Deutscher Juristinnenbund e.V. (Hg.):
Juristinnen in Deutschland.
Die Zeit von 1900 bis 2003.
4. Aufl. Baden-Baden: Nomos 2003.
256 Seiten, ISBN 3–8329–0359–3, € 19,50
Abstract: Zeitgleich mit dem 55-jährigen Bestehen und dem 35. Kongress des Deutschen Juristinnenbundes im Jahr 2003 erschien in vierter aktualisierter Auflage die vorliegende Publikation als Überblick über die Tätigkeit des Juristinnenbundes seit Gründung der Bundesrepublik. Die ausführliche Übersicht wird eingeleitet durch einen historischen Abriss der Ausbildung und Tätigkeit von Juristinnen in Deutschland. Sie wird abgerundet durch einige ausgewählte Lebensbilder.
Bis 1900 war Frauen grundsätzlich der Zugang zum Studium an deutschen Universitäten verwehrt. Ab diesem Jahr konnten sich – zunächst in Baden, später in weiteren deutschen Ländern – Studentinnen für alle Studiengänge einschreiben. Im Bereich der Rechtswissenschaften war damit jedoch längst keine Gleichberechtigung mit den männlichen Kommilitonen erreicht, berechtigte doch das erfolgreiche Studium zwar zur Promotion, nicht jedoch zur Teilnahme an den zwei Staatsexamen und der Referendarausbildung. 1912 wurden in Bayern Frauen erstmals zum ersten Staatsexamen zugelassen, durften sich jedoch – mit Ausnahme von Baden, Württemberg und Sachsen – auch weiterhin nicht Referendarinnen nennen und wurden nicht zum staatlichen Vorbereitungsdienst zugelassen. Dennoch stieg die Zahl der Jura studierenden Frauen stetig an, so dass es bereits 1914 zur Gründung des Deutschen Juristinnenvereins kam, der sich die Förderung der beruflichen und wissenschaftlichen Fortbildung der Juristinnen zum Ziel gesetzt hatte.
Die entscheidende Wende in der rechtlichen Stellung der Juristinnen brachte die Weimarer Verfassung von 1919, die die Zulassung von Frauen für alle öffentlichen Ämter vorsah. Dennoch dauerte es wiederum mehrere Jahre, bis alle gesetzlichen Hindernisse bei der Zulassung von Frauen zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt beseitig waren. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber den Juristinnen stellte sich gegen hinhaltenden Widerstand erst ganz allmählich ein. Die eben errungenen Rechte wurden ab 1933 zum größten Teil wieder eingebüßt, und erst ab 1945, erstmals verstärkt im Zusammenhang mit der Gründung von Bundesrepublik und DDR, konnten Frauen wieder aktiv auf Gesetzesinitiativen und rechtspolitische Neuregelungen Einfluss nehmen. Die von Staatswegen missbräuchlich zur Durchsetzung ideologischer Ziele geförderte Ausbildung von Juristinnen führte im SED-Staat zu einem steten Anstieg der sogenannten weiblichen juristischen Kader. Der Frauenanteil unter den Juristen der DDR stand bis 1989 weltweit an erster Stelle. Im Gegensatz zu ihren westlichen Kolleginnen war die Rolle der DDR-Juristinnen jedoch streng begrenzt und vorgefasst, da sich das dortige Recht auf die Doppelfunktion als Instrument zum Abbau der bürgerlichen Rechtsordnung (besonders der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse) und des Aufbaus einer neuen Gesellschaft beschränkte.
Das Kernstück der Publikation und das umfangreichste der drei Kapitel bildet der zweite Abschnitt, der sich ausführlich mit dem Einfluss der Juristinnen auf die Rechtspolitik seit Gründung der Bundesrepublik befasst. Hier geht es speziell um jene Bereiche, in denen der Deutsche Juristinnenbund von jeher mit Stellungnahmen, Kritik und Vorschlägen gefordert war. Ausgangspunkt ist der Aspekt der Gleichberechtigung, der mit dem Gleichheitssatz im Grundgesetz von 1949 definiert und in der Verfassungsänderung 1990/1994 modifiziert wurde. Ebenso angesprochen wird dessen Stellung innerhalb der Grundrechte der Europäischen Union. In einem Exkurs werden die Auswirkungen der hier definierten Gleichberechtigung auf andere Rechtsgebiete betrachtet.
Nächster Punkt ist das Familienrecht, dessen Entwicklung bis 1957, die Rechtsbeziehungen zwischen Ehegatten bei Scheidung der Ehe, das elterliche Sorgerecht, das Abstammungsrecht, das Unterhaltsrecht sowie das Namensrecht. In diesem Zusammenhang steht auch die Entwicklung der rechtlichen Stellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Die Themen häusliche Gewalt, Strafrecht, Recht auf Schwangerschaftsabbruch, die Reform des Sexualstrafrechts sowie der Nebenklage und anderer Verletztenrechte und das Jugendhilferecht schließen sich an. Der rechtlichen Stellung von alten und behinderten Menschen, dem verstärkt auftretenden Problem von deren Misshandlung, dem Betreuungsrecht, dem Behandlungsvertrag sowie dem Thema Wohnen im Alter wird ein weiterer Bereich gewidmet. Besonders aktuell ist der Aspekt der rechtspolitischen Behandlung von Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin. Erfreulich ist bei diesem Kapitel das angehängte Literatur-Verzeichnis mit den aktuellsten Publikationen. Eine solche kurze Übersicht wäre bei allen Punkten wünschenswert gewesen.
Großen Einfluss hatten die Juristinnen auf den Bereich Familienlastenausgleich mit den Aspekten Rentenversicherung, Anwaltsversorgung, Steuerrecht, Arbeitsmarktpolitik und Krankenversicherung sowie das Beamtenrecht. Weiterer Kernbereich ist naturgemäß die Gleichstellung im Erwerbsleben; aktuell gefragt ist das Thema Zuwanderung. Als Abschluss des Kapitels werden die Verschiebungen innerhalb von Ausbildung und Karriereplanung von Juristinnen und Juristen beleuchtet.
Das dritte und letzte Kapitel des Buches bietet von verschiedenen Autorinnen verfasste Lebensbilder der Juristinnen Marie-Elisabeth Lüders, Erna Scheffler, Elisabeth Selbert, Theanolte Bähnisch, Elisabeth Schwarzhaupt, Hildegard Gethmann, Anna-Gudrun Meier-Scherling, Wiltraut Rupp-von Brünneck, Annelies Kohleiss, Adelheid Koritz-Dohrmann sowie Helga Seibert. Dieser Abschnitt stellt den Schwachpunkt des Bandes dar. Die Texte sind augenscheinlich keiner stilistischen und inhaltlichen Redaktion unterzogen worden und werden zum Teil dem Niveau des Bandes nicht gerecht. Ärgerliche Plattitüden, umgangssprachliche, vereinzelt schon fast kindliche Formulierungen oder inhaltliche Wiederholungen aus den vorangegangenen Kapiteln trüben den Lesegenuss. Hier wären kleinere Korrekturen und eine Abstimmung mit den ersten beiden Kapiteln wünschenswert gewesen. Scheinbar unvermeidlich ist die sich reflexhaft durchziehende mehr oder minder unterschwellige Herabwürdigung der nicht oder nur in vermeintlich intellektuell anspruchslosen typisch weiblichen Berufen tätigen Frau.
Die vorliegende Publikation ist von geteiltem Wert. Der wissenschaftliche Anspruch wird geschmälert durch die bereits erwähnten sprachlichen, stilistischen und inhaltlichen Mängel sowie das Fehlen eines ausführlichen Literatur-Verzeichnisses. Dennoch bietet der Hauptteil der Publikation einen interessanten und auch für den juristischen Laien verständlichen Überblick über den Einfluss des Deutschen Juristinnenbundes auf die rechtspolitischen Entwicklungen in der Bundesrepublik. Dessen Tätigkeit wird auch in Zukunft etwa im Zusammenhang mit dem Umbruch der Sozialsysteme in Deutschland oder dem Aufbau einer europäischen Verfassung gefragt sein.
URN urn:nbn:de:0114-qn052077
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