Robert Gugutzer:
Soziologie des Körpers.
Bielefeld: Transcript 2004.
218 Seiten, ISBN 3–89942–244–9, € 14,80
Abstract: Robert Gugutzer gibt in seiner Einführung in die Körpersoziologie einen Überblick über Theorien, Themen und Fragestellungen rund um den Körper. Hierbei wird die Vielfalt der Umgangsweisen mit dem Gegenstand deutlich. Zugleich macht Gugutzer einen Vorschlag zur Beantwortung der Frage „Was ist der Körper?“, bei dem die Unterscheidung von Körper und Leib eine zentrale Rolle spielt.
Die deutsche Körpersoziologie ist dabei, sich als eigenständiges Feld zu etablieren. Eine Überblicksarbeit mit einführendem Charakter fehlte bislang jedoch. Diese Lücke schließt Robert Gugutzer mit seiner materialreichen Arbeit. Zwischen Körpersoziologie und Geschlechterforschung gibt es eine zentrale Überschneidung: Beide setzen ein nicht naturalistisches, soziales Körperverständnis voraus. Diese Vorstellung des entnaturalisierten Körpers wirft in beiden Feldern ähnliche Fragen auf. Die Frage „Was ist der Körper?“ wird in der Körpersoziologie kontrovers diskutiert, und auch in der Geschlechterforschung gibt es keine Einigkeit darüber, was innerhalb eines konstruktivistischen Paradigmas unter (Körper-)Geschlecht zu verstehen sei. Diese Parallele macht körpersoziologische Überlegungen und geschlechtertheoretische Fragestellungen wechselseitig füreinander fruchtbar. Aufgrund der disziplinären Grenzüberschreitungen, die der Gegenstand Körper geradezu erzwingt, dürften Gugutzers Ausführungen bei allen, die sich für das Körperthema interessieren – egal, welcher disziplinären Provenienz –, Anklang finden.
Gugutzers Arbeit besteht aus fünf Kapiteln. Sie beginnt mit einer kurzen Thematisierung von methodischen Fragen, die das Körperthema aufwirft. Im Anschluss wird die Vorgeschichte der Soziologie des Körpers dargestellt. Diese „versteckte Geschichte“ (S. 23) in klassischen soziologischen Texten ist mittlerweile in eine systematische Thematisierung übergegangen. Im folgenden Kapitel sucht Gugutzer nach Gründen für dieses explizite Interesse. Überzeugend ist der Hinweis, dass der Körper zu einem reflexiven Identitätsprojekt geworden ist. Er wird nicht länger als naturgegebene, schicksalhafte biologische Gegebenheit akzeptiert, sondern als „bewusst gestalt- und machbares Projekt“ (S. 40) angesehen. Der Hauptteil der Arbeit besteht aus einer Darstellung der bislang zentralen und besonders einflussreichen Überlegungen. Es geht also nicht um einen Überblick über die inzwischen fast nicht mehr überschaubare Anzahl von theoretischen und empirischen Artikeln und Büchern, die seit Mitte der 90er Jahre entstanden sind, sondern um grundlegende Beiträge und Fragestellungen. Abschließend stellt Gugutzer die Aufgabenfelder der Soziologie des Körpers vor und plädiert dafür, die körperlich-leibliche Verfasstheit des Menschen nicht lediglich in Form einer Bindestrich-Soziologie zu thematisieren, sondern als Basiskategorie der Sozialwissenschaft zu verstehen.
Gugutzer attestiert zwölf Wissenschaftler/-innen zentrale Bedeutung für die Körpersoziologie: Elias, Foucault, Bourdieu, Douglas, Turner, Goffman, O’Neill, Lindemann, Frank, Shilling, Butler und Bette. Bei einigen lässt sich über die Frage des Einflusses auf die Körpersoziologie streiten. So z. B. bei Bette und der körperabstinenten Systemtheorie. Oder auch bei Butler. Ihr Beitrag zur Körpertheorie ist zwar prominent, und der performative Geschlechterbegriff ist eines der zentralen feministischen Paradigmen der Gegenwart. Es gibt aber mindestens noch einen zweiten wichtigen Ansatz in der Geschlechterforschung, nämlich „Doing Gender“. Dieser im Unterschied zu Butler genuin soziologische Ansatz kann zumindest für die deutsche sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung als dominant bezeichnet werden. Diese Richtung hätte einen eigenen Platz in der Darstellung verdient. Doch jede Auswahl stößt auf Grenzen, und der Großteil der vorgestellten Autor/-innen hat sich einen Platz auf dieser Liste sicherlich mehr als verdient.
Neben der inhaltlichen Darstellung unternimmt Gugutzer den Versuch einer Systematisierung. Die Zuordnung der Autor/-innen zu soziologischen Paradigmen stößt auf das Problem, dass sich einige mit unterschiedlichen Fragen in Bezug auf den Körper befassen. So wird z. B. Bourdieu unter der Rubrik „Strukturalismus“ auf den Aspekt von „Körper als Kapital“ (S. 66) reduziert. Im Habituskonzept geht es jedoch zentral um die Vermittlung von Struktur und Handlung und somit nach Gugutzers Definition um Strukturierungstheorie. Bei Foucault wird dieses Problem offensichtlich, denn er taucht gleich zweimal auf, einmal gemeinsam mit Elias unter der Rubrik „Historische Soziologie“ und einmal zusammen mit Bourdieu, Douglas und Turner unter „Strukturalismus“. Von diesem Zuordnungsproblem einmal abgesehen, ist die Darstellung der verschiedenen Ansätze gut gelungen. Und in den Überschriften wird sehr griffig das Besondere des jeweiligen Beitrags auf den Punkt gebracht. So spricht Gugutzer bei Elias vom „zivilisierten Körper“ (S. 50), bei Foucault vom „disziplinierten Körper“ (S. 59) und „diskursiven Körper“ (S. 74) oder bei Lindemann vom „spürbaren Körper“ (S. 104).
Gugutzers Überblick macht vor allem eines deutlich: die „Mehrdimensionalität des menschlichen Körpers“ (S. 140). Und so steht die Soziologie vor einer Reihe von unterschiedlichen Aufgaben und Fragestellungen (vgl. S. 140 ff.). Wie schreibt sich Gesellschaft in den Körper ein? Wie stellt sich über den Körper Sozialität überhaupt erst her? Wie dient der Körper als Gelenk zwischen Struktur und Handlung? Wie variiert der Körper historisch und kulturell? Und last but not least: „Was ist der Körper?“ Dieser letzte Bereich ist nach Gugutzer bislang am wenigsten ausführlich bearbeitet worden. Und so nimmt er sich dieser Frage in einem eigenen Kapitel an.
Seine Antwort basiert im Wesentlichen auf der Unterscheidung von Körper und Leib. Hier bezieht er sich auf den philosophischen Anthropologen Helmuth Plessner und auf den Phänomenologen Hermann Schmitz. Die Verbindung dieser beiden Autoren im Kontext der Körpersoziologie geht zurück auf Arbeiten von Gesa Lindemann. Deren Beitrag zum spürbaren Körper wird ausführlich dargestellt, ihre grundlegenden Überlegungen zu einer sozialwissenschaftlichen Bestimmung des Gegenstands Körper kommen jedoch nicht vor. Dabei hat Lindemann bereits 1995 in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Verschränkung von Körper und Leib als theoretische Grundlage einer Soziologie des Körpers und leiblicher Erfahrung“ das vorweggenommen, was Gugutzer nun entwickelt. Auch sie hat dafür plädiert, die körperlich-leibliche Verfasstheit des Menschen zu einer Basiskategorie der Sozialwissenschaft zu machen. Das, was Lindemann mit dem Begriff der Verschränkung zu fassen versucht, bezeichnet Gugutzer als „Zweiheit“ des Körpers. Es geht dabei um die doppelte Gegebenheitsweise des menschlichen Körpers, einmal als Körper im Sinne eines Objekts und einmal als Leib, besser gesagt: mein Leib, den ich als mich selbst spüren kann. Mit seiner Antwort, der Körper sei eine Zweiheit, führt Gugutzer einen neuen Begriff in die Reihe von Versuchen ein, die doppelte Gegebenheitsweise zu erfassen und dadurch die allgemeine Rede vom „Körper“ zu differenzieren und zu präzisieren.
Am Ende des Buches ist klar, worum es in der Körpersoziologie geht und an welchen Fragen sie sich abarbeitet. Vor allem die offenen Fragen werden deutlich, auch dadurch, dass Gugutzer die Darstellung der zwölf Autor/-innen jeweils mit einer kurzen Kritik beschließt. Eine Frage wirft er selbst auf, ohne sie jedoch wirklich beantworten zu können: Worin besteht eigentlich eine originär körpersoziologische Perspektive? (S. 141) Die Mehrdimensionalität des Gegenstands und Gugutzers eigener Bezug auf nichtsoziologische Theorien (Plessner, Schmitz) macht deutlich, dass ein streng disziplinär begrenztes soziologisches Körperverständnis schwer bis gar nicht zu entwickeln ist. Vielleicht wäre die Frage nach dem genuin Soziologischen dann genauer zu beantworten, wenn stärker auch empirische Aspekte bearbeitet worden wären. Offen bleibt auch, was genau unter einer Verkörperung der Soziologie zu verstehen ist: „Die zentrale Aufgabe einer verkörperten Soziologie bestünde somit darin, die leiblich-körperlichen Grundlagen sozialen Handelns herauszuarbeiten – und das unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die daran arbeitenden Soziologinnen und Soziologen leiblich-körperlich verfasste Wesen sind.“ (S. 158, Hervorhebung R. G.). Auf die empirische Ausgestaltung dieses letzten Aspekts darf man/frau gespannt sein.
URN urn:nbn:de:0114-qn062104
Dr. phil. Ulle Jäger
Basel, Zentrum Gender Studies, Philosophisch-Historische Fakultät
E-Mail: ulle.jaeger@unibas.ch
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