‚Transracial‘ Adoptionen und Mutterschaft

Rezension von Ninette Rothmüller

Barbara Katz Rothman:

Weaving a Family.

Untangling Race and Adoption.

Boston: Beacon 2005.

ISBN 0–807–02828–2

Abstract: Barbara Katz Rothmans, im Frühjahr 2005 erscheinendes Buch On Weaving a Family verknüpft soziologisch Themen aus den Bereichen Mutterschaft, ‚Race‘[1] und Adoption miteinander und nähert sich hierdurch einer möglichen Antwort auf die Frage, wie Familie ‚gewebt‘ wird; wie jedeR Einzelne sich durch verwandtschaftliche Bande in das Geschehen der Welt hineinwebt. Helle Hände, die lernen, schwarzes Haar zu ölen und zu flechten; die ein farbiges Kind sehr bewusst gleichermaßen in eine weiße[2] Familie und eine farbige Gemeinschaft ‚einbinden‘, sind autobiografischer Bezugspunkt der Metapher des ‚Webens‘, die Katz Rothmans Gedanken durch das Buch trägt. In der Sprache des Alltags schreibend, ‚webt‘ sie, im Wechsel Bezug nehmend auf Geschichten anderer, auf soziologische Theorien und auf persönliche Erlebnisse als weiße Mutter einer schwarzen Tochter, Elemente ineinander, die zunächst unverbunden zu sein scheinen: Ideen, Theorien, Narrative. Dieses Buch ist sowohl für die persönliche Beschäftigung mit ‚transracial‘ Adoptionen als auch als autobiographisch-soziologische Lektüre für Lehrveranstaltungen geeignet.

Die Autorin Barbara Katz Rothman ist Professorin im Fachbereich Soziologie an der City University New York und Mutter eines Sohnes, einer Tochter sowie einer schwarzen Adoptivtochter. Ihre Analysen beruhen auf kontinuierlicher Reflektion persönlicher Erfahrungen, auf theoretischer Auseinandersetzung und kollegialem Austausch.

Einleitung

‚Me-search‘ im Vergleich zu ‚research‘ nennt eine Kollegin Katz Rothmans deren Forschungsansatz. Katz Rothman selbst beschreibt diesen als einen der Lebenspraxis verpflichteten Ansatz; Praxis welche aus soziologischer Sicht immer verbunden ist mit Theorien, Ideologien und Denkansätzen über die Welt.

Katz Rothman deckt durch die Verwendung biographischer Narrative auf, wie die Selbstverständlichkeit, Familie im Alltag zu praktizieren, unsere Wahrnehmung darüber verfälscht, welche Präsentationen zum gesellschaftlichen Verständnis dessen beitragen, was als Familie gesehen wird. Um als Familie für andere sichtbar zu sein, so führt die Autorin aus, gehe es für ‚transracial‘ Familien darum, familiäre Verbindungen durch bewusste Präsentation dergleichen für andere sichtbar zu machen und somit etwas bewusst zu tun, was in anderen Familien unbewusst praktizierte Alltagpraxis ist. „We ‘do‘ family, ‘present‘ as family […]. We’re just doing what ‘normal‘ people do, but we know we’re doing it.“ (Kapitel „Family Obviously“).[3]

Katz Rothman beschreibt die Elastizität der amerikanischen ‘color line‘ und führt anhand von Beispielen die Fallstricke unterschiedlicher theoretischer Ansätze gegenwärtiger ‚transracial‘ Adoptionspolitik vor Augen. Den Fragen nach der Konkurrenz zwischen schwarzen und weißen adoptionswilligen Personen wird hierbei ebenso wenig ausgewichen wie Fragen des Einflusses verschiedener historischer Migrationsbewegungen auf das Verständnis von ‚Race‘ als sozialer Kategorie. „But in our system, we have enough racism to recognize race, to categorize babies and adopting families by race, but enough of an attempt to overcome our racism to place across race. It’s an awkward moment that’s lasted almost fifty years now.“ (Kapitel „Our Story“).

Mutterschaft, Adoption und ‚Race‘

Dieser Teil von Katz Rothmans Buches fokussiert die Konzepte Mutterschaft, Adoption und ‚Race‘ zunächst separat im Spiegel der konsumgetriebenen und technikgläubigen amerikanischen Gesellschaft der Gegenwart, um daraufhin ein Verständnis des interaktiven Verhältnisses dieser Konzepte zueinander zu erarbeiten.

Mutterschaft und Markt

Die Autorin stellt durch den Marktbegriff ‚(Aus-)wahl‘ eine Verbindung zwischen Konsumverhalten und Mutterschaft her und führt aus, inwieweit wirtschaftliches Wertdenken das Verständnis von Mutterschaft heute beeinflusst. Ihre Analyse zeigt beispielhaft auf, wie schwierig es ist, sich im Sprechen über Mutterschaft von wirtschaftlichen Begriffen zu befreien ohne im Umkehrschluss in die Sprache der Religion oder des Rechtsanspruchs, beispielsweise auf Kinder, zu verfallen. „It is the loss of language itself that troubles and saddens me: the inability to get outside of the system even in our thoughts.“ (Kapitel „Motherhood and the Market“). Katz Rothman fragt danach, wie Mutterschaft außerhalb einer Ideologie, in die wir uns durch die Alltagspraxis von Mutterschaft geradezu ‚einkaufen‘, zu beschreiben wäre und wie eine solche Beschreibung für das ‚Weben‘ von Familie fruchtbar gemacht werden könnte.

Adoption und Informationszeitalter

Die Autorin problematisiert den Begriff Adoption, zeigt historische Entwicklungen auf und enthüllt anhand von Beispielen ‚Adoptionssprache‘ als Herstellungspraxis einer unüberwindbaren Verschiedenartigkeit zwischen Adoptierten und Adoptierenden. Alltagsmomente des Konsums spielen zwar auch in diesem Kapitel eine Rolle, im Vordergrund steht jedoch die Analyse der Verbindung zwischen Adoption und Neuen Reproduktionsmedizinischen und Genetischen Technologien und die Frage danach, inwieweit diese Technologien die Entscheidung, ein gesundheitlich beeinträchtigtes Kind zu gebären oder zu adoptieren, als eine unverantwortliche Handlung erscheinen lässt.

Über ‚Race‘ sprechen

Barbara Katz Rothmans Überlegungen zu ‚Race‘ sind geprägt von Reflektionen eigener Erfahrungen als Jüdin; einem persönlichen Merkmal, das je nach Aufenthaltsort als der Hautfarbe vor- oder nachrangig verstanden bzw. als weiß oder nicht-weiß kategorisiert wird. Diese Flexibilität verschiedener Kategorien, die vom Umfeld eines Menschen dafür genutzt werden, diesen zu kategorisieren, bleibt ihrer schwarzen Tochter, so führt Katz Rothman anhand von Beispielen anschaulich aus, mehrheitlich vorenthalten.

‚Race‘, so wird in diesem Kapitel ausgeführt, ist mehr als eine Anzahl körperlicher Charakteristika. Es ist etwas, was sich über körperliche Grenzen hinaus kulturell verfestigt. „Race is a mark upon the body, a set of physical characteristics that are located in the body, but marking something far beyond the body. The characteristics that we call ‘race‘ are passed along, moved from parent to child as physical bits, but they take their meaning as a mark of membership in a community.“ (Kapitel „Talking about Race“).

Was ich in der Schomburg lernte

Anliegen der Autorin ist es in diesem dritten Abschnitt ihres Buches, Ansätze zu entwickeln, um das Bemuttert-werden[4] schwarzer Kinder durch weiße Eltern verstehen und das sich gegenseitige ‚Verweben‘ in verschiedene Gemeinschaften nachvollziehen zu können. Katz Rothmans Analyse berücksichtigt die gegenwärtige politische Situation Amerikas ebenso wie historische Diasporaentwicklungen und nimmt so beispielhaft Bezug auf die gewaltsame Unterbringung von Diaspora-Kindern in fremden Familien.

Ausgehend von einer Benetton-Posterkampagne, die ein schwarzes Kind an einer weißen Brust trinkend zeigt, entwickelt Katz Rothman eine dreigliedrige Typologie, um die Verbindung zwischen schwarzen und weißen Familienmitgliedern zu beleuchten. Anhand archivarischen Materials zeigt die Autorin unter den Überschriften ‚Protégé‘, ‚Pet‘ und ‚Throphy Child‘ in den folgenden Unterkapiteln Motivationshintergründe weißer Mütter, schwarze Kinder zu bemuttern und kulturelle Rahmenbedingungen dieser Beziehung auf. Sie bietet der Leserschaft eine Möglichkeit, das Verhältnis zwischen schwarzen Kindern, schwarzer Gemeinschaft und weißen Elternteilen unter Berücksichtigung historischer Narrative zu betrachten.

Verweben der Einzelteile

Die Metapher des ‚Webens‘ ist die Linse, durch die Katz Rothman Fragen nach der eigenen Identität schwarzer Kinder und den Wunsch weißer Eltern nach gesellschaftlicher Berechtigung, diese Kinder bemuttern zu ‚dürfen‘, betrachtet. Kinder dürften weder als Brücke zwischen den Welten missbraucht werden, noch dürfe das Feiern von Verschiedenartigkeit das Reden darüber verdrängen. Katz Rothman kommt einmal mehr auf das Flechten und Ölen schwarzer Haare zurück; für sie ist die Geschichte und Politik von Haaren die Geschichte und Politik von ‚Race‘. „In the doing of hair, one does race. Race is constructed, celebrated, despaired of, enjoyed, feared. Hair is a test to be passed or failed, a trial to be endured, an intimate moment to be shared. In memoirs of those raised within the African American community and those raised by white people, hair and the doing of hair emerges as a focal point for the discussion and for the experience of race.“ (Kapitel „Hair: Braiding together Culture, Identity and Entitlement“).

Einen Weg nach Hause ‚weben‘

Bemuttern sei immer das Erziehen von Kindern in einer Welt für eine andere; dennoch bedeute bemuttern in ‚mixed-raced‘-Familien die Auseinandersetzung mit besonderen Anforderungen. Anhand autobiographischer Beispiele beleuchtet Katz Rothman die Positionen weißer Mütter und schwarzer Kinder. Sie führt aus: „If you’re the mother of a black child, you have a black mother’s concerns and needs - and, for a while at least, a white mother’s privilege.“ (Kapitel „Weaving a way home“). Wenn ein schwarzes Kind ohne die Privilegien des Weiß-Seins aufwächst, so müssen weiße Eltern zunächst begreifen, was diese Privilegien sind. ‚Weben‘, die so nach Leichtigkeit klingende Metapher, wird zum Sinnbild des gegenseitigen Annäherns, intimer Abhängigkeiten und wechselseitigen Verständnisses. Katz Rothman webt ein faszinierend ehrliches und belastbares Netz aus Ideen, Narrativen und Theorien. ‚Race‘, so das Fazit der Autorin, ist durch Liebe alleine nicht zu überwinden, aber der Kampf gegen Rassismus eine lohnende, wenngleich schmerzhafte Aufgabe.

Fazit

Dieses Buch ist soziologisches Fachbuch und ein autobiographisches Werk zugleich. Es reflektiert ‚Race‘ anhand historischen Materials und stellt darüber einen Bezug zur gegenwärtigen Situation von ‚mixed-raced‘-Familien in Amerika her. Die europäische Leserschaft mag versucht sein, sich zu distanzieren; doch das Buch lässt eine ‚bequeme‘ Distanz kaum zu. Es entlässt die Leserin, den Leser stattdessen mit Mut und Kompetenz, Dinge beim Namen zu nennen.

Anmerkungen

[1]: Ich verwende den Begriff ‚Race‘, um einen direkten Bezug zu Entwicklungen in den USA, dem geographischen und sprachlichen Bezugspunkt des Buches, herzustellen und den historischen und sozialen Bezug des Begriffs nicht durch eine Übersetzung zu verfälschen. Katz Rothmans Begriff zielt speziell auf die Darstellung der sozialen Unterscheidung zwischen schwarz und weiß, der ‚color line‘, ab.

[2]: Die Verwendung der Begriffe ‚weiß‘ und ‚schwarz‘ folgt Katz Rothmans Entscheidung, diese in einer Zeit zu verwenden, die anerkennt, dass ‚Race‘ keine biologische Kategorie ist, jedoch (noch) nicht seine soziale Bedeutung überwunden hat.

[3]: Da das Buch noch nicht erschienen ist, sind Seitenzahlen der verwendeten Zitate nicht bekannt. Es wird anstelle der Seitenzahlen auf das entsprechende Kapitel verwiesen.

[4]: Barbara Katz Rothman versteht ‚mothering‘ als Set von Praktiken, die sowohl von Frauen als auch von Männern ausgeübt werden können.

URN urn:nbn:de:0114-qn053259

Ninette Rothmüller

University of Newcastle upon Tyne / Universität Osnabrück

E-Mail: Ninette.Rothmueller@ncl.ac.uk

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