Martina Kessel (Hg.):
Kunst, Geschlecht, Politik.
Männlichkeitskonstruktionen und Kunst im Kaiserreich und in der Weimarer Republik.
Frankfurt a.M., New York: Campus 2005.
146 Seiten, ISBN 3–593–37540–0, € 24,90
Abstract: Die Verbindung von Männlichkeit und Kreativität, die den Künstler ausmache, stellte sich bisher als eine ästhetische Norm dar, von der Frauen nur abweichen können. In dem von Martina Kessel herausgegebenen Sammelband zu den Männlichkeitskonstruktionen des frühen 20. Jahrhunderts wird jetzt gezeigt, wie in verschiedenen Sparten der Kunst an der Legende vom Künstler gearbeitet wurde. Dadurch wird eine neue Perspektive auf die Brüche und Widersprüche dieser spezifischen Männlichkeit eröffnet.
Der relativ schmale Sammelband verdankt sich einer Tagung zum Thema, die im Juni 2002 am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld stattfand. In sechs Beiträgen werden Aspekte der Männlichkeitskonstruktion vom Kaiserreich bis zum Surrealismus betrachtet. Dabei wird zum einen versucht, den Zusammenhang zwischen Künstlertum und Männlichkeit in narrativen und sozialen Kontexten zu rekonstruieren; zum anderen soll der Künstler als Akteur verstanden werden, der sich in verschiedenen Sparten der Kunst (Photographie, Film, Musik[kritik], Kunstgewerbe u. a.) diskursiv und sozial engagiert. Dabei werden zugleich Aspekte der Autorschaft und der künstlerischen Intention relevant, wie die Herausgeberin Martina Kessel in der Einleitung betont: „Wichtig wird immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von medialer Eigengesetzlichkeit einerseits und dem konstruktiven Charakter, der Repräsentationsbedeutung und sozialen Einbindung von Kunst und Künstlern andererseits.“ (S. 15)
Im ersten Beitrag zur Porträtphotographie im späten deutschen Kaiserreich wird die Eigengesetzlichkeit des Mediums umfassend nachgewiesen. Schablonen dienten den Photographen als Basis für ihre Porträts von Militärs. Die Bildunterschriften der jeweiligen Regimenter, die Figuren in Uniform, die Bildhintergründe waren feststehende Kontexte, in die der Kopf des Soldaten jeweils einmontiert wurde. Durch die Vielzahl dieser interessanten Ready mades, die Elisabeth Otto ihrem Aufsatz als Illustrationen beifügt, wird die buchstäbliche und figurierte Uniformität von Männlichkeit belegt, in die Frauen schlechthin nicht hineinpassen s/wollen.
Wolfgang Struck untersucht „Männerbilder“, die das Laufen bereits gelernt haben. Anhand zweier populärer Filmgenres der frühen Weimarer Republik, dem Aufklärungsfilm und dem Abenteuerfilm, entwickelt er drei dominante Typen von Männern: „Männerbilder entstehen da, wo die Konvergenz von narrativer Geschlossenheit und männlicher Identität gestört ist.“ (S. 53) Dieser defizitäre Geschlechterentwurf manifestiere sich in der Figur des „fröhlichen Bankrotteurs“ oder des „Lieblingsmaharadschas der Frauen“. Der Film schließlich, in dem sich die narrative Instanz in den Vordergrund schiebt, kann nach Struck mit einigem Recht den Anspruch erheben, einer der „ersten Autorenfilme“ zu sein (Der Student von Prag, 1913). Erzähler und Autor arbeiten hier am selben Projekt eines Männerbildes, das den filmischen Beweis für die „Macht der Narration (S. 63) erbringen könnte.
Um den großen Bereich der Musik, genauer um die Beethoven-Rezeption, geht es Beatrix Borchardt in ihrem Beitrag. Vom 19. Jahrhundert über den Nationalsozialismus bis hin zu Kubricks A Clockwork Orange wird Beethoven als männlicher Künstler per se kontextualisiert. Die Überhöhung des „kämpfenden, leidenden und triumphierenden Originalgenies“ zeigt dabei erstaunlich wenig Brüche auf, als würden die Wortfelder des sakralisierten Künstlertums, das die Erlösung in der Kunst verspricht, immer nur fortgeschrieben werden müssen – auch von der musikwissenschaftlichen Forschung.
Ebenfalls auf das „Genie“ stützt sich immer noch das Geschlechterkonzept in den Schriften Gertrud Bäumers, wenn sie Spontaneität und Originalität in einen inspirierenden Kontext eingebettet und durch „Arbeit und Fleiß“ perfektioniert wissen will (S. 93). Angelika Schaser widmet sich in ihrer Untersuchung explizit dem Status der Künstlerin bei Bäumer. Sowohl in ihren emanzipatorischen Schriften als auch in Bäumers eigenen literarischen Texten kollidiere weibliches künstlerisches Schaffen in auffälliger Weise mit dem männlich konzipierten Geniebegriff, so dass Frauen als mehr oder weniger rühmliche Ausnahmen gelten müssen.
Neue sozialästhetische Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg propagieren den Künstler als „Konstrukteur einer neu zu gestaltenden Gesellschaft“ (S. 103). Dazu zählen auch die Konzepte des von 1923 bis 1928 am Weimarer Bauhaus wirkenden ungarischen Emigranten László Moholy-Nagy. Wie Barbara Paul aufzeigt, ist dieser Entwurf des Konstrukteurs als ausschließlich männlich zu denken. Das Bauhaus erweist sich hierbei als eine „männerbündische“ und „wertkonservative“ Institution (S. 120 f.), die Frauen in den Bereich des Kunstgewerbes abdrängt und die Produktion von Kunst als Männersache versteht. Dieser ‚neue Konstrukteur‘ generiert sich somit über die Affirmation traditioneller Geschlechterrollen und den Ausschluss der Frauen, die theoretisch gleichberechtigten Zugang zum Bauhaus gehabt hätten.
Regelrechte „Hahnenkämpfe“ der Männlichkeiten macht Barbara Lange im letzten Beitrag des Bandes aus. Wurden die Bilder der Surrealisten mitunter als Dokumente der Misogynie interpretiert, können sie (mit Silvia Eiblmayr) auch gerade so gut als raffinierte Inszenierungen konservativer Betrachtungsweisen gelesen werden, indem sie „vielmehr deren Kritik an traditionellen und populären Bildkonventionen darstell[en]“ (S. 127). Lange analysiert dann die Selbstinszenierung der Surrealisten, um ihrer „Intention“ auf die Spur zu kommen. So findet sie die Idee der „verwundeten Krieger“ bildlich umgesetzt, mit deren Hilfe sich zum Beispiel Max Ernst mit der Kritik an den Machtstrukturen moderner Gesellschaften auseinandersetzte. Während die Frau im Status „als Bild und Medium“ gefangen blieb, verstand die Gruppe um André Breton, ebenso wie die Männer vom Bauhaus, die Frage von Machtverhältnissen als eine Männersache. Allerdings, und das kommt nach Lange den Surrealisten als Verdienst zu, sei die Kritik an einer „hegemonialen und elitären Männlichkeit“ aus der Perspektive realer Männlichkeiten heraus (S. 145) eine Differenzierungsleistung, die zugleich an der Demontage der Geschlechterbinarität mitwirke.
Auch wenn die einzelnen Beiträge relativ unverbunden nebeneinander stehen, dabei sowohl historisch als auch topographisch weite Bögen schlagen und sich unterschiedlicher Terminologie bedienen (vgl. z. B. den Repräsentationsbegriff), handelt es sich bei diesem Band um eine anregende Sammlung lesenswerter Einzelstudien. Bisweilen werden die Männlichkeiten (und Weiblichkeiten) zwar allzu glatt und gerade jenseits der angestrebten Thematisierung von Brüchen und Widersprüchen behandelt, gleichsam a priori angenommen anstatt in ihrer performativen Qualität erläutert, aber dies ist zum Teil auch den Eigengesetzlichkeiten der Disziplinen geschuldet.
URN urn:nbn:de:0114-qn063198
Dr. Sigrid Nieberle
Universität Greifswald, Institut für Deutsche Philologie
E-Mail: nieberle@uni-greifswald.de
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