Islam der Frauen?

Rezension von Anna Würth

Mechtild Rumpf u.a. (Hg.):

Facetten islamischer Welten.

Geschlechterordnungen, Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion.

Bielefeld: transcript 2003.

312 Seiten, ISBN 3–89942–153–1, € 24,80

Abstract: Das Thema Islam hat Konjunktur, und auch die Beschäftigung mit dem Thema „muslimische Frauen“ nimmt zu. In den Beiträgen des von Mechthild Rumpf, Ute Gerhard und Mechthild M. Jansen herausgegebenen Sammelbandes werden die widersprüchlichen Folgen von globalen Islamisierungstendenzen für Musliminnen untersucht. Dabei werden sowohl die bestimmenden Faktoren des eigenen Blicks auf „die anderen“ heraus gearbeitet als auch die Komplexität der Geschlechterordnungen in islamisch geprägten Gesellschaften und Gemeinschaften. Vor allem geht es den Autorinnen des Bandes darum, die vielfältigen Bedeutungen und Bedeutungszuweisungen des Faktors „Islam“ für das Leben und das Selbstverständnis von Frauen herauszustellen.

Editorische Gestaltung

Der vorliegende Band geht auf die Konferenz „Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnungen und interkultureller Dialog“ vom Oktober 2002 an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt/Main zurück. Auffällig, vielleicht aber auch programmatisch, ist die Änderung im Untertitel: so wird der Begriff „Geschlechterordnungen“ beibehalten; jedoch der des „interkulturellen Dialogs“ in „Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion“ umgewandelt. In der pointierten Einleitung von Mechthild Rumpf (S. 13–31) wird dies indirekt begründet. Zum einen soll der Band keine reine Konferenzdokumentation sein. Zum anderen wird der Begriff des interkulturellen Dialogs problematisiert – der Islam ‚rede‘ nicht, außerdem sei er eine Religion, die sich in verschiedenen Kulturen finde und durch sie geprägt werde (vgl. S. 19). Die Autorinnen des Bandes sind fast ausschliesslich Inländerinnen bzw. Bildungsinländerinnen. Der Diskurs über die „neue muslimische Frau“, so die Wendung von Barbara Pusch, wird in diesem Band damit fast ausschließlich über sie, nicht von ihnen geführt; reflektiert wird dies allerdings nur von Barbara Pusch (S. 252 f.).

Der Band ist in drei relativ gleichgewichtige Teile gegliedert. Im ersten Teil legen die Autorinnen den Schwerpunkt auf den politischen Kontext von Frauenpolitik in islamisch geprägten Ländern, im zweiten Teil auf normative Aspekte der Frauenrechtsbewegung(en) und im dritten Teil dann auf Lebensweltliches und die Selbstverständigung junger muslimischer Frauen in der Türkei und in der Bundesrepublik. In ihren Einleitungen zum ersten und dritten Teil zeichnet Mechthild Rumpf kenntnisreich und präzise die großen Linien und Debatten nach, in die sich die folgenden Einzelaufsätze einordnen lassen – dies sowohl mit Blick auf die Geschlechterforschung als auch hinsichtlich der Sichtweise(n) auf den Islam. In der Einleitung zum zweiten Teil bettet Ute Gerhard die islamisch geprägten Auseinandersetzungen um Frauenrechte als Menschenrechte in die europäischen Diskussionen ein. Es sind diese drei Ein- und Überleitungen, die, mit ausführlichen Literaturangaben versehen, dem Band seine innere Spannung und analytische Perspektive verleihen, indem sie immer wieder auf die notwendige doppelte Sicht – auf „den Islam“ und auf die Geschlechterverhältnisse – verweisen. Allerdings werden nur wenige Beiträge diesem Anspruch gerecht.

Islam und Politik

In dem Beitrag von Renate Kreile mit dem etwas sperrigen Titel „Identitätspolitik, Geschlechterordnung und Perspektiven der Demokratisierung im Vorderen Orient“ wird die wechselhafte Frauenpolitik in Ägypten als Antwort auf gesamtpolitische Konjunkturen und Krisenperzeptionen analysiert. Kreile zeigt, wie sich diese Politik auf Frauen ausgewirkt hat, berücksichtigt jedoch nur unzureichend deren unterschiedliche soziale Herkunft. Insgesamt weist Kreile jedoch nach, dass Politik gegenüber Frauen im „Vorderen Orient“ eben genau das ist: Politik, nicht irgendeine urwüchsige Tradition, die sich unaufhaltsam ihren Weg bahnt. Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, Gesetzgebung und -reformen – all dies sind politische Entscheidungen, die zumeist von kaum legitimierten Regierungen, die vorwiegend männlich zusammengesetzt sind, getroffen werden und „den“ Islam mobilisieren. Ähnlich argumentiert Ann Mayer in ihrem Beitrag (s. u.). Ziba Mir Hosseini geht in ihrem Beitrag zu Möglichkeiten von Geschlechtergerechtigkeit und -gleichheit davon aus, dass das Aufkommen des politischen Islams im Iran einen Ort geschaffen hat, von dem aus sich Frauen für eine gerechtere Geschlechterordnung einsetzen können. Sie zeichnet nach, wie iranisch-islamische Feministinnen versuchen, überkommene Rechtsfiguren zu dekonstruieren und frauenfreundlich(er) zu interpretieren. Die Frage drängt sich auf, ob die „Islamisierung“ im Zuge der Revolution von 1979 eine quasi notwendige Vorbedingung für das Aufkommen des von Mir-Hosseini konturierten kritischen islamisch-feministischen Diskurses war.

So interessant die Beiträge von Hosseini und Kreile auch sind, sie verzeichnen einen allzu vereinfachten Zugriff auf die Geschichte. Kreile geht von traditionellen, islamischen Geschlechterordnungen aus, die „zunehmend außer Kraft gesetzt“ werden, worauf islamisch geprägte Gesellschaften allergisch, sprich mit zunehmender Kontrolle von Frauen, reagieren (S. 39). Mir Hosseini geht vom „traditionalistischen Diskurs“ des islamischen Rechts aus, der bei ihr bar historischer Entwicklung erscheint (vgl. S. 55 f.). Beide sitzen also letztlich dem Bild einer ahistorischen Tradition in verschiedenen Sektoren islamisch geprägter Gesellschaften auf. Das gleiche Bild von der unbewegten Tradition findet sich bei vielen Orientalisten sowie bei modernistischen Muslim/-inn/en des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Frauenrechte als Menschenrechte

Im zweiten Teil steht die Debatte um Frauenrechte als Menschenrechte im Mittelpunkt. Ute Gerhard zeigt überzeugend und eloquent, dass „die Instrumentalisierung der Frauenfragen“ kein islamspezifisches Privileg ist, und verweist, wie auch Heiner Bielefeldt in seinem Beitrag, auf die Einsprüche christlicher Theologen gegen Frauenrechte (vgl. S. 90). In der Auseinandersetzung mit Sabiha El-Zayat, die die (westliche) feministische Diskussion als Verneinung von Differenz liest, fällt Gerhard jedoch hinter den theoretischen Anspruch des Bandes zurück, wenn sie unterstellt, El-Zayat habe „die feministischen Diskussionen offenbar missverstanden“ (S. 96). Wie Rumpf an anderer Stelle verdeutlicht, wird das, was der Kampf um Frauenrechte beinhaltet, über die Wahrnehmungen des Anderen und des Eigenen gebrochen (S. 17 f.).

Ann Mayer diskutiert die Vorbehalte islamisch geprägter Staaten gegen die Frauenrechtskonvention. In der Tat hat eine Mehrzahl dieser Staaten die Konvention zwar gezeichnet, aber proportional weitaus mehr Vorbehalte gegen sie eingelegt als andere Staaten. Mayers Beitrag richtet sich gegen einen prominenten US-amerikanischen Diskurs, der diese Vorbehalte, von denen einige (aber nicht alle) auf die shari’a verweisen, als Ausdruck der Religionsfreiheit werten möchte. Mayer entlarvt die Vorbehalte islamisch geprägter Staaten damit als religiöse Bemäntelung politischer Strategien. Doch ihre Darstellung bleibt holzschnittartig: „Regierungen“, „Fundamentalisten“ bleiben ohne Profil, sind repressiv und bedürfen daher keiner weiterer Analyse mit Blick auf Akteure und Akteurinnen und deren Motive.

Anders stellt sich dies in den Beiträgen von Lise Abid und Katajun Amirpur dar. Abid zeigt, dass die Forderung nach Einführung des islamischen Rechts von einer Vielzahl von Akteuren und Akteurinnen vorangetrieben wurde; für einige von ihnen – Abid verweist auf Nigeria – stand dabei die Vorstellung im Vordergrund, das islamische Recht werde ihre Sicherheit in einem stärkeren Maße garantieren als die bestehenden Rechtssysteme (vgl. S. 144). Informativ und vorzüglich geschrieben ist der Beitrag von Katajun Amirpur (S. 163–178) zum Denken des iranischen Philosophen Abdelkarim Soroush. Dabei geht es jedoch eher um die demokratie- und freiheitstheoretische Deutung des Islams durch Soroush und weniger um Frauenrechte. Zum Abschluss dieses Teils kommentiert Gabriele Britz kritisch die Rechtsprechung im deutschen Kopftuchstreit.

Frauenrechte als Menschenrechte

Im dritten Teil kommen Autorinnen zu Wort, die sich mit Musliminnen in der Türkei und in der Bundesrepublik beschäftigen. Barbara Pusch beschreibt Kopftuchträgerinnen in der Türkei, die sie als die „neuen muslimischen Frauen“ bezeichnet. Andere Bezeichnungen – wie islamistisch oder fundamentalistisch –, die auch auf einen politischen Kontext verweisen würden, verwirft sie, da sie ihr zu negativ besetzt scheinen (vgl. S. 244). Insgesamt bleibt die theoretische Einbettung von Puschs Beitrag hinter dem Anspruch des Bandes zurück.

Gerdien Jonker analysiert die Rolle von muslimischen Expertinnen als Sachverständige in der fachgerechten Auslegung der islamischen Tradition. Wie Mir-Hosseini argumentiert Jonker, allerdings implizit, dass die Islamisierungstendenzen in der türkischen Gemeinde letztlich dazu führten, dass Frauen in Räume vordringen, in denen sie vorher nicht prominent agierten. Jonker zeigt sehr überzeugend, dass Formen und Inhalte der Schulung dieser Expertinnen ihre späteren Interpretationen von islamischer Lebensführung nicht prädeterminierten (vgl. S. 238). Jonker analysiert vor allem die institutionelle Dynamik der Ausbildung und der Einsatzbereiche von Expertinnen. Grit Klinkhammer geht hingegen auf individuelle Entwürfe islamischer Lebensführung ein. Anhand von drei jungen Musliminnen der zweiten Generation in Deutschland zeigt sie die Pluralisierung islamischer Identitätskonstruktionen, sowohl unter Kopftuchträgerinnen als auch unter Nichtkopftuchträgerinnen. Ähnlich argumentiert Yasemin Karakasoglu mit Blick auf das religiöse Selbstverständnis von muslimischen Studentinnen. Allen Beiträgen im dritten Teil hätte ein vergleichender Bezug auf aktuelle Forschung zu Frauen in der islamisch geprägten Welt sicher gut getan; auch dort hätten sich viele Hinweise darauf finden lassen, dass Kopftuch nicht gleich Kopftuch ist. Sigrid Nökel beschließt die Fallstudien zu Musliminnen in der Migration mit einem eher theoretisch geprägten Beitrag. Man muss ihren stark an Foucault orientierten Theorieansatz nicht teilen, allerdings ermöglicht er ihr, die zuvor beschworene „neue muslimische Frau“, den „islamischen Feminismus“ und die „Pluralisierung von Identitätskonzeptionen“ kritisch zu hinterfragen und zu zeigen, dass auch dieses Konstruktionen sind, die – abhängig von Machtbeziehungen – in die Körper von Frauen eingeschrieben werden (vgl. S. 307).

Resümee

Zum Schluss noch Formalien. Die Umschrift arabischer Termini hätte einheitlicher gestaltet werden können. Bei Mayer haben sich einzelne Fehler und Widersprüche eingeschlichen. So hat Bangladesch 1997 nur einen Teil, aber nicht alle Vorbehalte gegen CEDAW zurückgezogen (vgl. S. 110). Zusätzlich spricht Mayer an einer Stelle davon, dass das Recht der islamisch geprägten Staaten gesetztes Recht sei, an anderer Stelle spricht sie ihm diesen Charakter ab (vgl. S. 105, 110). Keine Formalie ist, dass einige Beiträge mit der Kategorie Geschlecht unreflektiert umgehen. So schreibt Kreile durchgehend von „Islamisten“ als hätte es in Ägypten nie Islamistinnen gegeben. Die Übersetzung der englischsprachigen Beiträge von Mayer und Mir-Hosseini verzichtet gänzlich auf geschlechtssensible Sprache, dort gibt es nur „Muslime“, bei Ann Mayer nur „Fundamentalisten“ und eine „Bevölkerung“, ohne Ort, ohne Klasse und Geschlecht.

Insgesamt ist der Band gut lesbar und mit Blick auf Migrationsforschung auch empirisch interessant; theoretisch gehaltvoll sind dagegen die editorischen Einleitungen und Sigrid Nökels Beitrag.

URN urn:nbn:de:0114-qn053323

Dr. phil. Anna Würth

Berlin, Deutsches Institut für Menschenrechte/Freie Universität Berlin, Institut für Islamwissenschaft

E-Mail: awuerth@zedat.fu-berlin.de

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