Es muss nicht immer der doppelte weibliche Lebensentwurf sein

Rezension von Gabi Aßhorn

Barbara Keddi:

Projekt Liebe.

Lebensthemen und biografisches Handeln junger Frauen in Paarbeziehungen.

Opladen: Leske + Budrich 2002.

260 Seiten, ISBN 3–8100–3548–3, € 12,90

Abstract: Barbara Keddi fragt in ihrer empirischen Studie, wie junge Frauen zwischen 18 und 35 Jahren leben, für welches Lebensmodell sie sich entscheiden und wie sie in Paarbeziehungen und Familienbildungsprozessen biografisch handeln. In Abgrenzung von anderen Untersuchungen geht die Autorin nicht davon aus, dass die Lebenszusammenhänge junger Frauen ausschließlich durch einen doppelten Lebensentwurf strukturiert sind, sondern hebt die Verschiedenheit von Frauenleben und die Pluralität von Geschlechterverhältnissen hervor. Das Konzept der ‚Lebensthemen‘ kann – so ein Ergebnis ihrer Arbeit – systematisch erklären, warum junge Frauen und ihre Partner in Paarbeziehungen und Familienbildungsprozessen so handeln, wie sie handeln. Darüber hinaus relativieren die ‚Lebensthemen‘ die Bedeutung von Einflussgrößen wie Geschlecht, Bildung und Region.

Die Studie gliedert sich in zwei große Teile. Zunächst wird in einem theoretisch-konzeptionellen Teil der Interpretationsrahmen abgesteckt, der sich – sowohl in Übereinstimmung als auch in Abgrenzung, aber auch in Hervorhebung von Forschungsdesideraten – auf aktuelle Erklärungsansätze der Frauen- und Geschlechterforschung, Biografieforschung und Familiensoziologie bezieht.

Daran schließt sich der empirische Teil an. In diesem verdeutlicht die Autorin exemplarisch anhand von drei ausgewählten Lebensthemen (Familie, eigener Weg, Suche nach Orientierung), wie sich das Handeln der jungen Frauen biografisch ausdrückt, wo Gemeinsamkeiten und auch Differenzen vorliegen, aber auch wie unterschiedlich die Lebensthemen in ihren Sinnkonstruktionen sind. Dabei konzentriert sich die Autorin weniger auf die Deskription und auf das Nachzeichnen von Paarbeziehungs- oder Familiengründungsprozessen, sondern verweist auf die Zusammenhänge zwischen biografischen Kategorien (latente Sinnstrukturen und Relevanz, Prozesshaftigkeit, Perspektivität) und dem Handeln der jungen Frauen (vgl. S. 133).

Vielfalt an Lebensplänen junger Frauen

Barbara Keddis – als Reanalyse – angelegte Dissertation basiert auf den Projektergebnissen einer qualitativen Längsschnittstudie zur Lebensgestaltung junger Frauen, welche über einen Zeitraum von 7 Jahren (1991–1998) am Deutschen Jugend Institut (München) durchgeführt worden ist (Keddi, Barbara/ Pfeil, Patricia/ Strehmel, Petra/ Wittmann, Svendy (1999): Lebensthemen junger Frauen. Die andere Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe. Eine Längsschnittuntersuchung in Bayern und Sachsen. Opladen). Insgesamt wurden 125 Interviews mit jungen Frauen aus Bayern und Sachsen, zum Teil auch mit ihren Partnern durchgeführt. Sieben Lebensthemen konnten identifiziert werden, an denen sich die individuellen Projekte und Pläne der jungen Frauen orientieren. Die im Folgenden kurz skizzierten Orientierungen dürfen nicht als statische Konstrukte verstanden werden, die keine gemeinsame Schnittmenge zwischen den einzelnen Lebensthemen zulassen.

Familie: Frauen mit diesem Lebensthema orientieren sich an traditionellen weiblichen Zuständigkeiten und Leitbildern. Der Mann ist für die Existenzsicherung der Familie verantwortlich, die Frau für Haushalt und Kinder.

Doppelorientierung auf Familie und Beruf: Frauen mit diesem Lebensthema streben einen gelungenen Balanceakt zwischen Beruf und Familie an, ohne dass einer der beiden Bereiche vernachlässigt wird.

Beruf: Der Beruf steht klar im Vordergrund. Partnerschaft und Kinder werden zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber auch nicht um jeden Preis angestrebt. Zuliebe der Kinder wird der Beruf nicht vorübergehend zurückgestellt.

Eigener Weg: Für Frauen, die ihren eigenen Weg gehen, stehen Unabhängigkeit und ein Leben jenseits von normativen Leitbildern und Geschlechterrollen im Mittelpunkt. Eine feste Beziehung oder Kinder werden nur realisiert, wenn sich das mit dem „eigenen Weg“ vereinbaren lässt. Es besteht kein festes Lebensmodell.

Gemeinsamer Weg: Frauen wünschen sich eine harmonische Partnerschaft. Dafür werden eigene Interessen zurückgestellt und ihr Leben orientiert sich an den Vorstellungen und Pläne des Partners.

Aufrechterhaltung des Status quo: Diese Frauen haben sich sowohl im Beruf als auch in ihrer privaten Situation etabliert und sind mit ihrem erreichten Lebensstandard zufrieden. Das Leben soll so bleiben wie es ist.

Suche nach Orientierung: Bei diesen Frauen lässt sich kein konkretes Projekt identifizieren, das ihr Leben strukturiert. Bedingt durch ungünstige Lebenssituationen und -verläufe sind sie eher unzufrieden und geraten häufiger in psychische Krisen, die sie allerdings nicht aktiv zu bewältigen versuchen.

Während die Inhalte der Lebensthemen sehr different sind, lassen sich zwei entscheidende gemeinsame Merkmale der Lebensthemen feststellen: zum einen ihre Konstanz über den gesamten Erhebungszeitraum hinweg, unabhängig von einer Veränderung der Lebenssituation der jungen Frauen, zum anderen ihre sinnstiftende und handlungsleitende Funktion. Lebensthemen machen „Projekte, Prioritätensetzungen, Entscheidungen für oder gegen bestimmte Optionen und konkretes Handeln sowie fallen gelassene Projekte begreifbar“ (S. 141 f.).

Relevanz von Einflussgrößen

Um die Bedeutung unterschiedlicher Lebensbedingungen und Gelegenheitsstrukturen herausfiltern zu können, wurden die jungen Frauen aus Bayern und Sachsen jeweils aus einer Großstadt, einer Kleinstadt und aus einer ländlichen Region befragt. Das Bildungsniveau reichte vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur; die Berufsbereiche vom Ausbildungsberuf bis zum Hochschulabschluss. All diese Umstände haben die Lebensthemen der befragten Frauen jedoch kaum beeinflusst. Ausnahme ist das Lebensthema „Familie“; es zeigt sich überwiegend bei Frauen aus der ländlichen und kleinstädtischen Region mit Hauptschulabschluss. Diese Tatsache darf aber nicht den Rückschluss erlauben, dass sich alle jungen Frauen auf dem Land für das Projekt „Familie“ entscheiden. Zwar verlieren soziostrukturelle Merkmale wie Geschlecht, Herkunft, Bildung, Milieu oder Region nicht ihren Einfluss, aber die Zusammenhänge sind komplexer und gewinnen unterschiedliche Relevanz. „Das Wie der Lebensführung und der Projekte junger Frauen (und ihrer Partner) wird von den Gelegenheitsstrukturen wie Geschlecht, Region oder Bildung beeinflusst, das Warum ihres Planens, Handelns und Gestaltens können die Lebensthemen erklären“ (S. 228).

Ein weiteres für die Geschlechterforschung wichtiges Ergebnis der Analyse ist, dass sich die befragten Partner der jungen Frauen in ihrem biografischen Handeln ebenfalls an einem Lebensthema orientieren, ähnlich den Lebensthemen der befragten Frauen. Damit wird die Annahme relativiert, dass junge Männer sich vorwiegend oder ausschließlich über ihren Beruf definieren. Der Beruf ist zwar wichtig, nimmt aber je nach Lebensthema einen unterschiedlichen Stellenwert ein.

„Gleich und gleich gesellt sich gern“

Um Aufschluss über die Bedeutung der individuellen Lebensthemen für Partnerschaftsprozesse zu gewinnen, wurden in einer relationalen Paaranalyse die empirisch rekonstruierten Lebensthemen der jungen Frauen und ihrer Partner aufeinander bezogen. Wider Erwarten zeigte sich bei einem überwiegenden Teil der befragten Paare eine Übereinstimmung in den individuellen Lebensthemen, welche bereits vor der Partnerschaft bestanden und sich durch die Beziehung auch nicht verändert haben. Stimmen die Lebensthemen überein, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer festen und tragfähigen Beziehung. Dies gilt auch für Paare mit unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Lebensthemen. Dagegen kam es in Paarbeziehungen mit diskrepanten Lebensthemen zu unüberbrückbaren Konflikten und zu häufigen Trennungen. Die Ursachen dafür sieht die Autorin nicht im Geschlechterverhältnis begründet, sondern führt diese auf die Lebensthemen zurück. Ausdrücklich weist sie darauf hin, dass unterschiedliche Lebensthemen über die Geschlechtergrenzen hinweg von den jungen Frauen und Männern in gleicher Weise formuliert werden.

Wie steht es nun um das Projekt Liebe, das dem Buch den Titel gibt? Liebe ist nach Barbara Keddi nicht als Gefühl, sondern in Anlehnung an Luhmann als symbolischer Code zu verstehen, der Erleben, Fühlen und Handeln in intimen Beziehungen steuert. „Wie die jungen Frauen und ihre Partner das Projekt Liebe für sich definieren, hängt mit ihrem Lebensthema zusammen“ (S. 221). Interessanterweise wird das Thema Liebe von den befragten Paaren kaum erwähnt. Vielleicht ist das der Grund, warum das ‚Projekt Liebe‘ in der Studie auch erst sehr spät und kurz thematisch aufgegriffen wird, so dass der gewählte Haupttitel falsche Erwartungen weckt.

Insgesamt überzeugt die vorliegende Studie sowohl in ihrer interdisziplinären, theoretischen Herangehensweise, die dem komplexen Untersuchungsgegenstand gerecht wird, als auch durch die in der empirischen Studie herausgearbeiteten Ergebnisse, die den bisherigen Forschungsstand modifizieren und ergänzen. Dennoch stellte sich mir bereits beim Lesen der Untersuchung, die – für mich – spannende Frage, wie die Lebensthemen entstehen und sich entwickeln und ob in dem Zusammenhang Einflussgrößen wie u. a. soziale Herkunft wieder eine andere Gewichtung bekommen. Zu wünschen wäre, dass weitere empirische Studien diese und die von der Autorin – in einem abschließendem Kapitel – genannten fortführenden Forschungsfragen aufgreifen, um weitere Forschungslücken zu schließen.

URN urn:nbn:de:0114-qn053018

Gabi Aßhorn

Neuss

E-Mail: gasshorn@aol.com

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