Formen der Vielfalt – Vielfalt der Formen. Zur Repräsentation von Körper/Geschlecht

Rezension von Katharina Baisch

Insa Härtel, Sigrid Schade (Hg.):

Körper und Repräsentation.

Opladen: Leske + Budrich 2002.

250 Seiten, ISBN 3–8100–3318–9, € 22,50

Abstract: Die vorliegende Publikation, die in zwei Bänden jeweils auf deutsch und englisch vorliegt und die aus einer Kooperation des Zentrums für feministische Studien (ZFS) an der Universität Bremen mit der Internationalen Frauenuniversität Hannover 2000 hervor gegangen ist, bietet einen internationalen und interdisziplinären Querschnitt zur Frage nach Repräsentations- und Konstruktionsformen von Körper und Geschlecht in unterschiedlichen Diskursen.

Wie kommt es zu einem Buch?

Wie ist das Verhältnis von Veranstaltung und darauffolgender Publikation, die weder Dokumentation sein kann noch will? Auch wenn das Verhältnis nicht klar zu bestimmen ist, ist die Frage hier wichtig, denn es hat den Anschein, dass die Veranstaltung für die Gestaltung des Buches in vielerlei Hinsicht prägend war, folglich in der Buchform auch anwesend ist.

Das ausführliche Vorwort der Herausgeberinnen nimmt dazu Stellung. Die zweiwöchige Studienphase „The Body And Representation. Feminist Research And Theoretical Perspectives“ wurde an der Bremer Universität vom ZFS in Form von kultur- und sozialwissenschaftlich orientierten Vorlesungen, Workshops, Seminaren, Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt. In Anlehnung und wohl auch in Abgrenzung zum Projektbereich BODY in Hannover wurde in Bremen gendertheoretischen Zugängen der Dekonstruktion, Diskursanalyse, Psychoanalyse und Semiologie Raum geboten. Das ist der rote Faden, der sich durch die Publikation zieht. Und das ist auch der Punkt, an dem kritisch hinterfragt werden muss, ob ernsthaft versucht werden kann, den Anspruch auf Internationalität im wissenschaftlichen Bereich einzulösen, wenn westliche Wissenschaftlerinnen mit „westlichen“ Theorien dominieren.

Die entsprechenden Diskussionen sind unterschiedlich stark in die veröffentlichen Texte eingearbeitet worden, Diskussionszusammenfassungen gibt es nicht, auch sind Texte aufgenommen worden, die nicht in dieser intensiven Studienphase vorgestellt worden waren. Insofern ist die Veranstaltung weitergeschrieben worden. Sie spiegelt sich aber in der Vielfalt der Beiträge wider, die sich überzeugend der Fragestellung nach dem Verhältnis von Körper und Repräsentation widmen. Sie spiegelt sich auch in der Vielfalt der Beitragenden, Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen aus unterschiedlichen Ländern, wider. Und das sind wohl auch die Gründe, weshalb die Aufsätze leider so kurz gehalten wurden, was deshalb zu bedauern ist, weil man meistens gerne weiterlesen, mehr erfahren möchte.

Das versteckte Verhältnis von Repräsentation und Konstruktion

Abgesteckt werden in dem weiten Feld von Körper und Repräsentation die Bereiche „Sexualität und Gestaltungspotentiale“, „Körpersprachen – Körperzeichen“, „Der Körper und die (Neuen) Medien“ und „Nation und Körper“, zu denen die Herausgeberinnen jeweils informative einleitende Überlegungen formulieren. Um jede Sektion zu würdigen, seien hier einzelne Ausführungen herausgegriffen, anhand derer die Frage nach dem Verhältnis von Repräsentation und Konstruktion aufgefächert werden soll.

Repräsentation und Blick

In der ersten Sektion „Sexualität und Gestaltungspotentiale“ werden in mehreren Beiträgen Visualisierungsstrategien problematisiert. So führt Linda Hentschel in ihrem Beitrag „Pornotopische Techniken des Betrachtens – Gustave Courbets ‚L’origine du monde‘ (1866) und der Penetrationskonflikt der Zentralperspektive“ vor, wie mit der Repräsentation des weiblichen Körpers mediale Räume (u. a. visuell erfahrene Landschaften) über ein Begehren, das um die Grenzen von Sichtbarkeit und Öffnungen kreist, feminisiert werden.

In der Zentralperspektive werde das Bild als Öffnung konstruiert und zugleich werde diese Konstruktion verschleiert, was als sexuelle Technik gelesen werden kann : „ […] mit der Feminisierung des Raumes [wird ] der sexuelle Akt nicht metaphorisiert, sondern das Sehen selbst sexualisiert […] „ (S. 67) Im Vergleich zwischen Kunst und Pornografie und deren Versuchen, maximale Sichtbarkeit in der Repräsentation zu erreichen, sei es die Kunst, die mehr zu sehen erlaube: in der Konstruktion des unsichtbaren Ortes als Landschaft werden die Grenzen der Repräsentation unkenntlich gemacht.

Repräsentation und Bedeutung

Im zweiten Abschnitt mit dem Titel „Körpersprachen – Körperzeichen“ geht Sigrid Schade explizit darauf ein, was der Begriff der Repräsentation im Bereich der Gender und Queer Studies leisten kann. Eine Kritik an Butler entzündet sich an der Auffassung von Sprachlichkeit als einem vom Körper abgelösten Zeichensystem. Um diesem Missverständnis entgegenzuwirken, erinnert Schade an ein Konzept von Repräsentation, das Theoretiker/-innen und Künstler/-innen der 70er und 80er Jahre herausgearbeitet haben. So verstehen u. a. Tickner und de Lauretis jede Subjektwerdung, und das heißt immer auch sexuelle Differenzierung, als Signifikationsprozess der symbolischen Ordnung, als (v)erkennende Ausrichtung an Repräsentationen, die sprachlich verfasst sind. „Repräsentation bedeutet also nicht Bild oder Kunst im Besonderen, sondern eine sprachliche Struktur, in der Bilder und Texte aufeinander verwiesen sind, um zu bedeuten.“ (S. 85). Wie der Entwurf und Einsatz des Begriffes der Grazie zur Disziplinartechnik für körperliche Expression werden kann, verläuft über die Repräsentation die Konstruktion von Sozialem und Subjekten.

Repräsentation und Reproduktion

Im Schwerpunkt „Der Körper und die (Neuen) Medien“ berichten zum einen Künstlerinnen über ihre Reflexionen und Verfahren bei der Herstellung von Kunstobjekten, zum anderen eruieren die Wissenschaftlerinnen Hannelore Schwedes und Ulrike Bergermann die medialen Besonderheiten in der Produktion von Fotografie und Film.

Die Medienkünstlerinnen Maria Klonaris und Katerina Thomadaki, die sich als „Doppelautorin“ verstehen, stellen ihre Arbeit der letzten 25 Jahre vor. Ihre theoretische Auseinandersetzung mit feministischen Identitäts-, Körper- und Sexualitätsdiskursen wird medial umgesetzt in Experimentalfilme und Avantgardekunst, die bewusst gegen Mainstream-Produktionen gesetzt werden.

Bergermann untersucht in ihrem Aufsatz „Hollywoods Reproduktionen: Mütter, Klone, Aliens“ die Alien-Filme nach der ästhetischen und technischen Repräsentation von Reproduktion. Sie geht den Reproduktionsversionen und -visionen nach, die in den Filmen erzählt werden, und liest diese quer zu den technisch realisierten Reproduktionsweisen bei der Herstellung der filmischen Bilder. Dabei kommt es in dieser vergleichenden Analyse des Mainstream-Materials zu mehr „Brüchen“ als bei den Künstlerinnen, was aber nichts gegen die Qualität ihrer Kunst einwenden soll. Repräsentation fällt bei Bergermann nicht zusammen mit Konstruktion wie bei Schwedes, sondern wird in ein spannungsreiches Verhältnis mit dem Begriff der Reproduktion gestellt.

Repräsentation und Nation

In der letzten Sektion „Nation und Körper“ führt die Historikerin Sumathi Ramaswamy vor, welche Funktionen der Personifizierung der Nation als Mutter für das Aufkommen und die Entwicklung des Nationalverständnisses im tamilischen Teil Indiens zukommen. Mit dem Aufrufen von Mutterschoss, Tränen und Blut, mit dem, was die Autorin als die „Somatik des Nationalismus“ bezeichnet, komme es sowohl zu Einheits- als auch zu Verinnerlichungsphantasien. Im Namen dieser Repräsentation werde dann auch der eigene Körper „geopfert“.

Silke Wenk betont in ihrem Beitrag „Geschlechterdifferenz und visuelle Repräsentation des Politischen“ ebenfalls die grundlegende Bedeutung einer polar propagierten Geschlechterdifferenz für die moderne Nationenbildung, in der Frauen zwar als „Gründerinnen“ inszeniert, aber aus dem politischen Machtbereich ausgeschlossen werden. Um eine einheitliche nationale Geschichte abzusichern, werden in öffentlichen Ausstellungen Repräsentationen des Weiblichen unternommen, die seltsam ahistorisch wirken. Anhand der Figur des Fetischs beschreibt Wenk visuelle Praktiken der Fixierung von Raum und Zeit, die deswegen notwendig seien, da die Repräsentation durch das Weibliche sich immer wieder zu entziehen drohe.

Die Publikation führt ein weites Spektrum an genderorientierten Arbeitsbereichen vor, was sehr inspirierend wirkt. Die Sektionen zu den (neuen) Medien und zum Thema Nation scheinen mir am innovativsten bearbeitet worden zu sein. Einige Beiträge müssten ausführlicher sein, um ihr kritischer Potenzial mehr zu entfalten. Insgesamt ist die vorgelegte Vielfalt fundierter Beiträge beeindruckend.

URN urn:nbn:de:0114-qn053027

Katharina Baisch, M.A.

Universität Hamburg/Arbeitsstelle für feministische Literaturwissenschaft/Institut für Germanistik II

E-Mail: Baisch.@gmx.de

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