Wie nehmen Väter sich selbst wahr?

Rezension von Ursula Künning

Michael Matzner:

Vaterschaft aus der Sicht von Vätern.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004.

481 Seiten, ISBN 3–8100–4087–8, € 39,90

Abstract: Im Mittelpunkt der Studie von Michael Matzner stehen Männer, die ihre Vaterschaft innerhalb „vollständiger“ Familien, das heißt gemeinsam mit der Mutter der Kinder in einem Haushalt, leben. Matzner interviewte 24 solcher Familienväter um zu erforschen, wie Väter heute Vaterschaft gestalten und welche familialen und gesellschaftlichen Bedingungen eine aktive Vaterschaft ermöglichen oder erschweren. Insbesondere interessiert ihn, wie die einzelnen Männer die Gestaltung ihrer Vaterschaft subjektiv wahrnehmen.

Neue Forschungsansätze

Im ersten Teil der Arbeit wird ein Überblick über folgende Themenbereiche gegeben: Väterforschung im Allgemeinen, Forschungsansätze zur Erklärung väterlicher Beteiligung, erweiterte Vaterschaftskonzepte sowie Konzepte einer Väterzentrierten Vaterforschung. Obwohl die Person des Vaters zunehmend Beachtung in den Wissenschaften findet (vgl. S. 13), konstatiert Matzner ein „relativ wenig systematisch erhobenes Faktenwissen über die Situationen und Perspektiven von Vätern“ (S. 15). Bisher habe sich die Vaterforschung vorwiegend auf gerechte Arbeitsteilung und auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus der Sicht der Mütter konzentriert. Eine weitgehend auf die messbare Dimension der väterlichen Beteiligung konzentrierte Forschung soll durch künftige Erforschung subjektiver Vaterschaftskonzepte ergänzt werden.

Hauptdeterminanten subjektiver Vaterschaftskonzepte

Im zweiten Teil der Studie werden die Hauptdeterminanten subjektiver Vaterschaftskonzepte dargestellt und analysiert. Mit Hilfe der subjektiven Vaterschaftskonzepte entwirft sich der Mann als Vater auf der Grundlage individueller Merkmale wie der eigenen Kindheitserfahrungen bzw. der Persönlichkeitsentwicklung innerhalb einer bestimmten sozialen Lage oder eines Milieus innerhalb einer bestimmten Kultur. Da nach Matzner keine Sozialisationstheorie zur Vaterwerdung existiert, bezieht er in seine Überlegungen die Erkenntnisse und Theorien der Soziobiologie sowie der psychologischen und soziologischen Sozialisationsforschung mit ein. Vaterschaft und soziale Lage wurden in Deutschland noch nicht erforscht. Matzner verweist daher auf die Sozialstruktur- und auf die Geschlechterforschung. Dem Sozialtypus des Arbeiters mit einer ungünstigen sozialisatorischen Wirkung auf die Familie entspricht nur noch einem Teil der Arbeiterväter. Sicher ist Matzner zufolge aber, „dass sich Väter aus Milieus mit gehobener Bildung eher mit ihren Partnerinnen über ihr Familienkonzept auseinandersetzen müssen, während dies im Milieu der Arbeiter oder auch im gehobenen bürgerlich-konservativen Milieu wohl seltener der Fall sein wird.“ (S. 86) Nicht nur das Milieu, sondern auch die Beziehung zur Partnerin und Mutter der Kinder entscheidet über die Gestaltung der Vaterschaft. Der heutige Forschungsstand geht nicht mehr von einer Exklusivität der Mutter-Kind-Beziehung im Kleinstkindalter aus. Matzner fordert die Mütter zum „Loslassen“ (S. 108) der Kinder auf, damit die Väter sich auf neue Aufgaben einlassen können. Bereiche wie Bildungs- und Erziehungsinstitutionen, Wissenschaft und Justiz sowie Arbeitgeber sollten sich auf grundlegende Veränderungen in inner- und außerfamilialer Sozialisation einlassen. Nicht nur patriarchale Strukturen tragen zu erstarrten Familienformen bei, sondern auch kulturelle Bedingungen, die von Männern und Frauen reproduziert werden. In den Mittel- und Oberschichten sollten, so Matzner, neue Gestaltungsspielräume erschlossen werden. Insbesondere die Mutter sei gefordert, die väterliche Aktivität einzufordern: „Die Chance einer Vateraktivierung steigt, wenn sie Zutrauen in die Kompetenzen ihres Mannes als Vater hat und ihm dies auch signalisiert.“ (S. 109).

Das Modell des subjektiven Vaterschaftskonzeptes

Auf der Basis einer Analyse der Hauptdeterminanten der subjektiven Vaterschaftskonzepte entwickelt Matzner „ein heuristisches Modell, das Modell des subjektiven Vaterschaftskonzeptes und der väterlichen Beteiligung“ (S. 11, Hervorhebung M.M.). Das subjektive Vaterschaftskonzept beschreibt die Vorstellungen des Vaters über seine Vaterschaft und spiegelt unter anderem Gefühle, Wertvorstellungen und die Einstellung zur Familie wider. Dieses Konzept ermöglicht dem Vater Verhaltenssicherheit und Handlungsplanung. Subjektive Vaterschaftskonzepte machen sich im Fühlen, Denken und Handeln der Väter bemerkbar. Sie entwickeln sich aus den Lebenserfahrungen und kulturellen Bedingungen der einzelnen Väter und können sich durch neue Erfahrungen verändern. (vgl. S. 158).

Empirie

Matzner entwickelt aus seinem theoretischen Vorwissen, das die Basis für sein Modell des subjektiven Vaterschaftskonzeptes bildet, seine Forschungsfragen. Die Ebenen der Vorstellungen und der Handlungsweisen sowie die Erfahrungen von Vätern sollen dargestellt und analysiert werden. Er führt vierundzwanzig problemzentrierte Interviews, stellt vier Einzelfallanalysen vor und präsentiert schließlich eine Typologie subjektiver Vaterschaftskonzepte.

Vier verschiedene Typen

Im Zuge der Fallanalyse wurden vier verschiedene Typen subjektiver Vaterschaftskonzepte unterschieden.

a. Der traditionelle Ernährer

Für den traditionellen Ernährer ist die Gründung einer Familie mit Kindern eine selbstverständliche Art der Lebensgestaltung und gehört zum Eintritt in die Erwachsenenwelt. Dieser Vater identifiziert sich in hohem Maße mit seiner beruflichen Tätigkeit, in die er viel Zeit investiert. Alle Erziehungsarbeit ist an die Partnerin delegiert. Die materielle Absicherung der Familie bildet den Schwerpunkt des väterlichen Engagements. Diese Familienform wird nach Matzner eher im traditionellen Milieu, wie „beispielsweise einer Bauernfamilie“ (S. 343) vorgefunden.

b. Der moderne Ernährer.

Auch der moderne Ernährer zeichnet sich durch hohes berufliches und zeitintensives Engagement aus. Dieser Vater aber versucht in der Freizeit für seine Kinder präsent zu sein. Er zeigt großes Interesse an der Entwicklung seiner Kinder. Aufgrund der beruflichen Anforderungen des Vaters verbleibt die Erziehung und Betreuung der Kinder bei der Mutter. „Die modernen Ernährer sind besonders im konservativ-technokratischen Milieu sowie im aufstiegsorientierten Milieu, als Familien mit einer hohen Leistungsorientierung, angesiedelt. (S. 364, 365. Hervorhebung M.M.).

c. Der ganzheitliche Vater.

Für den ganzheitlichen Vater ist die Vaterschaft eine bewusste Entscheidung. Die Vaterschaft wird schon in der Schwangerschaft durch Beteiligung an Geburtsvorbereitungen aktiv gestaltet. Der ganzheitliche Vater teilt sich mit der Partnerin alle kindbezogenen Aufgaben und gestaltet mit seiner Familie den gesamten Alltag. Der Beruf hat für diese Väter eine hohe Bedeutung, doch das Familienleben wird nicht der Berufstätigkeit untergeordnet. Diese Väter sind überwiegend dem liberal-intellektuellen Milieu zu zuordnen. (vgl. S.397).

d. Der familienzentrierte Vater.

Für den familienzentrierten Vater hat der Beruf keine hohe Bedeutung und dient lediglich dem Gelderwerb. Oft sind diese Männer Hausmänner. Familie und Vaterschaft stehen im Mittelpunkt ihres Alltags. Ungeplante Einwirkungen von außen wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit der Frau können zu dieser Konstellation führen. Auch dieser Vater gehört in überdurchschnittlicher Weise dem liberal-intellektuellen Milieu an.

Resümee

Für viele Väter gibt es anscheinend immer Gründe, Elternschaft nicht in dem gleichen Ausmaß zu leben wie Mütter. Zu diesem Umstand bezieht Matzner keine eindeutige Position. Seine Verweise auf äußere Rahmenbedingungen oder nicht „loslassende Mütter“ tragen zur Verschleierung der Tatsache bei, dass Väter in „vollständigen“ Familienkonstellationen davon profitieren, dass Mütter auch bei hohem beruflichen Engagement die Hauptverantwortung für ein funktionierendes Familienleben tragen. Aufgrund dieser Schwäche sollte das Buch mit kritischer Distanz gelesen werden. Matzner möchte seine Studie als Beitrag zur Entwicklung einer Sozialisationstheorie der Vaterschaft und als Beitrag zur Väterforschung, zur Familienerziehungsforschung und zur Geschlechterforschung verstanden wissen. Als Überblick über die Väterforschung und über Theorien zur Person des Vaters sowie zur Auseinandersetzung mit Matzners methodischem Vorgehen ist die Studie informativ und interessant zu lesen.

URN urn:nbn:de:0114-qn061077

Dipl.Soz.Päd. Ursula Künning

Berlin/Freie Universität/Fachbereich Erziehungswissenschaften

E-Mail: u.kuenning@freenet.de

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