Sharyn Clough:
Beyond Epistemology.
A pragmatist approach to feminist science studies.
Lanham: Rowman & Littlefield 2003.
166 Seiten, ISBN 0–7425–1465–X, £ 18,95
Abstract: Die feministische Wissenschaftskritik leide seit einiger Zeit unter einer problematischen erkenntnistheoretischen Wende; so lautet die Diagnose von Sharyn Clough. Dabei verfehle sie ihr eigentliches Geschäft, nämlich die Kritik wissenschaftlicher Praxis. Die Konzentration auf erkenntnistheoretische Fragen rufe außerdem einen globalen Skeptizismus auf den Plan, der sich verheerend auf die Glaubwürdigkeit feministischer Erkenntnisansprüche auswirke. Mit einem antirepräsentationalistischen Ansatz soll diesem Problem begegnet werden.
Die in den USA unterrichtende Kanadierin Sharyn Clough gehört einer jüngeren Generation angelsächsischer feministischer Wissenschaftstheoretikerinnen an. Dies nicht nur aufgrund ihres Alters, sondern auch, weil ihr Buch Beyond Epistemology etwas markiert, das Alison Weir den „Reifeprozess der feministischen Theorie“ genannt hat (Deutsche Zeitschrift für Philosophie 45/1997, S. 51). Reife feministische Theorien begnügen sich nicht mehr damit, traditionelle Ansätze oder Positionen auf die ihnen eingeschriebenen impliziten oder expliziten Androzentrismen hin zu befragen, sondern sie wenden sich kritisch auch gegen diese Androzentrismuskritik und hinterfragen deren Voraussetzungen. Clough problematisiert die Voraussetzungen, welche den Positionen der ersten Generation feministischer Wissenschaftstheoretikerinnen (u. a. Evelyn Fox Keller, Sandra Harding, Helen Longino, Ruth Bleier) zugrunde liegen.
Cloughs Hauptthese ist, dass die feministische Wissenschaftsforschung sich seit einiger Zeit durch eine problematische erkenntnistheoretische Wende auszeichne. Dadurch verfehle sie ihren eigentlichen Gegenstand, nämlich die kritische Analyse (natur-)wissenschaftlicher Forschungspraxis. Clough geht es um die „opressive aspects of science“ (S. 2), insofern unter dem Titel „wissenschaftlicher Fortschritt“ die rassistischen, sexistischen und klassenhierarchischen Aspekte von Wissenschaft verschwiegen würden und Forschung zum Teil auf dem Rücken oder zum Nachteil der schwächsten Gesellschaftsmitglieder ausgeführt werde. All diese negativen Seiten von Wissenschaft, meint sie, könnten durch eine feministische Wissenschaftstheorie, die sich nur noch mit der Spezifizierung normativer Kriterien für gerechtfertigte Erkenntnisansprüche befasst, nicht mehr wirksam kritisiert werden.
Clough ist darin zuzustimmen, dass die Kritik konkreter (natur-)wissenschaftlicher Forschungspraxis nicht im Mittelpunkt von Ansätzen steht, die sich auf methodologische Fragen oder erkenntnistheoretisch zentrale Begriffe wie „Objektivität“ oder „Wahrheit“ konzentrieren. Der hohe Abstraktionsgrad solcher Analysen ist mit konkreter Kritik an dieser oder jener wissenschaftlichen Untersuchung bzw. an diesen oder jenen Forschungsergebnissen unvereinbar. Doch Cloughs Problem mit jenen Analysen ist grundlegender. Ihres Erachtens entzieht eine erkenntnistheoretisch gewendete feministische Wissenschaftskritik den eigenen Geltungsansprüchen die Autorität. Denn diese können jederzeit von der Skeptikerin in Frage gestellt werden. Die Gefahr, die von einem umfassenden, selbstbezüglichen Skeptizismus ausgeht, ist das eigentliche Thema von Beyond Epistemology.
Worin liegt diese Gefahr? Sie liegt in der Möglichkeit, dass die Ergebnisse feministischer Wissenschaftskritik selbst wieder angezweifelt werden können. Der Einwand, dass die feministische Analyse keinen Anspruch auf Objektivität erheben kann, weil die Resultate ihrer Forschung durch politische (d. h. feministische) Werte ‚verunreinigt‘ seien, ist so alt wie der feministische Ansatz selbst. Und es war just das hartnäckige Ignorieren feministischer Wissenschaftskritik durch die Mainstream-Forschung, insbesondere die Negation der Relevanz der Kategorie Geschlecht für die praktische und theoretische Arbeit, welche die feministischen Kritikerinnen dazu geführt hat, schließlich auch den Begriff der Objektivität selbst zu hinterfragen. In diesem Sinne verweist die historische Entwicklung der feministischen Wissenschaftstheorie tatsächlich auf die von Clough diagnostizierte erkenntnistheoretische Wende. Während jedoch die erste Generation feministischer Wissenschaftstheoretikerinnen sich gegen die Vorwürfe mangelnder Objektivität dadurch wehrte, dass sie den traditionellen Objektivitätsbegriff kritisch modifizierte (z. B. Sandra Harding mit ihrem Begriff der „strengen Objektivität“), ist Clough der Meinung, dass weder der Objektivitätsbegriff noch der Wahrheitsbegriff einer Anpassung bedürften (S. 21). Damit unterscheidet sie sich deutlich von vielen Theoretikerinnen der ersten Generation.
Mit ihrem Lösungsvorschlag greift Clough auf die Ansätze von Donald Davidson und Richard Rorty zurück. Dabei argumentiert sie vor allem auf der Grundlage von Davidsons Antirepräsentationalismus. Dieser zeichnet sich aus durch die Aufhebung der metaphysischen Differenz zwischen begrifflichem Schema (Repräsentation) und empirischem Gehalt (Repräsentiertem). Kernstück ist die holistische Auffassung von Überzeugungen. Mit ihr stehen Überzeugungen, die auf politischen (z. B. feministischen) Werten beruhen, grundsätzlich auf der gleichen Stufe wie Überzeugungen, die aufgrund von empirischen Belegen gewonnen werden. Beide haben empirischen Gehalt (die einen mehr, die anderen weniger). Da auf dieser Grundlage auch eine scharfe Trennung zwischen Werten und Tatsachen nicht mehr haltbar ist, greift der Vorwurf, eine feministische Analyse sei politisch motiviert, aus diesem Grunde verzerrt und deshalb nicht objektiv, nicht. Die feministische Analyse kann auf empirische Belege verweisen, um ihren Wahrheitsanspruch zu rechtfertigen. „Our scientific theories and our beliefs about oppression and justice are not merely relative to our feminist conceptual schemes; they are justified by the evidence and they are true.“ (S. 127) Eine Modifikation des Objektivitätsbegriffs ist nicht notwendig.
Darüber hinaus möchte Clough die Gefahr eines umfassenden, selbstbezüglichen Skeptizismus abwenden. D. h. die feministische Analyse soll auch nicht mehr länger dem Einwand ausgesetzt sein, dass es ihr prinzipiell nicht gelingen könne, ihre Ergebnisse zu rechtfertigen oder dass sie insgesamt falsch sein könnte, dass ihr Weltbezug nicht gewährleistet sei. Wiederum ist Davidson der Gewährsmann. Davidson argumentiert, dass ein globaler Skeptizismus keine verständliche Position darstelle, weil unsere Überzeugungen grundsätzlich wahrhaftig seien. Zwar könnte die eine oder andere Überzeugung falsch sein, aber wir könnten uns nicht insgesamt über die Realität täuschen. Wir könnten, so Davidson, das Phänomen erfolgreicher Kommunikation nicht erklären, wenn wir von der skeptischen Position ausgingen, dass unsere Sprache insgesamt sich nicht auf die Realität bezieht. Cloughs Lösunsvorschlag beruht somit auf einem sprachphilosophischen Ansatz. Dies stellt eine Schwierigkeit von Beyond Epistemology dar. Zwar ist der Rekonstruktion von Davidsons Position ein ganzes Kapitel gewidmet (Kap. 6). Trotzdem bleibt fraglich, ob Leserinnen und Leser, die nicht mit Davidsons nur schwer zugänglicher Bedeutungstheorie vertraut sind, der Argumentation von Clough gegen die Gefahr eines globalen Skeptizismus werden folgen können.
Beyond Epistemology vertritt eine klare These (problematische Folgen der erkenntnistheoretischen Wende in der feministischen Wissenschaftskritik) und wagt damit den Blick auf das Feld feministischer Wissenschaftskritik als Ganzes. Das ist das Verdienst des Bandes. Die Argumentation für die These sowie der Alternativvorschlag (Antirepräsentationalismus) sind jedoch stellenweise redundant und schwer nachvollziehbar. Ob die feministische Wissenschaftskritik der Empfehlung Cloughs, salopp gesprochen, die Finger von Erkenntnistheorie zu lassen, folgen soll, steht auf einem anderen Blatt. Zum einen scheint mir die stellenweise geradezu obsessiv wirkende Beschäftigung mit der skeptischen Gefahr ein typisch angelsächsisches Phänomen zu sein. Zum anderen aber geht es auch auf der Ebene der lokalen empirischen Kritik an dieser oder jener wissenschaftlichen Untersuchung, wie Clough sie für die feministische Wissenschaftskritik vorsieht, um den Begriff der Rechtfertigung. D. h. es geht um die Frage, ob diese oder jene Resultate sich angesichts der empirischen Belege rechtfertigen lassen. „Rechtfertigung“ aber ist ein normativer Begriff, dessen Analyse traditionell eine Angelegenheit der Erkenntnistheorie ist.
URN urn:nbn:de:0114-qn061051
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