Sieglinde Rosenberger, Birgit Sauer (Hg.):
Politikwissenschaft und Geschlecht.
Konzepte – Verknüpfungen – Perspektiven.
Wien: WUV 2004.
314 Seiten, ISBN 3–8252–247–9, € 22,90
Abstract: Während der Topos vom Krieg der Geschlechter Jahrhunderte alt ist, ist die gendersensible Bewertung politischer Mittel ein junges Forschungsgebiet. Das Buch ist als Handbuch politikwissenschaftlicher Grundbegriffe konzipiert. In den Beiträgen österreichischer, schweizerischer und deutscher Theoretikerinnen werden Schlüsselbegriffe der Politikwissenschaft diskutiert, historische Entwicklungen nachgezeichnet und methodische Ansätze erläutert. Die klare Organisation der Texte, die durch Textpfade und Begriffserklärungen im Glossar ergänzt werden, sowie eine umfassende Bibliographie bieten eine hervorragende Diskussions- und Forschungsgrundlage über die politische Disziplin hinaus.
Kriegerische Gewalt als Mittel der Politik scheint das Privileg der Männlichkeit. Der Krieg der Geschlechter bezeichnet eine andere Art von Krieg. Viele verschiedene Kulturen kennen beide Formen des Krieges. In ihrer äußerlichen Darstellungsweise und ihren Funktionen mag den beiden Formen des Krieges wenig gemeinsam sein. Ob es nicht doch einen inneren Zusammenhang zwischen diesen an sich sehr verschiedenen Formen von Gewalt gibt, diese Frage stellt sich wie viele andere Fragen bei der Lektüre dieses Buches ein, in dem die geschlechtsspezifische Selbstrepräsentation im politischen Leben analysiert wird. Die Themen machen deutlich, wie weit die Konsequenzen einer geschlechtssensiblen Analyse der Politik reichen. Es geht um Repräsentation und Partizipation in der Demokratie, um die Definition und Darstellung von Macht und Herrschaft und den Gebrauch bzw. das Monopol der Gewalt, um Arbeit und Arbeitsteilung, um die Definition des Staates und des Rechts. Refugien vermeintlich geschlechtsneutraler Politik zeigen sich bei dieser näheren Betrachtung eng verwoben, ja als Resultate einer geschlechterstereotypen Entwicklung des öffentlichen Bereiches.
Dass es dabei längst nicht darum geht, aus der Perspektive eines essentialistisch feministischen Standpunktes zu argumentierten, wird schnell deutlich. Die Autorinnen leisten einen Spagat: Einerseits repetieren sie (zurecht) altbekannte Themen der feministischen Kritik. Andererseits ist eine Darstellungsweise auszumachen, die sich der simplen Zuordnung geschlechtsspezifischer Topoi nachhaltig verweigert.
Bleiben wir beim Krieg. Sind Frauen Friedensengel und das weibliche Wesen von Natur aus pazifistisch? Der Krieg, das macht der Beitrag „Krieg und Frieden in den internationalen Beziehungen“ von Cilija Harders deutlich, hat auch weibliche Gesichter, die es ebenso zu analysieren gilt wie die männlichen. Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen hängen in Bezug auf Krieg und Frieden eng zusammen (vgl. S. 231), sie sind „verbunden wie in einem „System kommunizierender Röhren“ (S. 247). Soldatinnen verletzen das männliche Selbstbild des Kriegers. Weibliche Täterinnen werden in Erinnerung gebracht, angeführt von den Frauen in Ruanda, die als „cheerleader“ des Genozids Mörder zu ihren Untaten antrieben (S. 243).
Wer erwartet, hier würde eine Position bezogen, der es nur darum ginge, als Alternative zur Macht des patriarchalen Staates propagiert zu werden, wird Beitrag für Beitrag durch die unideologische Darstellungsweise der beteiligten Autorinnen eines Besseren belehrt. Diese ausgewogene Darstellungsweise führt daher zu manchen Überraschungen. So zu lesen in dem Beitrag von Birgit Sauer „Staat – Institutionen – Governance“, die dem patriarchalen Staat Gerechtigkeit widerfahren lässt. Sie stellt fest, dass „trotz aller Kritik am männlichen Staat es auch staatliche Maßnahmen [waren R.H.], die in den vergangenen dreißig Jahren die Gleichstellung der Geschlechter in westlichen Demokratien vorantrieben“ (S. 107). Überraschend auch die intelligente Analyse wohlfahrtsstaatlicher Politik, die zwar zur Förderung sozialer Gleichheit erdacht sei, aber mit sehr unterschiedlichen Effekten für die Frauen umgesetzt werde. Der internationale Vergleich zeigt, inwiefern Sozialstaaten den Klassenkonflikt, nicht aber den Geschlechterkonflikt befrieden (vgl. S. 116).
Cornelia Klingers Beitrag analysiert die Begriffe „Macht – Herrschaft – Gewalt“. Klinger führt Hannah Arendt an, die Macht als gerade zu ideale politische Größe definiert, als „ability to act in concert“ (vgl. S. 85). Gewalt bezeichnet nach Hannah Arendt das Scheitern von Macht. Aus seiner negativen Aura befreit, verliert die These, alle Macht sei männlich, ihre Überzeugungskraft. Sie gewinnt einen produktiven Charakter. Gleichwohl gelang es durch die differenzierte Analyse des Machtbegriffs nicht, geltende Herrschafts- und Gewaltverhältnisse erheblich zu verändern. Zwar vertritt Klinger die Auffassung, im Bereich der Gewaltthematik seien durch die Genderdebatte „die vielleicht wirksamsten Resultate erzielt worden“ (S. 100). Im Hinblick auf die „Hierarchie in der symbolischen Ordnung“ und die „Herrschaft in der Sozialstruktur“ (S. 103) lasse sich aber feststellen, dass der differenzierte Machtbegriff keineswegs hinreichend war, eine Veränderung der Herrschaftsverhältnisse nach sich zu ziehen.
1988 hatte Carole Pateman eine Analyse vorgelegt, in der sie aufzeigte, dass dem bürgerlichen Gesellschaftsvertrag ein Geschlechtervertrag zu Grunde lag. Pateman hatte gezeigt, dass der öffentliche Vertrag der Staatsbürger miteinander von einen privaten Vertrag zwischen den Geschlechtern gestützt wird ist. In diesem Geschlechtervertrag sichert sich der männliche Staatsbürger seine Handlungsfähigkeit im öffentlichen Bereich und seine Nachkommenschaft. Die Grenzziehung von öffentlicher und privater Sphäre manifestierte die Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau und zementierte die Fesselung der Frauen in die Ohnmacht des Privaten. Nicht zuletzt deshalb war der Staat die politische Antiinstitution der Frauenbewegung (vgl. S. 17). An verschiedenen Stellen rekurrieren die Autorinnen auf Patemans Analyse. Aber auch hier gilt das oben Gesagte. Die Qualität des Buches liegt darin, neue Perspektiven auf Altbekanntes frei zu machen. Dies gilt auch für den Topos vom Privaten als Ort weiblicher Unterdrückung. Sabine Lang zeigt in ihrem Beitrag „Politik – Öffentlichkeit – Privatheit“, dass die aktuellen Forschungen sich von dem alten Bild frei gemacht haben, das das Private auf das konservative Familienmodell reduziert hatte. Heute geht es um die Bewahrung privater Räume als „Territorien des Selbst“. Gleichwohl muss dieser Schutz von Privatheit einhergehen mit einer „radikalen Gleichheitsnorm“ (S. 80). Tradierte Vorstellungen von Privatheit sollten neu konzeptioniert werden, eine geschlechtergerechte Öffentlichkeit sich als „pluralisierte, assoziations- und Netzwerk- orientierte Öffentlichkeit“ realisieren können. Um das zu verstehen, kommen uns die Beiträge zu „Demokratie, Partizipation und Repräsentation“ von Barbara Holland-Cunz und Sybille Hardmeier gerade recht. Weil die demokratische Repräsentationsidee als Kernidee von Anfang an als Instrument des Ausschlusses genutzt wurde, werden radikaldemokratische Visionen wach, in denen das Mehrheitsprinzip aufgehoben wird. Gerade im Rahmen der Repräsentations- und Demokratiedebatte wird deutlich, dass die Themen der feministischer Diskussion Themen von brennendem öffentlichen Interesse sind. Intelligent und wohltuend frei von ideologischen Mustern werden in diesem Buch Defizite in der Theoriebildung von Staat und Institutionen festgemacht, die freilich nicht nur die Frauenforschung betreffen. Sie betreffen die Grundlagen unseres Gesellschaftssystems.
Ist in den politischen Entscheidungseliten die Frage der geschlechtsspezifischen politischen Darstellung schon als Thema angekommen? Welche Gründe hat die Abwesenheit einer geschlechtsdifferenzierten Politik? Wie verhält es sich im Kulturvergleich? In zwölf Beiträgen werden wichtige Begriffe der politischen Disziplin von namhaften Politikwissenschaftlerinnen einer Analyse hinsichtlich ihrer impliziten geschlechtsspezifischen Urteilsstrategien unterzogen. Methodische Selbstreflexion – erörtert im Beitrag von Regina-Maria Dackweiler – ist hier nötig und wird durchgängig auf hohem Niveau geübt. Grundlegende Themen, wie sie in der feministischen Frauenforschung seit ihrem Beginn diskutiert werden, werden erörtert, so im Artikel „Arbeit und Arbeitsteilung“ von Ute Behning, in „Interesse – Identität“ von Sieglinde K. Rosenberger und im Rahmen der Reflexion von „Politik und Recht“ von Gabriele Wilde. Auf 20 Seiten findet sich ein Glossar von Begriffen und eine informative Literaturliste von mehr als 30 Seiten Länge.
„So zentral die Kategorie Geschlecht für neuere feministische Forschung ist, so wenig elaboriert und systematisiert scheint sie bis dato allerdings“ (S. 33). Diese weise Einsicht von Eva Kreisky, der das Buch gewidmet ist, ist methodisch leitend und erfolgreich. In diesem Buch durften sich veraltete feministische Mythen nicht einnisten, einem Jargon der feministischen Essentialität wurde hier kein Bleiberecht erteilt. Ein Buch (fast) ohne Pathos, mit umso mehr Ansätzen für einen hoffnungsvollen klaren politischen Diskurs, dessen Kraft und Veränderungspotential aus dem Buch hervor scheint.
URN urn:nbn:de:0114-qn061048
Priv. Doz. Dr. Ruth Hagengruber
Universität Koblenz / Universität zu Köln, Seminar für Philosophie
E-Mail: ruth.hagengruber@uni-koblenz.de
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