Fächer, Reifröcke, Schnupftabakdosen. Die identitätsstiftende Macht der Dinge in der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts

Rezension von Bärbel Tischleder

Susanne Scholz:

Objekte und Erzählungen.

Subjektivität und kultureller Dinggebrauch im England des frühen 18. Jahrhunderts.

Königstein/Ts.: Ulrike Helmer 2004.

293 Seiten, ISBN 3–89741–133–4, € 28,00

Abstract: Am Beispiel kultureller Praktiken des Konsums, Ausstellens oder Sammelns untersucht Scholz, wie Objekte als Medien sozialer Selbststilisierung fungieren. Es wird gezeigt, dass performative und literarische Geschlechterinszenierungen sich nicht nur auf den Körper, sondern wesentlich auf Dinge beziehen. Das Buch leistet so einen wichtigen Beitrag zur Gender- und Körpertheorie.

Vasen aus Porzellan, Kämme aus Elfenbein, Flakons voller orientalischer Düfte: das Erscheinen exotischer Luxusgegenstände auf dem Frisiertisch englischer Damen signalisiert den Auftakt einer neuen Ära zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Dinge aus aller Welt verkörpern en miniature Reichtum und Macht des britischen Empires. Die koloniale Expansion Englands, sein Aufstieg zur bedeutendsten See- und Handelsmacht, und das Entstehen neuer überseeischer Märkte brachte eine bis dato ungekannte Menge und Vielfalt von Gütern auf den heimischen Markt. Susanne Scholz betrachtet den Handel als zentralen Motor des gesellschaftlichen Wandels, der sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog, und im Rahmen dessen England sich zu einer commercial society und zur Konsumkultur entwickelte. Der Markt reguliert nicht nur den Güter- und Geldverkehr; Marktmechanismen und ökonomisches Kalkül prägen zunehmend auch soziale und kulturelle Transaktionen. Mit der sukzessiven Ablösung einer statisch-feudalen Gesellschaftsordnung, die dem Einzelnen einen festen Ort in der sozialen Hierarchie zuwies, sind die Subjekte gefordert, sich im soziokulturellen Feld auf neue Weise zu verorten. Es gilt, den eigenen „Marktwert“ ausloten; Selbstbehauptung, Autorität oder Attraktivität hängen wesentlich von gekonnter Selbstdarstellung sowie der glaubhaften Repräsentation sozialer Macht und kultureller Kompetenz ab. Besitz, vor allem seine Zurschaustellung und der gepflegte Umgang mit materiellen Gütern werden in diesem Kontext zu einem wichtigen Mittel, gesellschaftliches Prestige zu manifestieren. Es ist die (mehr oder minder) gelungene Paarung von „property und propriety“ (S. 13) – von Eigentum und kultivierten Umgangsformen –, die für das soziale Ansehen der Subjekte zentrale Bedeutung gewinnt.

Literatur, Praxis und das kulturelle Imaginäre

An diesem Punkt setzt Objekte und Erzählungen an. Susanne Scholz widmet sich der Frage, welche Rolle Dinge in der Selbstinszenierung der Einzelnen spielen und wie literarische Texte unterschiedliche Formen des Dinggebrauchs als elementare Modi der Subjektgenese inszenieren. Bei der Lektüre des Buches besticht Scholz‘ kenntnisreicher und souveräner Umgang mit der Primärliteratur, deren Ambivalenzen sie in ihrer Komplexität beleuchtet. Sie zeigt, dass literarische Texte an gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozessen teilhaben; Literatur wird dabei weniger als Spiegel sozialer Verhältnisse betrachtet, sondern eher als eine Form fiktionalen Probehandelns, in dem die Spannungen des gesellschaftlichen Umbruchs, veränderter Wahrnehmungsweisen und objektvermittelter Selbstdarstellung verhandelt, versuchsweise ausagiert und ironisch-spielerisch inszeniert werden. Literarische Dinginszenierungen und objektbezogene soziale Praktiken werden dabei gleichermaßen als „Äußerungen eines kulturellen Imaginären“ verstanden – als Aspekte kultureller Praxis und Selbstreflexion –, die menschliche Objektbeziehungen stets umdeuten und neu entwerfen (S. 29). Insofern Texte wie praktische ‚Inszenierungen‘ den Umgang des Subjekts mit Dingen immer neu erproben und ‚interpretieren‘, sind Produktion und Rezeption kultureller Sinnstiftung reziprok aufeinander bezogen.

In detaillierten Analysen präsentiert das Buch die vielfältigen Facetten literarischer Dingordnungen und legt dar, dass der Konsum von Luxusartikeln, die Zurschaustellung von Souvenirs oder das Sammeln alter Münzen kulturelle Praktiken sind, die für eine gelungene Selbstdarstellung unverzichtbar sind, gleichzeitig aber auch die Abhängigkeit des Subjekts von Objekten deutlich machen. Als „Zeichen gelungener Subjektivität“ tragen Objekte immer auch die „destabilisierenden Konnotationen von Oberflächlichkeit, Selbstvermarktung, Wertverlust in sich“ (S. 9). Das ökonomische Prinzip charakterisiert also auch die menschlichen Beziehungen; der Tauschwert der Objekte färbt auf die Subjekte ab und macht ihre eigene Tauschbarkeit – ihre eigene Objekthaftigkeit – sichtbar. Eine wichtige Erkenntnis von Scholz‘ kritischer Lektüre sehr heterogener Texte (Lyrik, Prosa, Essayistik) ist, dass diese Dialektik von Subjekt und Objekt die Literatur des frühen 18. Jahrhunderts als ambivalente Struktur durchzieht.

Dinggebrauch und Geschlechterinszenierung

Einen Fokus des Buches bildet der Zusammenhang von kulturellem Dinggebrauch und Geschlecht. Der in der feministischen Theorie weitgehend etablierten Vorstellung, dass Geschlechteridentitäten performativ hergestellt und im Sinne Butlers sukzessive ‚materialisiert‘ werden, hat das Buch eine wichtige Einsicht hinzuzufügen: Kleidungsstücke, Fächer, Schnupftabakdosen und andere Dinge in der Peripherie des Körpers sind, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, elementare Bestandteile einer erfolgreichen Inszenierung von Weiblichkeit oder Männlichkeit. Die kosmetische Macht der Dinge, so zeigt Scholz an Gedichten Alexander Popes, ist eine Grundbedingung weiblicher „Subjektfähigkeit“ (S. 51). Entsprechend zerfällt das poetische Bild der schönen Frau in dem Moment, als die Protagonistin ihre femininen Accessoires vor dem Zubettgehen ablegt. Der Prozess des Entkleidens bringt also nicht etwa die nackte Wahrheit der Frau ans Licht, sondern kommt einer Demontage des „fairer sex“ gleich. In seine Bestandteile – Perücke, falsche Zähne, angeklebte Augenbrauen, Füllmaterial für die Wangen – zerlegt, wirkt der ‚natürliche‘ Körper wie ein grotesker Überrest – ein unvollständiger Abjektkörper im Sinne Kristevas –, dessen Lesbarkeit erst mit Hilfe von Objekten (wieder) hergestellt werden kann. Scholz verweist hier auf die Parallele zwischen literarischer und performativer Körperinszenierung: „Poetische wie kosmetische Kunst dienen […] der Verfertigung kulturell lesbarer Subjekte; beide stehen damit im Dienst einer Künstlichkeit, die sich als Natur ausgibt“ (S. 53). Die Performanz des poetischen Textes also verdoppelt die Künstlichkeit weiblicher Schönheit im eigenen dichterischen Gestus und führt uns so ihre ‚Gemachtheit‘ vor Augen, eine Artifizialität, die die Fragilität einer mit Hilfe von Dingen hergestellten Subjektivität offen legt. Scholz macht also deutlich, dass rhetorische Figuren auch der kulturellen Praxis der Geschlechterinszenierung Form geben.

Die Sprache der Dinge und sartoriale Selbsttechniken

Scholz‘ Studie des Zusammenhangs von Subjektivität und Dinggebrauch – die Kategorie der ‚Lesbarkeit‘ deutet darauf hin – geht von poststrukturalistisch geprägten Prämissen aus: Sie betrachtet den Gebrauch von Dingen als einen Aspekt kultureller Performanz; nicht die Materialität der Objekte an sich ist bedeutsam, sondern die Art und Weise, wie sie in kommunikative Praktiken, Rituale und Ordnungen eingebunden werden; als Requisiten performativer Selbststilisierung generieren und ‚materialisieren‘ sie Geschichten und bilden so eine jeweils spezifische „‚Sprache‘ der Dinge“ aus (S. 21). Die Vorstellung, dass diskursive Sinnstiftungsprozesse die Materialität der Körper hervorbringen, ist uns seit Butler vertraut; aber während dies in der kulturwissenschaftlichen Körpertheorie oft recht abstrakt konstatiert wird, gelingt es Scholz – insbesondere durch ihre Akzentuierung materieller Kultur –, die ‚Materialisierung‘ geschlechtlicher Subjekte auf konkrete Weise zu veranschaulichen. Gerade der Fokus auf Objekte, die unmittelbar am Körper getragen werden oder Elemente des somatischen Habitus sind, ermöglicht es, einen komplexeren Begriff des Körpers zu entwickeln, der über die „natürliche“ Grenze der Haut hinaus auch Kleidung, Schmuck oder Accessoires umfasst und als „tiefe Oberfläche“ das körperliche Subjekt konturiert (S. 147). Indem Scholz zeigt, dass Körperinszenierung stets auch dinggestützt ist, macht sie die Dingforschung für die Körpertheorie produktiv.

Ein illustratives Beispiel „sartorialer Selbsttechniken“ ist der Siegeszug des Fächers als Medium weiblichen Selbstausdrucks im 18. Jahrhundert, einer Zeit, die durch die „zunehmende Theatralik der Umgangsformen“ gekennzeichnet ist (S. 143). An einem Gedicht John Gays wird erläutert, dass die Sozialisation junger Damen in die gute Gesellschaft erforderte, Affekte den Regeln höflichen Benehmens gemäß zu kontrollieren und in einen kultivierten Habitus zu ‚übersetzen‘. Dazu gehörte, sich die „Sprache des Fächers“ anzueignen; ‚heiratsfähige‘ Frauen mussten lernen, den Fächer der Situation entsprechend aufzunehmen, zu öffnen, fächeln oder fallen zu lassen (vgl. S. 156 f.). Es handelt sich um eine Form des Ausdrucks, die darauf zielt, sich auf der gesellschaftlichen Bühne, d. h. im visuellen Feld männlicher Blicke, als begehrenswertes Objekt zu präsentieren. Der Fächer dient dabei primär als Maske, hinter der die Angeblickte ihr Gesicht verbirgt, um in ausgewählten Momenten zurück zu blinzeln. Fächergebrauch wird so zum „Emblem einer spezifisch weiblichen Handlungsfähigkeit“ (S. 157), die aktives Handeln oder Begehren verbietet und stattdessen die „die Transformation der Affekte in Affektiertheit“ und so die Anpassung an die Bedingungen des Heiratsmarktes leistet (S. 161). Als Ergebnis gekonnter Selbstinszenierung, in der der Fächer als „wesentliches Requisit“ fungiert, wird weibliche Schönheit zu Ware. Das Theatralische der Selbstdarstellung jedoch legt auch den Verdacht nahe, dass es hinter den „Semantisierungen der Körperoberfläche“ keine tiefere ‚Wahrheit‘ gibt (S. 163). Hier offenbart sich die konstitutive Instabilität performativer Subjektwerdung, die in der Literatur ironisiert wird; Ironie ist Scholz zufolge Ausdruck dafür, dass die Widersprüche marktgerechter Selbstdarstellung in der Literatur reflektiert, jedoch nicht aufgelöst werden können.

Dinge als Metonymien des Selbst

Scholz‘ Ansatz, Dingordnungen als rhetorische Figuren zu lesen, erweist sich auch für Popes Gedicht The Rape of the Lock als produktiv: Hier generiert die Darstellung der auf dem Toilettentisch befindlichen exotischen Dinge ein poetisches Stillleben, das Scholz treffend als „Empire auf dem Frisiertisch“ bezeichnet: die kostbaren Gegenstände aus Indien und Arabien, hergestellt aus Schildpatt und Elfenbein bilden ein Tableau, das die Objekte „unter dem gemeinsamen Nenner der kostbaren Ware“ zu einem Miniaturuniversum vereint (S. 55). Die Objekte haben hier eine metonymische Funktion: sie stehen für ihre Herkunftsländer; gleichzeitig sind sie ihren Ursprungskontexten schon immer entrissen und werden als Waren gemäß ihrem Tauschwert auf dem englischen Markt und schließlich auf dem Frisiertisch neu kontextualisiert; Elefant und Schildkröte signalisieren Exotik, die den Prestigewert der Gegenstände steigert. Die Substitutionslogik der Metonymie entspricht der Tauschlogik der Waren, die, auf dem Tisch angeordnet, ein „Reich der Dinge“ ausbilden, dessen Zentrum ihre Besitzerin ist. Als „Repräsentation des Subjektinneren“, so argumentiert Scholz mit Susan Stewart, steht das Miniaturempire letztlich für den metonymischen Verdinglichungsprozess, der auch die schöne Konsumentin zum Objekt unter Objekten macht (S. 57).

In Objekte und Erzählungen weist sich Scholz als sehr belesene, theoretisch höchst versierte Autorin aus, die eine Fülle literatur- und kulturtheoretischer, historischer, philosophischer und anthropologischer Studien heranzieht, weiter entwickelt und uns auf diese Weise einen neuen Zugang zu Kultur und Literatur des frühen 18. Jahrhunderts eröffnet. Besonders aufschlussreich ist die Einsicht, dass kulturelle und literarische Akte der Sinnstiftung ähnlichen Mustern folgen. So zeigt sie, dass literarische Texte den soziokulturellen Umbruch hin zu einer commercial society im doppelten Sinne reflektieren: Sie spiegeln die wachsende Bedeutung der Dinge für die Kultivierung des Selbst in oftmals hyperbolischer und theatralischer Form wider und legen in dieser Überspitzung das ökonomische Grundmuster des self-fashioning offen. Gleichzeitig führen sie – quasi performativ – vor, dass die Selbststilisierung der Subjekte sich im Umgang mit Dingen poetischer und rhetorischer Gesten bedient: Objekte werden so zu den Metaphern, den Metonymien des Selbst. Indem Literatur Objekte zu Subjekten und Subjekte zu Objekten macht, greift sie ihrerseits kulturelle Muster der Bedeutungsgebung auf. In der übertrieben künstlichen oder gar lächerlichen Inszenierung der Figuren äußert sich die ironische Haltung der Autoren. Aber auch dieser ironisch-distanzierende Gestus der Literatur findet seine Entsprechung im kulturellen Umgang mit Dingen: wie der Fetischismus ist die Ironie eine Form, die Ordnungen und Werte noch im Abwehrgestus bestätigt.

Scholz‘ Buch ist ein außerordentlich gelungenes Beispiel dafür, dass ein kulturwissenschaftlicher Ansatz nicht bloß die Wechselwirkungen zwischen literarischer Produktion und kultureller Praxis aufzeigt, sondern auch vorführt, wie kulturelle Denkmuster, Wertsetzungen und Subjektmodelle selbst rhetorische Figuren und literarische Formen ausbilden. So werden auch literaturwissenschaftliche Begriffe auf neue Weise für Kulturstudien fruchtbar gemacht.

URN urn:nbn:de:0114-qn061168

Dr. Bärbel Tischleder

Frankfurt am Main / J. W. Goethe Universität / Institut für England- und Amerikastudien

E-Mail: Tischleder@em.uni-frankfurt.de

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