„Wenn Sie auch schon aus dem Weg geraümet würde, es bliebe doch dergleichen“

Rezension von Betina Aumair

Angelika Steidele:

In Männerkleidern.

Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Rosenstengel, hingerichtet 1721. Biografie und Dokumentation.

Wien: Böhlau 2004.

250 Seiten, ISBN 3–412–16703–7, € 22,90

Abstract: Akribisch hat die Literaturwissenschaftlerin Angela Steidele dem nur fragmentarisch überlieferten Leben der vermutlich letzten Frau, die „wegen der so genannten Unzucht mit einer anderen Frau“ (S. 1) in Deutschland hingerichtet worden ist, nachgespürt. Die Geschichte der Liebe zwischen Frauen ist eine „noch weitgehend ungeschriebene“, insbesondere gilt das, wie Steidele im Nachwort schreibt, für die Zeit von 1500 bis 1850. Steidele gelingt mit dieser Einzelstudie ein Stück deutscher Sozial- und Geschlechterforschung, in der, wie sie selbst meint, „die Abenteuerin Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel ihren würdigen Platz“ (S. 152) findet.

Aufbau

Steidele berichtet vom Schicksal einer Frau, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte und sich mit 15 Jahren entschied, die Frauenkleidung abzulegen und fortan als Mann zu leben. Im Vorwort bringt Steidele eine Kurzfassung der Geschichte Catharina Margaretha Lincks. Der ausführlichste Teil ist die Biographie der Protagonistin, die in elf Kapitel unterteilt ist. Die ersten neun Kapitel sind dem Leben Catharina Margarethe Lincks und dem Prozess gegen sie gewidmet, die letzten beiden Kapitel dem weiteren Lebensweg ihrer späteren Lebensgefährtin Catharina Margaretha Mühlhahn und der Geschichte von Transidentität und Homosexualität. Der zweite große Teil enthält die Dokumentation der Quellen, die der Autorin zur Verfügung standen.

Als Hintergrund zu den einzelnen Stationen in Catharina Margaretha Lincks Leben, die letztendlich zu dem Todesurteil führten, liefert Steidele Informationen zum Pietismus, zur zeitgenössischen Ansicht über die Folter und über Transidentität und Transsexualität sowie über die Inquisitionsprozesse. So lernt der Leser/die Leserin nicht nur eine Lebensgeschichte kennen, sondern auch deren geschichtliche und soziale Hintergründe.

Kindheit im Waisenhaus

Catharina Margaretha Linck wurde 1687 in einem kleinen, nicht näher genannten Ort im damaligen Mitteldeutschland geboren. Sie stammte aus sehr einfachen und ungeordneten Verhältnissen. Ihre Mutter Magdalena ging zwar eine relativ zukunftssichere Ehe ein, ihr Ehemann und sie waren im Lein- und Wollweberhandwerk tätig, nach dem frühen Tod des Mannes konnte sie die Herstellung und den Verkauf jedoch nicht allein bewältigen und verarmte zunehmend. Der Aufenthalt von Mutter und Kind in den nächsten zehn Jahren ist unbekannt, erst danach tauchten beide in Glaucha wieder auf. Glaucha, eine kleiner Ort an der Saale in der Nähe von Halle, war vollständig verwahrlost, der Dreißigjährige Krieg hatte auch hier seine Spuren hinterlassen. Hier eröffnete sich für Magdalena mit der Ankunft des Pastors August Hermann Francke (1663–1727) eine neue Zukunft. Francke legte hier mit der Gründung von Waisenhaus und Schulen den Grundstein für sein Stiftungswerk. Sein primäres Ziel war es, die physischen, sittlichen und geistigen sowie die geistlichen Bedingungen der Menschen, die in Glaucha lebten, zu verbessern. Diese Bemühungen wurzelten in seiner pietistischen Glaubenshaltung. Hier fand Magdalena eine Anstellung, und ihre Tochter fand dort sowohl Unterkunft als auch Schulbildung. Da die Schulpflicht in Preußen erst 1763 eingeführt wurde, war die pietistische Schulausbildung für Catharina Margaretha trotz der Strenge, die im Waisenhaus herrschte, ein Glücksfall.

Neuorientierung und Prophetendasein

Im Frühling 1700 verließ Catharina Margaretha das Waisenhaus und kam bei einem Knopfmacher und Kattundrucker unter. Drei Jahre später verließ sie ihren Herrn und begab sich mit nur 15 Jahren auf ihre erste selbständige Reise. In Calbe, einem Ort 55 km von Halle entfernt, trat sie auch das erste Mal in Männerkleidung auf. Ihre körperlichen Voraussetzungen ließen sie als Mann durchgehen. Zu dieser Zeit schloss sie sich auch einer radikalpietistischen Gruppe an, mit der sie bis nach Nürnberg zog. In Nürnberg schloss sich Catharina Margaretha Link den Täufern an und ließ sich auf den vermutlich hintergründig ironischen Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel taufen. Zwei Jahre blieb Anastasius bei den Täufern, bis er in Köln die Gruppe wegen einer Prophezeiung, die beinahe tödlich ausgeht, verlassen musste.

Soldatenleben

In männlicher Tracht machte sich Catharina Margaretha auf den Weg zurück zu ihrer Mutter nach Halle. Was sie dort die nächsten beiden Jahre machte, ist nicht gewiss, sicher ist, dass sie wieder in ihre Frauenkleider schlüpfen musste. 1705 verließ Catharina Margaretha erneut Halle. Wahrscheinlich litt sie unter den schlechten Aussichten, die sie als mittellose junge Frau hatte. So schlüpfte sie wieder in Männerkleider und wurde Soldat. Vermutlich waren Werber durch die Gegend gezogen, und Catharina Margaretha konnte die Gelegenheit ergreifen und mit ihnen gehen. Vor allem Männern aus der Unterschicht bot das Heer die Möglichkeit, ein bescheidenes Auskommen zu finden. Bei ihrer späteren Gefangennahme, sie desertierte 1708, gab sie das erste Mal ihren Schwindel preis, um der Todesstrafe zu entkommen. „Frauenverachtung“, so Steidele, „rettete ihr das Leben“. Auf dem Weg zurück nach Halle schloss sich Catharina Margarethe erneut dem Soldatenleben an, wurde jedoch abermals enttarnt und nach Halle geschickt, wo sie im Frühling 1709 ankam. Ein reguläres Leben als Frau zu führen, gelang ihr jedoch nicht, und sie verließ Halle auch ein halbes Jahr später, um erneut Soldat zu werden, dann wieder entlarvt zu werden und abermals nach Halle zurückzukehren, wo sie die nächste Jahre auch verbrachte. Als Catharina Margaretha auch in Halle des Öfteren in Männerkleidern auftrat, fiel sie 1716 deswegen auch in die Hände von Soldatenwerbern. Erst Francke konnte sie aus ihrer Not befreien, sie wurde ermahnt, vielleicht sogar unter Androhung von Strafe, dass sie sich „endlich gemäß ihres Geschlechts zu kleiden und zu benehmen“ (S. 67) habe. Doch Catharina Margaretha Linck war nicht bereit, als Frau zu leben. So verließ sie Halle und marschierte nach Halberstadt.

Ehestand

In Halberstadt, 90 km von Halle entfernt, lernte sie auch die 19jährige Catharina Margaretha Mühlhahn kennen, verliebte sich in sie und heiratete sie im Herbst 1717. Obwohl Catharina Margaretha Mühlhahn bei der späteren Anklage bestritt, gewusst zu haben, dass ihr Ehemann eigentlich eine Frau sei, kommt Steidele zum Schluss, dass sie es wusste, und „es war genau das, was sie wollte“ (S. 71). Schwierigkeiten machte die Mutter von Catharina Margaretha Mühlhahn, die nicht glauben wollte, dass Anastasius Rosenstengel ein Mann sei. Außerdem missfiel ihr, dass ihr Schwiegersohn begann, die Aussteuer seiner Frau zu verkaufen. Nach wenigen Monaten drängte sie die Eheleute dazu, sich scheiden zu lassen. Eine Auseinandersetzung folgte der anderen, bis die Rosenstengels 1718 Halberstadt verließen, plan- und ziellos durch die Gegend zogen und von der eigentlich verbotenen Bettelei lebten. Nach kurzer Rückkehr nach Halberstadt, wo sie nicht gerade herzlich aufgenommen wurden, brachen sie erneut in die Ferne auf, nach Hildesheim und dann nach Münster. Dort meldete sich Anastasius Rosenstengel im Jesuitenkolleg und stellte sich als armer Sohn von Täufer vor, der in Sorge um sein Seelenheil sei. Einen solchen Bittsteller konnte der Jesuitenorden nicht abweisen, und so fand das Ehepaar dort Auskommen für ein Jahr, bis sie sich katholisch taufen ließen und danach das Kloster verlassen mussten. Catharina Margaretha Rosenstengel kehrte zurück zu ihrer Mutter, und Anastasius Rosenstengel ging nach Helmstedt, um aus dem dortigen Missionseifer ähnlich wie in Münster Gewinn zu schlagen. Von dem dortigen Pastor, der Anastasius Rosenstengel evangelisch taufte, bekam er Geld, mit dem er sich auf dem Weg machte, um seine Ehefrau zu holen.

Inquisition

In Halberstadt wollte die Schwiegermutter ihre Tochter nicht mehr an den Ehemann ausliefern, und nach einer Auseinandersetzung wurde Anastasius Rosenstengel überwältigt und gefesselt. Ihm wurde der Lederdildo abgenommen, und er wurde zum Stadtgericht gebracht. Beide Eheleute wurden sofort verhaftet und in das Gefängnis geworfen, wo sie die nächsten eineinhalb Jahre, solange dauerte der Inquisitionsprozess, verbrachten. Ein Grund, warum der Prozess so lange dauerte, war die Diskussion darüber, ob es sich in diesem Fall überhaupt um Sodomie handelte. Da „keine würckliche Sodomitereÿ mit dem leblosen ledernen Instrument begangen werden“ (S. 120) könne, sei die Todesstrafe, die über Anastasius Rosenstengel verhängt wurde, nicht angebracht. Beinahe sah es so aus, als könne Anastasius Rosenstengel dem Todesurteil entkommen. Die Urteilsempfehlung des Criminal-Collegium, die Todesstrafe in eine Haft auf Lebzeit umzuwandeln, wurde an den König Friedrich Wilhelm I. geschickt. Dieser war berüchtigt dafür, für die geringsten Vergehen die Todesstrafe zu erteilen. So wandelte er auch die Urteilsempfehlung für Anastasius Rosenstengel wieder in eine Hinrichtung um. Anfang November 1721 wurde Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Rosenstengel zum Tod durch das Schwert verurteilt und drei Tage danach hingerichtet. Ihr Körper wurde ohne Grabstein und christlichen Segen am Galgenberg verscharrt. Catharina Margarethe Mühlhahn wurde zu drei Jahren Zwangsarbeit im Zuchthaus verurteilt.

Transidentität und Homosexualität

Catharina Margaretha Lincks Leben steht exemplarisch für viele. Der Nachwelt blieb ihre Geschichte nur deswegen erhalten, weil sie einerseits eines gewaltsamen Todes starb, andererseits wegen des Inquisitionsprozesses, der vorangegangen war. Franz Carl Müller (geb. 1860) gilt als der Entdecker ihrer Geschichte. Er war Assistent des damals berühmtesten deutschen Psychiaters Bernhard von Gudden. Müller war Chefarzt einer Nervenheilanstalt und beschäftigte sich mit Menschen, „die an der neu entdeckten ‚Krankheit‘ litten“ (S. 140), der „‚angeborenen Verkehrung der Geschlechtsempfindung‘“ (S. 140). Für eines seiner großen Werke, das aber nie erschienen ist, hob er aus dem Berliner Geheimen Staatsarchiv Akte und Berichte über „‚Conträrsexuelle‘“. So stieß er auch auf die Geschichte Catharina Margaretha Lincks.

Catharina Margaretha empfand das Leben als Mann unter anderem deswegen als so attraktiv, weil es ihr Wege eröffnete, die sie als Frau nicht hätte gehen können. Das bedeutete aber nicht, dass Catharina Margaretha keine Frau mehr sein wollte. Sie fühlte sich als Frau, genoss es beim Liebesspiel, auch eine Frau zu sein, die Lebensalternative als Mann bot ihr in der Gesellschaft jedoch erheblich mehr. „Catharina Linck gab sich lediglich über lange Strecken als Mann aus und führte das Leben eines solchen, und zwar aus Pragmatik, nicht innerem Zwang.“ (S. 144) Geschlecht war bis zum 18. Jahrhundert „eine soziologische und keine ontologische Kategorie“ (S. 145).

Heute, so führt Steidele an, erinnert nichts mehr an den Orten, die Catharina Margaretha Linck aufsuchte, an sie. Steideles Buch ist von dem Bemühen getragen, Catharina Margarethas zu gedenken. Es enthält überdies den Aufruf, nach weiteren Fällen in den Archiven zu stöbern, um „ein Stück deutsche Sozial-, Geschlechter- und Sexualgeschichte zu schreiben, das bis vor kurzem noch als nicht existent erklärt worden ist“ (S. 152).

Angela Steidele ist ein ebenso wichtiges wie lesenwertes Buch gelungen. Auch wenn viele Wissenslücken mit Spekulationen ausgefüllt sind, gibt Steidele mit den akribischen Nachforschungen und dem dargelegten Hintergrundwissen anhand einer exemplarischen Person einen guten Einblick in die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts. Die abwechslungsreiche Mischung aus wissenschaftlicher Information und Spekulation lässt das Buch zu einem echten Lesegenuss werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn062037

Bettina Aumair

Wien

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