„Es ist ein Kick, den man befriedigen muss!“

Rezension von Katharina Piechocki

Elke Gaugele, Kristina Reiss (Hg.):

Jugend, Mode, Geschlecht.

Die Inszenierung des Körpers in der Konsumkultur.

Frankfurt am Main, New York: Campus 2003.

228 Seiten, ISBN 3–593–37255–X, € 24,90

Abstract: Der Band Jugend, Mode, Geschlecht. Die Inszenierung des Körpers in der Konsumkultur ist das Ergebnis qualitativer Feldstudien, die im Rahmen eines „interdisziplinären Seminars mit dem Titel ‚Jugendmode und Geschlechterkonstruktion‘ an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln“ (S. 221) von Studierenden durchgeführt wurde. Bei den interviewten Kindern und Jugendlichen handelt es sich um „Mainstream“-Jugendliche und nicht um spezifische Jugendgruppen. Das Buch ist in vier thematische Kapitel gegliedert: „S-HE Mades“, „Angezogen: Fashion Mades“, „Anverleibt: Body Mades“ und „Angesehen: Media Mades“. Ein theoretisch orientiertes Kapitel mit Beiträgen von Wissenschaftlern aus den Bereichen Jugendkultur, Modedesign, Geschlechterforschung und Cultural Studies schließt diesen Band ab.

Jugend – Mode – Geschlecht

Die zwei wesentlichen in diesem Band formulierten und behandelten Fragestellungen betreffen die mediale Präsenz und Repräsentation von Jugend(kultur) sowie Möglichkeiten einer geschlechtlichen Kategorisierung von Adoleszenz. Offensichtlich handelt es sich beim Thema Jugend – Mode – Geschlecht keineswegs um ein Nischenthema – Jugendkultur und Jugendmode sind nicht nur Thema zahlreicher aktueller Publikationen zu Gender und Performance Studies, wie die bibliographischen Hinweise im Band beweisen, sondern auch zentrale strategische Momente der Medienkultur, die Jugend, Mode und Geschlecht nicht nur repräsentiert, sondern größtenteils erst produziert und (gut) verkauft.

Jugend, so die wesentlichen und sich zum Teil überschneidenden Aussagen der Autor/-inn/en, ist in der „postindustriellen Gesellschaft als eindeutig markierte Phase nicht mehr fassbar“ (S. 23), und obwohl Jugend(kultur) für Außenstehende möglicherweise hybrid erscheint, folgt diese jedoch einer streng reglementierten Logik und Struktur. „Hybridität“ und das „Infragestellen der Eindeutigkeit von Gender“ (S. 19) wird von Jugendlichen mitunter als „beängstigend wahrgenommen“ (S. 23), was zu einer starken Dichotomisierung im Bereich der Geschlechterdefinition (S. 19) führen kann.

Die Ergebnisse der sich auf theoretische Ansätze – vornehmlich Butler, Maihofer und Hirschauer – stützenden Feldstudien scheinen darauf hinzuweisen, dass „Körper als Träger einer vermeintlich stabilen, eindeutigen Geschlechtlichkeit“ (S. 19) aufgefasst wird, der Geschlechter polarisiert (vgl. S. 10) und den Jugendliche eher „angepasst als autonom“ (S. 18) gestalten wollen.

S-HE Mades

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Frage nach „postmodernen Lebensstilen“ (S. 16) und Identitätskonstruktionen Jugendlicher, die in einer Parallelbewegung gleichzeitig von „neokonservativen Denk- und Handlungsstilen“ wie auch von pluralistischen „Patchwork-Identitäten“ (S. 16) geprägt sind. Dadurch, dass „bisherige Kategorien wie das Nationale“ (S. 17) allmählich „ihre Gültigkeit verlieren“ (S. 17), entsteht das „Bedürfnis nach unveränderlichen Kategorien und Normierungen“ (S. 18) wie auch nach einer klaren Definition von Geschlecht. Die Jugend entwickelt einerseits ihre eigenen Normen, um sich von der „hegemonialen Gesamtgesellschaft ab[zu]grenzen“ (S. 25) und andererseits ihren „marktförmig angepassten“ (S. 25) Sprachstil, der auf performativer und nonverbaler Ebene Ideen transportiert. Die Körpernormierung und -stilisierung sowie die Verbreitung „jugendkultureller Symboliken“ (S. 29) wird durch „medienspezifische Ökonomie“ (S. 29) bestimmt. Innerhalb dieser Ökonomie, deren Einfluss von den Jugendlichen laut Maike Boecker erkannt (S. 60), laut Almut Carlitscheck und Tinka Stürz nicht erkannt (S. 90) wird, wird Kleidung als „expressiver Ausdruck von Individualität“ (S. 39) empfunden und erfüllt zudem den Zweck, (offenbar unerwünschte) „stilistische Extreme“ (S. 39) zu nivellieren.

Angezogen: Fashion Mades

Dieses Kapitel stellt die Bedeutung von Marken und Markenkult in den Vordergrund. Mit der Wahl einer bestimmten Marke entscheiden sich Jugendliche für ein bestimmtes Kommunikationsmittel (vgl. S. 55). Marken und Markentreue vermitteln Jugendlichen zudem ein besonderes „Schutzgefühl“ (S. 56). Eine unter behinderten Jugendlichen durchgeführte Studie zeigt, dass diese sehr wohl an Kleidung insgesamt und an Marken im Besonderen interessiert sind und bestimmte Marken bevorzugen.

Das durch Marken produzierte und von Jugendlichen akzeptierte geschlechterspezifische Kleiderformat, exemplarisch „XXS“ und „XXL“ (S. 81) benannt, entspricht dem Wunsch nach Normierung von männlichen und weiblichen Körpern. Weiblichkeit wird als „fester Po, straffer Busen, straffe Beine“ verstanden (S. 43) und durch XXS-Kleidung ausgedrückt, Männlichkeit dagegen („muskulös, breite Schultern, schöner Rücken, wohl geformter Körper“; S. 43) wird in XXL-Kleidung verpackt. Der medien- und modegesteuerte Prozess der Kleiderkreation mit einer gleichzeitigen Polarisierung der Geschlechter wird von den Jugendlichen jedoch meist als aktives „Doing Gender“ und als aktive Beteiligung an der Produktion eines individuellen Kleiderstils empfunden (vgl. S. 90).

Anverleibt: Body Mades

Anna Kleinschmidt eröffnet diesen Teil mit einem theoretischen Beitrag zum Thema „Körperkult“ (S. 95), den sie als Versuch deutet, einen „totalen“, vor „Verfall und Tod“ (S. 95) geschützten Körper herstellen zu wollen. Doch ist ihre These, dass Körperkult und Drang nach Perfektion mit gleichzeitiger Angst vor körperlicher Verletzbarkeit ausschließlich auf das 20. Jahrhundert zu beziehen sei, aufgrund mangelnder historischer Perspektivierung (lediglich allgemeiner Hinweis auf das 19. Jahrhundert) nicht gänzlich nachvollziehbar.

Der zweite Teil dieses Kapitels kontextualisiert körpermodifizierende Praktiken, wie das Tattoo oder das Piercing, vor allem kulturgeschichtlich und untersucht deren heutige Bedeutung innerhalb der Jugendkultur. Nur ein „geringer Prozentsatz von Jugendlichen tätowiert oder [pierct] sich“ (S. 120), doch für diese – sowohl „Mädchen als auch Jungen“ (S. 119) – ist diese „Körpermodifizierung“ (S. 120), die meist nicht sichtbar getragen wird, neben „ästhetischen Aspekten“ meist auch „Ausdruck für Persönlichkeit“ und „Individualität“ (S. 119).

Angesehen: Media Mades

Dieses Kapitel behandelt drei verschiedene Aspekte von Medien und Jugend(kultur): Werbung, Spielzeuge, Film. Zunächst wird die „Sonnenblumenkampagne“ von Benetton kritisch beleuchtet, in der sich in einem Sonnenblumenfeld befindliche behinderte Jugendliche als „Engel“ (S. 125) beschrieben werden. Einerseits werden dadurch – wie die Autor/-inn/en nachweisen – „gängige Schönheitsnormen“ (S. 131) durchbrochen, doch andererseits geistig behinderte Kinder und Jugendliche durch den Gebrauch von „Pflanzenmetapher[n]“ (S. 131) und den Vergleich mit Engeln „entmenschlicht“, „infantilisiert“ und als „das Andere“ (S. 131) (Ungeschlechtliche) stigmatisiert.

Die im Anschluss darauf untersuchten Pokémon sind „deshalb so erfolgreich […], weil sie das Bedürfnis von Kindern nach Androgynität bedienen“ (S. 135). Im Laufe des Artikels wird jedoch deutlich, dass Pokémon gar nicht so androgyn sind, wie von den Autorinnen dargestellt, was das geschlechterspezifische Sammlerverhalten gegenüber schwachen (weiblich konnotierten) und starken (männlich konnotierten) Pokémon zeige.

Der Beitrag zur Beziehung von Jugend und Film macht deutlich, dass selbst „alternative Formen der Darstellung von Gender im Film [über Jugendliche]“ (S. 163) nicht in der Lage sind, „patriarchisch geprägte Muster zu durchbrechen“ (S. 163), und im Hinblick auf die Darstellung von Geschlecht weiterhin sehr stereotyp aufgebaut sind.

Kontextualisierungen

Dieses abschließende, dreiteilige Kapitel untersucht zunächst den Begriff „Authentizität“ (S. 173) im Zusammenhang mit Mode und deren Bedeutung für die Jugendlichen. „Authentizität“, über Marken und Kleidung transportiert, ist für Jugendliche ein durchwegs „positiv besetzter“ (S. 182), da mit „Glaubwürdigkeit“ (S. 173) verbundener Begriff.

Ferner wird die Stellung und Bedeutung des Begriffs „Männlichkeit“ (S. 189) analysiert. Dieser Begriff scheint eine Krise durchzumachen, denn Jugendliche können ihn meist nur über das „genitale Geschlecht“ (S. 189) definieren.

Der abschließende Teil fasst die 2002 veröffentlichten Ergebnisse der Shell-Langzeitstudie und deren „positiv konnotierte Grundstimmung“ (S. 199) in Bezug auf Jugendliche zusammen, ohne jedoch diese Studie zu positionieren, kritisch zu beleuchten oder deren Autorität zu hinterfragen.

Fazit

Dieser Band zeugt von der Diskrepanz, die gegenwärtig zwischen innovativen (wissenschaftlichen) Diskursen und realen Jugendkulturen spürbar ist. Während auf Metaebene von „Patchwork-Identität“ (S. 16) die Rede ist, wollen sich die Jugendlichen eher in der altbewährten Dichotomie männlich/weiblich verorten. Nicht die Feldforschungen, sondern die theoretischen Ansätze werden von den Autorinnen und Autoren als Ausgangspunkt und Maßstab genommen, nach denen sich die Jugendlichen „zu richten haben“. Dafür ist die folgende Aussage bezeichnend: „Postmoderne Begriffe der Gender-Identität haben offenkundig die Jugend nicht erreicht“ (S. 194).

URN urn:nbn:de:0114-qn052199

Mag. Katharina Piechocki

Florenz/Università degli Studi/Dipartimento di Filologia Moderna

E-Mail: katharina.piechocki@unifi.it

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