Berufsbiografie und Familiengründung im methodischen Korsett

Rezension von Mechthild Veil

Thomas Kühn:

Berufsbiografie und Familiengründung.

Biografiegestaltung junger Erwachsener nach Abschluss der Berufsausbildung.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004.

330 Seiten, ISBN 3–531–141570, € 29,90

Abstract: In der Studie werden die ambivalenten Beziehungen zwischen Berufsbiografie und Familiengründung bei jungen Erwachsenen mit abgeschlossener beruflicher Ausbildung untersucht. Geschlechtsspezifische Fragestellungen spielen insofern eine Rolle, als zwischen dem Handeln und den Erwartungen von Männern und Frauen unterschieden wird. Vorherrschend sind jedoch methodische Fragen und das Ziel, Typologien zu entwickeln.

Die Studie ist im DFG-Sonderforschungsbereich „Statuspassagen und Risikolagen im Lebenslauf“ an der Universität Bremen (1988–2001) entstanden. Mit der Analyse des Zusammenhangs von Berufsbiografien und Prozessen der Familienplanung steckt der Autor ein innovatives Forschungsterrain mit hoher gesellschaftlicher Relevanz ab. Mit der Studie sollen die bisherigen „Revierabgrenzungen“ in der Forschung zum Erwerbsbereich einerseits und den privaten Lebenszusammenhängen andererseits überwunden, und es soll ein Beitrag zum Verständnis der Kinderlosigkeit in Deutschland und zu dem Phänomen, „dass Familiengründung nach wie vor der Stabilisator traditioneller Geschlechterverhältnisse ist“ (S. 31) geleistet werden. Letzteres wird nicht eingelöst. Die Arbeit liefert keine Erklärungen für die „bedrohliche Kinderlosigkeit“ (eine unhinterfragte Feststellung). Die unter „Fazit und Ausblick“ formulierten Vorschläge für familienpolitische Debatten ergeben sich nicht eigentlich aus der Arbeit selber. Ihnen ist in ihrer Allgemeinheit allerdings nicht zu widersprechen. Die Stärke der Arbeit liegt in der Verbindung beider Lebensbereiche und in der Einbeziehung der Männer. Der Großteil der Studie ist zwar geschlechtsneutral („geschlechtsübergreifend“) formuliert – „junge Erwachsene“ – zwei Kapitel beziehen sich jedoch explizit auf Männer bzw. Frauen.

Kompliziertes Forschungsdesign

Rund die Hälfte der Studie widmet sich methodischen Fragen und der Herausarbeitung neuer Typologien zum beruflichen Handeln und zur Familienplanung. Die Lektüre wird nicht leicht gemacht. Eine Vielzahl von Kriterien, Schlüsselkonzepten, Kategorien, die zudem computergerecht in Tabellenform dargeboten werden führen dazu, dass das Interesse an inhaltlichen Aussagen aufgrund der Überfrachtung mit technischen Details erlahmt. Weil der Autor die Übertragbarkeit der von ihm entwickelten Instrumentarien auf andere Forschungsfelder nicht diskutiert, stellt sich die berechtigte Frage nach dem Verhältnis von Methodendiskussion und den zu erwartenden Ergebnissen.

Um was geht es?

Typologien zur Gestaltung von Berufsbiografien und zur Familienplanung

Der Forschungsfrage, wie die Gestaltung der Berufsbiografien mit familiären Planungsprozessen verbunden ist, nähert sich der Autor in mehreren Schritten und mit einer eigenen Methodik:

Der erste Einstieg in das Datenmaterial ist eine computergestützte Kodierung der Interviewtexte nach zeitlich-biografischen, thematischen Kategorien und nach Familienmerkmalen. Die Auswertung erfolgt nach der Methode des „doppelten Blicks“, induktiv und durch Rückgriff auf ein „theoretisch beeinflusstes Begriffsinventar“. Die durch die induktive Methode gewonnenen Fallanalysen dienen als Basis für wiederholte Fallvergleiche, aus denen der Autor verschiedene Dimensionen des beruflichen Handelns und der Familienplanung entwickelt und zu Typologien zusammenfasst. Für die Gestaltung von Berufsbiografien stellt Kühn ein handlungstheoretisches Modell der „berufsbiografischen Gestaltungsmodi“ (BGM) vor, das beschreibt, mit welchen Orientierungs- und Handlungsmustern die beruflichen Statuspassagen junger Erwachsener verbunden sind. Kühn unterscheidet drei Gruppen von berufsbiografischen Modi: Karriereambitionen, Statusarrangement und Autonomiegewinn, denen dann wiederum bestimmte Merkmale, die die subjektiven Bezüge der Einzelnen ausdrücken wie z. B. „Laufbahnorientierung“ für die Gruppe der Karriereambitionen, zugeordnet und durch Textstellen aus den Interviews belegt werden. Das Modell zeigt, wie junge Menschen sich mit ihren beruflichen Handlungsspielräumen auseinandersetzen, und dass sie unterschiedliche Schlussfolgerungen aus ihren Arbeitserfahrungen ziehen.

Bei der Untersuchung zur Planung der Familiengründung ergeben sich aus den wiederholten Fallvergleichen der nach der Kategorie „Kinder-Familiengründung/Zukunft“ kodierten Textanalysen drei Dimensionen biografischer Planung: Entwicklung, Planungshorizont, Verflechtung. Die Vielzahl der Fallvergleiche, aus denen die „Typologie biografischer Pläne zur Familiengründung (BPF)“ gebildet wird, wird vereinfacht zu drei Gruppen zusammengefasst: Familiengründung wird geplant, es gibt dauerhaft keine Pläne zur Familiengründung, Ziele und Handeln sind nicht kongruent.

Berufsbiografie + Familienplanung = Biografiegestaltung

Im weiteren Verlauf der Studie verknüpft der Autor die beiden Typologien – „berufsbiografische Gestaltungsmodi“ und „biografische Pläne zur Familiengründung“, um Formen der Verbindung beider zu untersuchen, diesmal auch unter geschlechtsspezifischer Perspektive. Das methodische Vorgehen ist wiederum standardisiert: Jedem Kapitel ist eine Fallübersicht vorangestellt: Dimensionen der beruflichen Gestaltungsmodi – Karriereambitionen, Statuspassagen, Autonomiegewinn – werden verknüpft mit den drei Dimensionen der Pläne für eine Familiengründung – Familiengründung wird geplant, es gibt dauerhaft keine Pläne zur Familiengründung, Ziele und Handeln sind nicht kongruent –, denen jeweils die passenden Interviewaussagen von Frauen respektive Männern zugeordnet werden.

Biografiegestaltung: Worin sich Frauen und Männer unterscheiden

Das Kapitel zur sogenannten geschlechterübergreifenden Perspektive zeigt Ähnlichkeiten und Unterschiede im Handeln und in den Antizipationen von Frauen und Männern auf, wiederum bezogen auf die verschiedenen Typologien. Die Gemeinsamkeiten beziehen sich auf Planungsunsicherheiten – wann und ob eine Familie gegründet werden soll – bei beiden Partnern, sie beziehen sich auf teilweise geteilte Leitbilder, vor allem, wenn beide Partner qualifiziert sind, und – vielleicht weniger bekannt – auf Behinderungen der Familienplanung durch zu hohe Erziehungsideale. Kinder erscheinen dann als Belastung. Erschwerend für eine Familienplanung kann auch die Angst vor Autonomieverlust sein.

Die Unterschiede sind graduell. Die Planungsunsicherheit ist bei Frauen größer, Männer haben mehr Zeit für eine Familienplanung, während die Gestaltungsräume bei Frauen aufgrund biologischer Faktoren eingeschränkt sind. Aufstiegsorientierte Männer planen nach oben offener, während aufstiegsorientierte Frauen auf jeder erreichten Stufe das Verhältnis Familie und Beruf neu justieren.

Neu ist vielleicht auch die Erkenntnis, dass die Gründe für eine fehlende oder zögerliche Familienplanung (bei Frauen) nicht nur in beruflichen Karrierewünschen und in dem fehlenden Partner zu suchen sind, sondern ebenfalls in beruflicher Planungsunsicherheit. Berufliche Misserfolge können eine Familienplanung befördern oder behindern, das gleiche gilt auch für berufliche Erfolge.

Kritisches Fazit

Wenig überzeugend ist die anschließende „Begründung“ für die These einer Re-Traditionalisierung der Geschlechterverhältnisse durch Familiengründung. Der alleinige Hinweis auf die immer noch bestehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und auf die hohe Inanspruchnahme des Elternurlaubs durch Frauen reicht wohl nicht aus, um mentale und Verhaltensänderungen in der Familie zu fassen. Auch wird im Untersuchungsprozess nicht reflektiert (lediglich am Ende der Arbeit angesprochen), dass es sich bei den Interviewpartnern um junge Erwachsene mit einer Berufsausbildung handelt, akademische Berufe und Ungelernte also herausfallen. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht spielt für die Ausgestaltung der Geschlechterbeziehungen eine wesentliche Rolle.

Die Zielsetzung der Studie bleibt unentschieden, sie schwankt zwischen dem Herausarbeiten neuer methodischer Instrumente, um die Verflechtungen von Berufsbiografien und Familiengründung auf Basis von Längsschnittsstudien zu erforschen, und qualitativen Aussagen zu dem Thema. Vielleicht wäre eine Konzentration auf methodische Fragen und Lösungsangebote in einer klareren Darstellung sinnvoller gewesen, wobei dann allerdings deren Übertragbarkeit auf andere Forschungsfelder diskutiert werden müsste.

URN urn:nbn:de:0114-qn053290

Dr. Mechthild Veil

Büro für Sozialpolitik und Geschlechterforschung in Europa

E-Mail: Mechthild.Veil@t-online.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.