nämlich in den von den Frauen berichteten Erfahrungen in ihrem sozialen und sportlichen Umfeld. Man gewinnt den Eindruck, dass sog. Männersportarten eines der letzten Reservate männlicher Macht darstellen, dass sich zugleich aber, wie das obige Zitat andeutet, in Männersportarten nur in besonders prägnanter Form der männliche Machtanspruch manifestiert. Denn es ist kein Geheimnis, dass im gesamten deutschen Hochleistungssport, sei es als Spitzentrainerin, als Verbandspräsidentin, als Funktionärin in nationalen und internationalen Olympischen Komitees oder auch als Managerin von Spitzenvereinen, Frauen extrem unterrepräsentiert sind, übrigens auch – jüngstes Beispiel – in den Gremien der Olympiabewerbung der Stadt Leipzig.
Die Darstellung der Ergebnisse ist eine Fundgrube für platte Diskriminierungspraktiken gegenüber Frauen, für stereotype Zuschreibungsprozesse und für Vorschriften über den weiblichen Körper. Werden solche Vorschriften verletzt, wie z. B. durch den muskulösen Körper einer Ringerin, dann werden auch die Athletinnen verletzt, wie z. B. durch den Kommentar bei einem Discobesuch „haben die Schweine heute wieder Ausgang?“ (S. 130). Die berichteten Interviewbeispiele dokumentieren zum einen die Leidensfähigkeit der Athletinnen, zum anderen aber auch ihre Fähigkeit zur Ausbalancierung von Identitätskonflikten, ihre Widerstandskraft und ihre Bewältigungsstrategien gegenüber Ausgrenzungen, Beleidigungen und Abwertungen. Diese Darstellungsweise, die aus der Tatsache resultiert, dass qualitative Erhebungsverfahren Verwendung fanden, hat aber auch Nachteile. Sie überbetont die Differenz oder besser die doing-gender-Prozesse. Weniger sichtbar wird, wie die (zahlenmäßige) Relation von doing und von undoing gender ist.
Es handelt sich um ein soziologisch orientiertes, insgesamt empfehlenswertes Buch, wenn auch die einzelnen Beiträge von unterschiedlicher Qualität sind. Ein Manko, dass alle im Buch vorgestellten Arbeiten aufweisen, ist ihre etwas summarische Darstellung der verwendeten Methodik. Will man darüber Genaueres erfahren, muss bei den Autorinnen rückgefragt werden. Ein weiterer Punkt betrifft die gelegentlich überfrachtete und dadurch unverständliche Sprache („Das gewählte interpretative Vorgehen ist eine Kombination aus der objektiven Hermeneutik, der hermeneutischen Wissenssoziologie und der Tiefenhermeneutik“, S. 82).
Genau wie in den im Buch kritisierten früheren sozialwissenschaftlichen Ansätze, die Geschlechterunterschiede überbetonten, wird auch hier eher auf doing gender geachtet, während „Prozesse des Nicht-Aktualisierens von Geschlecht, oder soziale Strukturen, die nicht gendered sind, eher ‚unspektakulär‘ und vermeintlich weniger berichtenswert erscheinen“ (S. 237). Wenigstens wurde es bemerkt.
Und schließlich darf nicht verschwiegen werden, dass es zwar im Buchtitel um die Konstruktion von Geschlecht geht, aber doch zumeist ein weiblicher Bias vorliegt.
URN urn:nbn:de:0114-qn051105
Prof. Dr. Dorothee Alfermann
Leipzig, Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig
E-Mail: alferman@rz.uni-leipzig.de
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