Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hg.):
CD-ROM: Enzyklopädie des Nationalsozialismus.
Berlin: Directmedia Publishing 1999.
CD-ROM, ISBN 3–932544–37–4, DM 49,90/ SFr 49,00/ ÖS 379,00
Abstract: Nach der Printausgabe der „Enzyklopädie des Nationalsozialismus“, die 1998 im Klett-Verlag erschien, liegt nun unter dem gleichnamigen Titel eine CD-ROM in der Digitalen Bibliothek des Verlages Directmedia Publishing vor. Angekündigt ist sie als umfassendes Nachschlagewerk zum Nationalsozialismus, im Aufbau als eine Kombination aus Handbuch, Sachlexikon und kommentiertem Personenverzeichnis. Bei diesem Anspruch darf erwartet werden, daß die Herausgeber dieses Werkes auch die Geschlechterperspektive berücksichtigen. Da kein Bereich sozialen Handelns und gesellschaftlicher Praxis unabhängig von Geschlechterdifferenzen strukturiert ist, ist es für die Erforschung historischer, politischer, kultureller Quellen unabdingbar, die Kategorie Geschlecht mit in den Blick zu nehmen, um so das Ineinander und Gegeneinander geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen von Männern und Frauen sichtbar zu machen.
Doch vorab einige allgemeine Hinweise zu diesem durchaus verdienstvollen Rechercheinstrument: Die elektronische Ausgabe basiert auf der dritten, korrigierten Auflage des Nachschlagewerkes und ist mit einer Seitenkonkordanz zu den entsprechenden Printausgaben der Verlage Klett-Cotta und dtv ausgestattet. (Einführung: Digitale Bibliothek Band 25: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 8). Neben 22 ausführlichen Artikeln zu Themen wie Ideologie, Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft im Nationalsozialismus, aber auch zu Emigration oder zur Quellenlage können im Lexikon Begriffe, Daten, Ereignisse, Namen, Institutionen und Organisationen abgerufen werden (1400 Abschnitte). 1100 Kurzbiographien ermöglichen eine Orientierung über wichtige Personen und ihre Funktionen. Das Material wird ergänzt durch Abbildungen, Grafiken und Karten. Alles ist mit Hypertextfunktionen hervorragend miteinander verknüpft, so daß ein Springen zwischen den Daten und Texten problemlos möglich ist
Die CD-ROM ist interessant für Studierende und Forschende, aber auch für Lehrende an Schulen. Schülerinnen und Schüler der Oberstufen können damit sicherlich auch selbständig Recherchen durchführen. Die benötigten Systemvoraussetzungen sind gering: Man braucht einen PC ab 486er, 8 MB RAM (16 MB empfohlen), eine Grafikkarte ab 640x480, 256 Farben, und als Systemplattform Windows 3.11, 95, 98 oder NT. Selbst völlig Ungeübte werden keinerlei Probleme bei der Installation der Software haben. Wer andere CD-ROM aus dieser Digitalen Bibliothek kennt, wird sich mit der übersichtlich gestalteten Benutzeroberfläche leicht in Bewegung setzen können. Aber auch diejenigen, die ungeübt sind, werden sich schnell zurecht finden, da der Aufbau des Inhaltsverzeichnisses grafisch den Verzeichnisbäumen des Dateimanagers resp. Explorers entspricht, also allseits bekannt sein dürfte. Zu den Suchfunktionen, die bei allen CDs der Digitalen Bibliothek gleich gestaltet sind, gehören die Boolschen Operatoren, Klammern und Platzhalter. Erfreulicherweise können also selbst komplexe Volltextrecherchen durchgeführt werden.
Der größte Vorteil der digitalen Publikation im Vergleich zur Printversion besteht darin, auf unkomplizierte und einfache Weise Textstellen finden und auf schnelle Art und Weise biographische Daten, Organisationen, historische Ereignisse u.ä. nachschlagen zu können. Prinzipiell stehen drei verschiedenfarbige Permanent-Textmarker zur Verfügung, mit denen Textstellen markiert werden können. Parallel wird dazu automatisch eine Liste erstellt. Das heißt, es ist möglich, die CD-ROM nach Textstellen zu durchsuchen, in denen beispielsweise Frauen thematisiert werden, und diese Textstellen zu sammeln. Das gesuchte Wort („Frau“ z.B.) kann temporär markiert werden, wodurch es im Text leicht auffindbar ist. Auf Wunsch wird eine Fundstellenliste angezeigt, zwischen diesen einzelnen Fundstellen läßt es sich leicht hin- und herspringen. Über die Zwischenablage können aus den Textpassagen bis zu acht Seiten am Stück kopiert und damit im eigenen Text weiterverarbeitet werden. Sehr praktisch ist, daß der Zitatnachweis automatisch in den eigenen Text übernommen wird und in eckigen Klammern erscheint, z.B.
Der Mann ein Soldat, die Frau eine Mutter (von künftigen Soldaten) – in dieser Formel läßt sich das Geschlechterbild des frühen Nationalsozialismus zusammenfassen. [Teil I: Handbuch: Reaktionäre oder moderne Geschlechter-Ideologie, S. 3. Digitale Bibliothek Band 25: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 538 (vgl. EdNS, S. 221) (c) Verlag Klett-Cotta]
Die Suche nach frauen- und geschlechterspezifischen Themen ergibt ein zwiespältiges Bild: So ist im Handbuchteil ein Grundlagentext von Ute Frevert zu finden, der sich den Unterthemen „reaktionäre oder moderne Geschlechterideologie“, „Moderne versus Barbarei – Fortschritt versus Rückschritt“, „Rassen- und Bevölkerungspolitik“, „Arbeitsmarktpolitik“ sowie „Massenmobilisierung und Frauenloyalität“ widmet. Inhaltlich bewegt sich die Argumentation nicht auf der Höhe des aktuellen Diskurses, und dies spiegelt das dürftige und auch für die Neuauflage offenbar nicht überarbeitete Literaturverzeichnis am Ende des Beitrages wider (von den 19 angegebenen Titeln sind lediglich vier aus den beginnenden 90er Jahren). Die Diskussion um Geschlecht und Rasse als Untersuchungskategorien innerhalb der Forschung zum NS wird längst mittels „gründlicher sozial- und alltagsgeschichtlichen Untersuchungen“ (S. 545) geführt und hat sich von Methoden der Ideologiekritik (Stichwort „der Antifeminismus der NS-Ideologie“) verabschiedet. Auch die Täterinnenforschung vermochte diesbezüglich weiterführende Einsichten zutage zu fördern. Die Stichwortsuche freilich ist weder beim Begriff „Täterin“ noch bei „Aufseherin“ oder ähnlichem von Erfolg gekrönt
Ein weiterer Versuch betrifft die Suche nach Informationen zu „Ravensbrück“, dem größten Frauen-Konzentrationslager im damaligen Reichsgebiet. Im Lexikonteil findet sich, zwischen den Stichworten „Raumordnung“ und „Rechberg-Gruppe“, ein kleiner Artikel ( von Detlef Garbe), weitere sechs Textstellen werden aufgeführt, in denen auf Ravensbrück verwiesen wird. Neben dem Leitartikel von Ludwig Eiber u.a. zu Konzentrationslagern, in dessen Verlauf Ravensbrück einige Male mit aufgelistet ist, werden zum Beispiel die medizinischen Experimente im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück erwähnt, ohne jedoch die hinreichend bekannte, nach dem Krieg verurteilte SS-Ärztin Herta Oberheuser auch nur zu nennen. Leider bleiben auch Informationen zum weiblichen SS-Personal lediglich auf den folgenden Satz beschränkt:
In R. befand sich zudem ein Ausbildungslager für weibliches Wachpersonal. [Teil II: Lexikon: Ravensbrück (KZ), S. 2. Digitale Bibliothek Band 25: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 2260 (vgl. EdNS, S. 661) (c) Verlag Klett-Cotta]
In Ravensbrück wurden jedoch mindestens 3500 Frauen zu Aufseherinnen ausgebildet, und über die im KZ-System einmalige Personalstruktur von Ravensbrück (Oberaufseherin, Aufseherinnen versus männliches SS-Personal) würde man sich noch einige Hinweise wünschen. Solche Lücken hätten vermieden werden können, wenn die Herausgeber bei den 132 einbezogenen Mitarbeiter/-innen auch auf eine kompetente Fachkraft, die zu Ravensbrück forscht, zurückgegriffen hätten.
Eine Themensuche „Geschlechterverhältnis“, „Geschlechterideologie“ bleibt ohne Ergebnis, lediglich über den Begriff „Frau“ kann man sich der Thematik annähern. Abbildungen gibt es lediglich zwei, die sich auf „Frau“ beziehen – doch ist der Abbildungsteil auch insgesamt nicht der spannende Teil der CD-ROM.
Selbst wenn man bei einem solch riesigen Unterfangen wie einer Enzyklopädie des Nationalsozialismus die Notwendigkeit der Beschränkung einsehen kann, so wäre eine gründliche Überarbeitung mindestens des Personenkatalogs unerläßlich. Ist Joseph Goebbels selbstverständlich unter den Kurzbiographien vertreten, so wird seine Frau Magda nicht einmal in dessen biographischer Notiz namentlich erwähnt, vielmehr wird ihre (Mit-)Täterschaft bis in die sprachliche Formulierung hinein getilgt:
Selbstmord mit seiner Frau im Führerbunker unter der Reichskanzlei, nachdem er vorher seine sechs Kinder vergiftet hatte. [Teil III: Personenverzeichnis: Digitale Bibliothek Band 25: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 3012 (vgl. EdNS, S. 839) (c) Verlag Klett-Cotta]
Selbstverständlich hat Magda Goebbels die Ermordung der eigenen Kinder mitgetragen und mitausgeführt. Auch war sie schon zu Beginn ihrer Beziehung zu Joseph Goebbels aktiv am Aufbau seines geheimen Archivs beteiligt, sie war also Mitwisserin seiner strategischen Schachzüge, die er gegen ihm unliebsame Parteigenossen ausheckte. Daneben unterhielt sie ein eigenes Büro mit Sekretärin, um die Flut an Anfragen, Bittbriefen etc. zu bewältigen, die sie als erste Frau im Hitlerstaat erreichte. Es gibt genügend Beispiele für antisemitische Kampagnen, die sie in den Jahren 1936 bis 1945 unterstützte oder auch selbst initiierte.
Der prozentuale Anteil von Frauen, die in diesen 1100 Kurzbiographien einen Platz erhalten, ist beschämend, die Auswahl mutet mehr als willkürlich an. So gibt es neben Daten zu Hannah Arendt oder Gertrud Scholtz-Klink einige Frauen von Widerstandskämpfern, die selbst aktiv an der Seite ihrer Männer hervortraten und (deshalb?) in den Katalog Eingang fanden (Mathilde Ludendorff oder Hanna Solf). Des weiteren wird Ina Seidel als einzige der vielleicht drei Dutzend Schriftstellerinnen erwähnt, die während des NS (und oft noch nach 1945) einen Namen hatten und veröffentlichten. Bei der umfassend berücksichtigten Mann-Familie (Thomas, Heinrich, Golo, Klaus) fehlt ausgerechnet Erika Mann, die durch vielfältige Aktivitäten gegen das nationalsozialsistische Regime hervorgetreten ist. Neben den hier aufgezählten Frauen trifft man im Personenstichwortverzeichnis nur noch einige vereinzelte Frauen an; sowohl die Ehefrauen der SS-Männer und (Mit-)Täterinnen als auch berühmte Widerstandkämpferinnen – sieht man von Anne Frank und Sophie Scholl einmal ab –, sucht man in der Regel vergeblich.
Als Fazit kann unter dem Aspekt der Berücksichtigung der Frauen- und Geschlechterforschung lediglich ein zwiespältiges Urteil abgegeben werden. Überzeugen die Ausstattung und die Möglichkeiten dieses Nachschlagewerks im Hinblick auf schnelle Orientierung und sachkundige Informationen zum Thema Nationalsozialismus, so muß andererseits das offensichtlich vorherrschende Motto: „Frauen sollten wenigstens erwähnt werden“ kritisiert werden. Zwar liefert Freverts Beitrag zur Frauen- und Geschlechterforschung eine erste grundlegende Einführung. Diese bleibt aber in bezug auf die gesamte Enzyklopädie relativ unvernetzt und erfährt – anders als viele andere der aufbereiteten Themen – weder eine Kontextualisierung innerhalb der präsentierten Ergebnisse der NS-Forschung noch eine Konkretisierung über biographische Daten. So kann nur auf eine überarbeitete Neuauflage gehofft, über die aufgezeigten Defizite bis dahin nachsichtig hinweg gesehen und dazu ermuntert werden, eine Nachhilfe in Sachen Frauen- und Geschlechterforschung in Anspruch zu nehmen.
URN urn:nbn:de:0114-qn012169
Dr. Constanze Jaiser
ZE Frauen- und Geschlechterforschung Freie Universität Berlin
E-Mail: jaiser@zedat.fu-berlin.de
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