Die Umstrukturierung des Ingenieurberufs und die Mobilisierung der Frauen als Ressource im Systemwettstreit

Rezension von Petra Behrens

Karin Zachmann:

Mobilisierung der Frauen.

Technik, Geschlecht und Kalter Krieg in der DDR.

Frankfurt a.M., New York: Campus 2004.

420 Seiten, ISBN 3–593–37629–6, € 45,00

Abstract: Karin Zachmann geht in ihrer Habilitationsschrift, die Ansätze der Technik- und der Geschlechtergeschichte sowie der neueren DDR-Forschung aufgreift, den Auseinandersetzungen zwischen technischer und politischer Elite um einen grundlegenden Umbau des Ingenieurberufs in der SBZ/DDR nach. Sie untersucht für den Zeitraum von 1945 bis zum 1971 erfolgten Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker, wie die politische Elite ihren Anspruch auf eine umfassende Verfügbarkeit technischen Wissens geltend machte und welche Auswirkungen dieses auf das berufliche Selbstverständnis der technischen Experten hatte. Dabei stehen die Feminisierungsprozesse und die Verschiebungen in der geschlechtlichen Codierung des Ingenieurberufs, die mit einer verstärkten Mobilisierung von Frauen für technische Berufe einhergingen, im Zentrum. Die auf einer breiten Quellengrundlage basierende Studie gibt nicht nur Aufschluss über die Frage nach den Handlungsspielräumen der technischen Experten in der DDR, sondern stellt zudem einen wichtigen Beitrag zur „Dekonstruktion der staatssozialistischen Geschlechterordnung“ dar.

Untersuchungsgegenstand und Quellen

Im Kalten Krieg wurde der Stand der Technik zunehmend zum Maßstab der Konkurrenzfähigkeit der politischen Systeme und zur Ressource staatlicher Macht. Während in der Bundesrepublik die männliche Dominanz in technischen Professionen weitgehend erhalten blieb, versuchte die SED durch eine gezielte „Mobilisierung der Frauen“ für den Ingenieurberuf, den Bedarf an technischen Experten zu decken. Stützen konnte sie sich dabei auf den Geschlechtervertrag der neuen Ordnung, der die Erwerbstätigkeit beider Ehepartner vorsah. Der staatsozialistische Gesellschaftsumbau war zudem mit Eingriffen in die etablierten Strukturen der akademisch-technischen Bildung und die Berufspraxis der Ingenieure verbunden, die weitreichende Folgen für die Position von Frauen im technischen Bereich hatten.

Karin Zachmann untersucht in ihrer Studie die Produktion von technischem Wissen und die den Zugang dazu regelnde Bildungspolitik, außerdem die Berufspolitik, die die Anwendung dieses Wissens gestaltete. Analysiert wird zudem die Frauenpolitik der Ära Ulbricht in ihren Auswirkungen auf den Zugang von Frauen zum „technischen Feld“. Darüber hinaus wendet sie sich aber auch den Ingenieurinnen als Akteurinnen des staatsozialistischen Gesellschaftsumbaus zu und bezieht damit die erfahrungsgeschichtliche Dimension des Berufsumbaus mit ein.

Dieser breite Zugang wird durch die Berücksichtigung unterschiedlichster Quellengattungen möglich. Neben zentralen Aktenbeständen der Partei und des FDGB sowie staatlicher Stellen und der Berufsorganisationen (Kammer der Technik, Bund Deutscher Architekten) sind dieses Bestände des Universitätsarchivs der TU Dresden, die Aufschluss über die Position der Ingenieurwissenschaftler zur Umstrukturierung der Ausbildung geben. Hinzu kommen Fach- und Frauenzeitschriften sowie Belletristik und Dokumentarfilme, die die Einbeziehung der gesellschaftlichen Vermittlung und die Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse des Berufsumbaus ermöglichen. Im Hinblick auf die erfahrungsgeschichtliche Dimension der Untersuchung kommen Erhebungen über die Bildungs- und Berufsbiographien von Promovendinnen der Technischen Universität Dresden und der Technischen Hochschule Ilmenau sowie der Hochschullehrerinnen in den Ingenieurwissenschaften zum Tragen.

Frauen als technische Experten und die männliche Kultur der Technik

Die Analyse der Bildungs- und Berufsverläufe der Frauen, die zum Dr. ing. promovierten bzw. als Hochschullehrerinnen im Bereich der Ingenieurwissenschaften tätig waren, dient Zachmann als ein erster Zugang zu der Frage, inwieweit das staatliche Projekt der Mobilisierung der Frauen durchsetzbar war. Die Theorien Pierre Bourdieus aufgreifend, untersucht sie, welches kulturelle, politische und soziale Kapital die Frauen im „Feld der Technik“ (S. 32) zum Einsatz bringen konnten. Deutlich wird, dass trotz einer staatlichen Strategie der Gegenprivilegierung der größte Teil der Promovendinnen aus dem Sozialmilieu der Akademiker und Angestellten kam. Für Frauen aus Arbeiter- und Bauernfamilien war der Aufstieg in die technische Elite hingegen eine doppelte Grenzüberschreitung, bedeutete er doch sowohl den Eintritt in ein anderes Sozialmilieu als auch die Überwindung der Geschlechtergrenze. Zudem zeigt sich, dass Frauen vor allem durch eine Ausdehnung der Ingenieurwissenschaften in Bereiche, die mit Weiblichkeit konnotiert waren bzw. in denen aufgrund einer disziplinären Neuverortung geschlechtliche Kodierungen weniger stringent funktionierten, einen Zugang fanden. Die Promovendinnen bearbeiteten zwar in der Hauptsache technische Fragestellungen, sie entwickelten darin jedoch Problemlösungen für Gebiete, die als Arbeits- oder Konsumbereiche in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung Frauen zugewiesen waren, so entstanden z. B. im Maschinenwesen Untersuchungen zur Textil- und Lebensmitteltechnik.

Vor allem am Beispiel der Hochschullehrerinnen wird die Bedeutung der dritten Hochschulreform und der Bildungsexpansion am Ende der 1960er Jahre deutlich. Hinzu kam eine verstärkte Politik der Frauenförderung. Dieses bedeutete jedoch nicht, dass die Beharrungskräfte einer sich seit dem 19. Jahrhundert herausbildenden männlich konnotierten Kultur der Technik außer Kraft gesetzt wurden.

Die Entwicklungslinien der Denkmuster und Deutungstraditionen im beruflichen Selbstverständnis der Ingenieure seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnet Zachmann über drei Systemwechsel hinweg nach, um so die Wurzeln offen zu legen, mit denen die politische Elite der DDR im Prozess des staatsozialistischen Umbaus des Bildungs- und Berufssystems konfrontiert war. Hierbei wird vor allem die zunehmende Verknüpfung von Technik, Männlichkeit und Krieg als Tragpfeiler des Selbstverständnisses der Ingenieure seit dem Kaiserreich deutlich. Mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus geriet eine männliche Kultur der Technik in eine Krise, und Teile der ingenieurwissenschaftlichen Elite forderten vor dem Hintergrund der Diskussion um die Mitverantwortung ihres Berufsstandes an Krieg und Holocaust eine Erhöhung des Anteils der nichttechnischen Studienfächer an den Technischen Hochschulen. Die Chance einer Erweiterung des vor allem auf Effizienz und Funktionalität technischen Handelns ausgerichteten Berufsverständnisses wurde in Anbetracht des hohen Bedarfs an Ingenieuren und ihrer Einbindung in den Aufbau der neuen Ordnung vertan. (Vgl. S. 176)

Kontroversen um die akademische Ingenieurausbildung und die Anwendung technischen Wissens

Die Auseinandersetzungen zwischen technischer und politischer Elite um den für die Berufsgruppe der Ingenieure erforderlichen Wissenskanon und die Bedingungen des Zugangs zu diesem Wissen untersucht Karin Zachmann im dritten Kapitel ihrer Arbeit. Die Reform der Ausbildung und die Gründung neuer Ausbildungsstätten führte in den 1950er Jahren zunächst zu einer Homogenisierung der Institutionen der höheren technischen Bildung, zur Auslagerung nichttechnischer Disziplinen sowie zu einer industrienahen Spezialisierung. (Vgl. S. 363) Dieses hatte nicht nur einen Machtverlust der technischen Experten zur Folge, sondern begünstigte auch eine Restaurierung der männlichen Kultur der Ingenieurausbildung. Die Ansätze zu einer immer engeren Spezialisierung wurden in der Folgezeit zwar zurückgenommen, und der technischen Elite gelang es nach dem Mauerbau zeitweise, ihren Anspruch auf die „Festlegung eines für die Reproduktion der Berufsgruppe erforderlichen Wissenskanons“ (S. 364) durchzusetzen. Die seit 1962 erlassenen Auflagen zur Erhöhung des Frauenanteils in den technischen Studiengängen führten jedoch zu umfassenden politischen Interventionen in der Zulassungspolitik und beschränkten damit die Kontrolle der technischen Elite über den Berufszugang. Die Einführung von fachspezifischen Frauenquoten zeigt jedoch das Fortwirken der Geschlechterbarrieren. So schienen Frauen für bestimmte Bereiche besser geeignet als für andere. Argumentiert wurde, dass es Frauen in feminisierten Bereichen leichter falle, die von Ingenieuren erwarteten Leitungsfunktionen auszufüllen. Entscheidend „war also nicht der spezifisch technische Inhalt der zu lösenden Ingenieuraufgaben, sondern die Überlegung, in welchen Bereichen die Ausübung von Leitungsfunktionen durch Frauen am ehesten akzeptiert werden konnte“. (S. 257)

Ein signifikanter Feminisierungsschub in den technischen Studiengängen setzte erst nach 1968 im Zuge der dritten Hochschulreform und der Bildungsexpansion ein, die mit einem grundlegenden Umbau fachlicher Strukturen in der Ingenieurausbildung sowie einem rigiden Zentralisierungskurs im Hochschulsystem einherging.

Der Anstieg der Studentinnenzahlen führte jedoch – wie Karin Zachmann herausarbeitet – nicht unbedingt zu einem qualifikationsgerechten Einsatz der Frauen in der Industrie. Eine Einebnung von Ausbildungsunterschieden bei Stellenbesetzungen sowie die Abschaffung der Technikerausbildung führte in der betrieblichen Praxis zu einer Hierarchisierung und Differenzierung der Tätigkeiten entlang der Geschlechtergrenze. (Vgl. S. 315) Frauen verblieben auf technischen Sachbearbeiterstellen und hatten wenig Aufstiegschancen. Zudem wurden Ingenieurinnen häufig in feminisierten Zweigen der Industrie eingesetzt, die, da sie nicht zu den Schwerpunktbranchen gehörten, die niedrigsten Gehälter aufwiesen. Als „Zugangschleuse“ von Frauen in den Ingenieurberuf erwies sich vor allem der in der DDR geschaffene Berufsstand der Technologen, der trotz aller politisch intendierten Versuche der Aufwertung über das niedrigste berufliche Prestige verfügte.

Die materialreiche und äußerst spannend geschriebene Studie von Karin Zachmann zeigt in beeindruckender Weise die Kontinuitäten und Brüche im beruflichen Selbstverständnis der Ingenieure auf, die die Positionierung der Frauen in technischen Berufen bestimmten. Dabei bestätigt sich für das „Feld der Technik“ der Befund, dass sich die Trennlinien zwischen den Geschlechtern nicht auflösten, sondern lediglich neu gezogen wurden.

URN urn:nbn:de:0114-qn063042

Dipl. Pol. Petra Behrens

Promovendin Universität Hannover

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