o.A.:
Feminismus, Gender, Geschlecht.
Themenschwerpunkt in: Widerspruch. Beiträge zu sozialistischer Politik. Heft 44, 23. Jg.
Zürich: Förderverein Widerspruch 2003.
232 Seiten, € 16,00
Abstract: Die Autorinnen des Bandes Feminismus, Gender, Geschlecht der schweizerischen Zeitschrift Widerspruch diskutieren die Chancen und Risiken von Gender-Mainstreaming-Strategien im Horizont des neoliberalen Gesellschaftsumbaus und fragen im Diskussionsteil nach den Erkenntnispotenzialen und herrschaftskritischen Perspektiven der feministischen Theorie bzw. poststrukturalistischer und konstruktivistischer Ansätze.
Der bereits in zweiter Auflage erschienene Band Feminismus, Gender, Geschlecht der schweizerischen Zeitschrift Widerspruch setzt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen des europaweit verankerten, gleichstellungspolitischen Konzepts des Gender-Mainstreamings (GM) auseinander. Darüber hinaus werden höchst kontrovers aktuelle Perspektiven feministischer Theorie und die Bedeutung des Wandels von der Frauen- zur Geschlechterforschung diskutiert.
Die Bewertung von GM fällt ernüchternd aus. Fast alle Autorinnen teilen die Ansicht, dass GM anschlussfähig an neoliberale Strategien ist, womit institutionelle Gleichstellungserfolge konterkariert werden. Vor allem bestehe die Gefahr der öffentlichkeitswirksamen Delegitimation politisch und moralisch begründeter feministischer Forderungen nach gerechter Teilhabe und struktureller Veränderung.
Überzeugend zeigt Barbara Nohr am Beispiel der bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Gleichstellungspolitik auf, dass es zu einer diskurspolitischen Verschiebung kommt. Die Forderung nach gleichstellungspolitischen Maßnahmen wird nicht mehr mit der Notwendigkeit des Abbaus struktureller Ungleichheiten begründet:: In der Diskussion um Total E-Quality, Diversity Concept und Gender Mainstreaming setzt sich „diskursiv ein Gesellschaftsbild durch […], in dem Unterschiede auf Unterschiede an ‚Leistungsfähigkeit‘ zurückgeführt werden“ (S. 58).
Ob Gender Mainstreaming nicht „alter Wein in neuen Schläuchen ist“ (S. 5), fragt Stella Jaegher, die paradigmatisch ausführt, dass GM als Maßnahme, die auf Verwaltungs- und Organisationshandeln zielt, an konkrete institutionelle Voraussetzungen geknüpft ist. Zentral ist erstens das Einvernehmen der jeweiligen Führungsgremien („Top-down“-Ansatz); zweitens die Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen; drittens die Vorgabe von eindeutigen und verbindlichen Zielen; viertens die Bereitstellung von sachgerechten Hintergrundinformationen („Gender-Wissen“) und fünftens das Vorhandensein von frauen- bzw. gleichstellungspolitischen Fachstellen und Fachfrauen. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, könne es erfolgversprechend sein, „Gender Mainstreaming als neues Gefäß und Transportmittel für die alten Ziele anzuwenden“ (S. 15).
Die Kompatibilität von GM-Strategien und neoliberalem Gesellschaftsumbau heben Susanne Schunter-Kleemann und Katharina Pühl in ihren Beiträgen ausdrücklich hervor. Für Schunter-Kleemann stellt GM eine Variante neoliberaler Politik dar, die „klassische“ frauenpolitische Forderungen nicht ersetzen kann. Vorteile des Konzepts seien zwar, dass GM mit Behördenautorität ausgestattet sei, Männer als Bündnispartner gewonnen werden können, die Geschlechterfrage in männlich dominierten Organisationen diskutiert und ein neues Arbeitsmarktsegment geschaffen werde (z. B. Gender-Trainings). Jedoch werden Schunter-Kleemann zufolge die „neuen Optionen […] grandios überschätzt“ (S. 30). Zum einen sei GM als institutionelle Maßnahme erst einmal „leer“, d. h. von seinen Umsetzungsbedingungen abhängig, und zum anderen fungiere GM als Strategie, die auf die Integration relativ weniger, gut ausgebildeter Frauen abziele. Zudem werden institutionelle Erfolge ausgehebelt durch die Privatisierung öffentlicher Dienste, die Flexibilisierung und Deregulierung von Arbeitsverhältnissen und die zu Lasten von Frauen gehende Privatisierung sozialer Risiken.
Auch Katharina Pühl weist ausdrücklich auf die Kontextgebundenheit von GM sowie die Anschlussfähigkeit emanzipativer Strategien an neoliberale Diskurse hin. Sie fragt darüber hinaus nach den geschlechterpolitischen Möglichkeiten, die das Konzept des GM in subjekttheoretischer Perspektive eröffnet bzw. verschließt, und diskutiert Gender Mainstreaming als Teil einer neoliberalen Flexibilisierungsstrategie. In Anlehnung an Foucaults Konzept der Gouvernmentalität begreift sie GM als Teil eines Bestands von „Führungstechniken […], die Selbst- und Fremdtechnologien betreffen und die auf mehr zielen als auf reibungslose bzw. weniger geschlechterdiskriminierende Abläufe“ (S. 69).
Verhalten positiv wird Gender Mainstreaming nur von Natalie Imboden bewertet. Wenngleich sie ebenfalls die konkreten Erfolgschancen des Konzepts aufgrund der Bindung an spezifische institutionelle Voraussetzungen als gering einschätzt, plädiert sie dafür, sich pragmatisch „die gegebenen Elemente zunutzte zu machen und im Rahmen unterschiedlicher Gleichstellungspolitiken anzuwenden“ (S. 94).
Festzuhalten bleibt, dass fast alle Autorinnen darauf hinweisen, dass der institutionelle Erfolg von GM-Strategien an eine Vielzahl institutioneller Voraussetzungen und Handlungsbedingen geknüpft ist: eine zentrale Erfolgsbedingung ist die „bottom-up“-Strategie, d. h. die Notwendigkeit, dass engagierte Akteur/-innen internen und gegebenenfalls externen Druck ausüben und die Gleichstellung von Frauen und Männern auch gegen Widerstände verfolgen. Darüber hinaus kann bzw. sollte Gender Mainstreaming außerinstitutionelle feministische Forderungen zwar ergänzen, jedoch nicht ersetzen.
Eine zentrale Fragestellung der im Diskussionsteil versammelten Beiträge ist, ob der herrschaftskritische Ansatz (sozialistischer) feministischer Theorie durch den konstruktivistischen bzw. poststrukturalistischen Paradigmenwandel verloren gehe bzw. welche Perspektiven damit eröffnet werden.
Die Umorientierung von der Frauen- zur Geschlechterforschung stellt Andrea Maihofer zufolge einen „wichtige[n] theoretische[n] Schritt“ (S. 135) dar. Mit Bezug auf die mit den verschiedenen Forschungsphasen einhergehenden Leitfragen kann Maihofer zeigen, dass die Orientierung zur Geschlechterforschung als produktive Öffnung zu charakterisieren ist, d. h. als eine „Radikalisierung der mit der Frauenforschung aufkommenden Einsicht in die fundamentale Bedeutung von Geschlecht für die Erkenntnis der Gesellschaft“ (S. 144). Im Rahmen der Geschlechterforschung kann die Komplexität der Kategorie „Geschlecht als zentralem gesellschaftlichen Organisations- und Herrschaftsprinzip“ (S. 144) in den Blick genommen und ihre Verwobenheit mit weiteren konstitutiven Herrschaftsverhältnissen berücksichtigt werden.
Claudia von Werlhof hingegen sieht die „neuere angebliche Frauenforschung, die sich als Gender-Forschung bezeichnet“ (S. 174), nicht als Fortführung eines herrschaftskritischen feministischen Diskurses, sondern als „patriarchale (‚postmoderne‘) Gegenantwort“ (S. 181) und wirft ihr vor – allerdings verschiedene Ansätze sehr pauschal vereinheitlichend –, dem „frauenfeindlichsten Projekt der Geschichte“ (S. 177) zu folgen. Im Naturbegriff sieht Werlhof das Hauptproblem: die Gender-Forschung schließe in ihrer Bezugnahme auf neue Technologien wie Reproduktionsmedizin und Gentechnik an einen patriarchalen Begriff von Natur als beherrschende, anzueignende „letztlich gänzlich zu ersetzende […] ‚Biologie‘“ (S. 177) an.
Demgegenüber ist es Tove Soilands Anliegen, das Denken der sexuellen Differenz in den neueren Schriften Luce Irigarays vom Vorwurf der „konservativen Wende“ (S. 160) hin zu einem Rekurs auf eine quasi-natürliche Zweigeschlechtlichkeit zu befreien. Differenziert kann Soiland zeigen, dass das Denken der sexuellen Differenz als eine gegenüber früheren Arbeiten präzisierte Antwort Luce Irigarays auf Lacan aufzufassen ist. Irigaray schreibt dem weiblichen Subjekt in der symbolischen Ordnung die Funktion zu, ein Zeichen zu sein, das ein Verhältnis zwischen Männern begründet. Dieses Verhältnis ist zudem noch analog dem Warenaustausch strukturiert. D. h. das symbolische und materielle Verhältnis, in dem Frauen als Ware, als Körper und als Zeichen eine Beziehung zwischen Männern anzeigen bzw. begründen, konstituiert eine asymmetrische Subjektposition. Soiland fragt daher abschließend, ob „die Pluralisierung der Geschlechter jenen geschlechterasymmetrischen Bezug, der der Selbstidentität inhärent ist“ (S. 167), überhaupt tangiert oder ob nicht „die Einforderung einer bei diesem Prozeß negierten weiblichen Subjektposition“ (S. 167) angemessener wäre, um der Bedingtheit und asymmetrischen Vergesellschaftung menschlicher Subjektivität gerecht zu werden.
Fordert Soiland somit ihre Leser/-innen auf, die Pluralisierung der Geschlechter über Butler hinaus zu denken, so geht es Patricia Purtschert um eine Neulektüre von Judith Butlers Gender Trouble. Mit der deutschsprachigen Rezeption Anfang der 90er Jahre sei ein Diskussionsfeld festgelegt worden, „das die feministische Diskussion poststrukturalistischer und dekonstruktiver Ansätze […] bis heute bestimmt“ (S. 148). Purtschert zufolge wurden die politischen Implikationen der Thesen Butlers ebenso ausgeblendet wie der Zusammenhang zwischen der Naturalisierung von Geschlecht und heterosexueller Matrix. In (kritischer) Anlehnung an Andrea Rödig und Andrea Maihofer setzt sich Purtschert vor allem mit Hilge Landweer und Barbara Duden auseinander und resümiert, dass der Bezug auf ein Ökonomieverständnis notwendig sei, „das den Bereich des Symbolischen mit einschließt, diesen als immer schon mit dem Materiellen verschränkt denkt und gleichzeitig radikal anti-essentialistisch operiert“ (S. 154).
Frigga Haug rekapituliert Kernpunkte US-amerikanischer und deutschsprachiger feministischer Theoriebildung und geht ausführlich auf die Thematisierung des Geschlechterverhältnisses bei Butler, Becker-Schmidt/Knapp und Fraser ein. Während sie die politische Perspektive Butlers einerseits für eine auf wechselnden Bündnissen beruhende Linke als „befreiende Seite“ (S. 126) wertet, kritisiert sie, dass in Butlers Perspektive andererseits die notwendige Reproduktion der Menschen gegenüber dem Symbolischen vernachlässigt werde. Insgesamt sei über die von ihr diskutierten Ansätze hinaus eine „differenzierende Verbindung historisch-vergleichender und auf Übergänge achtender Studien mit gesellschaftstheoretischem sowie mit subjektwissenschaftlichen Aspekten“ (S. 132) nötig, um dem Anspruch der Analyse der Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse bzw. als „Verhältnisse, die der Mensch in der Produktion des Lebens eingeht“ (S. 132), zu genügen.
Auch wenn man die grundsätzliche Kritik Claudia von Werlhofs nicht teilt, versammelt der Band höchst lesens- und bedenkenswerte, zu konstruktivem Weiterdenken und kontroversen Diskussionen auffordernde Beiträge.
Vor allem die im Diskussionsteil versammelten Artikel zeigen ein plurales, zum Teil widersprüchliches Feld von Anschlussmöglichkeiten an poststrukturalistische Theoretikerinnen wie Judith Butler und Luce Irigaray auf. Die im Schwerpunktteil versammelten Beiträge weisen überzeugend auf die Grenzen des Gender Mainstreaming hin, ohne Anknüpfungsmöglichkeiten gänzlich zu verwerfen und eröffnen so die Möglichkeit, über die dem neoliberalen Wandel angemessene Weiterentwicklung und Ergänzung von Gender-Mainstreaming-Strategien nachzudenken.
URN urn:nbn:de:0114-qn052242
Eva Sänger
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