Ein Forschungsbeitrag zur bayerischen Eherechtsgeschichte

Rezension von Eric Neiseke

Cordula Scholz Löhnig:

Bayerisches Eherecht von 1756 bis 1875 auf dem Weg zur Verweltlichung.

Berlin: Duncker & Humblot 2004.

417 Seiten, ISBN 3–428–11048–X, € 89,80

Abstract: Scholz Löhnig analysiert anhand der bayerischen Gesetzgebungsgeschichte den Weg der Säkularisierung des bayerischen Eherechts in dem Zeitraum von der Aufklärung bis zur Kulturkampfgesetzgebung Bismarcks. In beeindruckender Weise werden hierzu zahlreiche, oftmals ungedruckte Quellen aufgearbeitet und erstmalig für weitere Forschungen zugänglich gemacht.

Gegenstand der Untersuchung

Bayern ist im 18. Jahrhundert ein katholischer Konfessionsstaat, der an der Wende zum 19. Jahrhundert große Gebietsgewinne verzeichnet. Infolgedessen verliert das Land seine konfessionelle und rechtliche Geschlossenheit. Auch das Rechtsinstitut der Ehe unterliegt einem Wandel. Ein einheitliches, konfessionsübergreifendes Eherecht erscheint erforderlich. Scholz Löhnig will untersuchen, „ob und gegebenenfalls wie eine Loslösung des Eherechts aus der ausschließlichen Zuständigkeit der katholischen Kirche in Bayern stattgefunden hat“ (S. 19). Hierzu stellt sie verschiedene Kriterien auf, die die Beurteilung dieses Prozesses ermöglichen sollen: 1. die Gesetzgebungskompetenz für das Eherecht und deren Wahrnehmung durch die kirchliche und weltliche Macht, 2. der Inhalt eherechtlicher Normen, 3. die Zuständigkeit für die Eheschließung und 4. die Wahrnehmung der Ehegerichtsbarkeit. Diese Kriterien sollen durch die Berücksichtigung vom Verlöbnisrecht ergänzt werden (S. 20). Mithin geht es Scholz Löhnig um die Frage, „wann, wo und wie der weltliche, hier der bayerische, Staat auf das Eherecht Zugriff nehmen konnte“ (S. 20).

Bayern des Ancien Régime ab der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1799

Scholz Löhnig beginnt ihre Untersuchung mit dem Bayern des Ancien Régime ab der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1799. Regiert wurde es von Max III. Joseph (1745–1777), der reformerischen Ideen zugeneigt war (vgl. hierzu S. 26 m.w.N.). Diese günstigen Umstände ließen 1756 den in einigen Teilen fortschrittlichen Codex Maximilianeus Bavaricus Vivilis (CMBC) entstehen, der von dem Juristen Wiguläus Xaver Aloys Kreittmayr ausgearbeitet und später auch kommentiert wurde. Der CMBC ist nach Scholz Löhnig die erste bayerische Rechtsquelle, die vollständige Regelungen zum Eherecht enthält und damit eine neue Entwicklung markiert. Erstmalig sei das kanonische dem staatlichen und insoweit dem zivilen Eherecht gewichen. Inhaltlich unterscheide sich das staatlich geregelte Eherecht allerdings noch nicht vom katholischen Eherecht.

Bayern auf dem Weg zum modernen Staat (1799–1825)

In chronologischer Reihenfolge setzt die Autorin ihre Untersuchung mit „Bayern auf dem Weg zum modernen Staat“ fort. Es war die Regierungszeit von Max IV. Joseph, des späteren ersten Königs von Bayern, in der es zu erheblichen Gebietszuwächsen kam. Bedingt durch die zahlreich hinzugewonnenen protestantischen Gegenden einschließlich der französisch geprägten Pfalz ist es nach Scholz Löhnig zu einer erheblichen Rechtszersplitterung gekommen. Dies habe den endgültigen Verlust der ausschließlichen Katholizität der bayerischen Bevölkerung bewirkt (vgl. S. 136). Die Autorin geht der Frage nach, inwieweit sich diese Veränderungen auf normativer Ebene ausgewirkt haben. Ausführlich untersucht sie zeitgenössische Gesetzgebungsentwürfe, die im Gegensatz zum CMBC auch dem Inhalt nach ein eigenes staatliches Eherecht geschaffen hätten. Es sei allerdings nicht gelungen, diese Entwürfe und somit auch das Eherecht zu kodifizieren.

Bayern im Vormärz (1825–1848)

Im dritten Kapitel widmet sich Scholz Löhnig Bayern im Vormärz. Mit dem Regierungsantritt Ludwigs I. im Jahre 1825, einem Herrscher mit einer „kirchlich-katholischen Gesinnung“ (S. 190), erhofften sich katholische Glaubensoberhäupter eine Wiedergewinnung von Macht in eherechtlichen Fragen. Scholz Löhnig weist nach, dass der König jedoch darauf bedacht war, die seit 1802 geltende staatliche Position in Fragen der gemischtkonfessionellen Ehe gegen den wachsenden Widerstand der Kirche aufrechtzuerhalten. Eine dauerhafte Lösung dieses Konflikts sei nie erreicht worden. Unter Ludwig I. sei es schließlich – nach zahlreichen anderen Versuchen – im Jahre 1834 zu einem weiteren Entwurf für eine einheitliche Bayerische Zivilgesetzgebung gekommen. Dieser Entwurf regelte das Eherecht größtenteils nach dem österreichischen Vorbild des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1811. Der CMBC sei ebenso wie das Preußische Allgemeine Landrecht wegen der Form der Abfassung, der französische Code Civil als zu fremdes Recht abgelehnt worden. Der Autorin zufolge spiegelte der Entwurf von 1834 durch die Integration des Eheordnungsrechts und der einheitlichen Regelung der Ehescheidung einen Versuch der Normierung eines eigenen staatlichen (Ehe-)Rechts wider (vgl. S. 255–264).

Bayern nach der Revolution von 1848 und auf dem Weg ins Deutsche Reich (1848–1875)

Abschließend werden die Ereignisse in Bayern nach der Revolution von 1848 und auf dem Weg ins Deutsche Reich näher beleuchtet. Scholz Löhnig legt unter anderem dar, dass 1863 im bayerischen Landtag erstmals die Einführung der allgemeinen Zivilehe beantragt wurde, allerdings noch ohne Erfolg. Durch Gesetzgebungsprojekte im Jahr 1868 habe Bayern dann erneut einen Schritt hin zur Kodifikation der Zivilehe unternommen (vgl. S. 305). Die einschneidendste Veränderung auf dem Gebiet des Eherechts nach der Reichsgründung sei indes durch das Reichspersonenstandsgesetz (RPStG) vom 6. Februar 1875 für die Zivilehe eingetreten. Fraglich ist zunächst, warum das RPStG überhaupt noch Eingang in die Dissertation gefunden hat. Scholz Löhnig erklärt aber zu Recht, dass das Gesetz zwar nicht auf einem „bayerischen Hoheitsakt“ beruhe, jedoch Berücksichtigung finden müsse, „weil die Entstehung dieses Bundesgesetzes maßgeblich auf das Betreiben bayerischer Politiker zurückgeht, und die Eigenständigkeit bayerischen Eherechts mit dem RPStG ihr Ende“ finde (S. 309). Anschaulich stellt die Autorin die einzelnen Gesetzesdebatten dar. Was das RPStG letztlich für das Institut der Ehe in Bayern bedeutet hat, verdeutlicht die Stellungnahme des bayerischen Zentrumsabgeordneten Jörg. Der erbitterte Gegner der Zivilehe stellte fest: „Man sagt ja ohnehin nicht ganz mit Unrecht, daß dieser Gesetzesentwurf wenigstens einen Uebertitel tragen sollte, dahin lautend: Gesetz über die Einführung der obligatorischen Zivilehe in Bayern“ (S. 336 m.w.N.). Schlussendlich gelangt Scholz Löhnig zu dem Ergebnis, dass erst auf Reichsebene die endgültige Trennung staatlichen und kirchlichen Eherechts vollzogen wurde, die in Bayern selbst nie vollständig gelungen sei (vgl. S. 336).

Gesamtwürdigung

Untersuchungen zur bayerischen Familienrechtsgeschichte sind nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Scholz Löhnig ist es mit der vorliegenden Abhandlung insoweit gelungen, ein vernachlässigtes Gebiet der Rechtsgeschichte ansprechend aufzuarbeiten. Die aus der Untersuchung von zeitgenössischen Quellen gewonnenen Thesen sind allesamt inhaltlich nachvollziehbar. In einem Anhang werden die wichtigsten noch ungedruckten bayerischen Zivilgesetzgebungsentwürfe aus den Jahren 1816/18 und 1834 samt den dazu gehörigen Motiven erstmals einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Die einschlägige Literatur wurde sorgfältig ausgewertet, wenn auch einige wenige Dissertationen aus der Sekundärliteratur fehlen, wie etwa die Arbeit von Helmut Glöckle (Das Vormundschaftsrecht des Codex Maximilianeus Bavaricus Civiles, 1977). Lobenswert ist die abschließende Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in 75 Einzelthesen (S. 337–344). Die vorgestellte Neuerscheinung versteht sich jedoch nicht als eine abschließende Bearbeitung: Sie beschränkt sich auf das Eheschließungs- und Eheauflösungsrecht und lässt damit bewusst Teilbereiche offen, die zu einer weiteren Beschäftigung mit der bayerischen Familienrechtsgeschichte einladen.

URN urn:nbn:de:0114-qn063181

Dipl.-Jur. Eric Neiseke

Universität Hannover, Juristische Fakultät

E-Mail: Eric.Neiseke@web.de

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