Von frühzeitlichen Mythen bis zur aktuellen Forschungsdiskussion

Rezension von Eric Neiseke

Hildegard Mogge-Grotjahn:

Gender, Sex und Gender Studies.

Eine Einführung.

Freiburg: Lambertus 2004.

254 Seiten, ISBN 3–7841–1531–4, € 18,00

Abstract: In dem als Lehrbuch konzipierten Werk bietet Mogge-Grotjahn einen ersten Einblick in die Frauen- und Geschlechterforschung. Ferner trägt sie zur Vermittlung von Gender-Kompetenzen für die soziale Arbeit bei. Die Lektüre erleichtert eine erste Orientierung bei der Auswahl weiterführender Literatur, zahlreiche Quellen ermuntern zur intensiveren Beschäftigung mit gender-spezifischen Fragestellungen.

Historischer Überblick als Einführung

Die aktuelle Gender-Forschung hat ihre Wurzeln nicht in unserer Gegenwart, sondern ist das Ergebnis eines langwierigen Kampfes der Frauen gegen die männliche Vorherrschaft. Mogge-Grotjahn wählt daher auch eine historische Darstellung als Einstieg. Davon ausgehend, „dass Geschlechterverhältnisse oft wesentlich komplexer waren und sind, als sie auf der gesellschaftlichen Oberfläche erscheinen“, (S. 17) werden im zweiten Kapitel (die Einleitung selbst wird als eigener Abschnitt behandelt) die Veränderungen des Frauenlebens vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. S. 18 ff.) aufgegriffen. Bereits im frühen Mittelalter bis zur Zeit des Hochmittelalters, so Mogge-Grotjahn, habe sich die rechtliche Stellung der Frauen erweitert. Es wird exemplarisch herausgestellt, dass Händlerinnen, Handwerkerinnen und Bäuerinnen eine herausgehobene Position in der neu entstehenden bürgerlichen Schicht der mittelalterlichen Städte innehatten (vgl. S. 18). Auch die Epochen der Renaissance und der Frühen Neuzeit hätten zahlreiche Veränderungsprozesse in Gang gesetzt, an denen Frauen nicht unbeteiligt gewesen seien (S. 19). Im Blick auf den weiteren Zeitablauf geht die Autorin kursorisch auf das 18. Jahrhundert ein (vgl. S. 19 f.) und dabei unter anderem auf die Französische Revolution, in deren Zusammenhang sich „Frauen als aktive Kämpferinnen“ (S. 20) hervorgetan haben. Genannt werden nicht nur Olympe de Gouges, die 1791 der ersten Menschenrechtserklärung eine eigene Erklärung der Frauenrechte hinzufügte, sondern ebenfalls Mary Wollstonecraft als englische und – die zeitlich früher in Erscheinung getretene – Abigell Adams als amerikanische Verfechterin der Frauenrechte. Detailliert wird im weiteren Verlauf auf die erste deutsche Frauenbewegung und deren Ziel, Frauen als „vollwertige Bürgerinnen“ anzuerkennen, eingegangen (vgl. S. 20 ff.). Das zweite Kapitel schließt mit der „Veränderung des Frauenlebens und der Geschlechterverhältnisse im 20. Jahrhundert“ (vgl. S. 26 ff.). Mogge-Grotjahn hebt hier unter anderem hervor, dass gerade „die Zeit der Weimarer Republik […] eine Zeit war, in der tradierte Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse in Bewegung gerieten“. Kritisch wird ebenfalls auf die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus verwiesen (vgl. S. 26 f.). Im dritten Kapitel wird dann eingehend die Nachkriegszeit und damit die für die Gender-Thematik so wichtige „Zweite Frauenbewegung und die Entstehung der Frauenforschung“ (S. 67 ff.) in den Focus der Betrachtung gerückt. Hierauf kann im Rahmen dieser Kurzrezension aber leider nicht en détail eingegangen werden.

Trotz der Bündigkeit der Darstellung gelingt es Mogge-Grotjahn, einen pointierten geschichtlichen Abriss zu skizzieren. Insbesondere die ausgewählten Quellentexte, etwa von Olympe de Gouges, Louise Otto oder Johanna Kettler (vgl. S. 45 ff.) verdeutlichen nicht nur erneut, dass es seit Jahrhunderten Frauen gibt, die ihre Rechte trotz einer vorherrschenden Männerdominanz einforderten oder sogar durchzusetzen wussten. Die beigefügten Quellen setzen in einem Fall sogar zeitlich weit vor dem Mittelalter an: die Aufnahme der von Günter Dux verfassten Abhandlung über Bedeutung und Stellenwert der frühzeitlichen Mythen für die Frauenrechtsforschung (vgl. S. 31 ff.) ist sowohl eine Bereicherung als auch Ergänzung des historischen Abschnitts.

Darstellung der elementaren Begriffe der Gender-Forschung

Leicht nachvollziehbar werden im vierten Kapitel (S. 81 ff.) nicht nur die Grundbegriffe der Gender-Forschung erläutert, sondern es wird auch auf verschiedene Gender-Theorien Bezug genommen, allen voran die Dekonstruktionstheorie von Judith Butler. Aus didaktischen Gründen hätte das Kapitel jedoch durchaus auch an den Anfang gestellt werden können. So wäre eine Trennung zwischen den Erläuterungen in der Einleitung (zu „sex“, „gender“, S. 8 und „doing gender“, S. 9) und deren späterer, vertiefter Fortführung vermeidbar gewesen.

Grundlegende Einführung in einzelne Teilbereiche der Gender-Diskussion

Der historisch und systematisch orientierten Darstellung der ersten Kapitel folgen Ausführungen zur geschlechtsspezifischen Sozialisation und Identitätsfindung (S. 93 ff.). Im sechsten Abschnitt („Soziale Ungleichheit, Lebenslagen und Geschlecht“, S. 103 ff.) wird der Zusammenhang von strukturellen und individuellen Dimensionen der Gender-Thematik näher erläutert, wobei vor allem die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit für die Position von Menschen im sozialen Ungleichheitsgefüge untersucht wird. Da nach Mogge-Grotjahn diese Zugehörigkeit auch erheblichen Einfluss auf die Lebenslage im Alter und die subjektive Bedeutung des Altseins hat (vgl. S. 177), geht sie auf dieses Thema im siebten Kapitel („Alter und Geschlecht“, S. 177 ff.) ausführlich ein. Dem folgt die Untersuchung der Gender-Dimension für die Migrationssoziologie (vgl. S. 185 ff.). Immer wieder verknüpft die Autorin ihre Ausführungen zudem mit der Auffassung, dass die soziale Arbeit mit der Geschlechterfrage eng verbunden sei. Diese Ansicht wird erneut im neunten und letzten Kapitel (S. 195 ff.) aufgegriffen und nochmals grundlegend bejaht.

Gesamtwürdigung

Die Konzeption des Bandes als „ein Arbeits- und Lesebuch, das als Einführung und Orientierungshilfe“ dienen soll (S. 14), erweist sich als durchgehend gelungen. Die Lektüre ersetzt zwar weder eine Beschäftigung mit soziologischer noch die Auseinandersetzung mit gender-orientierter Fachliteratur (so Mogge-Grotjahn selbst, S. 14). Ausführliche Literaturhinweise am Ende jedes Kapitels und die sinnvolle Auswahl der Quellentexte tragen jedoch dazu bei, eine vertiefte Beschäftigung mit der Materie zu ermöglichen. Einzig der interdisziplinäre Charakter der Gender-Forschung hätte noch eingehender betont werden können. So finden sich zwar in den ersten Kapiteln verstärkt Hinweise auf geschichtswissenschaftlich orientierte Werke. Juristische Arbeiten, die sich der Frauenrechtsforschung widmen (es sei hier nur das von Ute Gerhard herausgegebene Standardwerk Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart genannt), werden stattdessen übergangen. Da auch Mogge-Grotjahn „‚Grenzüberschreitungen‘ zu anderen Disziplinen in der Gender-Thematik“ für „unumgänglich“ hält (S. 13), hätte die Notwendigkeit bestanden, die Literaturhinweise noch zu erweitern. Insgesamt lädt das Lehrbuch zu einer vertieften Beschäftigung mit gender-spezifischen Fragestellungen ein. Es kann ihm daher bedenkenlos nicht nur im soziologischen Fachbereich eine weite Verbreitung gewünscht werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn061109

Dipl.-Jur. Eric Neiseke

Universität Hannover, Juristische Fakultät

E-Mail: Eric.Neiseke@web.de

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