Der lang(sam)e Weg zur Gleichberechtigung in der Ehe

Rezension von Konstanze Plett

Arne Duncker:

Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe.

Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700–1914.

Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2003.

XCVII, 1189 Seiten, ISBN 3–412–17302–9, € 94,00

Abstract: Ein wahrlich gewichtiges Buch ist diese Veröffentlichung einer Hannoveraner Dissertation aus dem Jahr 2001 – rein äußerlich (fast dreieinhalb Pfund schwer, 1114 Seiten reiner Text plus 62 Seiten Literaturverzeichnis plus 56 Seiten Anhang mit insgesamt 4963 Fußnoten), aber auch vom Inhalt her, mit bemerkenswert wenig Redundanzen. Niemand, der oder die mit der Entwicklung des Ehe- und Familienrechts befasst ist, dürfte künftig an dieser Arbeit vorbeigehen. Aber auch für alle, die sich für die Entwicklung von Ehe und Familie aus sozialwissenschaftlicher Sicht und/oder der Geschichte der Gleichberechtigung der Frauen interessieren, bietet dieses Buch eine Fundgrube. Für diejenigen, die nicht die Zeit oder den Atem haben, das ganze Buch zu lesen, erschließt sich dessen Inhalt sowohl über eine gut strukturierte Gliederung als auch über das Register.

Gegenstand und Fragestellung

Die Arbeit befasst sich mit einem Ausschnitt aus dem Eherecht: den Regelungen der persönlichen Beziehungen zwischen Ehemann und Ehefrau, also den wechselseitigen Rechten und Pflichten sowie den je geschlechtsspezifischen Rechten und Pflichten. Andere zum Eherecht zählende Gegenstände – Verlöbnisrecht, Eheschließung, eheliches Güterrecht, Scheidungsrecht – werden nur behandelt, soweit aus ihnen Rückschlüsse auf die jeweiligen Regelungen der persönlichen Eheverhältnisse Rückschlüsse gezogen werden können.

Die Entscheidung für den Zeitrahmen von 1700 bis 1914 erlaubt die Einbeziehung der ersten vernunftrechtlichen Kodifikationen (einschließlich verschiedener Vorentwürfe) einerseits sowie die Interpretation des 1896 verabschiedeten und am 1.1.1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch Rechtsprechung andererseits. Tatsächlich ist der behandelte Zeitraum weit größer, da im 18. und 19. Jahrhundert auch Recht galt, dessen Ursprünge im ersten nachchristlichen Jahrtausend liegen.

Geographisch umfasst die Untersuchung das deutschsprachige Mitteleuropa mit der Einschränkung, dass für die Schweiz nur deren Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1907 berücksichtigt worden ist. Der französische Code Civil (CC oder Code Napoléon) von 1804 hingegen wurde wegen seiner Geltung in den deutschsprachigen rechtsrheinischen Gebieten von den napoleonischen Feldzügen bis zum Inkrafttreten des BGB umfassend gewürdigt.

Die Fragestellung der Arbeit entspricht ihrem Titel: Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe – oder, etwas präziser: Wo finden sich die Wurzeln für die im heutigen Recht verankerte Gleichberechtigung in der Ehe, wie wurden sie historisch wahrgenommen und welche Widerstände/Gegenbewegungen konnten sich warum für lange Zeit durchsetzen oder halten?

Untersuchungsansätze und verarbeitete Quellen

Duncker beschränkt sich nicht auf die klassisch-rechtshistorische Analyse von Rechtstexten und Materialien zu ihrer Entstehung, sondern bezieht in seiner Spurensuche nach den Argumenten für und gegen eheliche Männerherrschaft rechtsphilosophische, rechtssoziologische, synchron und diachron rechtsvergleichende sowie feministische Ansätze mit ein.

Der besondere Wert – und Reiz! – der Arbeit liegt in der Verarbeitung unterschiedlicher kontemporärer Rechtsquellen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts galten im untersuchten Gebiet sowohl Römisches Recht als auch Kirchenrecht, partikulares Recht deutschrechtlichen Ursprungs und Gemeines Recht. Hinzugekommen sind während des Untersuchungszeitraums das Preußische Landrecht von 1721 für Ostpreußen, der Codex Maximilianus Bavaricus Civilis (CMBC) von 1756 für Bayern, in Preußen das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (PrALR) von 1794, der Code Napoléon von 1804 für die rechtsrheinischen Gebiete (und darauf fußend das Badische Landrecht von 1810), das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1811 für Österreich, das Sächsische BGB von 1863, das Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung von 1875 und schließlich das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1896 für das 1871 gegründete Deutsche Reich. Darüber hinaus hat Duncker zahlreiche Vorarbeiten zu Gesetzeswerken einbezogen sowie etliche Ehegesetze kleinerer Territorien. Als eigene Rechtsquelle hat er schließlich, obwohl, wie er schreibt, dies in der Rechtsgeschichte umstritten ist, das Naturrecht gewertet.

Außer diesen Rechtsquellen im engeren Sinne verarbeitet Duncker historische Kommentare, Lehrbücher, Gerichtsentscheidungen, Aufsätze, Stellungnahmen in beeindruckender Fülle. Darunter findet sich manch eine Arbeit, die zu Unrecht von der Familienrechtswissenschaft im späteren Zeitlauf vergessen wurde, – und inbesondere alle Arbeiten von Frauen, soweit sie erhalten sind. Duncker selbst fasst die Quellenlage für seinen Untersuchungsgegenstand so zusammen:

Fast alle hier verarbeiteten Texte der Zeit vor 1890, ob gemäßigt oder patriarchal, sind Erörterungen von Männern über Frauen. […] Das Monopol zur Konstruktion des weiblichen Geschlechts und das Monopol zur näheren Bestimmung des juristisch relevanten weiblichen Geschlechtscharakters war damit dem männlichen Geschlecht vorbehalten. […] Damit ist die Perspektive zum Ehe- und Familienrecht zwangsläufig nicht neutral. Sie kann nicht neutral sein, da nur eine der beiden Seiten, nämlich die männliche, ausreichend schriftliche Zeugnisse hinterlassen hat und daher sozusagen nur die eine Hälfte der Überlieferung erhalten ist. (S. 1054 f., Hervorhebungen im Original.)

Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist in sechs Teile gegliedert: 1. Grundlagen, Methoden und Zielsetzung (S. 1–39), 2. Grundlagen der ehelichen Lebensgemeinschaft (S. 41–371), 3. Die einzelnen Rechte und Pflichten der Ehepartner in der ehelichen Lebensgemeinschaft (S. 373–906), 4. Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft und Rechtsschutz (S. 907–984), 5. Wechselbeziehungen zwischen Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft und verwandten Rechtsgebieten (S. 985–1045) sowie 6. Zusammenfassende Würdigung (S. 1047–1114). Die im Anhang (S. 1115–1171) abgedruckten Quellen sind, was besonders verdienstvoll ist, nicht nur kommentiert, sondern auch, soweit einschlägig, zweisprachig wiedergegeben (lateinisch-deutsch bzw. französisch-deutsch).

Eheherrschaft versus Gleichberechtigung

Es ist bewundernswert, wie Duncker die Fülle seines Materials bändigt. Dies gelingt dadurch, dass er zunächst innerhalb seines Grundlagenkapitels „Die im Bereich der ehelichen Lebensgemeinschaft angewandten Rechte“ (also seine Rechtsquellen) beschreibt und zueinander in Beziehung setzt. Die Gliederung dieses ausführlichen Unterkapitels (S. 41–195) dient sodann bei der Darstellung der weiteren Teile und ihrer jeweiligen Unterkapitel als Struktur. Auf diese Weise wird ein Vergleich der seinerzeit im deutschsprachigen Raum geltenden Rechtsvorschriften möglich, und nur dieser Vergleich lässt parallele wie gegenläufige Trends im Hinblick auf ein Mehr oder Weniger an Gleichberechtigung der Geschlechter erkennen, da dieselben Sachverhalte teils ähnlich, teils unterschiedlich, manchmal sogar diametral entgegengesetzt geregelt waren.

Unterschiede im damaligen Grundverständnis der Ehe werden im Eingangsabschnitt „Eheherrschaft des Mannes und ihre rechtlichen Gestaltung“ (S. 373–550) des zentralen 3. Teil herausgearbeitet. Mit dem Begriff „Eheherrschaft“ bezeichnet Duncker „alle Rechte des Ehemannes gegenüber der Frau, die der Ehefrau nicht in gleicher Weise gegenüber dem Mann zugebilligt werden“. Doch Reichweite und Intensität der Eheherrschaft waren nicht überall gleich; so galt in manchen Rechten der Ehemann „nur“ als „Haupt“ der Frau oder sogar nur der Ehe als Institution – also gleichsam Vorstand des Unternehmens Ehe –, während in anderen eine unbedingte Gehorsamspflicht der Ehefrau gegenüber dem Ehemann vorgesehen war.

Besonders interessant ist der Unterabschnitt „Naturrecht, Philosophie und verwandte Quellen“ (S. 420–482), in dem abgehandelt wird, was Grotius, Hobbes, Pufendorf, Thomasius, Wolff, Fichte, Kant und andere zur Ehe gesagt haben; denn vernunftrechtlich lässt sich die Vorherrschaft des Mannes ohne die Konstruktion einer freiwilligen Unterwerfung der Frauen als Ehefrauen nicht begründen. Eine mitgeteilte Entdeckung (S. 452–459) ist die Abhandlung eines Menschen namens Jäger (Vorname unbekannt), die als „Gesamtdarstellung der naturrechtlichen Argumentationsmöglichkeiten gegen die Eheherrschaft gelten“ (S. 459) kann – wenngleich auch diese Abhandlung zum Schluss auf 1. Mose 3, 16 rekurriert („[…] und er soll dein Herr seyn“), was Duncker als Jägers Zugeständnis an potentielle Zensoren sieht, um überhaupt eine Veröffentlichung zu erreichen.

Interessant ist auch die Darstellung und Einordnung von Artikel 213 des Code Napoléon (S. 520–526), nach dem „der Ehemann seiner Ehegattin Schutz und die Gattin ihrem Manne Gehorsam schuldig“ ist (S. 520), als dasjenige Gesetz, das um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert am stärksten das männliche Herrschaftsrecht vertritt. Dies geschah auf persönliche Intervention Napoleons und wird mit seiner Biographie erklärt.

Es kann hier nicht über die Befunde zu all den Fragen berichtet werden, die der Band behandelt; besonders aufschlussreich sind z. B. die Ausführungen zum sogenannten Züchtigungsrecht des Ehemannes (S. 584–619) und zur sogenannten ehelichen Pflicht, d. h. in erster Linie Pflicht der Ehefrau zur sexuellen Hingabe (S. 620–677); überall finden sich jedoch Hinweise, wann und mit welchen Argumenten eher die Stellung des Mannes noch gestärkt oder modernisierend die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ehe befördert wurde.

Als eher aus dem Rahmen fallendes Beispiel sei nur noch auf die Ausführungen zum „Besonderen Brieföffnungsrecht des Mannes“ (S. 574–580) hingewiesen, das der „führende Kurzkommentar zum BGB […] selbst 1951 immer noch als umstritten“ bezeichnete, obgleich es vom Oberlandesgericht Dresden bereits 1914 als in jeder Hinsicht abzulehnen bezeichnet worden war (S. 579).

Ergebnisse für die Frauen- und Geschlechterforschung

Zunächst ist höchst bemerkenswert, dass hier ein männlicher Autor nicht nur eine für die Frauen- und Geschlechterforschung wichtige Fragestellung aufgreift, sondern dabei sowohl auf Gleichberechtigung zielende, teils sogar feministisch zu nennende Ansätze bei historischen Autoren und vor allem historischen Autorinnen ausführlich würdigt. Zu zahlreichen Aspekten der Arbeit gelingt ihm so eine Dekonstruktion von später als historisch selbstverständlich oder feststehend gehaltenen Befunden.

Dazu gehört bereits der Abschnitt im Grundlagenteil zu „Ehedefinition, Ehezwecke und ‚Wesen der Ehe‘“ (S. 207–295). Zum einen wird hier höchst sorgfältig herausgearbeitet, wie der Begriff vom „Wesen der Ehe“ in der Rechtsdogmatik bis weit ins 20. Jahrhundert hinein benutzt wird, um die ehemännliche Vorherrschaft als gesetzte Norm zu verschleiern und als „natürlich“ zu behaupten. Dabei war, wie Duncker an späterer Stelle zusammenfasst – also anders als viele Juristen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts behauptet haben –, schon früh bekannt, dass „ein gleichbleibend starkes männliches Herrschaftsrecht keinesfalls eine zeit- und kulturübergreifende Konstante menschlicher Ehen war oder gar in der Natur von Mensch und Ehe begründet“ (S. 338).

Patriarchen und Antipatriarchale

Sowohl aus feministischer als auch rechtssoziologischer Perspektive zu würdigen sind die eingestreuten Erkenntnisse zu den an Rechtsetzung und -gestaltung beteiligten Personen. So stellt Duncker fest, dass zahlreiche der Naturrechtler, die sich zur Ehe geäußert haben, „im übrigen selber unverheiratet“ waren (S. 110, Hervorhebung im Original), und von den für die Eherechtsentwicklung im 19. Jahrhundert maßgeblichen Personen stellt er fest, dass sie nicht nur dem Bürgertum zugehörig, sondern zudem meist „ältere Männer“ waren (S. 209).

Insbesondere für die Entstehung des deutschen BGB wertet er umfassend die Stellungnahmen der alten Frauenbewegung aus, so vor allem die Schriften von Emilie Kempin, aber auch die Veröffentlichung des Rechtsschutzvereins für Frauen in Dresden von 1895 und des Bundes Deutscher Frauenvereine von 1896, ferner eine Schrift von Proelß und Raschke von 1895. (Ein gleichsam feministisches Literaturverzeichnis mit zahlreichen weiteren Titeln bietet die Fußnote 771 auf S. 182.) In diesen Kontext gehören auch männliche Autoren, die der Frauenbewegung nahestanden, so vor allem Carl Bulling, „der wahrscheinlich wichtigste antipatriarchale Kritiker des BGB“ (S. 538), dessen Arbeit Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch 1896 bereits in 2. Auflage erschien. Zu Bulling schreibt Duncker weiter: „Es ist symptomatisch, daß die bisherige Forschung zum BGB Carl Bulling als den im Nachhinein betrachtet führenden und zukunftweisenden Familienrechtsreformer seiner Zeit meistens völlig ignorierte und bis vor kurzem nicht einmal die Lebensdaten Bullings bekannt waren“ (Fußnote 2274 auf S. 538).

Ausführlich behandelt werden Anita Augspurgs 1905 erschienener „Offener Brief“ („Ein typischer Fall der Gegenwart“), in dem sie für die freie Ehe plädiert und dies ausführlich begründet (vor allem S. 936–945), sowie Marianne Webers 1907 erschienene Monographie Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung (vor allem S. 945–950). Dies ist in dem Abschnitt zu individuell möglichen von der Gesetzeslage abweichenden Regelungen im 4. Teil platziert; hierzu belegt Duncker im übrigen mit zahlreichen Gerichtsentscheidungen, dass eine gleichberechtigte Eheführung nur so lange möglich war, als der Ehemann ihr nicht widersprach: Gerichte erklärten nämlich die männliche Eheherrschaft für unverzichtbar und damit sogar vertragliche Regelungen für null und nichtig, in denen Ehemänner auf Bestimmungsrechte verzichtet hatten. So wird zugleich die gelegentlich von Männern zu hörende Behauptung widerlegt, das alte Eherecht sei doch „nicht so schlimm“ gewesen, da es die Führung einer gleichberechtigten Ehe nicht wirklich verhindert habe.

Eheherrschaft und Geschlechtsvormundschaft

Mit der thematischen Beschränkung auf Rechte und Pflichten innerhalb der Ehe, die Duncker sich auferlegt hat, bleiben Frauenrechte außerhalb der Ehe im allgemeinen unbehandelt. Gleichwohl versäumt er nicht, im 5. Teil die „Wechselbeziehungen mit verwandten Rechtsgebieten“ aufzuzeigen, von denen der erste Abschnitt zur allgemeinen Geschlechtsvormundschaft den wichtigen Hinweis enthält, dass die Eheherrschaft mit der Geschlechtsvormundschaft weder identisch war noch in ihr aufging. Die allgemeine Geschlechtsvormundschaft konnte auch einen Schutz gegenüber dem Ehemann bedeuten. Eine Parallele sieht Duncker in der Begründung zur Abschaffung beider Rechtsinstitute, nämlich der „prinzipiellen Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Frauen“, wenn auch der Zeitraum, in dem dies geschah, sich über rund zweihundert Jahre erstreckt: abgeschafft wurde „die allgemeine Vormundschaft von etwa 1780 bis 1880, und die eheliche Vormundschaft ansatzweise Ende des 19. Jahrhunderts, materiell aber erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (S. 991).

Die weiteren jeweils kurz angerissenen Themen in diesem Teil sind die Einschränkung der Verpflichtungsfähigkeit von Frauen (also der Fähigkeit, die das autonome Privatrechtssubjekt ausmacht), das Verlobungsrecht, Ehehindernisse und Eheanfechtung, Scheidungsrecht, eheliches Güterrecht, Schlüsselgewalt, Schenkungen und Eigentumsvermuten unter Ehegatten sowie väterliche und elterliche Gewalt, Kindererziehungsrecht in der Ehe.

Besondere Hervorhebung verdient schließlich noch der Exkurs im 2. Teil zu „Recht und Geschlechtsdefinition – das ‚juristische Geschlecht‘“ (S. 253–295), in dem die in den historischen Quellen auffindbare oder auch nur unterstellte Zweigeschlechtlichkeit der Menschen kritisch dargestellt wird.

Resümee

Es gibt wenig kritisch anzumerken. Soweit ich Autoren vermisse, entspringt das eher meiner Verwunderung, dass sie dem Autor entgangen sind; sie hier zu nennen, wäre jedoch kleinlich, zumal die Argumentation sich dadurch nicht hätte ändern müssen und vor allem alle wichtigen Autorinnen berücksichtigt wurden. In Anbetracht des Umfangs dieses Werkes mag es unangemessen erscheinen, doch den Einfluss Hegels auf das BGB hätte ich mir etwas deutlicher nachgezeichnet gewünscht. Hegel wird nur relativ knapp behandelt (S. 229–230), sein Einfluss auf Savigny nur kurz gestreift (S. 218 und S. 314). Dabei hätte ich mir eine Erklärung gewünscht, warum sich auch die Passagen in Hegels Rechtsphilosophie zu Ehe und Familie wie eine Blaupause zum Eherecht des BGB lesen lassen. Der Weg von Savigny über Planck, den Hauptredaktor für das Familienrecht des BGB, zum BGB selbst ist nicht ganz unwahrscheinlich, aber, so weit ich sehe, nicht wirklich belegt.

In formaler Hinsicht sind einige Auslassungen im Literaturverzeichnis zu bemängeln, was zwar nachgesehen werden kann in Anbetracht der Fülle der verarbeiteten Literatur, jedoch insbesondere für die Arbeit von Proelß und Raschke, die zu den aus der Versenkung geholten Arbeiten zählt, bedauerlich ist (Proelß, Sera / Raschke, Marie: Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch: Eine Beleuchtung und Gegenüberstellung der Paragraphen des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (2. Lesung) nebst Vorschlägen zur Änderung derselben im Interesse der Frauen. Berlin: Dümmler 1895).

Ein paar Sachen sind schließlich in drucktechnischer Hinsicht negativ zu vermerken (durchgehend falsche Anführungszeichen am Ende, Gedanken- und Trennstriche gelegentlich nicht korrekt, Paragraphenzeichen von Paragraphennummern getrennt), doch ist das die Folge der Verlagerung von eigentlichen Verlagsaufgaben auf Autorinnen und Autoren. Ein gutes Lektorat hätte sicher auch einige Uneinheitlichkeiten beim Zitieren ausgebügelt. Ohnehin wäre dieser Arbeit die soziologische statt der juristischen Zitierweise gut bekommen (so hätten auch etliche Fußnoten eingespart werden können); denn wichtig beim Lesen ist weniger der Titel oder Kurztitel der verwendeten Literatur als deren Erscheinungsjahr, um ohne Blättern entscheiden zu können, ob es sich um eine historische oder heutige Stellungsnahme handelt. (Meistens hat Duncker aber genau für diesen Zweck das Erscheinungsjahr im Text mit vermerkt.)

Diese Kritikpunkte schmälern den Gesamteindruck jedoch keineswegs. Was das Verlegerische im übrigen angeht, ist das umfangreiche Buch durch und durch solide mit einem angenehmen Druckbild und sorgfältiger Bindung. Manche seitenlange Fußnote, die ich sonst keinesfalls schätze, liest sich wie eine echte Glosse, so z. B. Fußnote 1044 (S. 249–251) zu Kindererzeugung als Ehezweck und gleichgeschlechtlicher Ehe oder Fußnote 2300 (S. 545–547) zum sog. antifeministischen Diskurs vor hundert Jahren und heute. In sprachlicher Hinsicht ist die Arbeit ausgesprochen gelungen: verständlich, doch nicht trivial, wissenschaftlich, doch nicht ermüdend, dekonstruierend, doch nicht desavouierend. Insgesamt ist die Arbeit einer der besten mir bekannten Belege dafür, dass Genderforschung kein Forschungsreservat für Frauen ist.

Der Buchreihe „Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung“, die der Verlag hiermit eröffnet, sind viele Folgetitel dieser Qualität zu wünschen; das Buch selbst verdient weite Verbreitung (es sollte mindestens von allen Staats- und/oder Universitätsbibliotheken im deutschsprachigen Raum angeschafft werden). Und auf die Ergebnisse der im Vorwort erwähnten vertieften Untersuchung zum juristischen Geschlecht von Arne Duncker bin ich höchst gespannt.

URN urn:nbn:de:0114-qn052063

HD Dr. Konstanze Plett, LL.M.

Universität Bremen, Zentrum für feministische Studien und Fachbereich Rechtswissenschaft

E-Mail: plett@uni-bremen.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.