Ute Gerhard, Trudie Knijn, Anja Weckwert (Hg.):
Erwerbstätige Mütter.
Ein europäischer Vergleich.
München: C.H. Beck 2003.
253 Seiten, ISBN 3–406–49433–1, € 14,90
Abstract: In diesem Buch werden europäische Wohlfahrtssysteme und die Sozialpolitik des jeweiligen Landes sowie der gesellschaftliche Umgang mit erwerbstätigen Müttern aus der Mikro- und aus der Makroperspektive diskutiert. Neben der Auseinandersetzung mit entsprechenden theoretischen Annahmen werden in jedem Beitrag exemplarisch die Annahmen überprüft. Die Leserinnen und Leser erhalten auf diese Weise eine eindrucksvolle Antwort auf die Frage, wie Mütter in Europa Familie und Erwerbstätigkeit miteinander vereinbaren.
Spätestens seit der bekannten Veröffentlichung über Die Doppelrolle der Frau von Alva Myrdal und Viola Klein aus dem Jahr 1956 ist die „weibliche Normalbiographie“ auch hierzulande wissenschaftlich ein Thema. Das Thema der Doppelorientierung von Frauen auf Beruf und Familie wird unter verschiedensten Perspektiven untersucht: so werden oftmals vor dem Hintergrund des allgemeinen Geburtenrückganges unter sozialpolitischer Perspektive wohlfahrtstaatliche Rahmenbedingungen und Leistungen diskutiert, unter soziologischer Perspektive z. B. die Schwierigkeiten, die verschiedene Lebensformen mit sich bringen – hier aber vornehmlich die der allein erziehenden Frauen; Thema ist auch die Bedeutung von Kindern für ihre Eltern in unterschiedlichen Kulturen.
Mir scheint, als würden die Diskussionen in Deutschland in zwei Richtungen gehen, wobei immer die fehlenden strukturellen Rahmenbedingungen benannt werden, die Mütter entweder davon abhalten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder Nicht-Mütter davon abhalten, überhaupt Kinder zu bekommen; dabei wird seit Yvonne Schützes Auseinandersetzung mit dem normativen Muster der „Mutterliebe“ (1986) öffentlich nicht (mehr) dazu angeregt, die traditionell bürgerlichen Vorstellungen von einer „guten Mutter“, wie sie in Deutschland nach wie vor handlungsleitend sind, gründlich zu überdenken.
Und genau hierzu eignet sich die vorliegende Veröffentlichung und bietet zudem einem Blick über den deutschen Tellerrand auf Europa: Das Problem der doppelten Orientierung von Frauen auf Familie und Erwerbtätigkeit stellt sich nämlich nicht nur den deutschen Frauen.
Das Buch von Gerhard u. a. geht von dem Tatbestand aus, dass europaweit immer mehr Frauen berufstätig bleiben, wenn sie Kinder bekommen, es im europäischen Vergleich aber sowohl länderspezifische als auch innerhalb eines Landes große Unterschiede in der Erwerbsquote von Frauen gibt.
Das Ziel ist es, aus verschiedenen Perspektiven das Verhältnis zwischen Sozialpolitik und sozialer Realität zu beleuchten und in diesem Zusammenhang die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und wohlfahrtsstaatlichen Konzepte darzustellen.
Dabei werden zum einen die der jeweiligen Sozialpolitik zugrunde liegenden Annahmen in ihrem Wandel beschrieben und zum anderen der Bedeutung von Erwerbsarbeit für die jeweilige staatliche Politik nachgegangen. Wie aber die Erwerbs- und auch die Fürsorgearbeit in diesen Ländern nicht nur seitens des Staates, sondern vor allem auch seitens der Väter und Mütter gesehen werden, wird in einzelnen Beiträgen ausführlich analysiert.
In dem ersten Beitrag des Buches („Erwerbstätigkeit versus Betreuungsarbeit“) setzt sich Jane Lewis mit dem Wandel vom Ernährermodell zum Modell des „erwachsenen Erwerbstätigen“ auseinander und stellt fest, dass bereits in einigen Wohlfahrtsstaaten – wie z. B. Großbritannien und die Niederlande – die Auffassung greift, dass Arbeit die beste Form von Wohlfahrt sei und infolge dessen das Ziel darin bestehen müsste, alle Erwachsenen (Männer wie Frauen) in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Der Beitrag von Ute Gerhard „Mütter zwischen Individualisierung und Institution: Kulturelle Leitbilder in der Wohlfahrtspolitik“ knüpft an die Diskussion über die normativen Vorstellungen der Gesellschaft über Ehe, Familie, Individualisierung und Mutterschaft an und zeigt auf, inwieweit unterschiedliche Sozialpolitiken und Regimes kulturelle Leitbilder und daraus resultierende Geschlechterrollenarrangements prägen.
„Kinderbetreuung und politische Handlungslogik“ ist das Thema, mit dem sich Marie-Thérèse Letablier und Ingrid Jönsson in ihrem Beitrag auseinandersetzen. Sie fragen nach den Handlungsmotivationen der Staaten, in einem Bereich zu intervenieren, der als privat erachtet wird. Sie analysieren Zielsetzungen, Prinzipien und kulturelle Leitbilder, die in den einzelnen Ländern richtungweisend für politische Maßnahmen zur Kinderbetreuung sind und kommen zu dem Ergebnis, dass es in Europa fünf „Kinderbetreuungsregimes“ gibt, die sich durch ihre Traditionslinien und die sie prägenden Konzepte von Mutterschaft, Kindheit und Staatsbürgerschaft voneinander unterscheiden. Frankreich und Schweden dienten ihnen als Plattform um zu zeigen, wie und mit welchen Folgen sich die Handlungslogik im Bereich der Kinderbetreuung durch eine wandelnde Sozialpolitik verändert.
Wie die Alltagspraxis berufstätiger Mütter handhabbar ist, wird in dem Artikel von Constanza Tobío und Rossana Trifiletti „Strategien, Alltagspraxis und sozialer Wandel“ untersucht. Entwickelt werden drei Typen von Strategien der Lebensorganisation von erwerbstätigen Müttern (rationale Strategien, Bewältigungsstrategien, indirekte Strategien) von Spanien und Italien, dass Mütter insbesondere in den Ländern auf spezifische Strategien angewiesen sind, in denen kein ausgebautes Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen existiert. Der Beitrag von Arnlaug Leira, Constanza Tobío und Rossana Trafiletti veranschaulicht die Strategiedebatte (welche?) und die Anforderungen der ersten Generation erwerbstätiger Mütter in Norwegen, Italien und Spanien. Trudie Knijn, Ingrid Jönsson und Ute Klammer versuchen in ihrem Text die Brücke zwischen der individuellen Alltagsorganisation zur Sozialpolitik zu schlagen und zeigen am Beispiel der Niederlande, Schweden und Deutschland, dass das Erwerbsverhalten eben nicht nur auf rationalem Kalkül beruht, sondern durchaus durch kulturelle Vorgaben beeinflussbar ist.
Ute Klammer und Mary Daly nehmen im letzten Beitrag des Bandes „Die Beteiligung von Frauen an europäischen Arbeitsmärkten“ die Makroperspektive ein und veranschaulichen anhand statistischer Daten in einem vergleichenden Überblick die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit und die Erwerbsbeteiligungsmuster von Frauen in Europa. Sie zeigen, dass weibliche Erwerbsverläufe nicht mehr als Abweichung von einer männlichen Norm gesehen werden können, sondern vielmehr als ein weiteres Erwerbsmuster.
Durch alle Artikel des Buches hindurch zieht sich der Gedanke, dass es Frauen in Europa nirgendwo leicht gemacht wird, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Die Hürden, die sie dabei zu überwinden haben, sind jedoch von Land zu Land verschieden. Gezeigt werden die Diskrepanzen, die in den europäischen Gesellschaften zwischen beschäftigungspolitisch motivierten Modellen der Sozialpolitik und den individualisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Wirtschaft einfordert, bestehen. Im Mittelpunkt steht die eindringliche Mahnung, die „Individualisierungschancen auf der Basis sozialer Bürgerrechte gleichberechtigter zu verteilen und den Bereich der Pflege- und Fürsorgearbeit zu einer Säule der Wohlfahrtsstaaten zu machen“ (S. 28).
Dass dabei nicht nur die Erwerbsarbeit zu einer Sache von Männern UND Frauen gemacht wird, sondern auch die Betreuungsarbeit, versteht sich von selbst …. und wenn dann zusätzlich die Erkenntnisse über Mütterideologien in konkrete Praxis umgesetzt würden, könnte von einem wahren Forschritt in Europa die Rede sein.
URN urn:nbn:de:0114-qn053214
Prof. Dr. Corinna Onnen-Isemann
Universität Regensburg, Phil. Fak. II, Gender Studies
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