Die Arbeit heißt „urlaub“ aus mehreren Gründen. Es war für mich tatsächlich ein Urlaub, eine kurze Fahrt an die Ostsee. Die Arbeit entstand gleich bei Prerow, einem Urlaubsort, einem Ort also, an dem man Urlaub macht und sich zu erholen glaubt vom täglichen Leben.
Die Strumpfhosen sind immer auch Stellvertreter für die abwesenden, tauben Körperteile, für das Gammeln unter dem Kleid, für das ungelebte Leben des Körpers, für das Dahinvegetieren, Hinterherlaufen, Verfallen ohne dagewesen zu sein.
Zu DDR-Zeiten war Prerow auch ein Ort, an dem FKK seinen festen Platz hatte, so daß das Spiel mit den durchsichtigen Nylonhosen, die den Blick freigeben auf das Fleisch, seinen besonderen Reiz hatte. Urlaub ist auch der Versuch, die Körperteile, die sonst kein Tageslicht zu sehen bekommen, plötzlich und ausschließlich in die Sonne zu halten.
Ich hatte keine fertige Vorstellung von der Arbeit. Davor hatte ich viel mit blauen und auch pinkfarbenen Strumpfhosen gearbeitet; es war das Bedürfnis, sich mit der Mainstreamvariante auseinanderzusetzen. Die Fußvarianten der hautfarbenen Strumpfhosen hatte ich im Gepäck im Kofferraum. Einige komplette Strumpfhosen der Variante ‚ganz einfach und billig‘ kaufte ich in einem kleinen Lebensmittelladen neben dem Bahnhof (ich glaube in Stralsund), an dem ich meine Freundin abholte, die von Bremen aus mit dem Zug angereist war. Die Arbeiten entstanden auch mit den Beobachtungen am Strand.
Wir hatten beide die Absicht, eine künstlerische Etüde anzugehen. Meine Freundin machte viele Videoaufzeichnungen von einem verlassenen Gasthaus, in das wir einstiegen. Überall lagen Kassenzettel auf dem Parkett. Es gab einen großen Tanzsaal, leer, verlassen, tot, ein seit langem abgelegter Nachwende-DDR-Ort. Wir fanden Kaffeegeschirr der DDR-Standardmarke, im Raum hatte man das Gefühl, die Musik zum Tanztee, der jäh unterbrochen wurde, zu hören.
Wir arbeiteten nebeneinander, zeitgleich an verschiedenen Orten, meine Freundin in dem Gasthaus und ich am Strand. Ich mußte in die Sonne, sie arbeitete in dem kühlen, lichtlosen Gasthaus.
Meine Arbeit war von Anfang an auf Vergänglichkeit angelegt, sie sollte so sein wie das, was sie darstellt.
Die Fotos sind Teil der Arbeit, ich habe auch einige davon verkaufen können. Eine junge, erfolgreiche Architektin interessierte sich sehr für die deformierten, unpassenden, kraftlosen Gestalten im Sand. Die Erinnerung soll bleiben, sie soll präsent sein. Momente bleiben, werden konserviert und können nach Bedarf wiederaufleben.
Immer wieder neu komme ich zum Thema Haut. Das Neue an dieser Arbeit ist das Groteske als Ausdrucksform, das sich später, auch z.B. in den aktuellen ‚Feiertagsobjekten‘ und in weiteren Arbeiten fortsetzt. Analysierend gesehen, ist die Nylonstrumpfhose natürlich eine Metapher für die Haut, aber das ist zunächst nicht so wichtig, bedeutsam ist vielmehr, daß sie mit dem Sand formbar wird und eine Körperlichkeit spiegeln kann, die etwas ausdrückt, das ich beobachtet habe. Ich möchte das Beobachtete nicht lächerlich machen. Das Groteske und die Ironie sind eine Möglichkeit, Distanz einzunehmen, jenseits einer Depression, diesseits des Lebens.
Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag zum Thema „KörperKunst“ ist eine Vorabveröffentlichung des Forums von Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung, Bd. 9 (2004) mit dem Titel "Menschenkonstruktionen. Künstliche Menschen in Literatur, Film, Theater und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts", herausgegeben von Gisela Febel und Cerstin Bauer-Funke (erscheint im April 2004 im Wallstein Verlag, Göttingen). Wir danken Hilde Winkler, Cornelia Lund, den Herausgeberinnen des Jahrbuchs sowie dem Wallstein Verlag für die Erlaubnis zur Vorabveröffentlichung.
URN urn:nbn:de:0114-qn051201
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