Gunda Barth-Scalmani, Brigitte Mazohl-Wallnig, Edith Saurer (Hg.):
Ehe-Geschichten.
Themenschwerpunkt in: L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (14. Jg., Heft 1).
Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2003.
214 Seiten, ISSN 1016–362X; ISBN 3–205–77154–8, € 22,50
Abstract: Zahlreiche Wissenschaften beschäftigten sich in den letzen Jahren und Jahrzehnten mit der Ehe; denn obwohl die Vielfalt von Lebensformen zugenommen hat, scheint die Bedeutung der Ehe mit ihren traditionellen Zuschreibungen keineswegs verloren zu haben. Die historische Bedeutung der Ehe wird insbesondere durch den interdisziplinären Zugang von Ethnologie und Geschichtswissenschaft verdeutlicht – ein wichtiger Aspekt, den die Zeitschrift L’Homme veranlasste, sich in einem Heft schwerpunktmäßig mit dem Thema Ehe aus historischer Perspektive zu befassen. Die Ehe wird in der Geschichtswissenschaft als Teil der Verwandtschaftsstruktur, Familiengeschichte, Rechtsgeschichte, der Historischen Demographie und der Frauen- und Geschlechtergeschichte thematisiert.
In dem vorliegenden Schwerpunktheft soll auf die „Vielfalt der sozialgeschichtlichen, anthropologischen, rechts- und diskursgeschichtlichen Erörterungen“ (S. 10) hingewiesen werden. Die Zeitschrift ist in die für dieses Format üblichen vier Abschnitte gegliedert: der erste Teil befasst sich mit dem Schwerpunktthema, der zweite mit Beiträgen zu einem spezifischen Thema – „Ehegüterrecht in Europa“ – der dritte mit Aktuellem und Kommentaren, der letzte Abschnitt enthält Rezensionen. Aufgrund der Fülle der verschiedenen Aspekte der einzelnen Beiträge können hier selbstverständlich nicht alle detailliert berücksichtigt werden und werden daher eher mit ihrer zentralen Aussage vorgestellt.
Der erste Aufsatz von Benedetta Borello befasst sich mit Aushandlungsstrategien hinsichtlich der Position von Ehefrauen im 17. Jh. in Rom. Die Autorin arbeitet anhand von Trennungsprozessen heraus, wie die verschiedenen sozialen Aspekte mit den individuellen Vorstellungen verknüpft wurden: Diskussionen um Ehre und Unterhalt konnten nie getrennt vom jeweiligen familialen, politischen und sozialen Kontext der Betroffenen geführt werden, und es wird gezeigt, dass Ehefrauen im 17. Jh. die Möglichkeit hatten, mithilfe des Gerichtes den Umgang mit dem Ehepartner neu auszuhandeln. Interessanterweise wurde damals von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht – eine unserem heutigen Eheleben fremde Form des Umgangs mit dem Partner. Dass nach solch einem Aushandlungsprozess vor Gericht ein weiteres Zusammenleben möglich war, zeigt, dass die Ehen damals vornehmlich unter ökonomischen Gesichtspunkten geschlossen wurden – hingegen liegt heute vielmehr das Ideal der „romantischen Liebe“ zugrunde.
Im Beitrag von Heinrich Schmidt geht es um den Einfluss der männlichen Staatsgewalt auf die Geschlechterbeziehungen: In der frühen Neuzeit verkörperte der Mann im Haus den „Staat“ – er hatte das Gewaltmonopol inne und war verpflichtet, seine Ehefrau, die Kinder und das Gesinde zu züchtigen. Obwohl es auch Grenzen für dieses Züchtigungsrecht gab, waren Schläge ein erlaubtes Mittel der Auseinandersetzung. Der Autor setzt sich auf der Basis von Fallstudien mit der Frage auseinander, ob der Staat die hausherrliche Gewalt stützte oder ob er für sich ein Monopol der legitimen Gewaltanwendung anstrebte. Er kommt zu dem Schluss, dass sich der Staat in dem Maße, in dem die Frauen staatliche Hilfe bei der Lösung gewalttätiger Auseinandersetzungen suchten, gezwungen sah, das Gewaltmonopol für sich selbst zu beanspruchen. Mit dieser Sichtweise konnten private Konflikte problemlos außer Haus gelöst und den Hausvätern das Gewaltmonopol sukzessive entzogen werden.
Der Artikel von Vilana Pilinkaite-Sotirovic hat die Aushandlungsstrategien der litauischen Landbevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zum Thema. Interessant ist hier, dass die litauischen Bäuerinnen zwar die Oberhoheit ihres Mannes akzeptierten, dennoch aber die Möglichkeit hatten, gerichtliche Schritte einzuleiten, wenn ihre Männer ihrem Beitrag im landwirtschaftlichen Produktionsprozess nicht nachkamen.
Den letzten Artikel in diesem Abschnitt verfasste Elisabeth Frysak. Sie befasst sich mit petitionsrechtlichen Forderungen der österreichischen bürgerlichen Frauenbewegung zur Änderung des Ehe- und Familienrechts um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Die Artikel im Abschnitt „Forum“ befassen sich mit der rechtlichen Situation von Ehefrauen in verschiedenen Ländern (Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland, England, Bulgarien). In diesem Teil erfolgt eine Auseinandersetzung mit den gängigen Machtverhältnissen, die auch in den Rechtskulturen z. B. des Ehegüterrechts ihren Ausdruck fanden: Unter dieser Perspektive erfährt man Grundlegendes über die rechtliche Stellung der Frauen im Code civil in Frankreich sowie über seine Folgen (Anna Bellavitis) und über seine Auswirkungen auf die italienische Gesellschaft (Manuela Martini). Zur gleichen Zeit galt in den deutschsprachigen Ländern das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, mit dem sich hinsichtlich der Stellung der Frau in Österreich Margret Friedrich und in Deutschland Susanne Lepsius auseinandersetzen. Tim Stretton liefert einen Beitrag über England und Tzvetana Bonceva und Anelia Kasabova-Dintcheva über die „Kaufehe“ in Bulgarien.
Mit dem Stand der geschichtswissenschaftlichen Auseinadersetzung mit der Ehe setzen sich drei weitere Beiträge in der Rubrik „Aktuelles“ auseinander. Ellinor Forster und Margareth Lanzinger liefern einen sehr guten Forschungsüberblick und weisen anhand von Sekundäranalysen nach, dass es eine Diskrepanz zwischen dem Bild der von ihrem Mann vertretenen bürgerlichen Frau und der Rechtswirklichkeit gibt, so dass von einem Mythos der nicht-erwerbstätigen Bürgerin am Anfang des 19. Jh. gesprochen werden muss.
Maria Heidegger skizziert abschließend ein interessantes Forschungsthema: anhand klerikaler Reden des 19. Jh. sollen normative Vorgaben hinsichtlich Geschlechterprojektionen hinterfragt werden.
Dieses Schwerpunktheft liefert eine gute argumentative Basis für die Diskussion über die rechtliche Stellung der Frauen in Europa und das gerade für die an aktuellen Themen interessierten Forscherinnen und Forscher. Daher ist es keinesfalls nur für Historikerinnen und Historiker von Interesse!
URN urn:nbn:de:0114-qn053221
Prof. Dr. Corinna Onnen-Isemann
Universität Regensburg, Phil. Fak. II, Gender Studies
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