Klaus-Jürgen Grün:
Vaterschaftsfeststellung und -anfechtung.
Für die gerichtliche, anwaltliche und behördliche Praxis.
Berlin: Erich Schmidt 2003.
245 Seiten, ISBN 3–503–07093–1, € 38,60
Abstract: Das Fachbuch enthält eine sehr vollständige Übersicht über die Entwicklung und die derzeitige rechtliche Situation im Bereich der Vaterschaftsfeststellung und -anfechtung. Das Buch ist in erster Linie für Praktiker/-innen geschrieben, also insbesondere für Familienrichter/-innen, Jugend- und Standesämter sowie für Anwälte und Anwältinnen, die auf dem Gebiet des Vaterschaftsrechts tätig sind. Es ist aber auch geeignet für all diejenigen, die juristisch mit Vaterschaftsproblemen zu tun haben und sich einen fundierten Überblick verschaffen wollen bzw. das Buch als Nachschlagewerk zu einzelnen Problemfeldern des Vaterschaftsrechts nutzen wollen.
Der Autor hat die Kindschaftsreform 1998 mitbegleitet und ist Familienrichter am Amtsgericht Gießen. Es wird in dem Buch deutlich, dass seine Ausführungen sowohl auf einer erheblichen Praxiserfahrung als auch auf einer genauen Analyse der relevanten gesetzlichen Vorschriften beruhen. Die Quellen sind umfassend recherchiert, nahezu jede wichtige Veröffentlichung bis Februar 2003 zu dem Themenbereich ist erfasst. Der Autor stellt zu den einzelnen Streitfragen den jeweils aktuellen Stand der Diskussion und der Rechtsprechung dar und gibt hierdurch vielerlei Unterstützung bei der Bewältigung der in der Praxis auftretenden Probleme.
Den Schwerpunkt des Buches bilden die Ausführungen zur Anerkennung, Feststellung und Anfechtung der Vaterschaft.
Bei der Anerkennung stehen formelle Fragen, die notwendigen Zustimmungserklärungen der Beteiligten, die Behandlung unwirksamer Anerkennungen und die vereinfachten Verfahren in Bezug auf Kinder, die nach Zustellung des Scheidungsantrages geboren werden, im Vordergrund.
Ausführlich geht der Autor bei der Vaterschaftsfeststellung auf die Verfahrensregelungen zum einstweiligen Rechtsschutz, zur Prozesskostenhilfe und zum Unterhalt ein, die u. a. bezwecken sollen, dass Mütter schnell den benötigten Kindesunterhalt gegenüber dem Vater erwirken können. Ferner zieht der Autor eine gründliche Amtsermittlung der vorschnellen Einholung von Abstammungsgutachten vor und befasst sich mit den üblicherweise erhobenen Einwänden gegen die Vaterschaft, z. B. den Mehrverkehr und den Ehebruch, mit Einwänden also, mit denen Mütter regelmäßig in diesen Verfahren konfrontiert werden.
Eine praxisnahe Problembehandlung schlägt der Autor auch bei der Frage der Vaterschaftsanfechtung vor. In der Praxis des Vaterschaftsrechts tritt immer wieder die Problematik auf, dass eine gerichtliche Anfechtung der Vaterschaft nur dann schlüssig ist und Erfolg haben kann, wenn sie innerhalb von zwei Jahren erhoben wird, nach dem die/der Anfechtungsberechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Dies ist eine Ausschlussfrist, die der Rechtssicherheit dienen soll und auch Rechtsirrtümer nicht zulässt. Kennt also der anfechtungsberechtigte „Scheinvater“ solche Umstände und unternimmt er nichts, ist er nach zwei Jahren rechtlicher Vater, auch wenn er nicht der biologische Vater ist.
Dies führt immer wieder zu erheblichen Streitfragen, z. B. bei folgender Fallkonstellation: Mutter und „Scheinvater“ sind verheiratet, leben aber getrennt. Die Mutter lebt mit einem neuen Partner zusammen, von dem sie ein Kind bekommt. Da das Kind während bestehender Ehe geboren wird, gilt der Ehemann rechtlich als Vater. In der Geburtsurkunde wird „versehentlich“ der tatsächliche Vater als Vater eingetragen. Der „Scheinvater“ erfährt hiervon und unternimmt mehr als zwei Jahre nichts, die Anfechtungsfrist läuft ab. Dann könnte eigentlich weder die Mutter noch der Scheinvater anfechten und der tatsächliche Vater schon gar nicht, allenfalls das Kind nach Volljährigkeit oder bei umstrittener Bestellung eines Ergänzungspflegers. Keine der beteiligten Personen hat an einer rechtlichen Vaterschaft des Scheinvaters Interesse, vor allem nicht, wenn die neue Familie hierdurch beeinträchtigt wird.
Diese typischen Problemfälle werden von den Amtsgerichten nach der Praxiserfahrung der Rezensentin nicht einheitlich gelöst. Der Autor sieht die fehlerhafte Eintragung in der Geburtsurkunde allerdings zutreffend als einen Fall sog. höherer Gewalt an, der die Anfechtungsfrist hemmt. Höhere Gewalt wird dann angenommen, wenn dem Anfechtungsberechtigten durch eine Behörde oder ein Gericht eine falsche Information erteilt wurde, auf die sie/er vertrauen durfte, etwa auch, wenn das Jugendamt ankündigt, im Rahmen einer Ergänzungspflegschaft die Anfechtung für das Kind zu betreiben und das jeweilige Elternteil deshalb eine eigene Anfechtung über die Frist von zwei Jahren hinaus unterlässt. Wie bei der Frage der Anfechtungsfrist arbeitet der Autor in seinem Buch entsprechende Streitfragen gründlich heraus, stellt die wesentlichen gerichtlichen Entscheidungen hierzu dar und bietet überzeugende Lösungsansätze.
In den weiteren Kapiteln behandelt der Autor folgende Themen:
- „Die gesetzliche Regelung der Mutterschaft“: Die gesetzliche Mutter ist die gebärende Frau. Auf die Frage der genetischen Mutterschaft kommt es nicht an, so dass ein Verfahren auf Feststellung der genetischen Mutterschaft gesetzlich ausgeschlossen ist.
- „Die gesetzliche Vaterschaftszuordnung“ basiert darauf, dass die Vaterschaft nur ehebedingt – also nicht aufgrund nichtehelicher Lebensgemeinschaft – oder durch Anerkennung oder durch gerichtliche Feststellung gegeben ist. Hierbei werden u. a. die einzelnen Problemfälle im Zusammenhang mit der Ehescheidung erörtert. Bedeutung für die weiteren Fragekomplexe enthält die Klarstellung, dass das Vaterschaftsverhältnis ein „Ausschließlichkeitsverhältnis“ ist, also kein weiterer Mann rechtlicher Vater sein kann, mithin eine Doppelvaterschaft verboten ist.
- Das Kapitel über „Die Amtsermittlung“ enthält Einzelheiten zu der gerichtlichen Behandlung im Rahmen der Abstammungsbegutachtung und eine übersichtliche Darstellung des aktuellen wissenschaftlichen Standes der Gutachtentechnik.
- Die letzten beiden Kapitel umfassen „Die Übergangsvorschriften zum Abstammungsrecht“ und das „Internationale Privatrecht“.
- Das Buch schließt mit übersichtlichen und praxisnah aufgebauten Checklisten für die Schwerpunktthemen der Anerkennung, Feststellung und Anfechtung der Vaterschaft, einer Empfängniszeittabelle und schließlich einer sehr ausführlichen Literaturliste, die zu einer weitergehenden Vertiefung des Vaterschaftsthemas als auch der verwandten Themen des Kindschaftsrechts einlädt.
Es ist offensichtlich nicht Ziel des Buches, die gesetzliche Regelung zu kritisieren oder Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Zwar bieten die dargestellten Diskussionsstände hinreichend Material, um die gesetzlichen Regelungen oder die sich auf dieser Grundlage entwickelte Rechtsprechung in Frage zu stellen, doch wird dies durch den Autor in dem Buch nur an wenigen Stellen gefordert. Soweit Rechtsfragen streitig sind, bezieht der Autor jeweils klar und überzeugend Position.
Insgesamt wird durch das Buch deutlich, dass die Kindschaftsreform 1998 eine Verbesserung auch im Hinblick auf die Streitfragen im Vaterschaftsrecht bewirkt und Rechtssicherheit geschaffen hat, längst aber noch nicht alle Probleme zufriedenstellend gelöst sind und Rechtssicherheit auch Formalismus bedeutet, der sich – wie in dem Beispiel der Anfechtungsfrist – häufig nicht mit dem Kindeswohl vereinbaren lässt.
URN urn:nbn:de:0114-qn052157
Silvia C. Groppler
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin
E-Mail: groppler@advocatae.de
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