Zwischen Macht und Schrift. Fürstinnen im 18. Jahrhundert

Rezension von Nikola Roßbach

o.A.:

Hof – Geschlecht – Kultur. Luise von Anhalt-Dessau (1750–1811) und die Fürstinnen ihrer Zeit.

Das achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Wolfenbüttel, 28 (2004), H. 2.

Göttingen: Wallstein 2004.

320 Seiten, ISBN 3–89244–807–8, € 17,00

Abstract: Das vorliegende Themenheft widmet sich einem spezifischen Aspekt weiblicher Kultur: dem Leben deutscher Fürstinnen im 18. Jahrhundert, insbesondere dem der Luise von Anhalt-Dessau (1750–1811). Nicht nur ihr Lebensmodell wird bestimmt von aufklärerischen und empfindsamen Positionen, von höfischer Repräsentation und individueller Lebensgestaltung, von literarischer und mündlicher Kommunikation. Der Band ist interdisziplinär und methodisch multiperspektivisch angelegt; seine Stärke liegt allerdings nicht in der (gender-)theoretischen Auseinandersetzung, sondern in der Arbeit am kulturhistorischen Material.

Die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Das achtzehnte Jahrhundert, legt mit dem zweiten Heft des 28. Jahrgangs (2004) einen Themenband vor: Hof – Geschlecht – Kultur. Luise von Anhalt-Dessau (1750–1811) und die Fürstinnen ihrer Zeit. Nur um die Beiträge zu diesem Themenschwerpunkt, weder um die Berichte „Aus der Arbeit der Deutschen Gesellschaft“ noch um die Rezensionen soll es im Folgenden gehen. Ein Drittel der Artikel sind überarbeitete Fassungen von Vorträgen. Sie wurden bei der Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission im Oktober 2003 im Dessauer Schloss Georgium gehalten und nehmen „erstmals die Fürstin Luise von Anhalt-Dessau im Kontext der Fürstinnenforschung in den Blick“ (Haefs/Zaunstöck, S. 157).

Forschungsaufriss

Den Artikeln geht ein Forschungsüberblick der Gastherausgeber voraus: Wilhelm Haefs’ und Holger Zaunstöcks „Hof, Geschlecht und Kultur – Luise von Anhalt-Dessau und die Fürstinnen ihrer Zeit. Ein Forschungsaufriß“. Skizziert werden Aspekte der allgemeinen Literatur zur Geschlechterforschung, -geschichte und -differenz, Aspekte der Fürstinnenforschung, in deren gendertheoretischen und kulturwissenschaftlichen Konzepten sich der Paradigmenwechsel der modernisierten Frauenforschung widerspiegelt, Aspekte der Fürstenhofforschung und schließlich Aspekte der speziellen Luisenforschung, der weit über die Hälfte des Überblicks gewidmet ist. Haefs und Zaunstöck präsentieren ein jenseits von reinem Biografismus und Positivismus konstruiertes Charakterbild der Fürstin, das fern der bekannten Stereotypen „empfindelnde Hysterikerin“ versus „empfindsame Rebellin bzw. Märtyrerin“ (Christiane Holm, S. 218) angesiedelt ist. Es bleibt offen und widersprüchlich und erscheint gerade dadurch zeittypisch.

Schwerpunkt Personenforschung

Der Schwerpunkt des Bandes liegt zweifellos, das kann man wertfrei konstatieren, auf der Personenforschung. Nur konsequent ist, dass den Forschungsbeiträgen eine Kurzbiografie Luises von Anhalt-Dessau (Anette Froesch) vorangestellt ist. Vier der folgenden neun Artikel sind reine Luise-Beiträge: Froesch dokumentiert an Bildern der Fürstin die „zeittypische Abkehr von der höfisch bestimmten Portraitpraxis des Rokoko hin zu einer neuen, den Charakter des Individuums betonenden Darstellungsweise nach englischem Vorbild“ (S. 201). Bärbel Raschke konzentriert sich auf Luises Bildungsgang, privaten Bucherwerb und Buchbesitz, auf das inhaltliche Profil ihrer Lektüre und ihr Leseverhalten. Christiane Holm thematisiert ihre empfindsame Positionierung in der Dessau-Wörlitzer Amor und Psyche-Rezeption, Johanna Geyer-Kordesch stellt die Fürstin in das empfindsame Diskursfeld von Freiheit, Empfindsamkeit und Natur.

Andere Beiträge beschäftigen sich partiell mit Luise. York-Gothart Mix belegt seine These von der Literatur als Lebensführungsmacht nicht nur an Charlotte Friederike Christiane zu Stolberg-Stolberg, sondern auch an Luise von Anhalt-Dessau. Helga Meise wählt letztere neben Henriette Amalie von Anhalt-Dessau und Karoline von Hessen-Darmstadt aus, um die kulturellen Praktiken des Lesens und Schreibens und deren Funktion im Rollenverständnis von Fürstinnen zwischen höfischer Repräsentation und literarischer Selbstdarstellung zu demonstrieren.

Lediglich zwei Aufsätze widmen sich ausschließlich anderen Fürstinnen. Dirk Hempel analysiert die empfindsame Korrespondenz und die dahinter stehenden Lebensmodelle von Louise Ferdinande zu Anhalt-Cöthen, Auguste Friederike zu Ysenburg-Büdingen und Auguste Eleonore zu Stolberg-Wernigerode. Joachim Berger thematisiert Repräsentationsstrategien deutscher Fürstinnen in der Spätaufklärung und konzentriert sich dabei auf die verschiedenen Phasen der Selbstinszenierung Anna Amalias von Sachsen-Weimar-Eisenach.

Gender – Theorieanspruch und Praxis

Die Herausgeber Haefs/Zaunstöck dokumentieren in ihrem Forschungsaufriss nicht nur den Stand der Wissenschaft, sondern stellen selbst Forderungen auf. Eine zeitgemäße Fürstinnenforschung soll eine Neubewertung der „Formen weiblicher Repräsentation (und Selbst-Repräsentation) in der Adelskultur des 18. Jahrhunderts“ sowie der „Formen der Kommunikation von Fürstinnen am Hofe mit Fürsten und Freunden, mit Fürstinnen und Freundinnen, mit den Medien von Tagebüchern, Briefen, Reisen und Reiseberichten, Dichtungen und Austausch über Lektüre“ (S. 163) leisten. Interdisziplinarität wird ebenso postuliert wie die „Verknüpfung kommunikationsgeschichtlicher, historisch-soziologischer, literatur- und kunstwissenschaftlicher sowie genderspezifischer Konzepte“ und die Erprobung „handlungs-, erfahrungs-, diskurs- und strukturorientierte[r] Ansätze, deren Verbindung auf eine modernisierte Kulturgeschichtsschreibung“ (S. 165) hinauslaufe.

Damit wird ein anspruchsvolles Programm vorgelegt, das die Forschungsbeiträge des Bandes nicht einlösen (in seiner Komplexität sicherlich auch gar nicht einlösen können): Die im Schnittfeld von Historischer Anthropologie, Kommunikations- und Gendergeschichte zu analysierenden „Diskurse der Körperwahrnehmung und Leiblichkeit, der Sinnlichkeit und Sexualität“ (S. 166) werden nicht behandelt, selbst dann nicht, wenn Elisa von der Reckes Empfindung, in ihrer unglücklichen Vernunftehe „nur ein Stück Fleisch“ (Geyer-Kordesch, S. 245) zu sein, zitiert wird. Empfindsame weibliche Lebensmodelle werden vorgestellt ohne gendertheoretische Profilierung des zugrunde liegenden Geschlechtermodells. Diese fehlt sogar, wenn es dezidiert um Geschlechterrollen geht wie bei Geyer-Kordesch, deren redundante und zudem nicht originelle These von der frauenemanzipatorischen Wirkung der Empfindsamkeit auf dürftiger Quellenlage basiert – oder wie bei Hempel, der den Weg einer Adligen zu einem selbstbestimmten bürgerlichen Leben nacherzählt. Wenn einerseits die prinzipielle Egalität der Geschlechter als Postulat der Moralischen Wochenschriften erklärt wird, die andererseits ein spezifisch weibliches Bildungsideal propagiert hätten (Mix, S. 181), hätte man sich eine kritische Hinterfragung des vorausgesetzten Geschlechtermodells (one-sex- oder two-sex-model?) gewünscht.

Vielleicht erklärt sich die Tatsache, dass Genderfragen im vorliegenden Band nur marginal berührt werden, damit, dass die behandelten Fürstinnen nicht an der Querelle des femmes teilnahmen, sich nicht genustheoretisch oder gar feministisch äußerten? Der – gewissermaßen entgegengesetzten – Gefahr, dass hinter aufgeblasenem und jargonhaftem Theorieballast nichts steckt, entgehen die inhaltsorientierten, oft materialgesättigten kulturhistorischen Forschungsbeiträge. Hinter ihnen steckt viel, das des Lesens wert ist.

Leerstellen

Und immer wieder stößt man bei der Lektüre auch auf interessante Lücken, auf Leerstellen. Das Fehlen von Luise-Porträts, die mit denen ihres Gatten korrespondieren oder die sie im Familienkreis zeigen (vgl. Froesch, S. 202), kann als subversive weibliche Verweigerung interpretiert werden. Andere Leerstellen entstehen durch das Verschwinden der Frau in der maskulinen symbolischen Repräsentation: Wenn in Tagebuch- und Kalendereinträgen das Eigentliche, das Wahre verschwiegen wird, dann erscheinen „höfische Repräsentation und Einbindung in die dynastische Tradition zum einen, Empfindsamkeit und literarische Selbstdarstellung zum anderen“ (Meise, S. 260) als nicht vermittelbar.

Leerstellen kennzeichnen auch die Fürstinnenforschung. Nicht nur hinsichtlich der Adelskultur steht die auf den Bürgerlichkeitsbegriff fixierte Aufklärungsforschung noch am Anfang (Mix, S. 189), sondern auch speziell hinsichtlich der Kultur adliger Frauen. Eine Leerstelle, die besonders neugierig macht, sind die unveröffentlichten, umfangreichen Tagebücher der Luise von Anhalt-Dessau: Ein entsprechendes Forschungsprojekt ist in Vorbereitung.

URN urn:nbn:de:0114-qn061145

Dr. Nikola Roßbach

Technische Universität Darmstadt, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft

E-Mail: n.rossbach@arcor.de

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