Heide von Felden:
Bildung und Geschlecht zwischen Moderne und Postmoderne.
Zur Verknüpfung von Bildungs-, Biographie- und Genderforschung.
Opladen: Leske + Budrich 2003.
273 Seiten, ISBN 3–8100–3811–3, € 19,90
Abstract: In dieser Studie werden die Kategorien ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘ kritisch aufeinander bezogen. Sie werden von der Autorin als „kulturelle Konstruktionen“ (S. 120) verstanden und sowohl unter der Perspektive von Moderne und Postmoderne als auch vor dem Hintergrund von Kritischer Theorie und Postrukturalismus diskutiert. Dies zielt darauf ab, verborgene oder selbstverständlich gewordene „Denkstrukturen“ (S. 119) offenzulegen, die sich auf das Verhältnis zwischen (weiblichem) Subjekt und Gesellschaft beziehen. Auf Basis einer empirischen Studie, in der Frauen in Form von biographisch-narrativen Interviews selbst zu Wort kommen, nähert sich Heide von Felden den Zusammenhängen zwischen Bildung und Geschlecht mittels einer Analyse von Lern- und Bildungsprozessen.
Im theoretischen Teil wird die Leserin, der Leser zunächst in die für die Studie zentralen Begriffe ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘ eingeführt. Dies geschieht sowohl auf historischer Ebene als auch auf der Ebene aktueller Diskussionen. In einem ersten Schritt wird der Bildungsbegriff ausgehend von den historischen Entwicklungen seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert über die Positionen des Neuhumanismus, der Kritischen Erziehungswissenschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts und die Annahmen der Postmoderne diskutiert. Methodisch plädiert Heide von Felden für eine „Verbindung von Forschungen auf Makro-, Meso- und Mikroebene, also de[n] Bezug von Theorie und Empirie“ (S. 50 f.). Damit gelingt es ihr, bisherige Ansätze zur Verbindung von Theorie und Empirie für die Lesenden anschaulich und nachvollziehbar dazustellen und die Anschlussfähigkeit bildungstheoretischer Überlegungen an empirische Bildungsforschung hervorzuheben. Mit Marotzki, Koller und Alheit wählt die Autorin drei Wissenschaftler aus, die Konzepte zur empirischen Untersuchung von Bildungs- und Lernprozessen in qualitativen Studien entwickelt und erprobt haben. Warum sie sich gerade für theoretische und empirische Ansätze dieser drei Wissenschaftler entschieden hat und was diese gegenüber anderen Vertretern dieser Disziplin auszeichnet, wird allerdings nicht begründet.
In einem zweiten Schritt wird analog zum Bildungsbegriff die historische Entwicklung des Begriffs Geschlecht dargestellt und diskutiert. Ausgehend von der Frauen- und Geschlechterforschung der 70er Jahre wird über drei Hauptstränge – Überwindung der Defizitperspektive, Diskussion um Gleichheit/Differenz und Diskussion um Konstruktion/Dekonstruktion (vgl. S. 81 ff.) – die Entwicklung der Frauen- und Geschlechterforschung beschrieben. Die Autorin trägt mit dieser zusammenfassenden Betrachtung dazu bei, unterschiedliche Perspektiven, Interessen, Probleme und Herangehensweisen zu bündeln. Darüber hinaus gibt sie Einblicke in den gegenwärtigen Forschungsstand. Von Felden versteht Geschlecht als „soziale Kategorie, die durch ‚doing-gender’-Prozesse von Menschen immer wieder neu hergestellt wird“ (S. 102). Diese Kategorie besitze damit eine „soziale Orientierungsfunktion“ (ebd.).
Auf der Basis der eigenen theoretischen Verortung im wissenschaftlichen Diskurs und der Verknüpfung von ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘ auf theoretischer Ebene (vgl. Kapitel 2.3, S. 119ff) geht die Autorin zum empirischen Teil ihrer Studie über. In diesem behandelt sie die offenen Fragen nach der biographischen Konstruktion von Geschlecht und deren Rolle im Rahmen biographischer Lern- und Bildungsprozesse. Dies zielt darauf ab, Zusammenhänge zwischen ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘ auf empirischer Ebene herausarbeiten zu können.
Die Forschungsziele werden mittels der Analyse biographisch-narrativer Interviews verfolgt. Durch die qualitative Auswertung der Interviews, die im Kontext eines speziellen universitären Studienangebots ‚Frauenstudien‘ gemacht wurden, geht Heide von Felden gender-Zuschreibungen in Bildungsprozessen nach. Bei der Wahl der Auswertungsmethode orientiert sie sich grundsätzlich am Vorgehen der strukturellen Beschreibung nach Schütze (1984) und verbindet dies mit anderen qualitativen Auswertungsverfahren (vgl. S. 145 ff.). Allerdings erscheint mir die Dokumentation des Forschungsprozesses, die ein wesentliches Gütekriterium qualitativen Forschens darstellt, nicht ausführlich genug, wodurch eine Nachvollziehbarkeit des Auswertungsvorgehens und insbesondere der daraus gewonnenen Ergebnisse erschwert wird.
Auf knapp 100 Seiten werden drei „Eckfälle“ vorgestellt, „in denen sich die Verbindung von Geschlechtskonstruktionen und Lern- und Bildungsprozessen vor allem in Hinsicht auf die Bildungsprozesse unterscheiden“ (S. 153). Die Auswertung und Präsentation der Interviewpassagen erfolgt detailliert, sensibel und ausführlich und darüber hinaus mit einer Vielzahl von Verweisen zu den Kategorien ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘. Leider wird der Leserin bzw. dem Leser nicht transparent gemacht, mit welcher Intention die dargestellten Interviewpassagen aus dem Gesamtinterview ausgewählt wurden. Ob sich von Felden beispielsweise an das Verfahren der Interpretation über Kernstellen anlehnt oder ein anderes methodisches Vorgehen gewählt hat, bleibt unklar. In den analytischen Abstraktionen (vgl. S. 147), die die Präsentation der einzelnen Interviews abschließen, gelingt es der Autorin, die Bedeutung der Kategorie ‚Geschlecht‘ in den biographischen Konstruktionen der untersuchten Frauen herauszuarbeiten. Daneben zielt von Felden mit den analytischen Abstraktionen darauf ab, die Bedeutung von Lern- und Bildungsprozessen in den biographischen Konstruktionen der Interviewpartnerinnen aufzudecken und davon ausgehend Differenzierungen zwischen diesen beiden Erfahrungsverarbeitungsformen vorzunehmen. Mir als Leserin ist es leider nicht gelungen, die getroffenen Unterscheidungen in jedem Fall nachzuvollziehen, da ich unter anderem bei der Suche nach Kategorien, an denen Unterschiede zwischen Lern- und Bildungsprozessen festgemacht wurden, gescheitert bin.
Der große Gewinn dieses Buches liegt in der erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung mit den Kategorien ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘ und in der ausführlichen Einordnung in historische Kontexte und Zusammenhänge. Diese werden für die Lesenden anschaulich und nachvollziehbar dargestellt. Im empirischen Teil des Buches gelingt es Heide von Felden, Haltungen von Frauen zu sich selbst und der Welt, also den biographischen Konstruktionen von Frauen näher zu kommen und grundlegende Zusammenhänge zwischen den Kategorien ‚Bildung‘ und ‚Geschlecht‘ auf der Ebene des Einzelfalls aufzudecken. Dabei werden interessante Zusammenhänge aufgezeigt, die das Lesen der dargestellten Lebenswege spannend machen und neue Ideen bereithalten, die zum Nachdenken anregen können. So wird beispielsweise deutlich, dass geschlechtsbezogene Zuschreibungen Lern- und Bildungsprozesse beeinflussen können (vgl. S. 249), insbesondere dann, wenn es auf individueller Ebene um persönliche und gesellschaftliche Anerkennung geht. Das zweite von der Autorin angestrebte Untersuchungsziel, die Rolle dieser Konstruktionen im Rahmen von Lern- und Bildungsprozessen nachzuzeichnen, ist ihr meiner Ansicht nach nicht gänzlich gelungen. Besonders die Unterscheidung zwischen Lern- und Bildungsprozessen bleibt mir persönlich auf einer zu abstrakten Ebene. Dies erschwert der Leserin, dem Leser, die getroffenen Unterscheidungen nachzuvollziehen und letztendlich einordnen zu können. Dies ist bedauerlich, da es den wissenschaftlichen Ertrag dieser sehr aufwändigen empirischen Studie ein wenig schmälert, die sich aber dennoch mit Gewinn lesen lässt.
URN urn:nbn:de:0114-qn053163
Stefanie Große
Promotionsstipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, Thema: „Zum lebensgeschichtlichen Stellenwert kritischer Lebensereignisse. Eine qualitative Längsschnittstudie zu biographischen Lernprozessen“.
E-Mail: grossesteffi@lycos.de
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