Chava Frankfort-Nachmias, Erella Shadmi (Hg.):
Sappho in the Holy Land.
Lesbian Existence and Dilemmas in Contemporary Israel.
New York: State University of New York Press 2005.
320 Seiten, ISBN 0–791–46318–4, US$ 27,95
Abstract: Der vorliegende Band präsentiert vielfältige Beiträge zu lesbischem Leben in Israel im Kontext verschiedener politischer, ideologischer und sozialer Systeme und vor dem Hintergrund unterschiedlicher biographischer Erfahrungen.
Im vorliegenden Sammelband analysieren Autorinnen aus unterschiedlichen Zusammenhängen die Erfahrungen lesbischer Existenzweisen im Israel der letzten Jahrzehnte. Wissenschaftliche, historische und rechtliche Perspektiven werden dabei ebenso berücksichtigt wie etwa das Thema Lesben im Kibbutz, die feministische Selbstorganisierung von Lesben oder Lesben in den diversen Frauen/Friedensbewegungen. Eine Autorin berichtet über ihre Erfahrungen als orthodoxe Lesbe, eine andere über ihr lesbisches Coming out als Einwandererin aus Russland.
Die Anthologie ist in vier Teile gegliedert: Experience, Culture and Identity, Poltitics, Social Construction. Das klingt vielleicht nach trockener wissenschaftlicher Analyse. Dem ist aber nicht so, das Buch ist sehr gut lesbar, teilweise sogar spannend. Etwa bei der Lektüre von Mickey M., Verfasserin des Beitrages „Rainbow Kufiyyah“, die von ihrem Geschenk an eine unbekannte Palästinenserin im Rahmen eines Projekts eines italienischen Künstlers berichtet, bei dem es um einen Austausch von Geschenken zwischen Israelis und Palästinenser/-innen ging. Als das dazugehörige Schreiben ins Internet gelangte, kam es zu lebhaften Diskussionen nicht nur über die Frage des Zusammendenkens von Lesbisch-Sein und israelisch-palästinensischen Wurzeln, sondern auch darüber, ob und wie politische Themen in der „gay community“ diskutiert werden sollen.
An einem ähnlichen Punkt setzt Hannah Safran, an wenn sie die „lesbian invisibility“ bei den „Women in Black“ analysiert. Lesben waren in dieser mittlerweile international bekannten Frauenfriedensorganisation von Anfang an dabei. (WiB entstand während der ersten Intifada in den späten Achtzigerjahren als Protest gegen die israelische Politik in den besetzten Gebieten.) Dabei verhinderte laut Safran paradoxerweise gerade das Konzept der Inklusion, durch das ein ungewöhnlich breites politisches Spektrum bei den WiB vertreten ist, die Thematisierung lesbischer Differenz: „The vigils of Women in Black, in their nonstructure, in the text they used, and in their subtext, were based on inclusion of diversity among the participants. The denial of lesbians and other groups in the vigils came as a result of the very same idea that enabled their groups to exist in the first place.“ (S. 205)
Ebenso komplex ist auch der Beitrag von Pnina Motzafi-Haller, der eine Begegnung zwischen misrachischen Frauen beschreibt. Misrachim, d. h. Jüdinnen und Juden, die aus arabischen Ländern nach Israel eingewandert sind, haben im Vergleich zu Aschkenasim, den aus europäischen Ländern Zugewanderten, in Israel immer noch geringere Aufstiegschancen, eine Tatsache, die seit einigen Jahren auch innerhalb der israelischen Frauenbewegung diskutiert wird. Sehr genau analysiert nun Motzafi-Haller ihre Begegnung als misrachische Mittelstandshetera und Feministin mit misrachischen Lesben aus der Arbeiter/-innenschicht, die sich nicht als Feministinnen verstehen. Eine Ablehnung die, wie sich im Laufe des Interviews zeigt, auch als eine Form der Klassenkritik an der feministischen Bewegung gelesen werden kann.
Chava Franfort-Nachmias und Erella Shadmi haben eine anspruchsvolle Anthologie zusammengestellt, die sich, trotz der von ihnen selbst festgestellten Lücken sehen lassen kann und die einen guten Einblick in gegenwärtige Diskussionen der israelischen Frauenbewegungs- und Lesbenszene bietet.
URN urn:nbn:de:0114-qn062153
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