Standortbestimmungen der feministischen Film- und TV-Wissenschaft

Rezension von Tanja Maier

Monika Bernhold, Andrea B. Braidt, Claudia Preschl (Hg.):

Screenwise: Film, Fernsehen, Feminismus.

Marburg: Schüren 2004.

239 Seiten, ISBN 3–89472–387–4, € 24,90

Abstract: Der vorliegende Band versammelt zeitgenössische Perspektiven und Ansätze feministischer Film- und TV-Wissenschaften. In vier Kapiteln werden Fragen nach visuellen Praxen, dem ‚Frühen Kino‘, nach Genre und Geschlecht sowie Räumen des Fernsehens diskutiert. Die Themen und Aspekte reichen von Publikumstheorien, Fragen nach dem Verhältnis von Medialität und Geschlecht, der Wahrnehmungsgeschichte des Films bis hin zu Fragen der Intermedialität oder nach der Bedeutung des Feminismus im (frühen) Kino und im Fernsehen.

Kontextuierung

Der vorliegende Sammelband dokumentiert Beiträge der Internationalen Konferenz ‚Screenwise: Standorte und Szenarien zeitgenössischer feministischer Film- und TV-Wissenschaften‘, die im Mai 2003 in Wien stattfand. Mit der Publikation, der Sammlung von insgesamt 25 Beiträgen, liegt eine Bestandsaufnahme der aktuellen Ansätze und Perspektiven der feministischen Medienwissenschaften vor. Im Fokus stehen dabei die Medien Film und Fernsehen. Wie die Herausgeberinnen Monika Bernhold, Andrea B. Braidt und Claudia Preschl in ihrem Vorwort schreiben, ist es ihr Hauptanliegen, Szenarien und Standorte der zeitgenössischen feministischen TV- und Filmwissenschaft zu skizzieren.

Die unter dieser Perspektive versammelten Beiträge stammen aus unterschiedlichen disziplinären und institutionellen Kontexten. Sie beziehen sich auf vielfältige Ansätze und Theorien, etwa die Cultural Studies, sozialwissenschaftliche, psychoanalytische, medienwissenschaftliche, filmtheoretische oder semiologische Zugangsweisen. Zudem werden nicht nur wissenschaftliche, sondern auch künstlerische Produktionen und Praxen einbezogen.

Der Reader ist in vier thematische Schwerpunkte gegliedert: „Visuelle Praxen im Kontext von Feminismus, Gender, Politik und Sex“, „Feministische Positionen zum Frühen Kino. Der Wunsch nach einem Gegenkino“, „Diskursive und imaginäre Räume des Fernsehens“, „Gender und Genre in den Filmwissenschaften“.

Jedem der vier Kapitel ist eine Einleitung durch eine oder mehrere der Herausgeberinnen vorangestellt, die einen guten Einblick in die jeweiligen Themen und Fragestellungen liefert. Daneben finden sich Originalbeiträge von Christine Gledhill, Joke Hermes, Henrike Hölzer, Verena Kuni, Susanne Lummerding, Jyoti Misty, Margaret Morse, Mikki Muhr, Laura Mulvey, Birgit Peter, Bérénice Reynaud, Johanna Schaffer und Marcella Stecher, Heide Schlüpmann, Andrea Seier, Elisabeth Streit, Eva Warth, Brigitte Weich, Hedwig Wagner, Katja Wiederspahn, Doro Wiese.

Visuelle Praxen und Theoriebildung

Die Beiträge des ersten, umfangreichsten Themenschwerpunktes beschäftigen sich mit Fragen nach dem Verhältnis von feministischer Theoriebildung und visuellen Praxen. Das Kapitel enthält verschiedene feministische und/oder queere Positionen und Ansätze aus Wissenschaft und Kunst, die aus mitunter konträren Perspektiven zum Verhältnis von feministischen Theorien und Praktiken arbeiten. Mehrere Denkachsen verbinden die Texte dieses Teils, wie Monika Bernhold und Andrea B. Braidt in ihrer Einleitung „Visuelle Praxen im Kontext von Feminismus, Gender, Politik und Sex“ darlegen. Dies sind insbesondere die Beschäftigung mit den Bedingungen von feministischen Produktionsweisen, theoretisch-methodische Überlegungen anhand konkreter Materialdiskussionen sowie theoretische Begriffsbestimmungen.

In ihrem hier platzierten Beitrag fordert Andrea Seier in einer kritischen Reflexion der Butler’schen Thesen zur Performativität von Geschlecht, die feministische Filmtheorie dürfe die Performativität von Geschlecht nicht einseitig anhand der filmischen Inszenierung belegen, sondern es müssten auch die spezifischen medialen und ästhetischen Prozesse fokussiert werden. Sie schlägt vor, analytisch zwischen drei Ebenen des Performativen in der Filmforschung zu unterscheiden: der medialen Performativität, der Geschlechter-Performativität und der Genre-Performativität. Anhand Quentin Tarantinos Jackie Brown kann Seier zeigen, wie der Film in seiner spezifischen Medialität, das jeweilige Genre einschließlich seiner Regelhaftigkeit und die dargestellten Geschlechterinszenierungen als kulturelle Praktiken anzusehen sind, die in je spezifischer Weise durch die Wiederholung von Normen zugleich ermöglicht und reglementiert werden.

Neben den schriftlichen Fassungen der Vorträge zum Thema wurde dieses Kapitel durch die Dokumentation der Videolounge (Mikki Muhr) und der Filmschau (Katja Wiederspahn), die im Rahmen der Konferenz stattfanden, erweitert. Zudem legen Johanna Schaffer und Marcella Stecher mit ihrem Workshopbericht „Prekäre Fantasien“ eine spannende Theoretisierung von visuellen Praxen vor. Die beiden Autorinnen stellen verschiedene queer/feministische Film- und Videobilder mit S/M-Bezug vor, die lesbisches Begehren jenseits heterosexistischer und heteronormativer Wahrnehmungsmuster in Szene setzen, Bilder also, so die Autorinnen, die hegemoniale wie auch feministische Normsetzungen in produktiver Weise herausfordern (können).

‚Frühes Kino‘ – Gegenkino

Im zweiten thematischen Schwerpunkt der Publikation werden die Möglichkeiten des ‚Frühen Kinos‘ als Gegenentwurf und -geschichte zum ‚klassischen Hollywoodkino‘ untersucht. Da dieses frühe, populäre Kino noch nicht der bürgerlichen Ideologie anheim gestellt war, so Claudia Preschl im Vorwort dieses Kapitels, zeigen sich hier im Vergleich zum späteren Kino ‚andere‘ Blick- und Erzählstrategien. Die Beiträge beschäftigen sich mit dem Wunsch von feministischen Forscherinnen nach einem Gegenkino und fragen, „was Kino, was Wahrnehmung im Kino bedeute“ (S. 105).

Für Heide Schlüpmann ist das ‚Frühe Kino‘ politische Intervention in hegemoniale, zeitgenössischen Darstellungskonventionen des Films. So sei etwa der „Blick nicht männlich kodiert: Im Film kommt er gleichberechtigt den Frauen zu“, und in „den Filmen vertreten auch Frauen eine Erzählperspektive, nehmen die Position der Erzählerin ein“ (S. 108). In Anlehnung an Siegfried Krakauer fordert die Filmwissenschaftlerin, über die Filme die Wahrnehmung des Publikums zu erschließen, und plädiert für eine „Theorie im Kino“ (S. 114) und nicht für eine Theorie des Kinos.

TV-Wissenschaft

Auf das schwindende theoretische Interesse der feministischen Medienwissenschaften am Medium Fernsehen weist Monika Bernold in ihrer Einleitung „Diskursive und imaginäre Räume des Fernsehens: TV’s elsewheres and nowheres“ hin. Es handelt sich um eine Leerstelle, die auch der vorliegende Sammelband ein Stück weit dokumentiert, insofern im Gegensatz zum Film vergleichsweise wenig Aufsätze zum Fernsehen vorliegen. Die hier versammelten Beiträge beschäftigen sich mit dem österreichischen, niederländischen, südafrikanischen und US-amerikanischen Fernsehen. Drei Aspekte durchkreuzen laut Bernold alle Texte des Kapitels zu den diskursiven und imaginären Räumen des Fernsehens: die Frage nach dem Publikum im Hinblick auf die Konstruktionen von Geschlecht, die Intermedialität – also das Verhältnis des Fernsehens zu anderen Medien – und die Möglichkeiten und Grenzen feministischer Strategien in Bezug auf das Fernsehen.

Margaret Morse liefert in „The Duties of the Wind. Eine Feministin auf den Spuren kulturellen Wandels“ interessante selbstreflexive Beispiele dafür, wie sich die eigene Subjektivität der Forschenden produktiv in die wissenschaftliche Arbeit einbringen lässt: Ausgehend von ihrer eigenen Medienbiographie und ihren medialen Erfahrungen hat sie verschiedene mediale Alltagkulturen auch im Hinblick auf deren Intermedialität untersucht. Ihre Gegenstandsfelder sind Nachrichten- und Sportsendungen, Werbung, Spiele, Dokumentationen oder Aerobic-Videos. „Das Vergnügen der Fernseh-Zuschauerin Margaret Morse wird darin noch einmal zum zentralen methodischen Instrument der Theoretikerin“ (S. 139), kommentiert Monika Bernhold in ihrem Vorwort treffend die bisherige Arbeit zum Fernsehen von Margret Morse.

In dem einzigen Beitrag des gesamten Buches, in dem eine empirische Untersuchung des Publikums vorgenommen wird, analysiert Joke Hermes die Aneignung der TV-Serien Ally McBeal und Sex and the City anhand von Internet-Diskussionsforen (insbesondere auf der Webseite ‚Jump the Shark‘). Mit „Ein Publikum das sich selbst vertextet: Post-feministisches Fernsehen, seine Fans, seine KritikerInnen und das Internet“ liefert Hermes produktive theoretische und methodische Vorschläge dafür, wie sich eine Internet-Ethnographie des Publikums für die feministische Fernsehforschung nutzbar machen lässt.

Geschlecht und Genre

Die drei Beiträge des letzten Kapitels beschäftigen sich mit Potentialen und Problemen der Kopplung von Genre- und Geschlechtertheorien. In ihrer Einleitung „Gender und Genre in den Filmwissenschaften“ problematisiert Andrea B. Braidt die aktuelle Diskussion um die Frage, wie das Verhältnis von Genre und Geschlecht zu denken ist, ohne dabei in a-historische und essentialistische Setzungen zu verfallen.

In den Beiträgen von Henrike Hölzer und Verena Kuni geht es vor allem um das Moment der Wiederholung als Strukturprinzip. Kuni fragt in „Nach allen Regeln der Kunst: Gender is a Genre is a Genre? Cut up! Versuch über Verfahren, einen gordischen Knoten zu durchschneiden“ nach filmischen und künstlerischen Praxen, die der gegenseitigen Essentialisierung von Genre und Geschlecht wiederstehen könnten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen um eine anti-essentialistische feministische Genretheorie zeichnet sie die Verknotung von Geschlecht und Genre anhand von KünstlerInnen-Spielfilmen nach und theoretisiert künstlerische Techniken als Möglichkeit, den titelgebenden ‚gordischen Knoten zu durchschneiden‘.

Resümierend

Insgesamt löst der Sammelband seinen Anspruch ein, Entwicklungen und Perspektiven der aktuellen TV- und Filmwissenschaften zu präsentieren. Der explizit politische Anspruch, der sich bereits mit dem Begriff „Feminismus“ im Titel stellt, durchzieht die Beiträge des Buches in gelungener Weise. Der Band bietet weitreichende theoretische und methodische Reflexionen an und zeichnet sich durch die Präzisierung von Begrifflichkeiten aus, wobei Kenntnisse der aktuellen Film-, TV- und Geschlechter-Theorien vorausgesetzt werden. Für (feministische) Film- und FernsehwissenschaftlerInnen bieten sich hier historisch fundierte Betrachtungsweisen und Befunde zu bewegten Bildern an, wobei neben derzeitigen Leerstellen der feministischen Forschung in diesem Bereich auch neue Wege aufgezeigt werden.

Die spannenden Beiträge hätten allerdings ein aufmerksameres Lektorat verdient. Besonders deutlich wird dies in den Fußnoten, wo mitunter einzelne Worte oder ganze Satzteile fehlen, was den Lesenden einiges an Interpretationsleistung abverlangt. An einigen Stellen ist die Zuordnung der einzelnen Beiträge zu den jeweiligen Abschnitten nicht immer ganz nachvollziehbar. Positiv fällt wiederum die Offenlegung von Diskussionsprozessen zwischen Herausgeberinnen, Autorinnen und Übersetzerinnen über die editorische Gestaltung und über begriffliche Auseinandersetzungen ins Auge.

URN urn:nbn:de:0114-qn062136

Tanja Maier

Kolleg Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien, CvO Universität Oldenburg

E-Mail: ta.maier@gmx.net

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