Mechthild Koreuber, Ute Mager (Hg.):
Recht und Geschlecht.
Zwischen Gleichberechtigung, Gleichstellung und Differenz.
Baden-Baden: Nomos 2004.
215 Seiten, ISBN 3–8329–0782–3, € 44,00
Abstract: Der Sammelband Recht und Geschlecht enthält eine Zusammenstellung von Beiträgen zu Geschlechterfragen im Recht. Sie sind zusammengefasst in drei Kapiteln: Perspektiven und Entwicklungslinien; Recht und Wirklichkeit; Frauenförderung. Der Band kann als Nachschlagewerk für besondere rechtspolitische Fragestellungen und -entwicklungen in diesem Bereich genutzt werden. Im Kontext gelesen bietet das Buch einen hochaktuellen Überblick über 55 Jahre geschlechtsbezogene Gesetzgebung und Rechtsprechung und den gegenwärtigen Stand des geschlechterpolitischen Diskurses mit einer kritische Reflexion der dabei verwandten Rhetorik.
Der Sammelband ist ein Leckerbissen für alle, die an Gleichstellung und Geschlechterfragen im Recht interessiert sind, und ein Beleg dafür, auf welch hohem Niveau in der Geschlechterforschung Fachwissenschaft betrieben wird. Die Themen sind von allen Autorinnen mit bestechender juristischer Expertise und großem Tiefgang behandelt worden.
Das Buch enthält das Wissen, das sich in der juristischen Mainstream-Presse nicht findet. Auch die, die sich in Frauen- und Geschlechterfragen im Recht gut auskennen, finden noch viel Neues, Anregendes und Bedenkenswertes. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass in den Beiträgen sowohl jüngere als auch ältere Autorinnen ihre unterschiedlichen Perspektiven, Lebenserfahrungen und Wahrnehmungen einbringen, zudem Juristinnen aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern: von der Wissenschaftlerin über die Rechtsanwältin, die Gleichstellungsbeauftragte bis zur hohen und höchsten Richterin. Sie referieren dabei Teile einer von ihnen selbst miterlebten und zum Teil selbst mitgestalteten Rechtsgeschichte. In der Analyse finden sich neben rechtsdogmatischen und rechtstheoretischen Elementen historische, soziologische und politikwissenschaftliche Ansätze.
Hervorgegangen ist der Sammelband aus einer Ringvorlesung zum Thema „Recht und Geschlecht“, die als Resultat einer Zielvereinbarung an der Freien Universität in Berlin eingerichtet worden war. Er kann als Hommage an Jutta Limbach verstanden werden, die erste und lange Zeit einzige Frau auf einem juristischen Lehrstuhl an der FU, die unbeeindruckt von Gegenwind und Gegenwehr ihrer männlichen Kollegen und Indifferenz bei weiblichen Kolleginnen jederzeit mutig und offensiv für Frauenbelange im Recht eingetreten ist. Sie zieht in dem Band in einem abschließenden Fazit die Bilanz: „Wie männlich ist die Rechtswissenschaft?“ und findet neben unverändert rückständigen Geschlechterleitbildern in juristischer Literatur auch hoffnungsfroh stimmende Ansätze für ein verändertes, geschlechtersensibleres Bewusstsein in Rechtsprechung und Lehre.
Susanne Baer setzt sich im ersten Beitrag unter dem Titel „Justitia ohne Augenbinde?“ grundsätzlich mit der Kategorie Geschlecht in der Rechtswissenschaft auseinander. Sie stellt die Frage, „ob ein geschlechtsneutrales, also mit verbundenen Augen agierendes Recht oder aber ein geschlechtssensibles, also mit offenen Augen die Geschlechterdifferenzen wahrnehmendes Recht das bessere, also das gerechtere Recht sein kann“, und kann nur klarstellen, wie schwer Gleichberechtigung im Recht zu fassen ist.
In demselben, mit „Perspektiven und Entwicklungslinien“ überschriebenen Kapitel des Buches befasst sich Beate Rudolf, die neue Juniorprofessorin der FU, mit der Verankerung des Gleichstellungsgebotes auf Europaebene und stellt in kluger und differenzierter Analyse fest, dass die textlichen Änderungen des EG-Vertrages als Fortschritt anzusehen sind, die Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht Schritt gehalten hat. Dieses ist insoweit erstaunlich, als grundsätzlich der EuGH als Motor die Integration der Gemeinschaft vorangetrieben hat.
Sabine Berghahn zeichnet in einem großen Bogen die auf das Geschlecht bezogenen Reformen in den verschiedenen Rechtsgebieten nach. Sie vergleicht den Prozess der rechtlichen Gleichstellung in der Bundesrepublik mit dem Ritt auf einer Schnecke und kommt zu dem Schluss, dass der Horizont einer völligen Gleichstellung der Geschlechter für die Schnecke wohl niemals erreichbar sein dürfte. Das Beharrungsvermögen altehrwürdiger Institutionen wie der Sozialversicherung und der Steuergesetzgebung (Ehegattensplitting) sei allen politischen Reformbemühungen zum Trotz enorm. Sie weist darauf hin, dass es immer schwieriger werde, konsensual Fraueninteressen zu vertreten, da die sozialen und gesellschaftlichen Unterschiede und damit die Meinungsverschiedenheiten zwischen Frauen wachsen.
Im 2. Teil „Recht und Wirklichkeit“ geht es um die klassischen Säulen der Frauen- und Geschlechterforschung: Körper, Arbeit (mit Finanzen) und Zusammenleben. Ursula Nelles setzt sich ironisch und plakativ mit der gläsernen Decke und rhetorischen Abwehrstrategien des Gesetzgebers gegen die Interessen der Frauen am Beispiel des Gesetzesvorhabens zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe auseinander, Alexandra Goy diskutiert Anwendung und Wirksamkeit des Beschäftigtenschutzgesetzes bei sexueller Belästigung. Konstanze Plett beschreibt die Konstruktion von Geschlecht im Familienrecht. Sie zeichnet eine Entwicklung nach, die von der Emanzipation des Mannes von der Herkunftsfamilie über die Emanzipation der Frau vom Ehemann zur postmodernen Emanzipation der Familie geht. Ob, wie sie feststellt, mit Familienrecht die Familienstruktur bestimmt und auch verändert werden kann, wäre zu diskutieren.
Christine Fuchsloch definiert moderne und geschlechtergerechte Anforderungen an eine Alterssicherung. Sie gibt einen sehr verständlichen Einblick in die komplizierten Mechanismen und die frauenpolitisch aktuellen Fragestellungen des Rentenrechts.
Der 3. Teil des Sammelbandes ist dem Thema „Frauenförderung“ gewidmet. Margot Gebhardt-Benischke hinterfragt den Nutzen und die Effektivität von Gender Mainstreaming im Hochschulbereich und warnt davor, zugunsten dieses modernen Ansatzes der Gleichstellungspolitik die traditionelle Frauenförderung zu vernachlässigen.
Elke Gurlit erläutert den aktuellen Stand der juristischen Debatte zur Vergabe öffentlicher Aufträge als Instrument der Frauenförderung, ein aufgrund der finanziellen Dimensionen und damit gegebenen Einwirkungsmöglichkeiten sehr wichtiges Thema. Marion Eckertz-Höfer geht es um Wirksamkeitsfragen der Frauenförderung im öffentlichen Dienst. Erforderlich sei, wie sie darstellt, dass Gleichstellungs- und Frauenfördergesetze neben Antidiskriminierungsvorschriften auch Kompensations- und Fördermaßnahmen enthalten, die sowohl strukturell als auch individuell ansetzen.
Zum Thema Frauen, Geschlecht und Recht gibt es nur wenige entsprechend umfassende, kaum entsprechend tiefgehende Darstellungen. Zu nennen sind u.a. Battis, Ulrich/Schultz, Ulrike: Frauen im Recht, hervorgegangen aus einer Veranstaltungsreihe der FernUniversität, der rororo-Rechtsratgeber Frauen, hrsg. von Doris Lucke und Sabine Berghahn, beide 1990 erschienen und damit aufgrund der äußerst dynamischen Rechtsentwicklung der letzten fünfzehn Jahre veraltet, der inzwischen mehrfach vom Deutschen Juristinnenbund aufgelegte und aktualisierte Band Juristinnen in Deutschland, ein im letzten Jahr von Ulrike Schultz für das Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie NRW zusammengestellter Reader „Frauen und Recht“ (PDF, 3,2 MB). Hinzuzuzählen ist auch das als Loseblatt-Sammlung aufgelegte Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte aus dem Dashöfer-Verlag. Allen diesen Publikationen ist gemeinsam, dass der Fokus auf Frauen liegt. Im Sammelband Recht und Geschlecht wird die Perspektive konsequent auf Geschlecht erweitert, gleichzeitig das Spannungsfeld der Kategorien Frau und Geschlecht in vielen Facetten gespiegelt und diskutiert, ein für zukünftige Darstellungen wegweisender Ansatz.
Zum ergänzenden systematischen Nachschlagen und -lesen empfiehlt sich das unter der Federführung von Susanne Baer an der Humboldt-Universität bereit gestellte Internet-Glossar Recht und Geschlecht.
URN urn:nbn:de:0114-qn052051
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