Reflexionen am Schauplatz Gender

Rezension von Barbara Drinck

Peter Döge, Karsten Kassner, Gabriele Schambach (Hg.):

Schaustelle Gender.

Aktuelle Beiträge sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung.

Bielefeld: Kleine 2004.

212 Seiten, ISBN 3–89370–386–1, € 20,90

Abstract: Der vorliegende Dokumentationsband vereint Beiträge, die eine Standortbestimmung der Geschlechterforschung innerhalb verschiedener sozialwissenschaftliche Disziplinen erleichtern. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der interdisziplinären Vernetzung und dem Transfer der in diesen Disziplinen etablierten Konzepte.

Im November 2001 veranstalteten Peter Döge, Karsten Kassner und Gabriele Schambach in Kooperation mit der Hans Böckler Stiftung, der Heinrich Böll Stiftung und dem Büro für Frauenförderung und Gleichstellung der Fachhochschule Nordostniedersachsen die Tagung „Gender als Kategorie in den Sozialwissenschaften. Stand – Perspektiven – Bündnisse“. Die aus dieser Tagung hervorgegangene und hier vorliegende Dokumentation führt in eine grundlegende Diskussion um Positionen und Integrations(miss)erfolge der Gendertheorie in der sozialwissenschaftlichen Disziplin ein. Sie bezieht sich dabei zum Teil auf interdisziplinäre Kooperationsprojekte.

Standort – Aussichten – Bündnisse

Insgesamt liegen elf Beiträge vor, die fünf Themenschwerpunkte umfassen. Die Herausgeber/-innen wollen mit ihrer Publikation einer immer noch vorherrschenden Ignoranz – auch in wissenschaftlichen Einrichtungen – entgegen wirken, die sich darin ausdrückt, dass das Geschlecht als eine der zentralen Kategorien in der Entwicklung von geschlechtsneutralen Konzepten und Theorien übersehen wird. Sie fordern eine Bereitschaft zur sensibilisierten Sicht auf bisher unbeachtete Bereiche – etwa im akademisch forschenden Gebiet oder in der alltäglichen Rezeption populärer Medienangebote. Ein derartig engagiertes Projekt der Eruierung und Überwindung von Unachtsamkeit im Umgang mit Geschlecht ist nur dann – so die Herausgeber/-innen und Autor/-innen – möglich, wenn es zu interdisziplinären Bündnissen kommt, in denen sich Projekte zusammenschließen und ihre Diskurse untereinander transferieren lassen.

Schwerpunkt: Karrieren des Geschlechts

Andrea Maihofer geht in „Von der Frauen- zur Geschlechterforschung – modischer Trend oder bedeutsamer Perspektivenwechsel?“ den Weg einer Rekonstruktion der chronologischen Entwicklung – angefangen von der Frauenbewegung in den 1970er Jahren bis zur heutigen Geschlechterforschung, um zu zeigen, wie durch diese Verschiebung eine bedeutsame theoretische (Weiter-)Entwicklung stattfinden konnte, die sogar zu einer Radikalisierung der Geschlechter- und somit Frauenfrage geführt hat (vgl. S. 12). Für sie bedeutet die Geschlechterforschung mehr als eine Ausdifferenzierung der Frauenforschung, sie bezieht alle vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Elemente eines sozialen und institutionellen Arrangements mit ein.

Michael Meuser skizziert und begründet in „Geschlechterforschung und Soziologie der Männlichkeit“, warum sich Geschlechterforschung mit Männlichkeit, Männerwelten und männlichen Lebensweisen auseinandersetzen muss. Dabei lehnt er es ab, die Qualifikation als Forschende/r vor allem über die Geschlechtsidentität zu erwerben, weil hierbei eine gravierende Reduzierung der Perspektive stattfinden könne. Es gebe keinen authentischsten Zugang zum Gegenstand. Auch greift er solche Positionen an, die männliche Dominanz ohne deren implizite Anerkennung durch Frauen fokussieren.

Schwerpunkt: Standortbestimmung

Katrin Schäfgen und Iris Peinl weisen in „Gender in der Soziologie – Eigenständige Teildisziplin und/oder quer liegende Mittlerin?“ darauf hin, dass die Kategorie Geschlecht in der Soziologie – besonders durch ihren theoretischen und methodischen Einfluss – zwar Erfolge in der eigenen Teildisziplin „Geschlechtersoziologie“ erzielen konnte, dass davon die traditionellen soziologischen Theoreme jedoch unberührt geblieben sind. Um den Blick auf das Geschlecht zu stärken, müssten sich daher die Geschlechterforscher/-innen auch außerhalb ihres Refugiums einmischen.

Vera Moser und Barbara Rendtorff stellen in „Geschlecht als Erklärungs- oder als Beobachtungskategorie? Zum Stand der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung“ sieben Thesen auf. Sie stellen etwa fest, dass die Frauenforschung ihrer Tradition nach ein interdisziplinärer Bereich sei, dass die pädagogische Frauenforschung aus der Beobachtung geschlechtsdifferenter Arbeitsteilung und Wertschätzungen in der Schule entstanden sei, dass die Kritik am Zweigeschlechtermodell über die rollentheoretische Betrachtung hinausgehend nun auch die strukturalistische Analyse einbeziehe. Die Autorinnen führen weiter aus, wie die Dynamik des Doing gender in der Erziehungswissenschaft und der Praxisforschung erforscht wird.

Peter Döge postuliert in „Vom Geschlecht zur Differenz – Politikwissenschaft im Zeichen von Diversity“ eine kritische Sicht auf die politikwissenschaftliche Geschlechter- bzw. Männerforschung. Denn nur durch eine Einbeziehung der Heterogenität innerhalb der Geschlechterforschung selbst und durch eine Berücksichtigung von unterschiedlichsten Diskriminierungstatbeständen, die über ein linear-eindimensionales Dominanz-Unterwerfungsverhältnis hinausgehen, könnten und müssten auch die Probleme um Race, Class und Gender einbezogen werden.

Schwerpunkt: Arbeit und Leben

Karsten Kassner beschreibt in „Alltägliche Lebensführung, Habitus und Geschlecht“ das theoretische Konzept der alltäglichen Lebensführung, wie es in einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs „Entwicklung von Arbeit“ seit Mitte der 1980er Jahre an der Universität München entwickelt wurde. Im Fokus der Studie steht die Ordnung der Gesamtheit von Tätigkeiten im Alltag einer Person, Kassner diskutiert in Abgrenzung dazu das Habituskonzept von Bourdieu.

Anneli Rüling stellt in „Wohlfahrtsstaat, Geschlechterverhältnis und familiale Arbeitsteilung – Theoretische Überlegungen“ dar, wie sich durch die Trennung von öffentlichem und privatem Raum eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Moderne durchsetzen konnte. Auch in ihrem Artikel wird auf das Konzept der „alltäglichen Lebensführung“ Bezug genommen, und sie fragt, durch welche gesellschaftlichen Strukturen, die in determinierender Weise Handlungsmöglichkeiten definieren, Einflüsse auf Subjekte und deren aktive Wahrnehmungen ausgehen.

Schwerpunkt: Medien und Kultur

Daniela Rechenberger zeigt in „Gender und Medien. Die Konstruktion von Gender in der japanischen Zeitungsberichtserstattung zur Problematik der ‚Trostfrauen‘“, wie Massenmedien Genderzuschreibungen konstruieren, indem sie sie mit anderen Aspekten wie Ethniziät, Klasse, Kultur, Alter, Herkunft usw. in manipulatorischer Absicht koppeln, um – wie etwa im vorliegenden Fall – Gräueltaten an Frauen in einen staatlichen Interessenskonflikt umzudeuten. Anhand der Behandlung der koreanisch-japanischen Trostfrauenproblematik im Diskurs der japanischen Tageszeitungen demonstriert die Autorin, wie die Überschneidung von politischen und medialen Interessen in der Berichterstattung über dieses Gewaltphänomen verläuft.

Uta Scheer analysiert in „Die andere Borg – Geschlecht und Repräsentation in Star Trek: Voyager. Cyborg = Cyb-ernetic + Org-anism“ die sich über mehrere Folgen erstreckende Metamorphose der Cyborg-Frau Seven of Nine von einem Maschine-Organismus-Hybriden (der – wie auch von Haraway beschrieben – durch seinen semitechnischen Körper und den Gebrauch von Technologie männlich erscheint) zu einer rein biologischen Frau. Diese Verwandlung wird begleitet von Infantilisierungsprozessen und dem Verrat am Kollektiv durch das Ausleben unkontrollierbarer weiblicher Sexualität. Die Autorin erläutert anhand des Plots die Problematik und Gefahr von Feminisierungsstrategien in allzu harmlos wirkenden Science-Fiction-Serien.

Schwerpunkt: Stadt und Raum

Gabriele Schambach schildert in „Genderaspekte in der Planung des Potsdamer Platzes in Berlin“, wie in der Gestaltung der räumlichen Umwelt die impliziten und theoretischen Annahmen über Geschlechter in die Planung eingehen und geschlechterspezifisch konstruierte Orte er- und einrichten. Sie nutzt das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Connell als sensibilisierendes Analyse-Instrument für die Untersuchung von Plänen und Leitbildern für die Innenstadtgestaltung.

Stefanie Kron geht in „Migration und Gender. Überlegungen zur Veränderung von Geschlechterbeziehungen in internationalen Migrationsprozessen – die Orte der Herkunft“ über die europäischen Grenzen hinaus in kleinbäuerlich geprägte Dorfgemeinschaften in Guatemala. Das Besondere an ihrer Studie ist die Auswertung der Erfahrungen von Frauen und Männern, die nach der Vertreibung und Flucht im Gastland mit neuen Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten in Berührung kamen. Die Autorin diskutiert, ob es diesen Menschen gelungen ist, diese Erfahrung mit neuen Genderkonzepten nach ihrer Rückkehr in die Ursprungsheimat zu nutzen.

Resümee

Tagungsdokumentationen sind notwendige Ergänzungen zu fachspezifischen Texten und führen, wie im vorliegenden Fall, neue Aspekte in den Fachdiskurs ein. Der vorliegende Band beinhaltet zudem fundierte, lesenswerte Texte, die insgesamt einen durchgängig homogenen Sprachduktus aufweisen und damit gut verständlich sind. Empfehlenswert ist dieses Buch besonders für diejenigen an Gender Studies Interessierten, die sich noch nicht vollständig in die Thematik eingearbeitet haben.

URN urn:nbn:de:0114-qn061025

PD Dr. Barbara Drinck

Berlin / Freie Universität Berlin / Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie /AB Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft

E-Mail: drinck@zedat.fu-berlin.de

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