Von „Amazonen“ und „keuschen Jungfrauen“

Rezension von Katrin Nikoleyczik

Kirsten Smilla Ebeling:

Die Fortpflanzung der Geschlechterverhältnisse.

Das metaphorische Feld der Parthenogenese in der Evolutionsbiologie.

Mössingen-Talheim: Talheimer 2002.

368 Seiten, ISBN 3–89376–100–4, € 19,50

Abstract: In ihrem Buch Die Fortpflanzung der Geschlechterverhältnisse zeichnet Smilla Ebeling das metaphorische Feld der Parthenogenese („Jungfernzeugung“) in der Evolutionsbiologie nach. Durch die Analyse biologischer und populärwissenschaftlicher Texte zeigt sie auf, dass sich zweigeschlechtliche Stereotype auch dort finden, wo sie thematisch erst einmal nicht zu erwarten sind: in Texten, die sich der Fortpflanzung reiner Weibchen-Arten widmen.

Sex sells! Auch in den Biowissenschaften scheint dies der Fall zu sein, denn Sexualität hat hier einen großen Stellenwert. Dabei gilt zweigeschlechtliche Fortpflanzung als vorherrschend und gegenüber ungeschlechtlicher oder eingeschlechtlicher Fortpflanzung als höher entwickelt. Evolutionsbiologisch ist die Entwicklung und Beibehaltung eingeschlechtlicher Fortpflanzungsformen (Parthenogenese) bis heute schwer zu erklären.

Fortpflanzung, Geschlecht und Macht

Im ersten Kapitel „Wissensproduktion, Machtanalyse und die Kategorie ‚Geschlecht‘ in der Biologie“ stellt Smilla Ebeling die evolutionsbiologische Wissensproduktion als Element eines Macht-Wissen-Komplexes dar. Dabei bezieht sie sich auf die Weiterführung der Foucaultschen Diskursanalyse von Andrea Bührmann (1995). Weiterhin gibt dieses Kapitel eine gute Einführung in die zentralen Kritikpunkte der „Feminist Science Studies“: Anthropomorphismen, Androzentrismen und Geschlechter-Ideologien. Letztere zeigen sich in reduktionistischen Ansätzen, biologischen Determinismen sowie in monokausalen und linearen Erklärungsstrukturen.

Die Methode der Metaphernanalyse erläutert die Autorin im zweiten Kapitel. Dabei versteht sie „Metaphern nicht als Überträger feststehender Bedeutungen, sondern als Ergebnis von Bedeutungsproduktionen, in denen verschiedene Assoziationen einer oder mehrerer Bildstellen verbunden werden und im Kontext ihres Bildfeldes neue Bedeutungen entstehen lassen“ (S. 21). Insbesondere geht sie hier auf Metaphern im naturwissenschaftlichen Kontext ein, wobei sie „Metaphern als Element der Wissensproduktion“ (S. 76) versteht, welche „durch ihren konstruktiven Charakter als produktiv und performativ angesehen werden“ (S. 76) können.

Nachfolgend beschreibt Ebeling die Verknüpfung von „‚Fortpflanzung‘ und Macht“. In ihrer Darstellung weiblicher und männlicher Schöpfungsmythen des Abendlandes weist sie zunächst nach, dass Fortpflanzung eines einzigen – männlichen oder weiblichen – Geschlechts als machtvoll angesehen wird. Weitergehend wird aufgezeigt, dass eine Verknüpfung von ‚Fortpflanzung‘ und Macht auch in der wissenschaftlichen Theoriebildung von den Zeugungslehren der Antike bis hin zur modernen Reproduktionsmedizin zu finden ist.

Ein Sprung in die Biologie

Im vierten Kapitel lässt Smilla Ebeling „etwas ‚Biologie‘ folgen“ (S. 110), was für einige Leserinnen und Leser ein sehr großer Sprung sein mag. Der fachsprachliche Stil wandelt sich entsprechend, der Lesefluss wird unterbrochen. Und so wird vielleicht auch deutlich, dass dieses Kapitel aus biologisch-immanenter Perspektive geschrieben ist. Für mich als kritische Biologin und feministische Naturwissenschaftsforscherin hätte die Autorin die von ihr eingenommene Perspektive hier deutlicher machen können.

Der evolutionsbiologische Fortpflanzungsdiskurs wird beschrieben, und biologische Theorien über Parthenogenese werden erläutert. Dabei werden die Vielgestaltigkeit der Parthenogeneseformen sowie die gängigen Theorien über „Vor- und Nachteile“ ein- und zweigeschlechtlicher Fortpflanzungsformen aus biologischer Sicht zusammengefasst und wiedergegeben. Ebeling zeigt auf, dass die herkömmliche inner-biologische Argumentation hier weder befriedigende Erklärungen für die Existenz der verschiedenen Formen von Parthenogenese noch für die Entstehungs- und Beibehaltungsmechanismen von zweigeschlechtlicher Fortpflanzung liefern.

Metaphern als Element der Wissensproduktion

Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Analyse von Metaphern, die sich in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Texten von 1950 bis 2001 finden lassen. Zunächst gibt Ebeling einen Überblick über die in den Texten vorgefundene Metaphorik, welche sie nach Textart, thematisch sowie nach dem Inhalt der Metaphern strukturiert.

Der „Themenbereich der (lustbetonten) Sexualität des Menschen“ (S. 168) findet sich insbesondere in populärwissenschaftlichen Texten, so ist hier die Rede von „‚Latin Lovers‘ und ‚verführerischem Sex‘, dem die Organismen ‚verfallen‘ sind und der ‚regiert‘“ (S. 169).

Metaphern aus dem Themenbereich der Familie verknüpfen die Fortpflanzung mit abendländischen Familienstrukturen und deren Geschlechterverhältnissen.

Die detaillierte Analyse der Metaphern bei der reinen Weibchenart Poecilia formosa (Amazonenkärpfling) zeigt, dass in wissenschaftlichen Texten häufig Metaphern aus dem Themenbereich „Jungfernzeugung“ verwendet werden. Parthenogenese wird also mit christlichen Werten verknüpft. Darüber hinaus werden die Weibchen hier „häufig als aktiv beschrieben, womit sie von der den Weibchen traditionellerweise zugeschriebenen Eigenschaft der Passivität abweichen“ (S. 227). Die „Amazonen-Metapher“ kommt neben dem Trivialnamen besonders häufig in den wissenschaftlichen und insbesondere in den populärwissenschaftlichen Texten vor. Dadurch werde Parthenogenese „mit zu den abendländischen Geschlechterverhältnissen quer liegenden ‚kriegerischen Frauen‘“ (S. 192) zusammengeführt.

Ebelings Analyse verdeutlicht, dass „die Wissensproduktion der Evolutionsbiologie über die ‚Natur der Fortpflanzungsweisen‘ ein Element von Machtverhältnissen darstellt“ (S. 293) und auch „der Kategorie ‚Geschlecht‘ und den Geschlechterverhältnissen wirkmächtige Rollen im evolutionsbiologischen Fortpflanzungsdiskurs“ (S. 293) zukommen. Hierbei macht Ebeling deutlich, dass das „Wissen über die ‚Fortpflanzungsweisen‘ […] seinerseits auf die Geschlechterkonzeptionen und Geschlechterverhältnisse beim Menschen“ (S. 293) wirkt.

Grenzgänge

Wie andere GrenzgängerInnen zwischen Geschlechterforschung und Naturwissenschaften hat auch Smilla Ebeling mit dem Problem der interdisziplinären Lesbarkeit zu kämpfen. Leserinnen und Leser, die bisher nur in einer der beiden Disziplinen „zu Hause“ sind werden sich mit den Passagen des Buches, die eher aus der anderen Perspektive geschrieben sind, sicher etwas schwer tun. Dieses Problems ist sich die Autorin offensichtlich bewusst, wenn sie in ihrer Einleitung schreibt, „die meisten LeserInnen werden zugleich ExpertInnen und LaiInnen sein“, (S. 19) und versucht, mit einem Glossar diesem entgegen zu wirken. Für mein Empfinden könnte dieses allerdings noch umfangreicher sein.

Ihr inter- bzw. transdisziplinärer Ansatz macht aber auch den Reiz dieser Arbeit aus. Daher ist es dem Buch sehr zu wünschen, dass es nicht nur in der feministischen Naturwissenschaftsforschungslandschaft rezipiert wird. Gerade auch in der Evolutions- und Entwicklungsbiologie Forschende werden für ihre eigene Arbeit interessante Anstöße finden können. Geschlechterforschende werden sicher auch Neues entdecken und Argumente für die Kritik an populärwissenschaftlichen Texten zum Thema Sexualität an die Hand bekommen.

Erschienen ist die an der Technischen Universität Braunschweig vorgelegte Dissertation in der Schriftenreihe des Vereins Frauen in Naturwissenschaft und Technik, in der sich weitere interessante Beiträge der deutschsprachigen „Feminist Science Studies“ finden.

URN urn:nbn:de:0114-qn061118

Dipl.-Biol. Katrin Nikoleyczik

Universität Freiburg, Institut für Informatik und Gesellschaft, Kompetenzforum Genderforschung in Informatik und Naturwissenschaften

E-Mail: katrin@modell.iig.uni-freiburg.de

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