Editorial zu querelles-net 3 (2001)

Constanze Jaiser

Zur dritten Ausgabe von Querelles-Net

Die dritte Ausgabe von Querelles-Net widmet sich den Forschungsfeldern Osteuropa und Rußland. Unser vorrangiges Interesse ist es, den seit einigen Jahren entstandenen Kontakt zwischen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Bereich der feministischen bzw. der genderorientierten Forschung weiter zu verbessern. Hierzu gehört auch, die zum Teil sehr unterschiedlichen Forschungsansätze aus West und Ost vorzustellen. Bereits 1999 hatte die an der Humboldt Universität in Berlin durchgeführte Tagung „Gender in Transition in Eastern and Central Europe“, aber ebenso die Zeitschrift Feministische Studien mit ihrem Schwerpunktthema „Geschlechterverhältnisse in Rußland“ (Nr. 17, 1999, hg.v. Claudia Gather, Regine Othmer, Martina Ritter) für das Spektrum der Frauen- und Geschlechterforschung in Osteuropa und Rußland sensibilisiert. Dabei werden auch Mißverständnisse und unterschiedliche Prämissen der Forschenden aus Ost und West deutlich sowie Problematiken, die sich bei der Vermittlung von Theoriemodellen und Erfahrungszusammenhängen ergeben.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie liegen u. a. in einem verschiedenen Verhältnis zum Emanzipationbegriff. In den westlich-liberalen Gesellschaften wird damit in der Regel die Forderung nach Gleichstellung in rechtlicher und kultureller Hinsicht verstanden. Russische Frauen dagegen verbinden damit die sowjetische Beschäftigungspolitik in ihren Auswirkungen; dabei wurden Frauen zwar in den Arbeitsprozeß integriert, statt zu faktischer Gleichstellung führte dies jedoch in der Regel zu einer Mehrfachbelastung der weiblichen Erwerbstätigen. Auch sehen viele Frauen – so Jirina Siklova in bezug auf die tschechische Gesellschaft – ihre Probleme nicht in der Diskriminierung ihres (biologischen wie sozialen) Geschlechts begründet, denn sie kämpften an der Seite ihrer Männer gegen die staatlichen Oppressionen. Sowieso sind Frauen und Männer aufgrund der eigenen Erfahrungen skeptisch, was die Möglichkeit einer Aufhebung der strukturellen Ungleichheit der Geschlechter angeht: zum einen, ob von einer per Gesetz verfügten Gleichstellungspolitik überhaupt tiefgreifende Veränderungen möglich sind, zum anderen, ob die von westlichen Feministinnen benannten Probleme wie Frauenerwerbsarbeit bzw. Arbeitslosigkeit, häusliche Gewalt, sexistische Symbolisierungen in den Massenmedien u.a.m. nicht vielmehr als allgemein soziale Probleme angesehen und angegangen werden sollten.

Ebenfalls als schwierig erweisen sich Versuche, Analysekategorien wie „privat“ und „öffentlich“, die vor dem Hintergrund westlicher Gesellschaften entwickelt worden sind, auf postsozialistische Verhältnisse anzuwenden. Die Mehrheit der Frauen (und auch der Männer) im Sozialismus entwickelte über den „Rückzug in den familiären Bereich“ eine Verteidigungsstrategie gegen staatliche Kontrolle und Unfreiheit. Westlicher Feminismus, der häufig undifferenziert nur mit linkem marxistischen Feminismus gleichgesetzt wird resp. als solcher dargestell wurde, stellt eine Bedrohung dieser Strategie dar. Der erreichte Status an Freiheit wird aber zunächst einmal verstanden als eine Freiheit, sich nicht in politischen Gruppierungen organisieren zu müssen. Häufig wird dieser Hintergrund eines auf Erfahrungen basierenden Mißtrauens von westlichen Feministinnen nicht genügend in Rechnung gestellt.

Parallel zu diesen Ressentiments und Transferdebatten entstanden in den letzten Jahren in großer Zahl im ost- und südosteuropäischen sowie im russischen Raum Forschungseinrichtungen, Studiengänge und Zentren zur Frauen- und Geschlechterforschung, so das Gender Studies Center an der Karlsuniversität in Prag/Tschechien, das Moscow Center for Gender Studies, das Petersburg Center for Gender Issues oder der im Aufbau begriffene Gender-Studiengang an der Central European University in Budapest, aber ebenso das Women’s Centre in Kraków und viele andere. Eine Recherche über die Vielzahl der Einrichtungen können Sie nach Ländern geordnet auf der website des Network of East-West Women (NEWW) beginnen.

Die Rezensionen in Querelles-Net machen deutlich, daß hinsichtlich der Frauen- und Geschlechterforschung eine Fülle an wichtigen Forschungsergebnissen vorliegt. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Rezensentinnen und Rezensenten bedanken, die mit ihren Besprechungen maßgebliche Einblicke in die einschlägige Forschung geben. Noch sind wir nicht in der Lage, für alle Besprechungen eine englische Volltext-Version anzubieten – was wir gerade bei diesem Thema sehr bedauern.

Der thematische Schwerpunkt umfaßt neben den Buchbesprechungen und dem Forum auch eine ausgewählte Link-Liste mit weiterführenden Internetadressen, die wir kommentiert haben. Des weiteren finden Sie im Journal eine Bibliographie, die Neuerscheinungen zu Osteuropa und Rußland präsentiert. Das Rezensionsjournal unserer ersten beiden Zeitschriftennummer finden Sie wie immer im Archiv.

Die Rubrik Forum

Besonders freuen wir uns über die Bereitschaft Jirina Siklovas, Professorin für Soziologie an der Karls-Universität in Prag, unsere Fragen zur osteuropäischen Frauen- und Geschlechterforschung im Rahmen eines Interviews zu beantworten. Das Beispiel des bereits 1991 in Jirina Siklovas Privatwohnung gegründeten, seit 1998 institutionalisierten Zentrums für Geschlechterforschung (GSC) gewährt interessante Einsichten in die Entwicklungen in Osteuropa in wissenschaftlicher wie politischer Hinsicht.

Damit präsentieren wir gleichzeitig eine veränderte Funktion unserer Rubrik Forum. Nachdem das für die letzte Nummer geplante moderierte Diskussionsforum zum Schwerpunkt praktisch ohne Resonanz geblieben war und wir nun die Nutzung unserer Seiten statistisch ausgewertet haben, sind wir der Meinung, daß Querelles-Net derzeit wohl vor allem als Infopool und Rechercheinstrument genutzt wird. Gerne werden auch besondere Hinweise zur Kenntnis genommen, wie die Besucherzahlen der Ausstellung der Künstlerin Pat Binder, Stimmen aus Ravensbrück zu Gedichten und Kunst aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück zeigen.

Diskussionen, die sich zum Schwerpunkt resp. zur Frauen- und Geschlechterforschung insgesamt anbieten, werden wir also zukünftig eher offen handhaben, indem Sie uns Ihre Beiträge per Email zukommen lassen können. Dafür dient die Rubrik Forum in Zukunft für Hintergrundberichte zu verschiedenen aktuellen Themen. Entsprechend werden wir das Forum auch zwischen den drei (!) Ausgaben im Jahr mit Interessantem füllen. Hinweise auf neu ins Netz Gestelltes werden Sie immer der Startseite von Querelles-Net entnehmen können. Schon jetzt annoncieren wir für Ende März 2001 einen Bericht über das Internationale Forum auf der Berlinale unter gender-Aspekten, den Maria Marchetta, unserer Berlinale-Berichterstatterin, für Querelles-Net schreiben wird.

Rezensionen für Querelles-Net Nr. 4

Für den kommenden Schwerpunkt „Naturwissenschaften, Technik, Umwelt“ können Sie sich in der Vorschau mögliche Rezensionstitel ansehen. Sie finden aber auch weiterhin zahlreiche Titel wissenschaftlicher Neuerscheinungen aus dem gesamten Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung, die wir wieder aktualisiert haben. Diese stehen unter der Rubrik Fachinfos (Print-Publikationen). Sie können jederzeit in unserem offenen Rezensionsteil besprochen werden. Übrigens werden wir ab der Nr. 4 auf die neue Rechtschreibung umsteigen. Wenn Sie für Querelles-Net rezensieren wollen, so tragen Sie sich mit Ihrem Rezensionswunsch in das vorbereitete Formular ein. Beachten Sie auch die Hinweise zur Erstellung einer Rezension. Zur Zeit sind Rezensionen in Deutsch und in Englisch möglich.

Die Rubrik Publikationen

Unter dieser Rubrik Publikationen, in der Sie die von der Zentraleinrichtung selbst herausgegebene Edition: Ergebnisse der Frauenforschung sowie die Reihe Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung finden können, haben wir noch einen besonderen Service anzubieten:

Vom Metzler-Verlag erhielten wir die freundliche Erlaubnis, das seit längerem vergriffene Querelles-Jahrbuch für Frauenforschung, Band 2 (1997) als Download im PDF-Format zur Verfügung zu stellen. Der Wallstein-Verlag konvertierte uns die hierfür erforderlichen Daten. Das heißt, Sie können sich das gesamte Buch oder Sie besonders interessierende Beiträge auf Ihren heimischen Schreibtisch holen. Näheres hierzu finden Sie unter dem Inhaltsverzeichnis des von Gisela Bock und Margarete Zimmermann herausgegebenen zweiten Jahrbuches mit dem Titel „Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert“.

Schließlich erneut ein Wort an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Freien Universität: Wir bieten Ihnen den besonderen Service, in Querelles-Net Ihre jüngsten Publikationen (1999 und 2000) anzukündigen (sogar mit einer kleinen Inhaltsangabe), sofern diese mit Geschlechterforschung zu tun haben. Gerade Ihre Aufsätze könnten auf diese Weise einem großen Publikum zugänglich gemacht werden. Machen Sie bitte von diesem Angebot Gebrauch, indem Sie einfach das vorbereitete Formular ausfüllen.

Praktikumsplätze

Ab sofort bieten wir Praktikumsplätze an. Im Hinblick auf die nächste Ausgabe freuen wir uns besonders über Praktikantinnen und Praktikanten, die aus dem Bereich der Naturwissenschaften kommen. Die Arbeiten, die gelernt werden können, sind sehr vielfältig und eignen sich hervorragend, Qualifikationen im Bereich der Verlagsarbeit und der Neuen Medien zu erwerben:

Voraussetzungen sind ein vertrauter Umgang mit dem Computer (Word), gute Kenntnisse mindestens einer Fremdsprache sowie die Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten.

Möglich sind kompakte Praktika (4 Wochen und mehr am Stück) oder aber ein Teilzeitpraktikum (1–2 Tage pro Woche), das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt.

Nähere Informationen über unsere Emailadresse oder unter der Telefonnummer 838–5–6252 (Constanze Jaiser)

Die Redaktion

URN urn:nbn:de:0114-qn021012

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