Claudia Liebrand, Ines Steiner (Hg.):
Hollywood hybrid.
Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film.
Marburg: Schüren 2004.
320 Seiten, ISBN 3–89472–351–3, € 24,80
Abstract: Mit Hollywood hybrid legen Claudia Liebrand und Ines Steiner einen äußerst lesenswerten Sammelband vor, in dem aus unterschiedlichen Blickwinkeln Hollywoodfilme der vergangenen Jahre untersucht wurden. Im Zentrum stehen dabei stets die komplexen Wechselwirkungen zwischen Genre und Gender. Von wenigen Schwächen abgesehen, gelingen den Autor/-innen dabei durchweg überzeugende Analysen.
Der vorliegende Sammelband versucht, anhand aktueller Hollywoodfilme aufzuzeigen, wie dicht die Konzepte Gender und Genre im Mainstream-Film verwoben sind. Irmela Schneider zeigt in ihrem einleitenden Beitrag, dass die beiden Konzepte nicht nur durch eine gemeinsame sprachgeschichtliche Wurzel eng miteinander verbunden sind, sondern auch die Entwicklung des filmwissenschaftlichen Gebrauchs von ‚Genre‘ inzwischen vielerlei Ähnlichkeiten damit hat, wie ‚Gender‘ im Diskurs der Geschlechterforschung verwendet wird.
‚Genre‘ wird so auch in diesem Band nicht als starre Kategorie begriffen, die jeweils einen Korpus bestimmter Filme mit bestimmten Eigenschaften beschreibt. Vielmehr gilt für Genre, was Schneider mit Verweis auf Freud das „Modell der konstitutiven Nachträglichkeit“ nennt: Genre konstituiert sich immer in jedem konkreten Film und durch ihn, Genre wird immer erst durch den einzelnen Film aufs Neue erzeugt, verändert und erneuert.
Gereon Blaseio zeichnet die Entwicklung dieses Genre-Begriffs in den Filmwissenschaften und im Kontext der Auseinandersetzung mit feministischen Theorien nach. Dabei kommt er nicht zuletzt auch auf die Schwierigkeiten zu sprechen, auf die die Theorie von Filmgenres unweigerlich stoßen muss: welche Kriterien zum Beispiel für die Beschreibung und Abgrenzung eines Genres überhaupt angelegt werden könnten. So macht er etwa deutlich, dass „bis heute […] der Streit, ob es sich beim Film Noir um ein Genre handelt, nicht als entschieden angesehen werden“ kann (S. 33).
Blaseios Bedenken sind insofern bemerkenswert, als in den Untersuchungen, die mehr als zwei Drittel des Buches ausmachen und größtenteils sehr gelungen sind, auf diese Fragen nur noch selten weiter eingegangen wird. Von den Autor/-innen wird stattdessen ein bestimmtes oder mehrere Genre als in seinen „klassischen“ Beispielen klar definiert vorausgesetzt und dann beschrieben, wie sich diese Genres in den untersuchten Filmen verändern und verschieben.
Diese Schwierigkeit sollte keinesfalls überbewertet werden. Gerade für den Film Noir kann man sich vermutlich relativ leicht auf einen Kanon an klassischen Hollywoodfilmen einigen, der dieser Kategorie zuzuschlagen wäre. Ob diese Filme ein eigenes Genre bilden, ist möglicherweise dann von sekundärer Bedeutung, wenn man zugleich davon ausgehen kann, dass im klassischen Film Noir, Genre hin oder her, bestimmte Geschlechterrollen und -konstruktionen als grundlegende Strukturmerkmale festzustellen sind. Diese Prämisse nimmt Elisabeth Bronfen in ihrer Analyse der „Refigurationen der Femme fatale“ in einer ganzen Reihe von Neo-Noirs der 80er und 90er Jahre zum Ausgangspunkt und zeigt dabei auf, dass die Geschlechterverhältnisse in Bewegung geraten sind. Allerdings wäre es gerade für ihre Untersuchung wünschenswert gewesen, auch transparent dargestellt zu bekommen, welche Filme sie dem neuen Film Noir zuschlägt und warum.
Die Frage nach dem Genre treibt schon eher Christoph Brecht um, der in seinem Aufsatz zu Clueless denn auch versucht, erste Ansätze dafür zu bieten, warum das Teen Movie kein eigenes Genre darstellt, sondern vielmehr als Transformationsmechanismus innerhalb verschiedener Genres zu beschreiben sei, ein Versuch, der auf etwas mehr als zwanzig Seiten allerdings unvollständig bleiben muss. Dafür gelingt Brecht aber eine überzeugende Analyse der erzählerischen Grundstrukturen von Clueless.
Wie sehr jüngere Hollywoodfilme immer schon Genrehybride sind, wird besonders in Katrin Oltmanns Untersuchung von William Shakespeare’s Romeo + Juliet und Romeo Must Die deutlich. Bei beiden Filmen handelt es sich um Hybride, die sowohl Elemente aus dem Actionkino (bzw. dem Martial-Arts-Film) enthalten als auch solche aus dem Romantic Drama; zudem, das weist Oltmann nach, nehmen beide aber auch ausführlich auf das Genre des Musicalfilms und dabei insbesondere auf die Verfilmung von West Side Story Bezug. De facto, argumentiert Oltmann, handelt es sich bei Romeo + Juliet und Romeo Must Die um Remakes von West Side Story; die beiden Remakes erben aber immer schon den male trouble, den Oltmann im Musical angelegt sieht: Männlichkeit muss durch eine hyperbolische Inszenierung mit Nachdruck bestätigt werden und offenbart genau darin natürlich ihre Fragilität. Die Veränderungen der Gender-Konstellationen in diesen Filmen werden aber dadurch besonders deutlich, dass Oltmann sie ausgehend von West Side Story als Remakes und Neuerzählungen in einem anderen Genre in den Blick nimmt.
Der male trouble scheint viele der Autor/-innen dieses Bandes umgetrieben zu haben: so wird Philadelphia von Jonathan Demme als Gay Melodrama gelesen (Claudia Liebrand), das Scheitern von Oliver Stones Vietnamfilm Heaven and Earth an der Kinokasse damit erklärt, dass er für das Publikum nicht gleichzeitig Vietnamfilm, Male Melodrama und Women’s Film sein konnte (Gereon Blaseio), und auch dem Sandalen- oder Epic-Film gelingt trotz Ridley Scotts Gladiator nicht die Wiederauferstehung: dafür ist sein Held zu wenig interessant (Ines Steiner).
Sandra Rausch und Franziska Schößler nehmen sich schließlich mit dem Science-Fiction-Film ein Genre vor, das für eigenwillige Geschlechterkonstellationen oft erstaunlich offen ist. So zeigt Schößler auf, wie sehr Filme der 90er Jahre die Verhältnisse in Bewegung setzen: Terminator 2, The Matrix und Artificial Intelligence sind Filme, in denen mit der Auflösung einer strikten Trennung von Mensch und Maschine zugleich eine Auflösung von klaren Geschlechterstereotypen einhergeht.
Wie sehr die Filme dabei auf andere Genres verweisen und deren Geschlechterkonstruktionen kommentieren, macht Sandra Rauschs ausführliche Analyse einer kurzen Sequenz aus Terminator 2: Judgment Day deutlich. Rausch identifiziert in der Art und Weise, in der Arnold Schwarzenegger in diesem Film eingeführt wird, jene Konstruktion von hypermaskuliner Körperlichkeit, die bereits im Hollywoodfilm der 80er Jahre zu beobachten ist und von Susan Jeffords etwa mit dem Begriff des hard body beschrieben wurde. Zugleich wird aber deutlich, dass in Terminator 2 diese Körperlichkeit nicht mehr unproblematisch und ungebrochen ist. Mit ironischen Verweisen auf ein ‚maskulines‘ Genre, den Western, wird in der genannten Szene das klassische Bild des ‚lonesome cowboy‘ aufgerufen und umgeschrieben. Zugleich macht der Körper Schwarzeneggers, so Rausch, in seiner hypertrophen Virilität die Konstruiertheit von Männlichkeitsbildern im Kino sichtbar; wie er dann auf der Leinwand auch noch ganz physisch dekonstruiert wird – indem er etwa durch Abziehen eines Stückes Haut sein maschinelles Inneres freigibt –, ist ein weiterer Aspekt, unter dem Franziska Schößler diesen Film betrachtet.
Der letzte Aufsatz in Hollywood hybrid, der sich mit Baz Luhmanns Musicalfilm Moulin Rouge! beschäftigt, fällt etwas aus dem Rahmen des Bandes heraus. Er beginnt mit einer relativ knappen Untersuchung (Ines Steiner) der komplexen Verweis- und Erzählstruktur, die diesen Film auszeichnet; an diese schließt sich dann eine von Marcus Erbe und Andreas Gernemann verfasste Analyse der Klangräume in Moulin Rouge! an. Leider verschließen sich die Nuancen dieser Betrachtung dem Rezensenten mangels Fachkenntnis; und auch wenn ihm sich der ansonsten in diesem Band so dominante Genderaspekt in diesem letzten Teilkapitel nicht so recht zeigen will, wäre es doch wünschenswert, wenn auch die Tonspur eines Films mehr in den Mainstream der wissenschaftlichen Filmanalyse rücken und auch für die Geschlechterforschung fruchtbar würde.
Hollywood hybrid ist ein äußerst gelungener – und im übrigen durchgehend sehr lesbar geschriebener – Aufsatzband, an dem es wenig zu bemängeln gibt. Vielleicht wäre es, wie bereits erwähnt, sinnvoll gewesen, die einzelnen Genres, von denen die Rede ist, etwas klarer zu beschreiben. In diesen Texten sollte aber natürlich die Auseinandersetzung mit aktuellen Filmen im Vordergrund stehen, und da hätten solche Überlegungen wohl den Rahmen gesprengt. Sehr gewinnbringend wäre womöglich außerdem gewesen, Genre noch einmal unter dem Aspekt näher zu untersuchen, dass es auch als Marketingstrategie der Filmstudios benutzt wird; gerade im Fall von Genre-Hybriden wie Luhrmanns Romeo + Juliet könnte es von großem Interesse sein, wie sich im Rahmen der Filmvermarktung das Verhältnis zwischen Genre und Gender gestaltet.
URN urn:nbn:de:0114-qn061183
Rochus Wolff, M.St.(Oxon)
Freie Universität Berlin/ZE Frauen- und Geschlechterforschung
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