Globale Geschlechter und die Grenzen der Überschreitung

Rezension von Silvia Bauer

Susanne Schröter:

FeMale.

Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern.

Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2002.

255 Seiten, ISBN 3–596–15716–1, € 13,90

Abstract: Gender Crossing, die Überschreitung der hegemonialen Geschlechterstereotypen und insbesondere die Übertretung der jeweils zugeschriebenen sozialen, erotischen und physiologischen Geschlechtsrolle ist Gegenstand der lesenswerten und konzisen Studie der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter. Die Autorin schlägt dabei den Bogen nicht nur von der Antike bis zur Gegenwart, sondern auch rund um den Globus und setzt sich mit den vielfältigen Ansätzen (de)konstruktivistischer Geschlechterforschung und feministischer Identitätspolitik kritisch auseinander. Dabei zeigt sie gegen die Vorstellung von alternativen Geschlechtermodellen in außereuropäischen Kulturen, dass die Konstruktion von Geschlecht als binärer Kategorie offensichtlich universal ist. Gleichzeitig bestehe in allen Kulturen jedoch die Möglichkeit, „sich im Rahmen einer Außenseiterposition über festgelegte Geschlechtsrollen hinwegzusetzen“ (S. 219).

Geschlechtervielfalt und das Ende des Feminismus

Mit der Frage „Was ist ein Mann und was ist eine Frau?“ beginnt Susanne Schröter ihre Studie FeMale und führt in den folgenden vier Kapiteln die Vielfalt der Begriffe, Kategorien, Verkörperungen und Diskurse vor, die die Geschlechterforschung in den vergangenen Jahren geprägt haben. Dabei ist ihr die jeweilige historische und kulturelle Einbettung der Subjekte, die im Rahmen des Zwei-Geschlechtermodells keine eindeutige Position als „Mann“ oder „Frau“ einnehmen, ebenso wichtig wie die Darstellung der historischen Bedingtheit und Veränderung des Gender-Diskurses, der diese Phänomene analysiert und klassifiziert. Der Annahme, dass in nicht-westlichen Kulturen ein liberaleres Geschlechtermodell mit Freiräumen für alternative Geschlechterrollen existiere, tritt die Autorin dabei entschieden entgegen. In dieser Konstruktion utopischer Geschlechterräume sieht Schröter vielmehr eine Gefahr, sich sowohl an der Produktion einer „neue[n] Polarität zwischen dem Eigenen und dem Fremden“ (S. 220) als auch an der „erneuten Exotisierung der ‚Anderen‘ zu beteiligen“ (S. 220).

Das erste Kapitel „Der Feminismus und das Ende der Kategorie Geschlecht“ zeichnet die Entwicklung der Frauenbewegung und Frauenforschung in Deutschland und den USA seit den späten 1960er Jahren bis zu den dekonstruktivistisch orientierten Gender Studies der Jahrtausendwende nach. Schröters Zusammenfassung der feministischen Theoriedebatten liefert einen Überblick von Simone de Beauvoir über Nancy Chodorow und Sherry Ortner bis hin zu Judith Butler und Donna Haraway und ergänzt diese durch die jeweilige Rezeption in der deutschen Frauen- und Geschlechterforschung. Schröters Augenmerk liegt dabei auf der Debatte zum Status von Körper und Materialität einerseits sowie auf der Frage nach dem Subjekt feministischer Theorie andererseits. Die Auflösung der Kategorie Geschlecht in postmodernen Diskursen wird als Bedrohung feministischen Handelns gewertet, in deren Folge sich auch der Feminismus „im Prozess der eigenen Auflösung“ (S. 55) wiederfinde. Schröter argumentiert entschieden für eine „erneute Hinwendung zur Frau als dem Subjekt des Feminismus“ (S. 59), möchte diese Forderung jedoch nicht als „Abkehr aller Erkenntnisse des Konstruktivismus“ (S. 59) missverstanden wissen und schlägt, in Anlehnung an Carol Hagemann-White und Gesa Lindemann vor, sich wieder stärker der Empirie und der Analyse konkreter sozialer Verhältnisse zuzuwenden.

Ambivalente Geschlechter: Travestis, „weibliche Ehemänner“ und „geschworene Jungfrauen“

Interessant werden Schröters Ausführungen vor allem da, wo sie, wie etwa bei der Darstellung des feministischen Differenzparadigmas, ethnologische Forschungsergebnisse zu den Geschlechterverhältnissen in außereuropäischen Kulturen mit den westlich geprägten feministischen Theorien in Dialog treten lässt. Oppositionsbildungen wie Kultur/Natur erfahren in verschiedenen indigenen Kulturen vollkommen andere Bewertungen und symbolische Zuordnungen als im Kontext westlicher Gesellschaften, so dass die festgestellte „bemerkenswerte Diversivität“ (S. 30) den Vorwurf des Ethnozentrismus feministischer Theorie und der unzulässigen „Generalisierung abendländischer Ideen von Männlichkeit und Weiblichkeit“ (S. 25) plausibel erscheinen lässt.

Im zentralen dritten Kapitel der Arbeit werden die vielfältigen „Institutionen des Gender Crossing“ vorgestellt. Die xanith im Oman werden als „zweites männliches gender“ klassifiziert (S. 114), das jedoch nicht eine größere Durchlässigkeit des Gendersystems verkörpere, sondern im Gegenteil dazu beitrage, das hegemoniale binäre Geschlechtersystem, das Frauen und Männern unterschiedliche sexuelle Verhaltensregeln auferlegt, zu stabilisieren. Die xanith nehmen als passive Homosexuelle sozial eine Position zwischen den Geschlechtern ein und können im Lauf ihres Lebens diese Rolle beibehalten, aufgeben oder zwischen den beiden männlichen gender-Optionen hin- und herwechseln. Die brasilianischen travestis, die ähnlich wie die xanith sexuell überwiegend die passive homosexuelle Rolle einnehmen, stylen ihren Körper mittels Hormonen und Silikon zu Repräsentationen perfekter Weiblichkeit um, ohne jedoch den Schritt zur Geschlechtsumwandlung oder Kastration zu gehen. In Indien markiert erst die Kastration die vollendete Transformation zum hijra. Die hijra definieren sich selbst als „unvollständige Männer“ und formieren sich als eigenständige Subkultur von Hermaphroditen, Homosexuellen, Transsexuellen und anderen marginalisierten Formen von Männlichkeit.

Deutlich stellt Schröter die unterschiedlichen Motivationen und sozialen Begründungen für das Gender Crossing heraus. Anders als bei den abweichenden Männlichkeitsformen, bei denen Homosexualität eine entscheidende Rolle spielt, stehen bei den „weiblichen Ehemännern“ in Afrika und den „geschworenen Jungfrauen“ auf dem Balkan, also bei „Frauen“, die eine sozial als männlich definierte Rolle einnehmen, Aspekte wie Eigentumsverhältnisse, Erbfolgen, geschlechtsspezifische Aufgaben, Rechte und Pflichten im Vordergrund.

In allen Beispielen zeigt die Autorin, dass die alternativen Geschlechterpositionen eine wichtige soziale Funktion ausfüllen und gerade nicht zu emanzipatorischen Effekten führen oder geschlechtsspezifische Aufgabenteilungen aufheben. Die Geschlechterdualität wird durch die Gender Crosser bestätigt und stabilisiert.

Jenseits der zwei Geschlechter? Queer Politics und Gender Crossing vor der eigenen Haustür

Schröters ethnologische Darstellungen werden durch die Analyse westlicher Phänomene des Gender Crossing, wie etwa den Performances von ‚drag kings‘, klug ergänzt und kommentiert. Dabei arbeitet sie einerseits historisch die Debatten um das „dritte Geschlecht“ und um den Diskurs zu Homosexualität Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts heraus und übt in diesem Zusammenhang eine fundamentale Kritik an den von Thomas Laqueur vertretenen Thesen vom Übergang vom Ein-Geschlecht- zum Zwei-Geschlechtermodell. Zentralen Stellenwert nehmen in der Argumentation von Schröter der Körper und insbesondere die medizinische Diskursivierung von Geschlecht und Sexualität ein. Das abschließende Kapitel bildet eine Klammer mit dem Einstiegskapitel zur Entwicklung der feministischen Theoriebildung und betrachtet Gender Crossing aus der Perspektive der Lesbian Studies und Queer Theory.

Mit FeMale: Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern ist Susanne Schröter ein klar strukturierter, informativer und gut lesbarer Überblick zu den diversen Phänomenen des Gender Crossing und deren theoretischen, kulturellen und historischen Kontextualisierungen gelungen. Die im Epilog aufgeworfenen Fragen zu neuen Ansätzen, die Kategorie Geschlecht weiter und anders zu denken, sowie die Kritik postkolonialer Anthropologie verdienen es, an anderer Stelle weitergeführt zu werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn052216

Silvia Bauer

München

E-Mail: silviabauer@gmx.net

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