Hermann Brandenburg (Hg.):
Altern in der modernen Gesellschaft.
Interdisziplinäre Perspektiven für Pflege- und Sozialberufe.
Hannover: Schlütersche 2004.
134 Seiten, ISBN 3–89993–130–0, € 24,90
Abstract: Diese Veröffentlichung, die aus einer Vortragsreihe an der katholischen Fachhochschule Freiburg entstanden ist, führt die Leserinnen und Leser in die verschiedenen Sichtweisen des Alter(n)s in der modernen Gesellschaft ein. Es handelt sich um eine gelungene Zusammenstellung von Beiträgen aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich alle aus ihrer Sicht dem Thema Alter(n) widmen. Die einzelnen Artikel sind zwischen 8 und 38 Seiten lang und recht schnell und einfach zu lesen. Je nach Hintergrund und Interessen werden die einzelnen Leserinnen und Leser dabei sicher unterschiedliche Beiträge favorisieren. Schade ist nur, dass durch die ungleichen Längen der Beiträge bestimmte thematische Schwerpunkte – ob gewollt oder nicht – gesetzt werden. Dies sollte die Leserinnen und Leser, die offen für unterschiedlichste Sichtweisen des Alter(n)s sind, jedoch nicht davon abhalten, dieses Buch zu lesen.
Das Thema Alter(n) gewinnt aufgrund der demographischen Entwicklungen immer mehr an Bedeutung. Es gibt allerdings nicht die alten Menschen. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine sehr heterogene Gruppe. Zudem lässt sich das Alter nicht klar definieren. Ab wann ist ein Mensch alt?
Neben dem kalendarischen Alter gibt es noch vielfältige andere Faktoren, die das Alter bestimmen. Auf dem Arbeitsmarkt gehört man heute bereits mit ca. 45 Jahren zu den älteren Arbeitnehmer/-innen. Doch ist man dann wirklich schon alt? Bezogen auf die ansteigende Lebenserwartung und die damit verbundene Tatsache, dass es heute keine Seltenheit mehr ist, 80 oder sogar 90 Jahre alt zu werden, sicher nicht. „Bin ich alt?“ (S. 13), fragt sich auch Herbert Steckeler im ersten Beitrag dieses Buches, und er versucht, diese Frage aus philosophisch-theologischer Sicht zu beantworten.
Das Thema Alter bzw. Altern wird in den interdisziplinären Fachbeiträgen dieses Buches aus unterschiedlichen Sichtweisen beleuchtet: philosophisch-theologisch, pflegewissenschaftlich-gerontologisch, sozialpolitikwissenschaftlich-ökonomisch, klinisch-psychologisch, bildungstheoretisch-pädagogisch und kultur-soziologisch.
Neben der Frage „Bin ich alt?“ (S. 13) – „Altern ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz“ (S. 8) – geht es in den Beiträgen der fünf Autoren um die Anforderungen an die moderne Altenpflege, die Problematik der Integration geriatrischer Versorgung ins System der Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten von Bildung im so genannten „vierten Alter“ und den sozialstrukturellen Wandel. Somit bietet das Buch eine gute Möglichkeit, relativ schnell einen Überblick über das Thema Alter(n) zu bekommen. Allerdings werden aufgrund der zum Teil doch unterschiedlichen Längen der einzelnen Beiträge Schwerpunktsetzungen im Bereich der philosophisch-theologischen sowie der pflegewissenschaftlich-gerontologischen Sichtweise deutlich.
Herbert Steckeler fordert in seinem Beitrag mit der an sich selbst gestellten Frage „Bin ich alt?“ (S. 13) indirekt dazu auf, sich mit dem eigenen Alter(n) bzw. dem eigenen Dasein zu beschäftigen. In seinem durch Fragen gegliederten Beitrag und durch wiederholte persönliche Anrede, z. B. „Machen wir uns das klar …“ (S. 33), behält er den Kontakt zu den Leserinnen und Lesern und fordert sie immer wieder zum Mitdenken auf. Dies geschieht im philosophischen Sinne, denn so Steckeler: „Die Philosophie kann und will den Menschen zum Fragen und Nachdenken bringen“ (S. 44). Alles in allem ist dies ein gelungener Einstiegsbeitrag, da er die Leser/-innen auf der persönlichen Ebene anspricht. Er hebt sich von den anderen, auf Daten und Fakten bezogenen Artikeln ab. Allerdings taucht Steckeler für fachfremde Leserinnen und Leser zu tief in die Philosophie ein.
Im Anschluss wird von Hermann Brandenburg die Frage diskutiert, ob die Altenheime Zukunft haben und welche Anforderungen zukünftig an diese gestellt werden. Zunächst erläutert Brandenburg die derzeitigen bzw. zukünftigen Entwicklungen, die neue Anforderungen an die Altenheime stellen werden, wie z. B. die Zunahme kranker, pflegebedürftiger und behinderter alter Menschen, die veränderten Familienstrukturen und die damit verbundene geringere Bereitschaft der Kinder, die Pflege ihrer Eltern zu übernehmen. Aber auch die für die Zukunft erwartete höhere Anspruchshaltung der älteren Menschen an eine stationäre Pflege spielt eine Rolle. Zudem wird es zukünftig mehr ältere Migrant/-innen und mehr ältere behinderte Menschen geben, zwei Personengruppen, die als Klientel der stationären Altenpflege derzeit noch weitgehend unbekannt sind. Der besondere Schwerpunkt der zukünftigen Anforderungen an die stationäre Altenpflege liegt nach Brandenburg in der Förderung und Aufrechterhaltung einer selbständigen Lebensführung der Bewohner/-innen. In einem Exkurs stellt er hierfür unterschiedliche Instrumente zur gezielten Identifikation von Potentialen einer selbständigen Lebensführung vor. Kritisch zu betrachten ist an einigen Stellen die mangelnde Aktualität des hinzugezogenen Zahlenmaterials.
Frank Schulz-Nieswandt erläutert „Die Problematik der geriatrischen Rehabilitation im bundesdeutschen Gesundheitswesen“. Hierzu stellt er fest: „Insbesondere die sozialrechtliche Trennung von Krankheit und Pflege im SGB V und SGB XI hat sich infolge der Budgettrennung der Kranken- und Pflegekassen als Nachteil für die geriatrische Rehabilitation erwiesen“ (S. 83). Schulz-Nieswandt plädiert für eine integrierte Versorgung, die sich ganzheitlich an der Person und ihrer Lebenslage orientiert – eine „kommunikative Medizin“, die die Patient/-innen als Mit-Produzent/-innen von gesundheitsbezogener Lebensqualität voraussetzt.
Inwiefern Erinnerungsarbeit mit Bildern bei der Therapie psychischer Erkrankungen im Alter eingesetzt werden kann, wird von Karl-Heinz Menzen diskutiert, der langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit psychisch kranken alten Menschen hat. Er beschreibt psychopathologische Phänomene, die zu einer Traumatisierung im Alter führen können. In 15 Thesen stellt er das „Erinnern mit Bildern angesichts von Traumata“ (S. 101) dar.
Dass Bildung auch bei hochbetagten alten Menschen eine Rolle spielt, erklärt Edgar Kösler. Er macht eindrucksvoll deutlich, dass das so genannte „vierte Alter“ zwar mit Kompetenzverlust und zunehmender Abhängigkeit, aber auch mit eigenen Kompetenzen und Autonomie verbunden ist. Die Bildung hochbetagter Menschen muss auf ihre Bedingungen zugeschnitten sein. Sie muss z. B. dort stattfinden, wo die alten Menschen sind, also durchaus auch im Alten(pflege)heim oder in der eigenen häuslichen Umgebung. So sagt Kösler: „Bildung im vierten Alter kann […] einen wichtigen Beitrag leisten zu einem realistischen Selbstbild und zum Erhalt der Lebensfreunde“ (S. 119).
Burkhard Werner wagt den „Versuch einer Neuinterpretation des Alter(n)s in einer Altersgruppen-übergreifenden Sicht“. Dazu nimmt er die in der Gerontologie bekannten Thesen des Soziologen Tews unter die Lupe: die Verjüngung des Alters und die Ausweitung der Altersphase, die Entberuflichung, die Feminisierung, die Singularisierung und die Hochaltrigkeit. Werner hinterfragt, ob diese in der Gerontologie bekannten Strukturmerkmale des Alters nicht auch auf andere Altersgruppen zutreffen. So beschreibt er z. B., dass sich aufgrund der stetig ansteigenden Lebenserwartung nicht nur die Altersphase ausgeweitet hat, sondern u. a. auch die Jugendzeit und die damit verbundene Berufsausbildungsphase. Ebenso betrifft die Entberuflichung aufgrund der zunehmenden Arbeitslosenzahlen neben den Alten auch andere Altersgruppen. Resümierend stellt Werner fest, dass „die fünf Merkmale zum Strukturwandel des Alters von Tews ihre Eindeutigkeit für das Alter – für die heute Alten – und für die heutige Zeit, die Postmoderne, verlieren, wenn man sie genauer anschaut“ (S. 127). Werner beendet seinen Beitrag mit Hinweisen zu anthropologischen Konstanten des Alters. Hierzu eine Anmerkung Brandenburgs: „Damit schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei Grundsatzfragen angelangt“ (S. 9).
Der Titel Altern in der modernen Gesellschaft. Interdisziplinäre Perspektiven für Pflege- und Sozialberufe – hält, was er verspricht. Dieses Buch vermittelt einen guten Einblick in unterschiedliche Perspektiven des Alter(n)s. In den Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen setzt jeder der fünf Autoren seinen eigenen Schwerpunkt. Es werden vielfältige – wenn auch nicht alle – Aspekte des Alter(n)s diskutiert. Neben Defiziten und Einschränkungen werden auch Ressourcen und Chancen des Alter(n)s angesprochen. Allerdings sind die einzelnen Disziplinen – wie bereits erwähnt – nicht gleichwertig vertreten. Die beiden ersten Beiträge „Altern – eine philosophische Besinnung auf naturwissenschaftlichem Hintergrund mit einem theologischen Ausblick“ und „Altenheime der Zukunft – Zukunft der Altenheime!?“ stellen die philosophisch-theologische und die pflegewissenschaftlich-gerontologische Perspektive in den Vordergrund. Insbesondere der philosophisch-theologische Beitrag von Steckeler mag für Leserinnen und Leser, die keine besondere Neigung zu philosophisch-theologischen Auslegungen haben, etwas langatmig sein. Bezogen auf die Geschlechterforschung muss hier leider angemerkt werden, dass keiner der Beiträge geschlechtsspezifische Unterschiede herausstellt. Es wird auch keine geschlechtersensible Sprache verwandt.
URN urn:nbn:de:0114-qn062163
Nicole Maly-Lukas, Dipl.-Pädagogin
Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V., Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund
E-Mail: nmlukas@pop.uni-dortmund.de
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