Ruth Seifert, Christine Eifler/Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):
Gender und Militär.
Internationale Erfahrungen mit Frauen und Männern in Streitkräften.
Königstein/Ts.: Ulrike Helmer 2003.
312 Seiten, ISBN 3–89741–131–8, € 24,95
Abstract: Dieser Band der Heinrich-Böll Stiftung enthält aktuelle internationale Forschungsergebnisse zum Verhältnis von Gender und Militär. Das Themenspektrum in den Beiträgen reicht von der Frage nach der Repräsentation von Frauen in den jeweiligen Streitkräften bis zu Untersuchungen zur gesellschaftlichen Rolle des Militärs bei der Konstruktion von Gender.
Wie die Herausgeberinnen Christine Eifler und Ruth Seifert feststellen, steht die wichtige Frage nach der zunehmenden Integration von Frauen in die Streitkräfte international im Mittelpunkt der Diskurse. In ihrem Aufsatz „Diskurse und Konjunkturen im Verhältnis von Militär und Geschlecht in Deutschland und den USA“ zeigt Ruth Seifert anhand der Integration von Frauen in die Armeen der NATO-Staaten, dass der Militärdienst immer noch kein „Job wie jeder andere“ (S. 25) ist, da Professionalität und Geschlecht im Gegensatz zu anderen Berufsfeldern offen aneinander geknüpft werden. Die zentralen Debatten beschäftigen sich derzeit insbesondere mit der Öffnung der Kampfeinheiten für Frauen. Die Argumentationen der Gegner und Gegnerinnen einer Integration von Frauen in die Streitkräfte bewegen sich dabei in unterschiedlicher um zwei Punkte: einerseits um die angebliche natürliche Bestimmung und das Schutzbedürfnis von Frauen und andererseits um die Vorstellungen eines spezifischen weiblichen Arbeitsvermögens. In welchem Ausmaß und auf welche Weise Frauen in nationale Streitkräfte integriert werden, liegt neben den unterschiedlichen kulturellen Kontexten auch an den verschiedenen Formen von Wehrdienst-, Freiwilligen- und Berufsarmeen.
In ihrer Bestandausnahme „Die Integration von Frauen in die ungarischen Streitkräfte“ stellt Mária Szabó fest, dass die 2003 begonnene Umwandlung der ungarischen Streitkräfte in eine Berufsarmee zu einer vorsichtigen Integration von Frauen beiträgt. Gegen diese Veränderung bestehen jedoch bedeutende Vorbehalte innerhalb der Armee, die sich auf traditionelle Geschlechterstereotype stützen. Eine wissenschaftliche Debatte über den Zusammenhang von Gender und Militär stehe – so Szabó – noch aus.
In Russland dagegen hat sich mittlerweile eine umfangreiche Integration von Frauen in die Armee ereignet, wie Christine Eifler in ihrem Aufsatz „‚Weil man nun mit uns rechnen muss…‘ Frauen in den Streitkräften Russlands“ zeigt. Dieser Integrationsprozess geht mit einer Krise militärischer Männlichkeit einher. Eiflers Studie zeigt, wie die Soldatinnen ihre eigene Berufsidentität konstruieren, indem sie sich durch die Betonung traditioneller Geschlechterdifferenz von der hegemonialen maskulinen militärischen Kultur abgrenzen.
Dass die Geschichte der militarisierten „Maskulinität von Kontinuitäten, Transformationen, Brüchen und Krisen gezeichnet“ (S. 157) ist, diskutiert auch Sabine Frühstück in ihrem Beitrag „‚Nur nicht kampflos aufgeben!‘ die Geschichte des japanischen Militärs.“ Frühstück zeigt, dass es notwendig ist, die Pluralität von Männlichkeitskonstruktionen in Japan zu reflektieren, um die Bedeutung der Integration von Frauen in das japanische Militär einschätzen zu können. Ein weiteres Ergebnis ihrer Studie ist, dass das japanische Militär zwei konträre Gender-Strategien verfolgt: im Interesse eines positiven Images der Armee in der Zivilgesellschaft werde suggeriert, dass in den Streitkräften eine gleichstellungsorientierte Integrationspolitik betrieben werde. Andererseits werde versucht, Gender-Stereotype zu nutzen, um die Armee zu stabilisieren.
Ganz anders verhält sich die diskursive Konstruktion der Soldatin in China, wie Nicola Spakowski in ihrem historischen Überblick „Die Konstruktion der Soldatin in der Volksrepublik China: Das sozialistische Gleichheitspostulat und seine Untergrabung“ feststellt. Auch in den chinesischen Streitkräften sind Frauen nur marginal – und mit der üblichen Segregation in Hinsicht auf Dienstgrade und Positionen – vertreten. Das Bild der kämpfenden Frau habe jedoch gesellschaftlich einen „hohen symbolischen Stellenwert“ (S. 189). Diese Diskrepanz zwischen sozialistischem Gleichheitspostulat und gesellschaftlicher Realität sei jedoch kein öffentliches Thema.
In Armeen spiegeln sich gegebene Geschlechterverhältnisse nicht einfach wider, militärische Diskurse konstruieren diese vielmehr aktiv mit. Wie eine Armee versucht, dieses Gender-Wissen in die eigene Gleichstellungspolitik zu integrieren, stellen Rachel Woodward und Patricia Winter in ihrem Aufsatz „Genderdiskurse in der britischen Armee“ dar. Das ihrer Studie zugrunde liegende Material sind parlamentarische Debatten sowie Verlautbarungen des Verteidigungsministeriums und der Armee. Dabei geht es den Autorinnen „nicht um Fragen wie ‚Repräsentativität‘, sondern um die politische Richtungen, die diese signalisieren und die daraus erwachsenen Konsequenzen“ für die Gesellschaft (S. 227). Sie konzentrieren sich auf drei Diskurse zur Geschlechterintegration, in denen gleichstellungsorientierte Tendenzen – sowie deren derzeitige Grenzen – in der britischen Armee deutlich werden: die Ausdehnung der Verwendung von Frauen für das Militär, den „Zusammenhang“ zwischen Gender und Kampfkraft sowie die Einführung eines gender-freien Fitnesstests für die Auswahl von Rekruten und Rekrutinnen.
Von solchen Formen der Geschlechterintegration ist die Bundeswehr noch weit entfernt, wie Jörg Keller in seinem Aufsatz „Küss die Hand gnäd’ge Frau… – oder: Ist die Soldatin möglich?“ verdeutlicht. Er zeigt, dass Soldatinnen durch das Tragen einer Uniform nicht zu gleichwertigen Militärangehörigen werden. Publikationen der Bundeswehr zur Nachwuchswerbung verweisen, wie Keller zeigt, auf die nachrangige Position von Frauen. Dies wird daran deutlich, so Keller, dass Soldatinnen weit entfernt von den Kernfunktionen des Militärs, der „organisierten Anwendung von Gewalt“ (S. 251), dargestellt werden. Wenn sie gemeinsam mit männlichen Kollegen gezeigt werden, so geschieht dies entlang hierarchischer Geschlechterstereotype.
Die Vorteile der Integration von Frauen aus Sicht der US-amerikanischen Armee thematisiert Brian Reed in seinem Beitrag „Die Überlegungen zur gender-orientierten Grundausbildung aus der Sicht eines Offiziers“. Seine Ausführungen stützen sich auf die Ergebnisse einer dreijährigen empirischen Studie des United States Army Research Institute for the Behavioral and Social Sciences (ARI). Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass sowohl die männlichen als auch die weiblichen Absolvierenden der Grundausbildung in den gemischtgeschlechtlichen Einheiten bessere Ergebnisse erzielten.
Welche Bedeutung die Gender-Politik der Streitkräfte für die Geschlechterverhältnisse einer Gesellschaft hat, untersucht Edna Levy in ihrem Aufsatz „Die paradoxe Geschlechterpolitik der israelischen Armee“. Levy zeigt, dass der Dienst in der Armee eine wichtige Grundlage für den staatsbürgerlichen Status in Israel darstellt. Obwohl der Wehrdienst für Männer und für Frauen gleichermaßen verpflichtend ist, bringt er den israelischen Frauen nicht die gleichen gesellschaftlichen Vorteile. Ein Grund dafür liege, so Levy, in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der israelischen Armee. Diese legt Frauen auf eine traditionelle weibliche Geschlechterrolle fest. Levys interessante Analyse gilt der symbolischen Ebene der Darstellungen der Soldaten und Soldatinnen in den israelischen Medien und Publikationen der Armee. Diese entsprechen den Stereotypen des aktiven Mannes und der passiv-unterstützenden Frau und unterstreichen damit die Rolle, die den israelischen Frauen zugedacht ist: „die Nation zu fördern, zu unterstützen und für ihren Fortbestand zu sorgen, nicht aber, sie aktiv mitzugestalten“ (S. 70).
Welche Umgangsformen die wenigen Soldatinnen entwickeln, die in traditionell männlichen Positionen arbeiten, beschreibt Orna Sasson-Levy im Aufsatz „Frauen als Grenzgängerinnen im israelischen Militär – Identitätsstrategien und -praktiken weiblicher Soldaten in ‚männlichen‘ Rollen“. Um in diesen Positionen mit hohem Prestige bestehen zu können, nehmen die Soldatinnen den männlich-militärischen Habitus an und lehnen traditionelle Weiblichkeit ab. Sasson-Levy betont dabei die Ambivalenz dieser Strategie. „Das Nachahmen männlicher Verhaltensmuster beinhaltet zweifellos einen subversiven Aspekt, da militärische Gendernormen in Frage gestellt werden. Es beinhaltet aber auch Aspekte von Unterwerfung unter zentrale Gendernormen des Militärs“ (S. 95).
Mit dem Verhältnis zwischen „Staatsbürgerstatus und Militär in den USA“ beschäftigt sich auch Francine D’Amico. Im Gegensatz zu Levy und Sasson-Levy diskutiert D’Amico diese Frage jedoch unter der erweiterten Fragestellung nach dem Umgang mit Diversity. Diese schließt auch die Marginalisierung von ethnischen Minderheiten und Homosexuellen im Militär ein.
Dem Verhältnis von Gender und Militär haben sich die Autorinnen und Autoren auf ganz unterschiedliche Weise genähert. Qualitativ stechen einige Aufsätze heraus, in denen die Ergebnisse oftmals mehrjähriger empirischer Forschungsarbeit dokumentiert werden. Besonders positiv fällt ebenfalls auf, dass verschiedene Aufsätze die Kategorie Gender nicht auf „Frauen“ verkürzen, indem sie die Komplexität von Gender ernst nehmen und das jeweilige Gender-Verständnis der Autorinnen und Autoren thematisieren. Auch wenn diese qualitative Dichte nicht durchgängig von allen Aufsätzen erreicht wird, ist allein die Bandbreite des Überblicks über internationale Diskurse beachtlich und macht dieses Buch zu einem ausgesprochen lesenswerten Sammelband.
URN urn:nbn:de:0114-qn052253
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