Rekreationen – urlaub / ostsee. mit rosanne. Installation und Photographien von Hilde Winkler

Cornelia Lund

Hilde Winklers Arbeit urlaub / ostsee. mit rosanne (1996) kann vielleicht nicht als Fundstück im üblichen Sinne bezeichnet werden, da sie nicht versteckt in einem Archiv erst aufgespürt werden mußte. Doch handelt es sich um eine bislang unveröffentlichte Arbeit der Künstlerin, die es sozusagen noch zu ‚entdecken‘ gilt, zumal diese verspricht, dem Thema ‚Körperkonstruktion‘ und seiner Behandlung in der zeitgenössischen Kunst eine ganz eigene Facette hinzuzufügen.

Abbildung 1
Abbildung 1

Hilde Winkler (geb. 1965) studierte Bildende Kunst, Philosophie und Germanistik an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und am Bauhaus Dessau. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihre künstlerische Arbeit läßt sich nicht so sehr durch die Bevorzugung bestimmter Techniken charakterisieren, als vielmehr durch die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen und ihre Vorgehensweise bei der ästhetischen Umsetzung derselben. Immer wieder kehrt die Beschäftigung mit Haut, Fläche und Raum. Themen, denen Hilde Winkler auch in ihrer Zusammenarbeit mit der Künstlergruppe „Interferenzen“ nachgeht. In einer klaren Entscheidung gegen den musealen ‚white cube‘ eignet sich die Gruppe mit ihren Ausstellungen alltägliche Orte an, etwa einen Schulflur (Berlin, 1996) oder eine verlassene Backstube (Osnabrück, 1997), wobei mit temporären Installationen vor Ort auf die gegebene räumliche Situation reagiert wird. Diese in der zeitgenössischen Kunst nicht unübliche Art temporärer Raumaneignung für Performances oder Installationen läßt sich im wesentlichen zurückführen auf die Neoavantgarden der 60er Jahre, die ihrerseits an die inszenierten Ausstellungen der klassischen Avantgarden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpfen konnten (etwa die „Erste Internationale Dada-Messe“, Berlin, 1920 oder die „Exposition Internationale du Surréalisme“, Paris, 1938).[1] Die temporären Raumeingriffe und Installationen überdauern meist nur als photographische Dokumente oder in konzeptionellen Texten, welche dann ihrerseits wiederum den Status eines Kunstwerks erlangen können.

Mit urlaub / ostsee. mit rosanne führt Hilde Winkler die Themen Haut, Fläche und Raum in einer Arbeit zusammen und spürt ihrer Verbindung nach. Zunächst hat sie die Auseinandersetzung mit dem Außenraum gesucht: Der erste Teil der Arbeit bestand aus einer temporären Installation an einem Meeresstrand, die dann in einem zweiten Schritt photographisch festgehalten, das heißt, vom Raum in die Fläche der Photographie überführt wurde. Die Serie von 8 Photographien (Abb. 1–8) zeigt die einzelnen Elemente der Installation, durch eine Haut aus Nylonstrümpfen zusammengehaltene, rundliche Sandkörper.

Abbildung 2
Abbildung 2

Rekreationen

Die humanoiden, weich-gerundeten Formen aus Sand, die Hilde Winkler an den Strand der Ostsee gelagert hat, können im mehrfachen Sinn als ‚Rekreation‘ bezeichnet werden. Zuallererst sind sie gekennzeichnet als Produkte eines „urlaubs“, mithin einer Rekreation. In ihrer feucht-sandigen Materialität spielen sie an auf den biblischen Schöpfungsakt (Genesis 2,7), aber auch auf den mythologischen Schöpfungsakt der schaumgeborenen Venus (Vgl. Abb. 2). Und eine Rekreation, eine Neu- und Wiedererschaffung der Installation in einem anderen Medium, bedeuten nicht zuletzt auch die Photographien, einziges überdauerndes Zeugnis der Arbeit am Strand.

Der „urlaubs“-Ort

Ort und äußere Umstände der Arbeit werden eindeutig durch den Titel definiert: eine Urlaubsreise hat hier stattgefunden, in Begleitung. Ziel war die Ostsee. Sukzessive enthüllen und bestätigen auch die Photographien (Abb. 1–8) in ihrer sequentiellen Anordnung diese Lokalisierung. Auf der ersten Photographie (Abb. 1) sind zunächst nur Formen im Sand zu sehen, bereits auf der zweiten Photographie (Abb. 2) wird deutlich, daß sie am Meeresstrand lagern. Muß ein Meeresstrand allein nicht schon unbedingt die Assoziation von Urlaub hervorrufen, so wird er durch den Strandkorb auf der letzten Photographie der Serie (Abb. 8) eindeutig als Urlaubsterrain definiert, und zwar als eher nördliches, sind Strandkörbe doch meist Beiwerk von Nord- und Ostseestränden.

Abbildung 3
Abbildung 3

Das dritte Element des Titels allerdings, die Urlaubsbegleitung, bleibt absent, wie überhaupt die Photographien menschenleer sind. Sie tragen lediglich die Zeichen menschlicher Anwesenheit. Der Strandkorb verweist auf Urlaubstreiben, und die Sandkörper selbst können als Zeugnis einer für den Strandurlauber typischen Aktivität aufgefaßt werden: der Sand wird als formbares Material genutzt und bearbeitet, das Ergebnis zur späteren Präsentation photographisch festgehalten. Allerdings ist die Ähnlichkeit von Hilde Winklers Produkten mit einer muschelverzierten Sandburg denkbar gering. Die humanoiden Formen ruhen hier eher erschöpft in den Sand eingebettet. Sie bleiben bruchstückhaft, fragmentarisch, fügen sich nicht zu einer gesamten menschlichen Figur zusammen.

Somit weisen die Sandkörper in der Weigerung, eine klassische Sandburg zu bilden, über den reinen Urlaubskontext hinaus und können, allgemeiner betrachtet, mit den Vorgehensweisen der Land Art in Verbindung gebracht werden. Die Sandkörper sind in einer offenen Landschaft in-situ hergestellt aus dem vorhandenen, der Landschaft entnommenen Material und formal eingepaßt in die Sandlandschaft.[2] Ähnlich wie bei vielen Land-Art-Projekten, dauert das Projekt nur fort als photographisch fixiertes, während die Arbeit vor Ort dem wetter- und materialbedingten Verfall überlassen wird.[3] Bei Land Art handelt es sich allerdings meist um großräumige Arbeiten, so daß, angesichts der geringen Dimensionen der Sandkörper, im vorliegenden Fall eher von Land Art en miniature gesprochen werden sollte.

Die geringen Dimensionen der Sandkörper führen gleichzeitig zurück in den zwar offenen, aber doch begrenzten und in seiner Funktion klar bestimmten Ort des Strandbades. Erst im Kontext dieses spezifischen Ortes lassen sich weitere zentrale Bedeutungsaspekte von Hilde Winklers Sandkörpern erfassen.

Abbildung 4
Abbildung 4

Der Meeresstrand als Strandbad ist gemeinhin mit positiven Konnotationen belegt. Er gilt als Ort der Erholung, des Urlaubs, der Rekreation. Als Ort auch, an dem der Körper aus den Kleiderhüllen der städtischen Zivilisation und des Alltags herausgeschält und Luft und Sonne dargeboten wird. Diese Funktion kommt dem Meeresstrand spätestens seit der Bewegung der Lebensreform Ende des 19. Jahrhunderts zu. Die reformerischen Bemühungen waren darauf ausgerichtet, die bis zum Kinn in Kleidung eingezwängten, blassen und ungesunden Körper der städtischen Bevölkerung durch Licht- und Luftzufuhr sowie durch sportliche Betätigungen wie Schwimmen zu revitalisieren, gleichsam neu- und wiederzuerschaffen. Eine besonders konsequente Ausformung bildet die Freikörperkultur-Bewegung.[4] Der von Hilde Winkler gewählte Strand von Prerow wurde als FKK-Strand genutzt; ganz passend bildet sie auch auf den ersten Blick nackte Körperteile aus dem Sand. Doch ist deren Nacktheit nur eine scheinbare, denn die Sandkörper werden zusammengehalten von Kleidungsstücken, genauer, von Nylonstrümpfen.

Die „urlaubs“-Kleidung

Die Kombination von Sandstrand und Nylonstrümpfen scheint in mancherlei Hinsicht merkwürdig, wenn nicht gar provokativ. Zum einen ist der Strand ein Ort des nackten Fußes und des nackten Beines. Zum anderen dringt mit dem Nylonstrumpf ein Kleidungsstück in den Bereich des Strandlebens ein, das eher dem städtischen Leben oder zumindest dem Leben außerhalb des Urlaubs zuzuordnen ist.

Mit dem Nylonstrumpf hat Hilde Winkler ein typisch weibliches Material gewählt, allerdings in seiner am wenigsten modischen Variante, dem klassischen braunen Strumpf. Der Nylonstrumpf ist ein bedeutsames Accessoire des weiblichen Lebens, so markiert er die wichtige Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsensein, denn dünne Nylonstrümpfe trägt meist nur die erwachsene Frau. Mit dem Tragen von Nylonstrümpfen sind auch unverkennbar erotische Assoziationen verbunden, denn mit dem durchsichtigen Stoff der Strümpfe entspinnt sich ein Spiel des Ver- und Enthüllens, des Verbergens und Zeigens: zwar verhüllt der Nylonstrumpf das Bein, bekleidet und ‚packt‘ es ‚ein‘, gleichzeitig läßt sich die darunterliegende Haut doch erahnen durch das dünne Gewebe des Strumpfes und das Bein wird durch die zweite Haut mehr betont und modelliert als verborgen. Allerdings gilt die hier benutzte braune Variante der Strümpfe wohl inzwischen als die unerotischste, Hilde Winkler sieht in ihr den typischen Strumpf einer alten Tante.

So wie sie als Ort für ihre Sandkörper einen FKK-Strand auswählt, einen Ort also, an dem Nacktheit ursprünglich nicht in Verbindung zu bringen ist mit Erotik, wählt sie auch die unerotischste Strumpfvariante.[5] Allerdings: Was sind das für Körper, die da bestrumpft und zugleich scheinbar nackt am Meeresstrand liegen?

Die „urlaubs“-Körper

Abbildung 5
Abbildung 5

Die Körper sind geformt aus Sand und Wasser und werden zusammen- und in Form gehalten von Nylonstrümpfen, die sich, einer Haut gleich, um sie legen. Sie erinnern an menschliche, genauer, weibliche Formen, die sich jedoch nicht zu einem ganzen Körper zusammenfügen. Auf vier der acht Photographien (Abb. 1, 2, 7 und 8) sind je vier rundliche Formen zu sehen, die durch die Plazierung der verstärkten Fußspitzen der Strümpfe das Aussehen weiblicher Brüste haben. Die Photographien mit den brustähnlichen Formen umschließen symmetrisch die vier weiteren Photographien der Serie, auf denen Formen torsohafter Art mit Rumpf, Gesäß und Beinen abgebildet sind. Die Formen werden unterschiedlich präsentiert, die vier brustähnlichen Formen lagern mal nebeneinander am Strand (Abb. 1 und 8), mal im Wasser (Abb. 2), mal sind sie gestapelt (Abb. 7). Die Formen auf den übrigen Photographien bilden Gesäßteile mit Beinen (Abb. 4 und 6) oder es schließen sich an die Beine größere Anhäufungen gesäß- und oberkörperähnlicher Formen an (Abb. 3 und 5). Auch hier verweist die rundliche Formung der Sandkörper auf weibliche Körperfragmente. Diese sind jeweils exakt den menschlichen Körperteilen entsprechend in Nylonstrumpfhosen eingepaßt, die verstärkten Fußspitzen deuten die Position der Füße an (vgl. Abb. 3), die Nähte markieren das Gesäß (Abb. 4 und 6).

Als Teile weiblicher, entblößter Körper fügen sich die „urlaubs“-Körper ein in eine alte Tradition der plastischen Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper. Hilde Winkler gewinnt diesem Thema jedoch durch die Materialität der Körper sowie den Ort und die Art der Präsentation eigenwillige Aspekte ab. Prall gefüllt, erinnern die Nylonformen weniger an übliche plastische Auseinandersetzungen mit dem weiblichen Körper, als an Puppenbälge, die, noch kopflos, einer weiteren Verarbeitung harren.

Abbildung 6
Abbildung 6

Wie bei zahlreichen Arbeiten Hans Bellmers oder Herbert Lists mit Puppenkörpern bleibt auch hier als einziges überdauerndes Zeugnis der plastischen Aktivität die Photographie. Im Unterschied jedoch zu den üblicherweise für photographische Inszenierungen im Innen- und vor allem im Außenraum verwendeten transportablen Puppen aus festem Material (Wachs, Holz, Plastik) sind die „urlaubs“-Körper vor Ort hergestellt und nicht sehr stabiler Natur; und anders als die Bekleidung durch Nylonstrümpfe, deren erotisches Potenzial für die „urlaubs“-Körper bewußt nicht ausgeschöpft wird, entspricht die Bekleidung etwa von Bellmers ‚Poupée‘ bestimmten erotischen Erwartungen: Lackschuhe und Söckchen lassen sie zur Kindfrau werden. Die photographische Präsentation von Bellmers ‚Poupée‘, ob bekleidet oder unbekleidet, thematisiert ihren Status als erotisches Objekt, als Verkörperung und Projektionsfläche erotischer Phantasien. Daß es sich dabei vornehmlich um männliche Phantasien, um einen männlichen Blick handelt, impliziert beispielsweise die Verdopplung des männlichen photographischen Blicks, welcher der ‚Poupée‘ allein im dunklen Wald nachspürt.

Den Blick auf die Frau als erotisches Objekt thematisiert auch Cindy Sherman in ihren Photographien. Ist das photographierte Objekt anfangs noch sie selbst, so verschwindet der tatsächliche Körper sukzessive aus den Bildern, um durch Prothesen und Puppenkörper ersetzt zu werden. In den Untitled Film Stills der 70er Jahre präsentiert Cindy Sherman sich vor der Kamera in klischierten weiblichen Rollen, beispielsweise als die verführerisch auf dem Bett Lagernde. Hinter der Kamera hingegen nimmt sie scheinbar die Rolle des männlichen Photographen ein, welcher das weibliche Objekt photographiert.[6] Die Ironie dieser doppelten Position wird besonders deutlich in #6 (1977) der Untitled Film Stills, auf dem das Kabel für den Selbstauslöser sichtbar ist und so der männliche Photograph als Fiktion denunziert wird.

Kann der in den Untitled Film Stills der 70er-Jahre präsentierte weibliche Körper durchaus noch Männerphantasien entsprechen, so wird der menschliche Körper bei Sherman mit der Verwendung von Prothesen und Puppen zunehmend durch künstliche Körperelemente ersetzt. Was ungeachtet des Verschwindens des menschlichen Subjekts aus den Photographien in denselben bleibt, ist der Gestus des Darbietens, des Sich-Exponierens und Exponiert-Werdens.[7] Die Erwartungen des Betrachters an eine Photographie mit weiblichen Körpern werden so auf beinahe perfide Weise erfüllt, um gleichzeitig enttäuscht zu werden, denn „der Betrachter bekommt zu sehen, was er sehen will, aber nicht wie er es sehen will.“[8]

Das von Hilde Winkler gewählte Thema „nackte, weibliche Körperteile am Urlaubsstrand“ tritt durchaus ein in dieses Spiel mit Betrachtererwartung, Darbietung des Körpers, sexualisierendem Blick. Doch der Wahl der unerotischen Strumpfvariante entsprechend, ruhen die Sandkörper jenseits erotischer Präsentation. Sie nehmen weder besonders erotische Posen ein, noch ist der photographische Blick auf sie ein voyeuristischer. Den leicht deformierten Körperteilen haftet vielmehr ein komisches Moment an, die Beine in Abb. 6 etwa erinnern an Hähnchenschlegel. Diese Art von grotesker Komik läuft jedoch gängigen Vorstellungen von Erotik zuwider.

Abbildung 7
Abbildung 7

Der Blick bezüglich der Photographien bleibt ein einseitiger, da die kopflosen Sandkörper zwar dem Blick des Betrachters dargeboten sind, diesen aber nicht erwidern, anders als beispielsweise in den meisten Arbeiten Cindy Shermans. Gesichts- und blicklos, wie sie sind, gewinnen die Sandkörper keine Individualität, sie lagern als anonyme, gleichsam überindividuelle Körper in der Landschaft, aus der sie hervorgegangen sind, und mit der sie wieder verschmelzen werden.

Die Sandkörper bekommen so eine beinahe mythische Komponente, welche durch Anspielungen auf Schöpfungsmythologien verstärkt wird. Ferner verweisen die Sandkörper auch auf die Frühzeit menschlicher Existenz und Kulturtätigkeit, denn ihre Formen erinnern an prähistorische „Venus“-Figuren, die Venus von Wilmersdorf etwa.

Mögen die Sandkörper auch prähistorischen Fundstücken gleich am Strand verteilt liegen, so definiert sie doch das Nylon der Strümpfe eindeutig als Produkte des 20. oder 21. Jahrhunderts. Die Sandkörper sind mithin keine Beschwörung mythischer Weiblichkeits- und Fruchtbarkeitsfiguren, sondern sie sind anzusiedeln gerade im Spannungsfeld zwischen der Evokation von natürlich-ursprünglichen Aspekten des Weiblichen und Aspekten moderner Weiblichkeit.

Die „urlaubs“-Photographien

Die Übertragung der „urlaubs“-Körper ins Medium der Photographie bedeutet einerseits Fixierung und Schutz vor dem Verschwinden, andererseits eine Rekreation, eine Neu- und Wiedererschaffung unter den Bedingungen des Mediums „Photographie“.

Die frei am Strand plazierten Sandkörper-Arrangements werden in der photographischen Präsentation als symmetrisch aufgebaute Serie sequentiell angeordnet. Die dreidimensionalen Formen gehen über in die Zweidimensionalität des photographischen Bildes, durch dieses wird zudem die Blickrichtung auf die Objekte festgelegt. Die Ansicht ist nunmehr festgelegt, ebenso der Lichteinfall und die Schatten. Der für die Photographien gewählte Ausschnitt ist jeweils auf die Sandkörper zentriert, die im Außenraum der Strandlandschaft aufgrund ihrer geringen Größe ansonsten unter Umständen ungesehen bleiben könnten. Die Perspektive unterliegt leichten Variationen, doch sind die Sandkörper stets mehr oder weniger in Aufsicht gezeigt. Die Photographien variieren von einer sehr nahen Sicht auf die Sandkörper (Abb. 1) bis zu einer entfernteren Sicht mit Strand- und Meerpanorama (Abb. 8). Den einzigen deutlichen farblichen Akzent setzt der Strandkorb (Abb. 8). Er kennzeichnet den Strand ferner als von Menschen genutztes Urlaubsterrain, denn menschliche Anwesenheit ist ansonsten aus den Photographien ausgeblendet.

Abbildung 8
Abbildung 8

Die Künstlerin selbst erscheint nicht in den Photographien, anders als dies etwa bei dokumentarischen Photographien, die dazu dienen sollen, den künstlerischen Prozeß einer Aktion festzuhalten, zu erwarten ist. Die Photographien sind gleichzeitig Teil und Ergebnis der Arbeit vor Ort und tragen dazu bei, die Implikationen der Arbeit zu fokussieren und zu präzisieren.

Fern des „urlaubs“-Ortes, werden die Photographien zu Trägern der Erinnerung an das „urlaubs“-Geschehen und rücken mit den „urlaubs“-Körpern gleichzeitig dessen Ergebnis in den Mittelpunkt, festgehalten zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, nach der Entstehung nämlich und vor dem Zerfall. Denn nur mit den vollständigen „urlaubs“-Körpern, unmittelbar nach ihrer Entstehung, kann das aufgezeigte Bedeutungsspektrum entfaltet werden. Mit ihnen entwickelt Hilde Winkler eine eigene Variante der Beschäftigung mit dem weiblichen Körper, bei welcher dieser nicht etwa rein als formales Gestaltungsproblem präsentiert wird, sondern eingebettet erscheint in einen Kontext, oder besser, mehrere Kontexte, angetan mit Attributen des weiblichen Daseins, den Nylonstrümpfen. Indem ihr photographischer Blick auf den weiblichen Körper versucht, jegliche direkte Anspielung auf Erotik zu vermeiden, ermöglicht dieser Blick gerade in der scheinbaren Nicht-Auseinandersetzung mit diesem Thema eine andere, neue Sicht auf den weiblichen Körper. Jenseits tatsächlicher oder angenommener Erwartungen und Begehrlichkeiten männlicher Betrachter werden Aspekte des Ver- und Enthüllens des weiblichen Körpers, auch seine mythische Dimension beleuchtet. Und durch die Abwesenheit des gängigen, sich an der männlichen Perspektive abarbeitenden Diskurses wird eine spezifisch weibliche Sichtweise gewonnen.

Anmerkungen

[1]: Einen guten Überblick über die Entwicklung der Kunst der Ausstellung bietet Klüser, Bernd/ Hegewisch, Katharina (Hg.): Die Kunst der Ausstellung. Frankfurt/M, Leipzig 1991.

[2]: Der Begriff Land Art bezeichnet zwar weniger eine feste Kategorie, es handelt sich eher um eine „expression floue“ (Gilles A. Tiberghien: Land Art. Paris 1993, S. 13.), aber mit den genannten Kriterien lassen sich unter dem Begriff Arbeiten, die durch eine bestimmte Art der Auseinandersetzung mit der Landschaft gekennzeichnet sind, subsumieren. Vgl. Patrick Werner: Land Art USA. Von den Ursprüngen zu den Großraumprojekten in der Wüste. München 1992, S. 13.

[3]: Vgl. Spiral Jetty (1970) von Robert Smithson, die inzwischen nahezu überflutet ist, oder Arbeiten von Michael Heizer aus der Serie Nine Nevada Depressions (1968).

[4]: Zur Lebensreform und zur Freikörperkultur-Bewegung siehe der Katalog: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Kai Buchholz u.a. (Hg.). 1. Aufl. Kat. Darmstadt 2001. Zur Freikörperkultur-Bewegung siehe auch: Michael Andritzky: „Nur der nackte Mensch ist der wahre Mensch.“ Das Körperbild der Freikörperkultur-Bewegung. In: Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Claudia Pachnicke (Hg.). Kat. Stuttgart 1989, S. 67–76.

[5]: Gemeinsam ist beiden übrigens eine ursprünglich befreiende Funktion: das FKK hat den Körper vom Kleider- und Stubenzwang befreit, und die Erfindung der Nylonstrümpfe, insbesondere der Strumpfhosen, hat den weiblichen Körper von komplizierten Strumpfvorrichtungen und kratzenden Wollstrümpfen befreit.

[6]: Vgl. Jan Argikos: Institutionelle Kritik, Politik der Identität und Retro-Romantik. Auf der Suche nach dem Gesicht. In: Ingvild Goetz (Hg.): Jürgen Klauke, Cindy Sherman. Kat. Slg. Goetz, Ostfildern 1994, S. 42.

[7]: Vgl. Gisela Febel: Inszenierte Unschärfe. Zur Konstruktion eines anti-hermeneutischen Horizonts in der Kunst des 20. Jahrhunderts. In: Werner Stegmaier (Hg.): Kultur der Zeichen. Zeichen und Interpretation VI. Frankfurt/ Main 2000, S. 273.

[8]: Ebd., S. 278.

Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag zum Thema „KörperKunst“ ist eine Vorabveröffentlichung des Forums von Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung, Bd. 9 (2004) mit dem Titel "Menschenkonstruktionen. Künstliche Menschen in Literatur, Film, Theater und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts", herausgegeben von Gisela Febel und Cerstin Bauer-Funke (erscheint im April 2004 im Wallstein Verlag, Göttingen). Wir danken Hilde Winkler, Cornelia Lund, den Herausgeberinnen des Jahrbuchs sowie dem Wallstein Verlag für die Erlaubnis zur Vorabveröffentlichung.

URN urn:nbn:de:0114-qn051194

Cornelia Lund

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