Regula Stämpfli:
Mit der Schürze in die Landesverteidigung.
Frauenemanzipation und Schweizer Militär 1914–1945.
Zürich: Orell Füssli 2002.
288 Seiten, ISBN 3–280–02820–5, € 25,50
Abstract: Regula Stämpfli analysiert den Zusammenhang zwischen der Mobilisierung von Frauen für die Landesverteidigung und den ihnen zugestandenen Staatsbürgerrechten in der Schweiz von 1914 bis 1945. In einem historischen Bogen vom Ersten Weltkrieg, der von starkem weiblichen Engagement in der Sozialarbeit gekennzeichnet war, über die Debatten zur schweizerischen Demokratie in der Zwischenkriegszeit bis zum Frauenhilfsdienst im Zweiten Weltkrieg verfolgt sie, in welchem Ausmaß die Aufrechterhaltung der alten Geschlechterordnung oberste Leitlinie für Politik und Militär war. Die Integration von Frauen und Frauenverbänden in die Landesverteidigung war instrumentell und unvollständig. Trotz gegenteiliger Hoffnungen wurden ihnen bis 1971 politische Rechte verweigert.
Um zu erklären, warum die Schweizerinnen erst so spät politische Rechte bekamen, reicht ein Verweis auf die direkte Demokratie in der Schweiz nicht aus. Regula Stämpfli zeigt anhand der Geschichte des Einsatzes der Schweizerinnen für die Landesverteidigung weitere Erklärungsfaktoren auf. Das politische System mit seinem Föderalismus und Neben- wie Ehrenämtern band Frauen und Frauenorganisationen eng an die Machthabenden, ohne ihnen freilich echte Mitbestimmung zu gewähren. Eine Integration zweiter Klasse, nämlich ohne Entscheidungsbefugnisse und zu schlechteren Bedingungen, für das nationale Wohl des Volkes führte dazu, dass auch nach dem Zweiten Weltkrieg politische Rechte für Frauen als nicht legitim galten.
Die Autorin nimmt die Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs näher unter die Lupe, untersucht die Strategien der Frauenorganisationen in der Zwischenkriegszeit und zeigt anschließend deren Integration in die „Geistige Landesverteidigung“ Ende der 30er Jahre auf. Daraus folgte die Integration der Frauenverbände in die Kriegswirtschaft als „Bindeglied zwischen Vater Staat und Mutter Küche“. Bei den Kontroversen um die Ausgestaltung des Militärischen Frauenhilfsdienstes sowie die Mobilisierung weiblicher landwirtschaftlicher Arbeitskräfte für die „Anbauschlacht“ wird deutlich, wie sehr die politischen Entscheidungen immer auch davon geprägt waren, die alte Geschlechterordnung möglichst nicht anzutasten.
Stämpfli nennt den Ersten Weltkrieg den „Triumph der Geschlechtertrennung“. In Erweiterung des bisherigen weiblichen Engagements stellten Frauen große Teile der Versorgung sicher. Es entstanden die auch heute noch wichtigen sog. „Frauenzentralen“, Netzwerke v. a. bürgerlicher Frauenvereine zur Organisation des Kriegsalltags. Dieser war durch Mangelpolitik und Missmanagement gekennzeichnet: Weder gab es Maßnahmen gegen die wachsende Lebensmittelknappheit noch gab es eine finanzielle Kompensation für die Soldaten, die zur Grenzbesetzung abkommandiert waren, so dass deren Familien auf sich gestellt waren. In dieser Situation gelang es der tatkräftigen Else Züblin-Spiller innerhalb weniger Monate, mit dem „Schweizer Verband Soldatenwohl“ weibliches Organisationsvermögen unter Beweis zu stellen. Die Verteilung von Rationen von Schnaps, Brot und kalten Kartoffeln wurde bald durch vereinseigene „Soldatenstuben“ entlang der Grenzen ersetzt, in denen die Männer mit warmen Mahlzeiten, alkoholfreien Getränken, mit kulturellen Veranstaltungen und gestopften Socken versorgt wurden. (Heute verpflegt der sog. SV-Service hungrige Studierende, www.sv-group.com). Mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Aufgaben der Geschlechter forderten die Frauenverbände gleiche politische Teilhabe, doch aus dem Differenzargument erwuchsen keine Chancen auf politische Rechte, denn gerade in der Schweiz war der Nexus zwischen Wehrpflicht und Wahlrecht sehr stark.
In der Zwischenkriegszeit, als die ersten kantonalen Abstimmungen zum Frauenwahlrecht mit Niederlagen endeten und entsprechende Petitionen in den Schubladen der Regierung verschwanden, kam es im Kontext wirtschaftlicher Krisen und autoritärer politischer Entwicklungen inner- und außerhalb der Schweiz zu einer patriotischen Integration der Frauenorganisationen in den bürgerlichen Staat. Weder gelang es, sich überverbandlich auf eine Agenda zur Verteidigung demokratischer Prinzipien zu einigen noch Allianzen in die Männerreihen hinein zu knüpfen (zwei Schwierigkeiten, die auch heute nicht überwunden scheinen). Die vaterlandstreuen Wendungen von Frauenverbänden sind geradezu klassisch, und hier wäre ein Vergleich mit ausländischen Forschungsergebnissen anregend gewesen.
In den dreißiger bis zur Mitte der vierziger Jahre wurde die Schweiz mit einem „Vollmachtenregime“ regiert, das Grundrechte und demokratische Verfahren teilweise außer Kraft setzte. Allerdings öffneten sich für Organisationen und Verbände Einflussmöglichkeiten. Sie wurden in Entscheidungsfindung und -ausführung einbezogen. Dies geschah auch mit den Frauenverbänden bei der inneren kriegswirtschaftlichen Front. Stämpflis Blick in die Quellen zeigt auf, wie zweischneidig dieser Erfolg war, denn zwar war weibliches Fachwissen gefragt, doch echte Mitsprache wurde nicht gewährt.
In der Entwicklung von zivilem und militärischem „Frauenhilfsdienst“ – im Luftschutz, im Sanitäts- und Logistikbereich sowie in der Sozialfürsorge – wird patriarchales Containment deutlich. Frauen wurden separat organisiert, und sehr viel Energie wurde darauf verwendet, auf der symbolischen Ebene die Geschlechtertrennung zu stärken: so wurden Uniformen größtenteils selbst bezahlt, waren Hosen nach Erörterungen auf höchster Ebene nur in Notfällen erlaubt, und eine Bewaffnung stand außer Frage. Für die „Anbauschlacht“ ab 1940 wurden v. a. Frauen und Jugendliche für die Landwirtschaft mobilisiert. Um die Geschlechterordnung im Bereich der Arbeit zu stützen und Frauen nicht etwa als Ersatz für ausgefallene männliche Erwerbstätige anzusehen, war aber auch diese Integration zweitklassig und diskriminierend: ohne Sicherung des Arbeitsplatzes, ohne geklärten Unfall- und Krankenversicherungsschutz. Während Soldaten während des Zweiten Weltkriegs über die Lohnersatzordnung für den Ausfall von Lohn entschädigt wurden, gab es dies für die Frauen in Landdienst und Frauenhilfsdiensten nicht. Den Frauenverbänden und vielen in die Dienste integrierten Frauen fiel es schwer, weibliche Leistungen als Argumente für Gleichberechtigung geltend zu machen. Und nach dem Krieg schien die Rückkehr zur „Normalität“ oberstes Ziel in der Politik.
Regula Stämpfli hat ein Buch geschrieben, das spannend und anschaulich zu lesen ist. Die Entscheidung für diese „populärwissenschaftliche Auskopplung“ aus ihrer Dissertation geht allerdings manchmal auf Kosten der analytischen Tiefe und der Verknüpfung der Frage von Geschlechterverhältnis und Kriegserfahrung. Dafür lohnt sich ein Blick in die eigentliche Dissertation („Mit der Schürze in die Landesverteidigung 1914–1945. Staat, Wehrpflicht und Geschlecht“. Dissertation der Universität Bern, Bern 1999), in der sich die Autorin auch politisch kritischer äußert. Als Beitrag zur schweizerischen Geschlechtergeschichte ist die Studie, die einen beeindruckenden Quellenfundus verarbeitet hat, unschätzbar. Dass ihre Erkenntnisse für die heutigen Strategien der Frauenbewegung genutzt werden, ist ein Wunsch der Rezensentin.
URN urn:nbn:de:0114-qn052264
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